Archiv


Werbung für eine europäische Verfassung

Ein Jahr dauert sie nun schon an die so genannte Reflexionsphase. Die Phase also, mit der sich die Staats- und Regierungschefs der EU aus der Schockstarre nach dem doppelten Referendums-Nein zur EU-Verfassung in Holland und Frankreich lösen wollten, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Doch auch nach einem Jahr will es nicht so recht gelingen, präzise zu sagen, was das eigentlich ist: Eine Reflexionsphase, und welche Resultate sie bringen wird:

Von Christoph Heinemann, Peter Kapern und Ruth Reichstein |
    "Eine Reflexionsphase ist eine Reflexionsphase."

    - sagt Bundeskanzlerin Merkel und fügt hinzu:

    "Deshalb kann ich Ihnen während der Reflexionsphase nicht das Ergebnis der Reflexionsphase nennen, sondern da müssen wir einfach ein Stück warten."

    - und zwar mindestens noch ein Jahr. So werden es die Oberhäupter der EU-Mitgliedstaaten bei ihrem Gipfeltreffen beschließen, das morgen in Brüssel beginnt. Die EU steckt in der Klemme. Die Mehrheit ihrer Mitglieder, nämlich 15, hat die EU-Verfassung bereits ratifiziert. Finnland, das vom ersten Juli an die Ratspräsidentschaft übernimmt, will in den kommenden Wochen als 16. Land nachziehen. Zwei Staaten aber, nämlich Holland und Frankreich, haben Nein gesagt zur neuen EU-Verfassung. Auch wenn die Ablehnung dieser beiden Gründungsmitglieder besonders schmerzlich war, bedeutete dies noch nicht den Todesstoß für die Verfassung. Mindestens ebenso schwer wog die Entscheidung etlicher Mitgliedstaaten, nach den gescheiterten Referenden den Ratifizierungsprozess vorläufig auszusetzen. Niemand am Tisch der Regierungschefs wusste vor einem Jahr eine Lösung für dieses Problem. Die einen wollten an der Verfassung und ihrer Ratifizierung festhalten, die anderen hätten das Projekt am liebsten beerdigt. Deshalb setzte die Runde zunächst einmal auf Zeitgewinn – und taufte das Ganze auf den Namen Reflexionsphase. Versprochen wurde damals viel: Zum Beispiel, dass man das Jahr nutzen werde, um den Bürgern zuzuhören. Und was ist draus geworden? Johannes Voggenhuber, grüner Europaabgeordneter und Mitglied im Verfassungskonvent:

    "Die Regierungen haben bisher die Zeit dazu verwendet, sich ausschließlich selbst zuzuhören, und daher ist es auch kein Wunder, dass sie Europa handlungsfähiger und stärker machen müssen, um die Zukunftsprobleme zu lösen, sondern halten sich an ihrer Dominanz über die Europäische Union fest, aber die Aussichten sind nicht besonders rosig."

    Einige Monate nach der Ausrufung der Reflexionsphase startete die EU-Kommission den Plan D. D – das steht für Dialog, Diskussion und Demokratie. Dieser Plan war der Beitrag der Brüsseler Behörde zur Ausfüllung der Reflexionsphase. Umfragen wurden in Auftrag gegeben, um herauszufinden, was die Bürger von der EU eigentlich erwarten. Die Antwort lautete: Mehr Europa – vor allem in den Bereichen der sozialen und der inneren Sicherheit. Außerdem schwärmten die Kommissare verstärkt in die Mitgliedstaaten aus, um den Puls zu fühlen. Und zwar nicht nur den der nationalen Politiker, sondern auch den der gewöhnlichen Europäer. Sten Ramstedt, Mitarbeiter der für den Plan D zuständigen EU-Kommissarin Margot Wallström:

    "Normalerweise treffen Kommissare, wenn sie die Mitgliedstaaten besuchen, nur die nationalen Politiker und die Verbände, die zu ihrem Ressort gehören. Aber wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es genauso wichtig ist, Medienvertreter und normale Bürger zu treffen, Vertreter der Zivilgesellschaft und der Nicht-Regierungsorganisationen."

