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"Wer zuerst zuckt, hat verloren"

Sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik geht es allein um Macht und Karrieren, um das Ego einzelner Menschen, meint der Autor Günther Ogger. Und das, obwohl alle so tun würden, als ob es um Fachfragen ginge. "Wer zuerst aus der Deckung kommt, der kriegt sofort eins auf die Mütze", so Oggers Kommentar zum aktuellen Berliner Koalitionspoker.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: "Nieten in Nadelstreifen", das war ein vielbeachtetes Buch mit einem inzwischen vielzitierten Titel. Der Autor Günther Ogger prangerte darin an das Versagen von Teilen der Wirtschaftselite, insbesondere des oberen und mittleren Managements, bei Erscheinen 1995 noch eine unerhörte Feststellung. Inzwischen steht es um den Ruf vieler Entscheidungsträger nicht zum Besten. Hochbezahlt aber unfähig, schädlich für die Unternehmen, aber nicht gewillt, Verantwortung zu übernehmen und den Sessel zu räumen. Sessel räumen, kommt uns das bekannt vor in diesen Tagen?

    Wechseln wir vom Firmen- zum Politikmanagement, schauen wir nach Berlin und sehen dort, wie zwei Spitzenpolitiker ins gleiche Amt streben. Der eine will es partout behalten, die andere es unbedingt erringen. Feilschen um die Kanzlerschaft, es scheint in diesen Tagen dabei fast nur noch um die jeweils cleverste Machtstrategie zu gehen. Der zitierte Autor hat sich nicht nur mit "Nieten in Nadelstreifen" beschäftigt, sondern auch in einem anderen Buch mit "Machern im Machtrausch", und er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Ogger.

    Günther Ogger: Ja, guten Morgen.

    Klein: Kommt Ihnen das bekannt vor, was wir in Berlin gerade sehen?

    Ogger: Ja, natürlich, das ist das übliche Gockelspiel, wobei hier in dem Fall, respektierlich ausgedrückt, eine Henne dabei ist. Alle tun immer so, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik, als ob es um Fachfragen ginge und um wirtschaftliche Erfolge oder um politische Durchsetzung von irgendwelchen gesellschaftlichen Vorstellungen.

    Tatsächlich aber geht es um Macht und Karrieren, um das Ego einzelner Menschen. Und offensichtlich ist es so, dass alle Organisationen, politische Parteien genauso wie Wirtschaftsunternehmen, solche Leute an die Spitze kommen lassen, die eben nur ein ausgeprägtes Ego haben und offensichtlich die Sorge um ihre Organisation nur als Vorwand benützen, um eben diesem inneren Schweinehund Zucker zu geben.

    Klein: Wir müssen natürlich auch sagen, dass, Politik erfordert natürlich auch ein gewisses Machtstreben. Es geht dabei auch darum, Mehrheiten zu organisieren zum Beispiel. Insofern kann man das ja eigentlich Spitzenpolitikern nicht vorwerfen, wenn sie an die Macht wollen oder dranbleiben wollen.

    Ogger: Ja, natürlich, aber die Macht sollte eigentlich - und so versuchen sie es ja darzustellen, aber in Wirklichkeit ist es anders - die Macht sollte eigentlich nur das Instrument sein, um Ideale, Vorstellungen durchzusetzen.

    Klein: Wie entsteht ein Machtrausch, den Sie ja auch beschrieben haben?

    Ogger: Es ist natürlich keine Art Rausch wie wenn man sich mit Alkohol betrinkt, sondern es ist ein Rausch, der dadurch entsteht, dass man nur noch in den Kategorien der Macht denkt, nur noch daran denkt, wie kann ich etwas erreichen, wie kann ich einen Gegner besiegen, wie kann ich ihn kaufen, wie kann ich ihn aus dem Weg räumen, und dabei geht natürlich der Blick für das große Ganze ziemlich verloren.

    Da werden Ideen und Argumente, die man auch im Wahlkampf benützt hat, achtlos beiseite geschoben. Ich erinnere nur an die Vorstellungen des Herrn Kirchof und ähnliche Dinge, die werden benützt als Instrumente, um die Macht zu erringen, aber nachher sind sie sofort wieder in der Versenkung verschwunden, wenn es nicht mehr opportun erscheint. Das verrät eigentlich alles über das Denken solcher Leute.

    Klein: Beide Seiten spielen jetzt möglicherweise auch auf Zeit, vielleicht auch in der Hoffnung, das jeweils andere Lager macht Fehler oder gibt den Rückhalt für den Frontmann, die Frontfrau dann doch Stück für Stück auf. Eine Art Zermürbungsstrategie?

