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"Wer zu hart auf die Bremse tritt, der lässt die Wirtschaft entgleisen"

Die harten Sparauflagen stürzten die griechische Wirtschaft weiter in die Krise, sagt Wirtschaftswissenschaftler Gustav Adolf Horn. Dies verschärfe die Schuldensituation noch, da man in einer Depression keine Steuereinnahmen generiere.

Gustav Adolf Horn im Gespräch mit Gerd Breker | 02.09.2011
    Gerd Breker: Eine klare Mehrheit der Deutschen ist für Europa, eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger ist aber auch gegen eine Ausweitung des Euro-Rettungsschirms. Doch Politik ist schon längst darüber hinweg. In Berlin rätselt die Politik darüber, wie viel Souveränitätsübertragung der Bundestag leisten soll, leisten darf. Das wiederum legt das Bundesverfassungsgericht kommende Woche fest. Aber auch andernorts in der Euro-Zone wächst die Einsicht, dass die Euro-Krise Handlungsbedarf erzeugt. In Frankreich bröckelt offenbar der Widerstand gegen den Automatismus der Bestrafung von Defizitsündern. Dieser Automatismus war von der EU-Kommission vorgeschlagen worden, um politische Entscheidungen zu vermeiden, und so scheiterte dieser Automatismus am Veto Frankreichs, zuletzt sanktioniert durch die Bundeskanzlerin.
    Durchaus auf Akzeptanz stößt der deutsche Vorschlag einer Schuldenbremse in der Verfassung. Einzelne Länder haben das schon aufgenommen, Frankreich und auch Spanien demonstrieren, auch gestern Portugal, dass Portugal bereit wäre, Selbiges zu tun. In Madrid ist es konkreter: Heute hat das Parlament Gelegenheit, der Bereitschaft auch Taten folgen zu lassen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf liegt vor, er wird debattiert.
    Unterdessen wird immer deutlicher, dass Griechenland die von der Kommission und dem Internationalen Währungsfonds vorgegebenen Sparziele mit aller Wahrscheinlichkeit nicht erreichen wird, und die Rahmendaten lassen das auch plausibel erscheinen. Die Sparauflagen würgen die Konjunktur und damit die Steuereinnahmen ab. Die nächste Tranche an Hilfsgeldern, sie ist in Gefahr. Das nährt Verzweiflung, und aus Verzweiflung kann auch Wut werden.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Gustav Adolf Horn. Er ist Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Guten Tag, Herr Horn.

    Gustav Adolf Horn: Guten Tag!

    Breker: Dass eine zu drastische Sparpolitik Konjunktur abwürgen kann, das ist klar. Stellt sich hier nun die Frage, ob die Sparauflagen der EU und des IWF Griechenlands Konjunktur haben einbrechen lassen?

    Horn: Ja, das kann man, glaube ich, so sagen. Man muss sich ja vorstellen: Vor einiger Zeit betrug das Defizit noch 15 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt und jetzt reden wir über dessen Halbierung. Das ist eine gigantische Sparleistung, die auf der einen Seite zwar die Staatsfinanzen entlastet. Auf der anderen Seite fehlt das Geld natürlich in der griechischen Wirtschaft, und bei so einem drastischen Schritt stürzt eine Wirtschaft in der Regel ab und dann wiederum verschärft sich natürlich auch wieder die Schuldensituation, denn in einer Depression kann man keine Steuereinnahmen generieren.

    Breker: Da stellt sich die Frage, Herr Horn: Was sind das eigentlich für Menschen, was sind das für Experten, welche Technokraten haben hier das Schicksal eines Landes in der Hand?

    Horn: Es ist sehr bedauerlich, dass auch viele Ökonomen einfach falsch denken. Sie denken, man könne einfach sparen, ohne dass dies negative Konsequenzen für die Konjunktur hat. Das ist eine weitverbreitete Ansicht in der ökonomischen Lehre. Aber gerade der Fall Griechenland zeigt ja, dass diese Ansicht falsch ist, und daraus sollte man die Konsequenzen ziehen. Wer zu hart auf die Bremse tritt, der lässt die Wirtschaft entgleisen, und das wiederum verzögert letztendlich die Konsolidierung der Staatsfinanzen, die nur gelingen kann, wenn eine Wirtschaft einigermaßen im Tritt ist, wenn eben beispielsweise Steuereinnahmen in das Staatssäckel fließen.

    Breker: Und offenbar ist man ja nicht flexibel genug, um dann die eigenen Auflagen auch entsprechend anzupassen, denn das Ziel, das ist ja von allen gewollt.