    Auch wenn nach Auskunft der Kommission Hunderte solcher Treffen stattgefunden haben: Einen Ausweg aus der Verfassungskrise kennt noch immer niemand. Und deshalb wird die Reflexionsphase nun um ein weiteres Jahr verlängert. Jo Leinen, SPD-Abgeordneter im Europaparlament:

    "Es hat nicht viel stattgefunden bisher, und deshalb ist es wichtig, dass man sich noch ein Jahr Zeit gibt, aber ich meine: Wir müssen jetzt von der Reflexionsphase zur Aktionsphase übergehen. Europa laufen wirklich die Dinge davon. Die Welt wartet nicht, dass wir uns zusammenschließen."

    Ein Argument, dass die Bürger im kleinen Städtchen Urk am Ijsselmeer kalt lässt. Hier war vor einem Jahr die Quote der Nein-Stimmen zur Verfassung so hoch wie sonst nirgends in den Niederlanden. Und daran hat sich bis heute nichts geändert:

    "Wir haben das Gefühl in Urk, dass uns Europa nicht das bringt, was wir gerne sehen wollen. Wir haben nur Last von Europa und keine Lüste."

    Simon Kramer stapft mit Gummistiefeln durch eine riesige Lagerhalle. Er ist Direktor der Fischversteigerung von Urk am niederländischen Ijsselmeer. Der 38-Jährige hat gegen die EU-Verfassung gestimmt – genauso wie über 90 Prozent der Urker.

    In der Halle der Fischversteigerung stapeln sich orangene Plastikkisten in Wasserlachen. Das Eis schmilzt und hinterlässt Pfützen. In den Kisten liegen Scholle, Zunge, Kabeljau und Krustentiere. Ein paar Männer in blauen Overalls stehen um die Kisten herum und notieren sich Menge, Qualität und Preis auf kleinen Notizblöcken.

    In Urk liegt die größte Fischversteigerung in Westeuropa. Hier werden zum Beispiel 80 Prozent der in den Niederlanden gefangenen Scholle versteigert. In den Fabriken drum herum werden die Fische filetiert oder zu Tiefkühlkost verarbeitet. Der Fisch, das war der Hauptgrund für das vernichtende Nein gegen die EU-Verfassung.

    Paulus van Veen, 54 Jahre, Qualitätsmanager in seinem Urker Familienbetrieb:

    " Ich habe gegen den europäischen Verfassungs-Vertrag gestimmt. Die Niederlande haben die größte Fischereiflotte Europas, und jetzt werden wir kleingemacht mit diesen Fanquoten. Es gibt auch noch andere Gründe: zum Beispiel die Erweiterung gen Osten. Da ist die Wirtschaft viel schlechter als bei uns und jetzt wird das alles gleichgemacht. Wir verlieren also, und daran hat sich seit einem Jahr nichts geändert. "

    Urk ist ein kleines Paradies. Die Arbeitslosigkeit ist mit nur knapp drei Prozent sehr niedrig. Kriminalität gibt es praktisch nicht. Auf ein paar Hundert schätzt der Bürgermeister den Anteil von ausländischen Mitbürgern. All das sehen die Urker durch Europa in Gefahr. Sie haben keine Lust auf die Probleme der anderen – zum Beispiel mit den Einwanderern. Jelle, 23 Jahre, Zimmermann:

    " Hier sind wir vom alten Schlag. Wir haben einen großen Freundeskreis, aber es wohnen nicht viele Fremde bei uns. Urk ist nicht so wie Amsterdam. Dort reden die so "Hey, was is dat?". Das haben wir hier nicht. "

    Diese Unabhängigkeit wollen die Urker auf jeden Fall behalten. Und dafür kämpfen sie. Sie sind stolz, dass die Verfassung vorerst gekippt ist.

    Dieses Gefühl herrscht auch in anderen Städten in den Niederlanden vor. Die Holländer sind zwar nach wie vor mehrheitlich für die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU, aber sie wollen den Institutionen in Brüssel auf keinen Fall noch mehr Macht geben.

    Das hat auch die Regierung von Premierminister Jan Peter Balkenende verstanden. Die offizielle Linie ist eindeutig: Die Bevölkerung hat die Verfassung abgelehnt - ein für allemal. Keiner fordert in Den Haag ein zweites Referendum.