    Ogger: Ja, natürlich ist das ein Nervenspiel. Es ist ein richtiges Pokerspiel hier, wer die besseren Nerven hat. Wer zuerst zuckt, hat verloren. Offensichtlich hat der Kanzler einen Fehler gemacht, weil er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Der Auftritt in der berühmten Elefantenrunde war offensichtlich einigen seiner Mitstreiter in den eigenen Reihen doch ein wenig zu forsch geraten, und seinen Anspruch hat er so deutlich klargemacht, dass es ihm jetzt schwer fällt, Kompromisse zu machen, und das könnte bedeuten, dass er als erster zucken muss, weil er zu viel Druck von hinten bekommt.

    Klein: Auf der anderen Seite, Schröders treueste Gehilfen, so heißt es, das sind die Vertreter in der Union, die sich eine Kanzlerschaft auch ohne Frau Merkel vorstellen können.

    Ogger: Auf der anderen Seite ist es natürlich auch so, dass sich einige Leute Chancen ausrechnen, und natürlich hat die Frau Merkel nicht gerade den perfekten Wahlkampf abgeliefert und ist geschwächt durch das Ergebnis. Noch hält man da zusammen, denn je stärker der Druck des Gegners ist, desto geschlossener müssen die Reihen sein, das ist aus der Machtbalance heraus ganz erklärlich. In dem Moment, wo der Druck nachlässt, kommen natürlich die Diadochen aus den Löchern und dann wird da genau das gleiche Hauen und Stechen losgehen wie auf der anderen Seite.

    Klein: Wer wird am Ende die stärksten Nerven behalten, geht es im Moment nur noch darum?

    Ogger: Die Nerven spielen eine Rolle, aber sind natürlich auch die Machtkonstellationen, wie die Wahl sie hinterlassen hat. Formal hat die CDU natürlich den Anspruch als größte Partei, den wird sie sicher durchzusetzen versuchen, und da hat die SPD schlechtere Karten. Also ich rechne schon mit einem Sieg der CDU. Auch im Fall einer großen Koalition wird sie den Vorrang haben. Das wird bedeuten, der Herr Schröder wird wohl seinen Anspruch aufgeben müssen, nachdem sein letzter Versuchsballon, die Wechselkanzlerschaft, zwei Jahre er, zwei Jahre sie, offensichtlich nicht funktioniert hat.

    Klein: Wenn am Ende die große Koalition nur noch daran hängt, dass Frau Merkel auf das Kanzleramt verzichtet, ja, dann gibt es natürlich auch Überlegungen in der SPD, weshalb sollten wir denn eigentlich eine geschwächte Merkel weghaben wollen, haben wir es nicht mit ihr viel einfacher als mit einem anderen Politiker möglicherweise? Das ist auch eine Frage der Machttaktik im Grunde.

    Ogger: Das ist richtig. Also ich rechne damit, dass eigentlich beide Protagonisten abtreten müssen, um den Weg frei zu machen für die große Koalition, die nach Lage der Dinge augenblicklich sicher die vernünftigste Lösung wäre, und dann öffnen sich natürlich Perspektiven für verschiedene Figuren auf beiden Seiten. Wer sie letztlich sein werden, das lässt sich momentan schwer sagen. Wer gute Aussichten hat, ist ja bekannt, auf der einen Seite der Herr Wulff und der Herr Koch.

    Klein: Die beide gesagt haben, sie werden das nicht machen.

    Ogger: Natürlich, das gehört ja mit zum Spiel, die Camouflage, die Deckung. Wer zuerst aus der Deckung kommt, der kriegt sofort eins auf die Mütze, das wissen alle, und deswegen bleiben sie in der Deckung. Schwieriger ist es dann auf der SPD-Seite festzustellen, da ja die Regierung ihre Machtstrukturen auch über die Partei geworfen hat. Da rechnet man am ehesten noch mit Herrn Steinbrück. Vielleicht gibt es auch noch einen zweiten Kandidaten, der in der Lage sein könnte, der Herr Beck bringt sich ja in Stellung. Man wird sehen.

    Klein: Der Name Stoiber ist noch nicht gefallen. Das können Sie sich nicht vorstellen?

    Ogger: Stoiber versucht natürlich, eine Option offen zu halten, aber seine Unentschlossenheit während der letzten Monate hat ihm sicher nicht genützt in diesem Spiel. So denke ich, dass seine Karten, ganz nach vorne zu kommen und den Job von Frau Merkel zu übernehmen, augenblicklich nicht gut stehen.

    Klein: "Macher im Machtrausch", das ist ein Buch von Günther Ogger, und er war am Telefon im Deutschlandfunk in den Informationen am Morgen. Vielen Dank für das Gespräch.

    Ogger: Bittesehr.