Archiv


Wer zu spät kommt

Auszeichnungen. – Heute übergibt der schwedische König Carl-Gustaf in Stockholm die diesjährigen Nobelpreise an die Laureaten. Doch die würdevolle Zeremonie wird von einem Streit unter Wissenschaftlern überschattet. So kritisierten gestern Forscher die Vergabe des Chemie-Nobelpreises an einen japanischen Wissenschaftler als eine Fehlentscheidung. Weil zwei deutsche Forscher jenes heute meist angewandte Verfahren zur Proteinanalyse entwickelten, hätten sie geehrt werden müssen. Doch ihre Arbeiten wurden zwei Monate zu spät veröffentlicht.

    Die diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger können höchstes Lob in Anspruch nehmen, denn alle drei Forscher revolutionierten die Entwicklung neuer Heilmittel. Ohne den US-Amerikaner John B. Fenn, den Japaner Koichi Tanaka und den Schweizer Kurt Wüthrich wären moderne Medikamente in ihrer heutigen Form nicht denkbar, so urteilte das Nobelpreiskomitee. Mit ihren Arbeiten habe das Trio den Grundstein zur Analyse von biologischen Makromolekülen wie Proteinen gelegt. Die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften würdigt dabei vor allem die breite Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse etwa bei der Lebensmittelkontrolle sowie in der Frühdiagnostik beispielsweise von Brust- oder Prostatakrebs. Fenn – auch im hohen Alter von 84 Jahren noch immer in seinem Labor an der Richmond Universität in Virginia tätig – hatte lange auf die Auszeichnung warten müssen. Mit 64 Jahre liegt der Züricher Biophysikprofessor Kurt Wüthrich da schon eher im Mittelfeld der Nobelpreisaspiranten. Doch der Dritte im Bunde, der Japaner Koichi Tanaka, ist mit gerade 43 Jahren der jüngste Chemie-Nobelpreisträger seit 1934.

    Tanaka sowie die Nobel-Juroren sehen sich jetzt allerdings auch mit heftiger Kritik konfrontiert, die sogar bis zu einem Boykott der Veranstaltung durch einen dänischen Wissenschaftler reichte, der es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne, den falschen Preisträger zu feiern. Nach Ansicht von Professor Peter Roeppsdorf, Leiter des Biotechnischen Zentrums in Udense, hätten eigentlich die beiden deutschen Chemiker Michael Karas aus Frankfurt am Main und Franz Hillenkamp aus Münster die höchste wissenschaftliche Ehrung erhalten müssen. Beide Forscher hätten nur zwei Monate nach Tanaka die gleichen Ergebnisse vorgelegt, diese aber mit einer besseren Methode erzielt, die sich schließlich auch in der Praxis durchgesetzt habe. Koichi Tanakas Verfahren zur Detailuntersuchung von Proteinen dagegen würde heute niemand mehr verwenden, argumentiert Roeppsdorf.

    Das Nobelpreiskomitee beharrt indes auf seiner Entscheindung: Tanaka sei ganz eindeutig der erste Entdecker der Technologie gewesen und habe anderen Wissenschaftler erst den Weg bereitet. Überdies gebe es jedes Jahr enttäuschte Forscher, die mit der prestigeträchtigen Ehrung gerechnet hätten. Heutzutage, da Entdeckungen und Ergebnisse an ganz verschiedenen Orten nahezu gleichzeitig gemacht würden, sei die Vergabe der Nobelpreise häufig eine Frage der Interpretation, unterstreichen die Allgewaltigen der Königlich-Schwedischen Akademie.

    [Quelle: Regina König]