    Im vergangenen Jahr waren alle Parteien – bis auf Ausnahmen am rechten und linken Rand – für die Verfassung. Aber auch in den Reihen der Politiker hat die Europa-Begeisterung nachgelassen, sagt Hans Crebas. Er ist Regionalpolitiker im Nordost-Polder bei der liberalen Partei D66:

    " In unserer Partei waren wir einmal stark pro-europäisch. Das hat aber deutlich nachgelassen. Wir müssen uns schließlich anpassen. Im letzten Jahr haben wir keine regionale oder lokale Ja-Kampagne geführt. Wir haben uns einfach darauf verlassen, dass der Text angenommen wird. "

    Europa ist nicht populär bei den Niederländern. Also machen auch die Politiker einen großen Bogen darum. Oder sie reden den Bürgern nach dem Mund, weil sie eigentlich – im tiefsten Herzen – sowieso denken wie sie. Regionalpolitiker Hans Crebas glaubt, dass die Europäische Union nur eine Chance hat, wenn die Institutionen an Schrecken verlieren und mehr Bürgernähe zeigen:

    " Europa muss auf Urk zukommen. Die Leute müssen das Gefühl haben, dass Europa die Urker kennt. Und man müsste auch die EU-Politiker kennenlernen. Das Gefühl von Abstand muss geringer werden. "

    Wer also erwartet hatte, dass die Niederländer ihr Nein zur EU-Verfassung früher oder später bedauern würden, dass sich das Meinungsklima ändern würde, der muss heute eingestehen, dass er sich getäuscht hat. Und ähnlich hartnäckig zeigen sich die Franzosen. Auch wenn ihr Staatspräsident immer wieder die Visionen vom besseren Europa mit neuer Verfassung beschwört:

    "Wir haben eine gemeinsame Vision von Europa. Wir beide möchten ein politisches und soziales Europa, ein organisiertes Europa, das auf der Solidarität und einer gemeinsamen Politik beruht und auf einer ständigen Harmonisierung dieser gemeinsamen Politik".

    So allgemein wie im November beim Antrittsbesuch von Bundeskanzlerin Merkel in Paris klingt es seit gut einem Jahr, wenn sich Jacques Chirac über die Europäische Union äußert. Genauer: seit dem 29. Mai 2005. An diesem Tag lehnten die Franzosen mit rund 55 Prozent den Europäischen Verfassungsvertrag ab. Noch am Abend wandte sich Jacques Chirac im Fernsehen an seine Landsleute. Die Franzosen hätten in dem Referendum auch ihre Besorgnis und Erwartungen zum Ausdruck gebracht. Er habe dies zur Kenntnis genommen und werde in den nächsten Tagen der Regierungspolitik einen neuen Anstoß geben.

    In der französischen Europapolitik fehlt dieser Anstoß bis heute, und das hat mit der Abstimmungsniederlage zu tun. Ein Referendum ist im Selbstverständnis der Fünften Republik ein Rendez-vous zwischen Präsident und Volk. Beantwortet eine Mehrheit die zur Abstimmung stehende Frage mit Nein, so ist das Staatsoberhaupt politisch stark angeschlagen. Im April 1969 trat Charles de Gaulle sofort zurück, als die Franzosen seiner geplanten Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen Paris und den Regionen die Zustimmung verweigerten. Nach dem gescheiterten EU-Verfassungsreferendum glaubte Präsident Chirac, den Unmut seiner Landsleute mit einer Regierungsumbildung besänftigen zu können. Die Folge: Stillstand. Es werde in der Verantwortung des Nachfolgers von Jacques Chirac und dessen politischer Mehrheit liegen, Frankreichs europäische Position festzulegen", sagt Jean-Marc Ayrault, der Fraktionschef der Sozialisten in der Nationalversammlung.

    Den EU-Verfassungsvertrag hält die größte Oppositionspartei für Altpapier. Auch die Methode sei überholt, meint Fraktionschef Ayrault:

    "Uns allen ist bewusst geworden, dass eine schnelle Integration durch große Verträge nicht mehr angenommen wird. Ein Europa der 25 Staaten wird nicht mehr im Gleichschritt funktionieren. Europas Stärke ist seine Formbarkeit".

