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Werke von Tschaikowsky, Paganini und Leoncavallo

Welcher Schallplattensammler trauert ihr nicht ein wenig nach: der alten Vinyl-Langspielplatte mit den großformatigen Covers, die oft kleine Kunstwerke waren? Zur Faszination des Klanges kam der Reiz der Bilder. Für eine kleine Schar von Liebhabern ist die gute, alte LP immer noch das Musikmedium schlechthin.

Von Norbert Hornig |
    Sicher ist es auch dieser Reiz des Nostalgischen, der in den letzten Jahren die großen Schallplattenfirmen bewogen hat, Wiederveröffentlichungen mit den Original-Covers in CD-Größe zu auszustatten. Vor allem die Deutsche Grammophon und EMI Classics zeigten sich in dieser Hinsicht traditionsbewusst, denn gerade ihre Archive sind voll mit historischen Aufnahmen von unschätzbarem künstlerischen Wert. Und ein kommerzieller Hintergrund ist offensichtlich: die immer schneller voran schreitende Auswertung der hauseigenen Archive in Form großer Editionen ist geradezu zwingend, denn die Lizenzen von Interpreten und Schallplattenfirmen an ihren Aufnahmen laufen nach 50 Jahren aus. Dann können nach derzeit geltendem Recht auch fremde Plattenfirmen Kopien dieser Einspielungen in eigener Regie veröffentlichen, ohne juristische Konsequenzen befürchten zu müssen. Es geht ganz einfach auch um letzte Profite in einem sich dramatisch wandelnden Musik- und Schallplattenmarkt.

    Auch Sony folgt seit einiger Zeit diesem Trend, neuerdings mit seiner "Jacket Collection", einer Serie handlicher Boxen aus Karton mit Aufnahmen der berühmtesten Künstler des Hauses. Die einzelnen CDs sind in kleine Papphüllen geschoben, die eine verkleinerte Kopie der alten Vinylplatten-Cover darstellen - den Text auf der Rückseite inklusive. Sämtliche Aufnahmen mit Glenn Gould sind so erschienen, Repertoire-Klassiker mit Bruno Walter, George Szell, Igor Strawinsky, Jascha Heifetz, Itzhak Perlman oder Monserrat Caballé. Vor kurzem u.a. auch eine Edition mit zehn CDs, die Eugene Ormandy gewidmet ist, dem Dirigenten, der das Philadelphia Orchestra zu einem Spitzenensemble formte:

    " Musikbeispiel: Peter Tschaikowsky, Serenade für Streicher, 3. Satz (Walzer) "

    Sie hörten den Walzer aus der Serenade für Streicher op. 48 von Peter Tschaikowsky mit dem Philadelphia Orchestra unter der Leitung Eugene Ormandy. Diese Aufnahme von 1959 ist in einer dem Dirigenten und dem Orchester gewidmeten Edition bei Sony wiedererschienen.

    Zu den aktuelleren Veröffentlichungen im Rahmen der historischen "Jacket Collection" von Sony gehören auch Editionen, die auf jeweils zehn CDs Künstler wie Leonard Bernstein, Artur Rubinstein und Vladimir Horowitz portraitieren. Bernstein fasziniert dabei als Dirigent eigener Werke, Rubinstein ausschließlich als Chopin-Interpret, Horowitz als exzentrischer Tastenvirtuose in einer repräsentativen Auswahl seiner RCA-Aufnahmen, die zwischen 1928 und 1982 entstanden. Dazu gehört auch die legendäre Einspielung von Tschaikowskys b-Moll- Klavierkonzert unter Arturo Toscanini aus der Carnegie Hall von 1941, einer der meistverkauften Aufnahmen der ausgehenden Schellack-Ära:

    " Musikbeispiel: Peter Tschaikowsky, Klavierkonzert Nr. 1 b-Moll op.23, 3. Satz
    (Allegro con fuoco) "

    Dies war ein Ausschnitt aus dem furiosen Finale von Peter Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 op. 23, in der legendären Aufnahme von 1941 mit Vladimir Horowitz und dem NBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Arturo Toscanini - wiedererschienen im Rahmen der historischen "Jacket Collection" von Sony.

    Über viele Jahre hat auch EMI Classics einen umfangreichen CD-Katalog mit historischen Aufnahmen aufgebaut, in dem sich Jahrzehnte Interpretations- und Schallplattegeschichte eindrucksvoll widerspiegeln. In verschiedenen Schallplattenreihen und Editionen sind viele legendäre Aufnahmen z.T. mehrfach wiedererschienen - Gelegenheit genug für Sammler, sich eine Diskothek mit historischen Aufnahmen neu aufzubauen und manche verkratzte Langspielplatte auszumustern.

