"Die wenigsten Menschen haben auch den Mut, das auszusprechen, was das Gebot der Stunde ist, dass sich Europa etablieren muss als eine Weltmacht, die einen Gestaltungsanspruch erhebt. Nicht mit militärischen Mitteln. Wir wollen eine Weltmacht anderen Typs sein - aber schon eine, die ihre Interessen und ihren Gestaltungswillen bei der Lösung globaler Probleme notfalls mit robusten Mitteln schützen kann."
So wie EU-Kommissar Günter Verheugen die Europäische Union als künftige Weltmacht beschreibt, klingt das extrem ehrgeizig. Denn Europa ist zwar wirtschaftlich inzwischen auf Augenhöhe mit den USA, aber außenpolitisch oder gar militärisch wird die Europäische Union weltweit immer noch nicht entsprechend wahrgenommen.
Weltmacht Europa. Das Bild, das die Europäische Union derzeit abgibt, sieht anders aus: Unentschlossen, zerstritten und zersplittert. Wenn Washington handelt, fängt die Europäische Union erst einmal an zu diskutieren. Ob im Irak, im Nahen Osten, in Nordkorea, Europa spielt keine Rolle - auch, weil es militärisch so schwach ist. Die USA geben mehr als doppelt so viel Geld für Rüstung aus als alle 27 EU-Mitglieder zusammen.
Doch Europa holt auf. In den letzten Jahren hat die EU die Strukturen für eine 60.000 Mann starke Eingreiftruppe zur Reaktion in Krisengebieten aufgebaut. Dazu 13 kleine Kampftruppen mit je 1500 Soldaten, die für besondere Einsätze ausgebildet und schnell zu mobilisieren sind. Seit einem Jahr unterhält die Europäische Union mitten in Brüssel ein eigenes militärisches Hauptquartier.
Wenn Militärs aus den Mitgliedsländern das Operationscenter der EU besuchen, reiben sie sich erst mal die Augen. Mitten im Brüsseler Europaviertel, eingeklemmt im fünften Stock eines Bürohauses, einen ungeeigneteren Platz für eine militärische Kommandozentrale gibt es kaum. Das viel zu kleine Operationscenter ist Beton gewordener Ausdruck der europäischen Unentschlossenheit. Oder genauer: der Unentschlossenheit einiger Mitgliedsländer. Der sozialdemokratische Europaabgeordnete Hannes Swoboda beschreibt das Grundproblem:
"Deutschland ist eines der wenigen Länder, die wirklich eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wollen. Viele andere reden davon, meinen aber eher ihren eigenen Standpunkt, Großbritannien ist nach wie vor sehr stark an den USA orientiert. Also glaube ich, dass vor allem Deutschland, sicher auch Italien, Spanien und einige kleine Länder mehr investieren müssen in diese gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, um die anderen Partner innerhalb der Europäischen Union, so weit sie das können, zur Ordnung rufen müssen."
Seit gerade einmal 15 Jahren baut die Europäische Union an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Zwar gab es auch davor schon so etwas wie eine politische Zusammenarbeit in außenpolitischen Fragen. Doch erst im Vertrag von Maastricht wurden die nötigen Kompetenzen und Entscheidungsstrukturen festgelegt.
Von Beginn an gab es zwischen den Mitgliedsländern Streit darüber, welche Rolle die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik spielen sollte. Eine Reihe von Ländern, darunter auch Deutschland, hatte als Fernziel vor Augen, dass die Europäische Union irgendwann die Außenpolitik seiner Mitgliedsländer übernehmen sollte. Die EU sollte irgendwann nicht mehr neben den Mitgliedsländern, sondern an ihrer Stelle auftreten.
Vor allem Großbritannien hatte und hat mit dieser Vorstellung erhebliche Schwierigkeiten. Während Frankreich die europäische Außenpolitik vor allem in der Hoffnung unterstützt, sie für die eigenen Ziele einzuspannen, legt London Wert auf seine Unabhängigkeit. Aber nicht nur London, auch in vielen anderen Hauptstädten ist die Neigung gering, die eigenen Interessen im Ausland zugunsten einer gemeinsamen europäischen Position zurückzustellen.
Wichtige Entscheidungen wurden nicht aus Überzeugung getroffen, sondern nur unter dem Eindruck größter Gefahr. Hannes Swoboda bezeichnet die Kriege im ehemaligen Jugoslawien als Wende in der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik:
"Sie haben eine sehr große Rolle gespielt, weil wir gesehen haben, dass vor unserer Haustür Konflikte entstehen, die wir überhaupt nicht bändigen können, dass wir die USA brauchen für relativ geringfügige Interventionen, um überhaupt dort zu Rande zu kommen. Dass wir die USA brauchen, um Frieden zu schließen. Das war eigentlich eine Schande, und das haben die meisten doch auch als Schande gesehen. Das hat uns geholfen, eine sehr positive Entwicklung einzuleiten. Einzuleiten, das heißt nicht, dass wir schon am Ziel sind. Wir sind noch weit entfernt vom Ziel. Aber uns ist bewusst, wenn wir nicht zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik finden, wir immer eine zweite oder dritte Geige spielen werden."