    Einzelne Staaten, etwa die Euroländer, sollten verstärkt zusammenarbeiten und die Steuer- oder Sozialpolitik aufeinander abstimmen, meinen die Sozialisten. Brüssel wäre dann für die Gemeinschaftsaufgaben wie Energiepolitik, Infrastruktur, Forschung oder Migration zuständig. Dass die Franzosen ein zweites Mal über den europäischen Verfassungsvertrag abstimmen könnten, glaubt auch die Regierung nicht. Der Außenminister unterstreicht zwar die Wichtigkeit institutioneller Reformen, in welchem Rahmen die künftigen Spielregeln festgelegt werden sollen, sagt er aber nicht. Philippe Douste-Blazy zählt statt dessen konkrete Vorhaben auf:

    "1. Die Beteiligung der nationalen Parlamente am Entscheidungsprozess muss verstärkt werden. 2. Ein Ausbau des gemeinsamen außenpolitischen Handlungsspielraums, indem wir Javier Solana, dem Hohen Vertreter der Union, klare Mandate erteilen, damit Europa seine Rolle auf der internationalen Bühne effizienter spielen kann, etwa im Nahen Osten oder im Iran. Und drittens sollten wir die innere Sicherheit verbessern, vor allem bei der Zusammenarbeit von Polizei und bei der Strafverfolgung".

    Für die französischen Bürger ist Brüssel so weit weg wie eh und je. Auch ein Jahr nach dem Referendum lehnt die Mehrheit der Franzosen den EU-Verfassungsvertrag ab. Eine Aufhellung der schlechten Stimmung im Lande erwarteten die Menschen nicht von den politischen Bühnen in Paris oder Brüssel, sondern von den Spielstätten in Deutschland, meint der Rundfunkjournalist Alain Duhamel:

    "Die französische Fußball-Nationalmannschaft und Zidane sind in gewisser Hinsicht die Exorzisten der nationalen Melancholie und die Therapeuten der Gefühlslage. Von der Mannschaft wird erwartet, dass sie die Rolle eines Lehrmeisters für Optimismus übernimmt".

    Wenn sich die Staats- und Regierungschefs morgen treffen, dann zeichnet sich – unabhängig vom Gemütszustand der Franzosen, der, durch das magere Unentschieden gegen die Schweiz bestimmt, nicht besser geworden ist - immerhin so etwas wie ein Zeitplan zur Rettung der Verfassung ab. Zwei Präsidentschaften kommt darin eine besondere Bedeutung zu: Der deutschen im ersten Halbjahr 2007 und der französischen genau ein Jahr später. Angela Merkel und Außenminister Frank Walter Steinmeier sollen im Frühjahr 2007 ein Konzept präsentieren, das es ermöglicht, den Vertrag doch noch in Kraft zu setzen. Eine heikle Aufgabe, bleibt dafür doch nur ein kleines Zeitfenster. Denn im Mai nächsten Jahres gehen die Bürger in den Niederlanden und Frankreich an die Wahlurnen. Und aus den Wahlkämpfen soll das Thema EU-Verfassung auf jeden Fall herausgehalten werden. Vor allem aus Rücksicht auf die denkbaren Präsidentschaftskandidaten in Frankreich, wie Cornelius Ochmann, Politikwissenschaftler bei der Bertelsmann-Stiftung erörtert.

    "Man schaut, welche Signale von der französischen Präsidentschaft kommen, von Herrn Sarkozy und Frau Royal usw., und die haben sich bisher dazu nicht geäußert, und die wollen auch nicht unter Druck gesetzt werden, dass sie sich vor der Wahl noch festlegen, was wir eigentlich denn wollen."

    Was auch immer im deutschen Vorschlag zur Rettung der Verfassung stehen wird: Es bleibt dann genau ein Jahr, dies umzusetzen. Und dies wird dann die Aufgabe vor allem der französischen Regierung sein. Eine mühevolle Kompromisssuche, die den oder die Neue im Elysee-Palast da erwartet. Gelingt sie, bleibt ein drittes Jahr, um den Verfassungsvertrag in allen Mitgliedstaaten ratifizieren zu lassen. Und danach kann dann die Geburtsstunde der neuen EU schlagen. Ursula Plassnik, Österreichs Außenministerin:

    "Es ist uns allen bewusst: Spätestens 2009 brauchen wir Klarheit über unsere Rechtsgrundlagen, 2009 sind die Wahlen zum Europäischen Parlament, die neue europäische Kommission..."