    Im September startete EMI noch einmal eine Veröffentlichungs-Offensive, die vom Umfang her Ihresgleichen sucht: Auf einen Schlag erschien unter dem englischen Titel "Icon" eine Serie von 13 Editionen, die berühmten Künstler-Ikonen des EMI-Katalogs gewidmet sind. Aufnahmen, von denen viele bereits irgendwann einmal auf CD erschienen sind, in verschiedenen historischen Serien und teilweise auch in anderen Werkkombinationen.

    Ein wenig sieht dies nach Ausverkauf aus. Auch werden engagierte Sammler viele dieser Aufnahmen bereits auf CD besitzen und vor allem daran interessiert sein, letzte Lücken in der Sammlung zu schließen. Wer allerdings erst jetzt mit dem Sammeln historischer Aufnahmen beginnt, kann sich fühlen wie im Schlaraffenland, denn noch nie gab es diese Aufnahmen so günstig zu kaufen. Etwa sämtliche EMI-Einspielungen mit Jascha Heifetz aus den Jahren 1934 bis 1951, die jetzt komplett in einer Box mit sechs CDs erhältlich sind.

    " Musikbeispiel: Nicolò Paganini, Capricen op. 1 Nr.20 "

    Caprice Nr. 20 von Nicolò Paganini in einer Bearbeitung für Violine und Klavier von Fritz Kreisler. Diese Aufnahme mit Jascha Heifetz und Arpád Sándor von 1934 ist bei EMI Classics in der neuen historischen Reihe "Icon" wiedererschienen.

    Dieses diskographische Großprojekt beeindruckt allein durch seinen Umfang und natürlich mit großen Namen: Neben sämtlichen EMI-Aufnahmen von Jascha Heifetz, Arturo Benedetti Michelangeli, Dinu Lipatti, Swiatoslaw Richter, Andrés Segovia und Denis Brain bietet die "Icon"-Reihe umfangreiche Interpreten-Portraits von Alfred Cortot, Solomon, Mirella Freni, Janet Backer, Victoria de los Angeles, Giuseppe di Stefano und Jussi Björling.

    Auf den nostalgischen Flair von Original-Schallplattenhüllen in CD-Format muss man hier allerdings verzichten, jede Box und jede CD-Hülle darin trägt ein und dasselbe Künstlerportrait, ein dreisprachiges Booklet enthält Biographien und Werkangaben.
    Mag die Ausstattung auch etwas spartanisch erscheinen - sie kann angesichts des moderaten Preises auch nicht luxuriöser sein - der künstlerische Rang und die technische Aufbereitung dieser Einspielungen entschädigen für alles.

    So ist die Klangqualität von vielen Aufnahmen hervorragend, wirklich gute Stereoaufnahmen der fünfziger oder sechziger stehen neueren Digitalaufnahmen ohnehin kaum nach. Im Gegenteil: sie wirken echter und ehrlicher. Die geradezu unheimlichen Möglichkeiten des digitalen Schnitts, die eine Aufnahme zu einem reinen Kunstprodukt machen können, waren damals - zum Glück - noch nicht erfunden.
    Und man möchte kaum glauben, dass diese Aufnahme mit Jussi Björling von 1944 stammt...

    " Musikbeispiel: Ruggiero Leoncavallo, Mattinata "

    Heute stellten wir Ihnen Veröffentlichungen aus dem Bereich "Historische Aufnahmen" vor. Sie hörten Musikbeispiele aus der Reihe "Jacket Collection" von Sony und der neuen "Icon"-Serie von EMI Classics - umfangreichen CD-Editionen, die jeweils einem berühmten Interpreten gewidmet sind. Dazu gehört auch der schwedische Tenor Jussi Björling. In einer EMI-Aufnahme von 1944 hörten Sie ihn mit "Mattinata" von Ruggiero Leoncavallo.


    Titel:
    Werke von Tschaikowsky, Paganini und Leoncavallo
    CD-Editionen: "The Jacket Collection" von Sony /
    "Icon"-Serie von EMI Classics

    Ausführende:
    Vladimir Horowitz (Klavier)
    Jascha Heifetz (Violine)
    Arpád Sándor (Klavier)
    Jussi Björling (Tenor)

    Label:
    Sony BMG LC 06868
    Best. Nr. 88697 27987-2 1 / 88697 31623 2/1
    EMI Classics LC 06646
    Best. Nr. 26172 2 / Best. Nr. 2 17313 2