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Werkdienlich

Laut Thomas Voigt ist Beethovens einzige Oper "Fidelio" sehr schwer zu inszenieren. Das Stück sei angesiedelt zwischen Singspiel und großer Befreiungsoper. Und diesen Spagat müssten Dirigent, Sänger, natürlich auch die Regisseurin erst einmal schaffen. Voigt zeigte sich insgesamt eher enttäuscht von Thalbachs Inszenierung an der Oper Zürich.

Thomas Voigt im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: Dass es prominente Gesichter aus anderen Bereichen des Kulturbetriebs in Richtung Oper zieht, das ist schon lange keine Seltenheit mehr. Christoph Schlingensief inszenierte in Bayreuth, Daniel Richter entwarf Bühnenbilder in Salzburg und Katharina Thalbach durfte in Köln gar ein Stück ihres verstorbenen Lebensgefährten zum "Libretto" umschreiben und dann Regie führen. Nun wäre es allerdings deutlich zu kurz gegriffen, wenn man gerade im Fall Thalbach die Beschäftigung mit dem Musiktheater zum Ausflug oder gar zum Hobby degradieren würde. Sie scheint vielmehr schon vor einigen Jahren von der Schauspielerin zur Regisseurin gewechselt zu sein und hat dafür gute Kritiken bekommen. Nun hat sich Katharina Thalbach am Opernhaus Zürich Beethovens einzige Oper "Fidelio" vorgenommen. Thomas Voigt hat das Ergebnis gesehen und ist, Herr Voigt, bei mir im Studio, zufrieden zurückgekehrt oder eher nicht?

    Thomas Voigt: Eher enttäuscht. Und die Enttäuschung rührt daher, weil ich ihre "Salome-Inszenierung" in Köln so klasse fand, hatte ich mir viel, viel mehr erwartet. Aber Salome ist relativ leicht zu inszenieren. Damit will ich ihre Inszenierung um Gottes willen nicht mindern, nur sagen, wie schwer "Fidelio" ist. Ein Albtraum für jeden Theatermann, sagte Enzensberger, aber auch für jeden Besucher teilweise. Das Stück ist angesiedelt zwischen Singspiel und großer Befreiungsoper. Und diesen Spagat zu schaffen, müssen Dirigent, Sänger, natürlich auch muss der Regisseur. Und wenn dann in traditionellen Kulissen die Gefangenen dann ihren Chor singen und der Florestan dann da in Ketten liegt, dann hat das fast so eine biedermeierliche Romantik, die sicherlich nicht dem Inhalt der Botschaft des Stückes angemessen ist. Auf der anderen Seite, was macht man? Zeigt man immer nur die DDR-Mauer, wie es natürlich vor 20 Jahren überall aktuell war? Oder zeigt man Folterszenen aus Gefängnissen einer Diktatur? Nur gleißendes Licht? Zwischen diesen beiden Polen bewegt man sich, zwischen liebevoll bemalter Theaterpappe und diesem harten Knastrealismus. Und Katharina Thalbach hat sich halt doch eher für den milden Theaterdonner entschieden. Und das finde ich in dem Fall nicht richtig.

    Koldehoff: Weil es keine Alternative gab oder weil Sie den Eindruck hatten, das liegt ihr am meisten, das wollte sie einfach so?

    Voigt: Ich glaube, Sie wollte nicht das Plakative, das Überzeichnete, sondern erst mal gucken, was ist im Stück. Und die Personenregie war sehr gut, sehr detailliert, aber eben immer vor dem Hintergrund, dass das Stück eigentlich auf die Art und Weise nicht zu bewältigen ist.

    Koldehoff: Gäbe es denn eigentlich noch eine dritte Alternative, nämlich das Ganze zu entkonkretisieren und auf eine übergeordnete Ebene zu heben?

    Voigt: Ich würde es als Oratorium inszenieren oder ganz die Finger davon lassen. Ich glaube, ich würde da gar nicht rangehen. Das ist viel zu heikel.

    Koldehoff: Nun hat Katharina Thalbach sich für einen Weg entscheiden müssen, Sie haben ihn gerade beschrieben. Wie setzt sie es denn innerhalb dieses Weges um?

    Voigt: Werkdienlich. Und sie hat ein Ensemble dabei, was eben auch werkdienlich singt, leider nicht mehr. Die Hauptrollen, wie wir wissen, sind sehr, sehr schwer zu bewältigen. Es ist, als hätte Beethoven es so komponiert, dass man als Sänger an die Grenzen geraten muss, dass es da kein souveränes Drüberstehen gibt. Leonore zum Beispiel hat diese schwierig Phrase, "die Liebe wird es erreichen". Da gibt es den alten Theaterwitz, ja, ja, dass sie bei aller Liebe trotzdem nicht den hohen Ton dieser Phrase erreicht. Bei Melanie Diener war es leider so, dass da wirklich die Stimmbänder an zu flattern fingen und sie den Ton nicht erreichte und man mit ihr gelitten hat und gedacht hat, Jessas, warum ist das bloß so exponiert und so gnadenlos komponiert. Die Arie des Florestan ähnlich, ins Himmlische Reich, da verreckt jeder zweite Tenor bei dieser Stelle. Roberto Saccà war ein lyrischer Tenor ehemals, viel Mozart gesungen, hat sich jetzt diese heldische Fach erobert und hat die Arie geschmettert, aber leider auf Kosten des Wohllauts. Und ich finde, er forciert seine Stimme. Das hört man immer, wenn eine Stimme anfängt zu wackeln, das ist immer ein Zeichen, dass ihr zu viel Gewicht zugemutet wird. Das ist wie bei einem Gewichtheber, ja, wenn die Muskeln anfangen zu zittern. Zum Beispiel jetzt diese Phrase, die wir hören, "Euch werde Lohn in besseren Welten" war für mich so ein Indiz dafür, schade, dass er die Stimme überfordert. Ich finde da eben eine gewisse Unruhe, was schade ist, weil die Stimme hat wirklich eine lyrische Qualität, hoffentlich nicht gehabt, hoffentlich bekommt er die wieder. Es ist einfach zu sehr draufgedrückt. Und alle Partien sind um Grunde so, auch Pizarro, Lucio Gallo hat das sicher sehr kräftig gesungen, aber man hat immer das Gefühl, er muss alles geben, um über dieses Orchester zu kommen. Der Star des Abends war der Dirigent Bernhard Haitink wurde gefeiert und bejubelt für seine große Ouvertüre. Und der Applaus bei den Solisten war, sagen wir, enden wollend.

    Koldehoff: Thomas Voigt, vielen Dank, sah die "Fidelio-Inszenierung" von Katharina Thalbach in Zürich.