    Weit weniger deutlich als der Zeitplan zur Rettung der Verfassung zeichnet sich ab, wie der Vertrag umgestaltet werden soll, damit er die Zustimmung der Mitgliedstaaten und der Bürger erhält. Zur Zeit wird vor allem der Name zur Disposition gestellt. Von einer Verfassung mag derzeit kaum noch einer der Staats- und Regierungschefs reden. Statt dessen kursieren Begriffe wie Rechtsgrundlage, Grundgesetz oder schlichtweg EU-Vertrag. Dahinter steht der Versuch, durch eine Abrüstung des Begriffes jene zu besänftigen, die die Gefahr eines europäischen Superstaates heraufbeschwören. Der Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber:

    "Das ist eines der Dinge, wo die Menschen ganz offen an der Nase herumgeführt werden. Das wird so beiläufig gesagt. Nehmen wir`s so, wenn`s die Leute ärgert, was nicht der Fall ist, und darüber hat sich nie jemand geärgert. Ganz im Gegenteil: Es hat eigentlich die Hoffnungen geweckt. Dann lassen wir das halt mit dem Namen Verfassung, dann sagen wir Rechtsgrundlagen oder Nizza Plus oder irgend sowas. In Wahrheit verbirgt sich hinter dem Begriff Verfassung der Kern dieses Projektes, nämlich eine europäische Demokratie zu schaffen und von einer Union der Staatskanzleien der Regierungen, der Reichsfürsten zu einer europäischen Demokratie zu gelangen, in der die Bürger und nicht die Staatskanzleien die Souveräne der Union sind."

    Außerdem zeichnet sich ab, dass die Verfassung entschlackt werden soll. Das, was die Regierungschefs in Rom feierlich unterzeichnet haben, ist ein telefonbuchdickes Werk, das aus drei Teilen besteht. Im ersten geht es um die Kompetenzverteilung innerhalb der EU. Wofür ist Brüssel zuständig, wofür die Mitgliedstaaten, wofür die Parlamente. Außerdem werden die Institutionen beschrieben: der Ratspräsident, der europäische Außenminister. Im zweiten Teil sind die Grundrechte der europäischen Bürger verbrieft. Und der mächtige dritte Teil regelt haarfein die politischen Prozeduren der EU. Dieser Abschnitt, das scheint schon Mehrheitsmeinung in der Union zu sein, kann aus dem Werk herausgelöst werden. Jo Leinen, Mitglied im Verfassungsausschuss des Europaparlamentes:

    "Ich glaube, wir müssen fest bleiben in der Substanz, die vereinbart wurde. Ich sage mal: Ein europäischer Außenminister, die Charta der europäischen Bürgerrechte, also diese Ideen müssen gerettet werden und müssen erhalten bleiben. Man kann reden über die Form. Dieses Produkt hat sich Verfassung genannt, hat aber 448 Artikel, weil dieser ominöse dritte Teil der alte Vertrag von Nizza ist mit vielen komplizierten Verfahrensvorschriften, wie wir die Politiken durchführen. Wenn es gelingt, da Ordnung reinzubringen, also das eigentlich Neue von dem Alten zu separieren und damit auch das Projekt verständlicher und übersichtlicher zu machen, dann haben wir gewonnen.

    Das sehen andere weit skeptischer: Sie wollen der Verfassung etwas hinzufügen, um den deutlich gewordenen Bedenken der Bürger entgegenzukommen. Bundeskanzlerin Merkel war die erste, die vorschlug, dem Vertrag eine Sozialcharta voranzustellen. Mittlerweile haben sich die Regierungschefs aus Luxemburg und Belgien, Jean-Claude Juncker und Guy Verhofstadt dieser Idee angeschlossen. In der Charta soll beteuert werden, dass die EU eben kein Agent der Globalisierung, keine Organisation zur Senkung sozialer Standards ist, wie es die Verfassungsgegner vor allem in Frankreich behauptet hatten. Kurz gesagt: Es geht darum, den Europäern zu versichern, dass die EU das europäische Sozialmodell retten will. Allein: Bislang gehen die Vorstellungen etwa in Frankreich und Großbritannien darüber, was das denn sei, dieses europäische Sozialmodell, weit auseinander. Die Verhandlungen darüber versprechen hart zu werden.