    Horn: Das ist richtig. Es geht gar nicht um einen Streit um das Ziel. Dass der griechische Staat konsolidieren muss, ist unstrittig. Die Frage ist nur, wie macht man das am besten. Und allein schon immer am Staatsdefizit anzusetzen, ist schon eine sehr waghalsige Betrachtungsweise, denn das Defizit wird von vielen Faktoren beeinflusst, eben nicht nur von den Streichungen der Regierung an den Ausgaben, sondern eben auch von der Konjunktur, sowohl in Griechenland als auch außerhalb Griechenlands. Und deshalb wäre es vernünftig, einen mittelfristigen Pfad vorzugeben, wie sich die Ausgaben in Griechenland entwickeln sollten, und diesen Pfad müsste die Regierung einhalten und dieser Pfad müsste auch überwacht werden von der Troika, und das Defizit ergibt sich dann unter anderem als Einfluss der Konjunktur. Das wird aber nicht ausreichen. Darüber hinaus braucht Griechenland wirklich Wachstumsimpulse, und da muss Entsprechendes geschehen.

    Breker: Nicht nur Wachstumsimpulse – darauf werden wir später noch zu sprechen kommen, Herr Horn -, Griechenland braucht auch Strukturveränderungen, und das Kernkennzeichen jeder Strukturveränderung ist, dass das Zeit braucht.

    Horn: Das ist völlig richtig. Zum Beispiel braucht Griechenland ein funktionierendes Steuersystem einschließlich der Behörden, die dieses Steuersystem auch wirklich nutzen und Steuern eintreiben. Diese Aufgabe alleine, das ist offenkundig, wird mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Hier kann man keine schnellen Erfolge erzielen, aber man muss trotzdem jetzt die ersten Schritte gehen. Da braucht man einfach Geduld und kann Griechenland auch nicht zu stark unter Druck setzen. Viele Strukturen in Griechenland müssen in der Tat verändert werden: Bekämpfung der Korruption als Beispiel. Das sind alles Aufgaben, die sich nicht von heute auf morgen erledigen lassen, und man muss der griechischen Wirtschaft Zeit geben, dies tatsächlich zu tun.
    Und gleichzeitig, um auch die politische Akzeptanz des ganzen Prozesses zu erhalten, muss man den Menschen auch wirklich eine Perspektive geben, dass es besser wird, und deshalb muss man tatsächlich den Griechen auch noch weiter helfen.

    Breker: Auflagen werden ja nicht nur von der EU-Kommission und dem IWF gemacht, sondern, wie wir jetzt lernen, auch von der EZB. Jean-Claude Trichet fordert von Italien Strukturveränderungen, und da fragt man sich doch, ist das die Aufgabe der EZB, solches zu tun? Die gehen erst hin und kaufen Anleihen von Italien, ohne dass es irgendwelche Auflagen für Italien geben kann, gibt, und die Folge ist, die Italiener gehen hin und streichen aus ihrem Sparpaket die Reichen heraus. Kann das sein?

    Horn: Das ist natürlich eine politische Fehlleistung erster Güte in Italien, die auch sich sicherlich rächen wird. Aber es sollte ausgerechnet nicht die EZB sein, die hier Auflagen erteilt. Die EZB hat den Markt stabilisiert durch die Aufkäufe italienischer Anleihen, das gehört zu ihren Aufgaben, sie ist dort die letzte Bastion. Dabei sollte sie es belassen. Alles andere ist sicherlich Aufgabe der Finanzpolitik. Hier wäre es sicherlich an der Zeit, finanzpolitisch zu kommentieren, was in Italien geschieht, und auch deutlich zu machen, dass man dies bei Hilfsprogrammen nicht tolerieren wird, wenn Italien solche benötigt.

    Breker: Frankreich, das haben wir eben gehört, Herr Horn, bewegt sich ein wenig in Richtung schnellerer Sanktionen gegen Defizitsünder. Ist das ein richtiger Schritt in die richtige Richtung und reicht der aus?

    Horn: Nun, ich glaube, dass es einfach verfehlt ist, immer den Blick nur einseitig auf die Staatsfinanzen und da einfach auf das Haushaltsdefizit zu lenken. Das sieht man ja schon einfach daran, wenn man sieht, wo die Schuldenkrise ihren Ursprung genommen hat. In Griechenland war es in der Tat der Staat, dort muss der Staat sparen. In Spanien und Irland war es eine private Überschuldung mit Blasenbildung auf den Immobilien- und Bankenmärkten. Man darf hier nicht alles über einen Kamm scheren. In Spanien ist eine restriktive Haushaltspolitik wesentlich weniger gerechtfertigt als eben beispielsweise in Griechenland, und insofern ist diese Fixierung alleine schon ein Problem.
    Was wir brauchen, wäre eine Überwachung der Leistungsbilanzen dieser Länder. Dafür bräuchten wir in der Tat eine Institution. Die EU-Kommission hat dazu auch schon Vorschläge gemacht, aber die geraten leider in der aktuellen Diskussion immer wieder in Vergessenheit.

    Breker: Also brauchen wir alle Geduld. – Im Deutschlandfunk war das Gustav Adolf Horn. Er ist der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. Herr Horn, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.

    Horn: Gerne!

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