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Werkausgabe

Knut Hamsun:

Peter Urban-Halle |
    - Mysterien Aus dem Norwegischen von Siegfried Weibel 360 Seiten Preis: 44 Mark

    - Victoria Aus dem Norwegischen von Alken Bruns 128 Seiten Preis: 29,80 Mark

    - Hunger Aus dem Norwegischen von Siegfried Weibel 224 Seiten Preis: 34 Mark

    alle im List Verlag

    Knut Hamsuns frühe Romane "Hunger" und "Mysterien", die vor immerhin über hundert Jahren erschienen, waren die Vorbilder der literarischen Moderne unseres Jahrhunderts. Bei Hamsun wird zum erstenmal vorgemacht, was zum Markenzeichen eines James Joyce oder Marcel Proust werden sollte: Die Handlungsarmut; dafür die reichen Aktivitäten des Unbewußten; die vielen Reflexionen und Assoziationen; der innere Monolog und die erlebte Rede. Das kann die Lektüre eines modernen Romans zuweilen schwierig machen, bei Hamsun ist das anders. Er ist auch noch unterhaltsam: spannend, amüsant, oft arrogant (was aber sehr unterhaltsam sein kann).

    Hamsun schreibt derart hinterhältig, daß man manchmal nicht weiß, ist das kindischer Trotz, oder will hier einer tatsächlich die Naturgesetze aus den Angeln heben? Hamsun war ein Chaot des Denkens, ein Anarchist aus Überzeugung, einer der immer das gut fand, was alle anderen verdammten. Aus diesem Trotzalter kam er nie heraus. In seiner frühen, seiner Sturm-und-Drang-Phase, als er noch programmatische Schriften verfaßte, beschrieb Hamsun den modernen Dichter : "Er scheut nichts, er bestreitet offen die Wirklichkeit, präsentiert die hartnäckigsten Lügen - direkt entgegen aller Wissenschaft und gesunder Vernunft." So einer ist es sich ja fast schuldig, "bekennerisch im falschen Lager" zu stehen. So einer preist Hitler noch am 7. Mai 1945 als "reformatorische Gestalt von höchstem Rang". Eine wichtige Ursache seiner NS-Sympathie ist wohl schlicht sein Wille zum Anderssein; er ist weder der tragisch Verstrickte noch der Blut-und-Boden-Dichter.

    Als Hamsun 1947, mit 88 Jahren also, wegen Kollaboration mit den deutschen Besetzern vor Gericht stand, sagte er am Ende seiner Rede: "Ich habe die Zeit auf meiner Seite, ich kann warten, lebendig oder tot, das ist gleichgültig". Auch das war wieder arrogant, "unklug arrogant", wie der Kritiker Joachim Kaiser gesagt hat. Aber Hamsun war ja nie klug gewesen. Darüber hinaus zeigt diese Aussage, daß es mit der oft behaupteten Identität von Leben und Werk Hamsuns doch nicht so weit her ist. Sein Leben kann man getrost als gescheitert bezeichnen. Aber sein Werk - da gibt es nichts zu deuteln - ist eben nicht gescheitert, warum auch sonst diese Neuübersetzung?

    Erschienen sind bis dato die frühreifen "Mysterien" mit einem egozentrischen Helden, der zwischen Genie und Idiotie hin- und herspringt, ein Roman, der erst heute in seiner Zeit angekommen zu sein scheint. Dann "Victoria", gefühlsselig und kalt zugleich, die "Liebesgeschichte" einer unmöglichen Liaison. Und kürzlich kam "Hunger" heraus, Hamsuns Durchbruch von 1890, ein einziger Monolog eines delirierenden Dichters, den man auch als Parodie des Flaneurs sehen kann. "Hunger" beginnt mit dem Satz, in der neuen Übersetzung von Siegfried Weibel: "Es war zu jener Zeit, als ich in Kristiania umherging und hungerte, in dieser seltsamen Stadt, die keiner verläßt, ehe er von ihr gezeichnet worden ist". Die alte Übersetzung von Julius Sandmeier und Sophia Angermann fing so an: "Es war zu jener Zeit, als ich in Kristiania umherging und hungerte, in dieser seltsamen Stadt, die keiner verläßt, ehe er von ihr gezeichnet worden ist". Berühmten Eröffnungssätzen ergeht es offenbar ähnlich wie historisch gewordenen Buchtiteln. Man wagt kaum, sie zu ändern. Wir werden noch sehen, was mit dem Nobel-Preis-Buch "Markens Grøde" wird, dessen deutschem Titel "Segen der Erde" man gern den ideologischen Ruch nehmen will. Wörtlich bedeutet er etwa "Ernte des Bodens" oder "Ertrag des Feldes"; andererseits ist "Grøde" ein ziemlich feierlicher, auch biblischer Begriff, so weit hergeholt ist "Segen" also auch nicht.

    Dem Roman "Mysterien" hat der Neuübersetzer Siegfried Weibel einige "Anmerkungen" angehängt. Er beginnt sie mit der Behauptung, "eine Unzahl von Literaturübersetzungen" wolle die fremden Werke "so gründlich" eindeutschen, daß "uns jedes Sehen und Hören des Andersartigen verwehrt wird". Die Frage ist nur, ob hier nicht manchmal etwas verwechselt wird, und zwar der Stil des Autors mit der Eigenheit der Sprache, in der er schreibt. Der Stil des Autors soll natürlich bewahrt bleiben. Aber die Beispiele, die Weibel dann angibt, sind - auch nach seiner eigenen Aussage! - nicht Autorenstil, sondern Spracheigenheit. So sprechen diese Norweger eben, und ihre Leser empfinden derlei als gewöhnlich, die deutschen aber als ungewöhnlich. Wir müssen also etwas als "andersartig" lesen, was dort gar nicht andersartig ist. Ein Beispiel, das Weibel nicht angeführt hat, ist das Wörtchen "ikke", deutsch: "nicht", bei Ausrufen wie dem folgenden: "Wie errettet kam ich mir nicht vor, als ich die Hand auf die harte Pritsche schlug!" Das kann man im Deutschen so oder so verstehen, ist dieses Ich nun errettet oder nicht? Da ist die alte Übersetzung - so wie das Original übrigens auch - eindeutig: "Wie erlöst ich mir doch vorkam, als ich mit der Hand gegen die harte Pritsche schlug!" - Oft kommt man dem Original eben dadurch näher, indem man sich von ihm entfernt.

    Hier soll nun nicht starrsinnig auf der alten Übersetzung beharrt werden. Natürlich hört sich die neue im großen und ganzen heutiger an, schlanker, vielleicht auch "authentischer". Aber ein unbedingtes Muß ist sie nicht. Vergleicht man sie passagenweise mit der alten, ergibt sich ein ziemlich ausgewogenes Bild. Mangelnde philologische Genauigkeit, die gern als Grund für eine Neuübersetzung angegeben wird, kann man der alten jedenfalls nicht vorwerfen. Aber wie dem auch sei: Nun liest man Hamsun wieder, und man zankt sich wieder wegen ihm. Darauf hatte schon der Romankenner Rolf Vollmann anläßlich der neuen Werkausgabe hingewiesen: Neue Übersetzungen hätten oft das Gute an sich, die Aufmerksamkeit wieder auf einen vielleicht vergessenen Autor zu lenken. Das ist auf jeden Fall erreicht, und damit können alle zufrieden sein.