Zu Beginn der Jugoslawienkriege sah es so aus, als würde Europa in seine alten Verhaltensmuster zurückfallen. Deutschland unterstützte Kroatien und Slowenien. London und Paris nahmen reflexhaft die Serben in Schutz, ihre Verbündeten aus dem zweiten Weltkrieg. Statt den Konflikt einzudämmen, war die Europäische Union nahe daran, sich zu spalten.
Doch die Fernsehbilder von den Granateneinschlägen in Sarajewo, die Flüchtlingsströme in die Europäische Union, die Nachrichten von den ethnischen Säuberungen, die Massaker an der Bevölkerung erinnerten die Europäischen Politiker an ihre Verantwortung: Die Europäische Union, bis dahin im wesentlichen eine Wirtschaftsgemeinschaft, konnte nicht einfach zuschauen und die Verantwortung für den Frieden in Europa den USA überlassen.
Nicht nur die Politiker lernten dazu, auch in der Bevölkerung änderte sich die Stimmung. Die Europäische Union, die so stolz auf ihren unmilitärischen Lebenslauf war, wurde von den Ereignissen zum Umdenken gezwungen. "Frieden schaffen ohne Waffen," diese Illusion war nach Srebrenica nicht mehr möglich, sagt der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit:
"Vor allem haben wir gemerkt, dass wir überhaupt nichts können an den Toren Europas, wenn nicht die Amerikaner mitmachen. Das war der Schock. Man konnte nicht mal Sarajevo mit humanitärer Hilfe versorgen ohne die Amerikaner, das war der europäische Schock."
Was 1992 in Maastricht noch undenkbar war, das war nach Srebrenica plötzlich möglich. Die Regierungen der Europäischen Union einigten sich darauf, eine europäische Verteidigung aufzubauen, um bei Krisen wie in Bosnien oder im Kosovo eingreifen zu können.
Umstritten war allerdings, wie diese Verteidigungspolitik aussehen sollte: Während Frankreich eine eigenständige Europäische Militärstruktur forderte, wollte Großbritannien lediglich einen europäischen Pfeiler innerhalb der NATO zulassen. Auf keinen Fall sollte die Europäische Union einen militärischen Einsatz gegen den Willen der USA durchführen können.
Am Widerstand Großbritanniens hat sich bis heute nichts geändert. Die britische Regierung hat den Aufbau einer europäischen Verteidigungspolitik massiv behindert und behindert sie immer noch. Doch aufhalten konnte sie ihn nicht. Der Druck war einfach zu stark. Selbst die USA, die die Entwicklung Europas mit großem Widerwillen beobachten, forderten mehr militärisches Engagement der Europäer in der Welt. Vor allem aber gibt es weltweit immer mehr regionale Krisen, die eine europäische Antwort erfordern.
Nicht nur in der Verteidigungspolitik, auch in der Außenpolitik hat die EU nach den Jugoslawienkriegen in kurzer Zeit beachtliche Fortschritte gemacht. Im Vertrag von Amsterdam setzten die Regierungen zum ersten Mal eine Art europäischen Außenminister ein. Der Hohe Repräsentant, so der offizielle Titel, soll die nationalen Ambitionen zusammenführen, die Aktionen bündeln und eine europäische Linie vorgeben. Doch die Regierungen haben nur das Amt geschaffen, ohne dem Hohen Repräsentanten die nötigen Kompetenzen zu geben. So können wir nicht weitermachen, sagt Javier Solana. Der frühere NATO-Generalsekretär füllt das Amt seit acht Jahren aus.
"Europa hat Interessen zu wahren, Bedrohungen zu bewältigen, Probleme anzugehen und zu lösen. Dafür müssen wir eine echte Außenpolitik und eine Verteidigungs- und Sicherheitspolitik entwickeln. In den letzten Jahren sind wir auf diesem Weg ein gutes Stück vorangekommen, doch geschah dies dank der Überzeugung, der harten Arbeit, dem guten Willen vieler, Probleme notfalls durch Improvisation zu lösen. Wir sind nun hart an der Grenze dessen, was durch Improvisation erreicht werden kann."
Das Amt des Hohen Repräsentanten für die Außen- und Sicherheitspolitik ist einer der typischen Kompromisse der EU. Er soll der EU Gesicht und Stimme in der Welt geben. Aber zuviel Macht darf er auch nicht haben.
Die Europäische Union hat diplomatische Vertretungen in fast allen Ländern dieser Erde. Sie gibt jedes Jahr knapp zwei Milliarden Euro für Entwicklungshilfe aus, dazu noch einige Milliarden für humanitäre Projekte, für Nachbarschaftspolitik und zur Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Doch all diese außenpolitischen Instrumente werden nicht vom Hohen Repräsentanten verwaltet, sondern von der Europäischen Kommission. Solana hat darauf keinen Zugriff. Wenn er bei Verhandlungen in Palästina mit Sanktionen drohen oder mit Finanzhilfen locken will, dann muss er vorher einen komplizierten Abstimmungsprozess in Gang setzen, zuerst mit den 27 nationalen Außenministern, dann mit den Chefs der EU-Kommission.
