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Werke für Klavier solo
Einblicke in Mozarts Seelenleben

"Mozart in Moll": Das klingt zunächst eigenartig und scheint gar nicht zum landläufigen Image des Komponisten zu passen. Doch die beim Label Animato erschienene Aufnahme mit dem Pianisten Michael Wessel wirft einen interessanten Blick auf die bedeutendsten Werke in Moll für Klavier solo von Mozart – und scheint damit einige Seelenabgründe des Komponisten zu beleuchten.

Von Klaus Gehrke | 20.12.2015
    Undatiertes Bild von Wolfgang Amadeus Mozart (Attribut Joseph Hickel um 1783).
    Undatiertes Bild von Wolfgang Amadeus Mozart (Attribut Joseph Hickel um 1783). (picture-alliance / dpa / epa Christie's / Ho)
    Die Fantasie in d-Moll KV 397, die 1782 in Wien entstand, wirkt exzentrisch und ungewöhnlich – und ist meist die erste Mollkomposition Mozarts, mit der angehende Pianisten konfrontiert werden. Allerdings wurde sie wie mehrere andere Stücke aus dieser Zeit nicht vollendet; warum Mozart die Arbeit an der Komposition abbrach, ist nicht bekannt. Das heitere Finale in D-Dur, mit der die Fantasie endet, stammt jedenfalls nicht von ihm, sondern von seinem Bewunderer August Eberhard Müller. Mozart selbst scheint keine besondere Vorliebe für Molltonarten gehabt zu haben: Unter den über 40 Sinfonien finden sich gerade mal zwei, und für die fast ebenso vielen Konzerte für Soloinstrumente und Orchester gilt das Gleiche. Auch von den 18 Klaviersonaten stehen nur zwei in Moll. Eine davon ist die Sonate Nr. 9 in a-Moll KV 310, die vermutlich im Frühjahr 1778 in Paris entstand und mit dem Tod seiner Mutter in Verbindung gebracht wird. Tatsächlich wirkt sie im Vergleich zu den sie umgebenden Klaviersonaten deutlich schroffer und dunkler; gleichzeitig stellte Mozart an den Ausführenden hohe technische Anforderungen.
    "Dunkle" Kollektion
    Mit seiner Zusammenstellung wollte Michael Wessel bewusst etwas gegen das weit verbreitete Bild des 'heiteren' Seelentrösters Mozart setzen, wie er im Booklet schreibt: "Man mag spekulieren, in wieweit diese Dur-Manie etwas mit gewaltsamer Verdrängung seiner durchaus nicht geringen Alltags-Probleme zu tun hatte. Auffällig auch, dass die Mollkompositionen in den letzten Lebensjahren zunehmen. Jedenfalls können wir feststellen, dass Mozart in Moll dunklere, intimere und rätselhaftere, ja vermutlich die persönlichsten und ergreifendsten Gedanken und Empfindungen zum Ausdruck bringt." Das gilt insbesondere für das sehr verhaltene und dunkle Adagio h-Moll KV 540, das Mozart am 19. März 1788 komponierte.
    Zurückhaltung am Konzertflügel
    Gerade in diesem Adagio scheint Michael Wessel sich pianistisch gesehen extrem zurückzuhalten: Viele dynamisch rasch wechselnde Passagen, die gerne zur Dramatisierung einladen, werden von ihm manchmal nur agogisch angedeutet. Dieser Interpretationsansatz passt eher zur historisch informierten Aufführungspraxis, die Wessel in dieser Einspielung auch zu berücksichtigen versucht. Zwar will er nicht auf die Anschlags- und Klangnuancen verzichten, die der moderne Konzertflügel bietet. Aber: "Gleichzeitig versuche ich, klangliche Besonderheiten des historischen Flügels auf das moderne Instrument zu übertragen, zum Beispiel die weitaus verschiedenfarbigeren Register, die weniger abrupte Dämpfung oder manche Härten, die das Hammerklavier aufgrund seines höheren Geräuschanteils im Klang vor allem bei lauten Akkorden aufweist", schreibt Wessel im Booklet der CD; "in vielerlei Hinsicht mag das Ergebnis ungewohnt klingen, zumindest für Hörer, die weniger das historische Instrument und mehr den modernen Konzertflügel gewohnt sind."
    Einblicke in die Seele
    Von den insgesamt fünf Fantasien, die Mozart komponiert beziehungsweise begonnen hat, steht interessanterweise nur eine in Dur; für drei wählte er die Tonart c-Moll. In dieser steht auch die groß angelegte Fantasie KV 475, die Mozart als Einleitung zu seiner in der gleichen Tonart komponierten zweiten Moll-Sonate KV 457 betrachtete und beide Werke 1785 veröffentlichte. Ob dessen Mollkompositionen nun einen Einblick in die Seelenabgründe eines Genies bieten oder nicht: Michael Wessels Zusammenstellung auf dieser CD zeigt Mozart tatsächlich jenseits von Unbeschwertheit und Heiterkeit als grübelnden bis verzweifelten Menschen; darüber hinaus scheint er gerade in seinen Werken in Moll eine dramatisch düstere Unerbittlichkeit zu beschwören, die in ihrer Art schon auf Beethoven oder Schubert verweist.