Nicht weniger als fünf der 27 EU-Kommissare befassen sich mit Außenpolitik. Kernstück ist die Europäische Nachbarschaftspolitik. EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner hat für die nächsten sieben Jahre 12 Milliarden Euro zur Verfügung.
"Die europäische Nachbarschaftspolitik lädt unsere Nachbarn im Osten und Süden ein, teilzuhaben an Frieden, Stabilität und Wohlstand, Dinge, die wir in der Europäischen Union bereits genießen. Unser Ziel ist es in der Tat, einen Ring von Freunden zu schaffen um das neue, erweiterte Europa herum. In den kommenden Jahren, da bin ich ganz sicher, wird die Europäische Nachbarschaftspolitik von entscheidender Bedeutung sein für unsere Außenbeziehungen."
Die Nachbarschaftspolitik ist eines der wichtigsten außenpolitischen Programme der EU. Sie soll vor allem jene Nachbarländer stabilisieren und gewogen machen, die für einen EU-Beitritt nicht in Frage kommen. Das sind zum einen alle Länder rund ums Mittelmeer, von Marokko bis Syrien. Für die Länder am Ostrand der gewachsenen Union ist vor allem die Hilfe für die Nachbarn jenseits der Grenze wichtig, wie Jacek Saryusz-Wolski erläutert. Der Konservative ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament:
"Die neuen EU-Mitglieder wollen eine starke, durchsetzungsfähige EU-Außenpolitik, die an den Ostgrenzen der Union für Menschenrechte und Demokratie eintritt, also für Demokratie in Weißrussland und in der Ukraine, in Moldawien, Armenien, im Südkaukasus, in Armenien und Aserbaidschan. Aber wir wollen auch ein Eintreten für Menschenrechte und Demokratie in Russland."
Die Nachbarschaftspolitik soll diese Länder an die EU binden, ohne dass damit ein Aufnahmeanspruch verbunden ist. Das Angebot umfasst Finanzhilfen, Unterstützung bei wichtigen Reformen bis hin zur Teilnahme an einzelnen EU-Programmen wie Studentenaustausch oder Forschungsvorhaben. EU-Kommissarin Ferrero-Waldner:
"Was wir natürlich im Gegenzug erwarten, ist, dass diese Länder sehr viel enger mit uns zusammen arbeiten im Kampf gegen den Terrorismus und gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und bei der Beilegung regionaler Konflikte und eine deutliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Bereich der Justiz- und Innenpolitik."
Im Kaukasus beispielsweise könnte die Nachbarschaftspolitik die diplomatischen Bemühungen des Hohen EU-Repräsentanten Solana um die Beilegung der Minderheitenkonflikte unterstützen. Doch der "europäische Außenminister" hat keinen Zugriff auf dieses Instrument. Javier Solana sitzt nicht in der EU-Kommission, sondern auf der anderen Seite der Brüsseler Rue de la Loi, im Ministerrat.
Der Hohe Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik sollte nicht zuviel Macht haben, vor allem sollte er den nationalen Außenministern nicht zuviel von ihrem Glanz nehmen. Deshalb haben sie ihn im Ministerrat angesiedelt, wo die Regierungen der Mitgliedsländer das Wort führen und den Hohen Repräsentanten notfalls an der kurzen Leine halten können.
Die meisten Regierungen haben den Fehler inzwischen eingesehen und wollen ihn durch die Europäische Verfassung korrigieren. Dort ist ein echter Europäischer Außenminister vorgesehen, der in der EU-Kommission sitzt und damit all die Mittel zur Verfügung hat, die Javier Solana vorenthalten bleiben. Doch genau diese Aufwertung ist einer der Hauptgründe dafür, dass Großbritannien die EU-Verfassung nach wie vor ablehnt.
Die unsinnige Streuung der Zuständigkeiten lähmt auch die internationalen Kriseneinsätze der Europäischen Union. Denn das Markenzeichen der europäischen Einsätze ist das Zusammenspiel von militärischer und ziviler Unterstützung in Krisengebieten, erläutert General Heinrich Brauss:
"Um eine Krise zu lösen oder zu lindern braucht man unter Umständen Militär, aber im Rahmen eines ganzheitlichen Konzeptes. Sobald die Sicherheit hergestellt ist, muss das Management einer Krise und der Wiederaufbau in zivile Hände gelegt werden. Dazu braucht man eine Fülle von Instrumenten, die die Europäische Union bereitstellt: Polizei, Rechtsstaatexperten oder finanzielle Mittel und Programme der Europäischen Kommission im Rahmen der humanitären Hilfe und Entwicklungshilfe."
Seit 2003 hat die Europäische Union weltweit 16 Krisen-Operationen bewältigt. Die ersten Einsätze, zum Beispiel in Mazedonien, haben in der Öffentlichkeit noch viel Staub aufgewirbelt. Vor allem, wenn die EU Soldaten schickt, dann ist das immer noch ein großes Thema.
Doch viel wichtiger sind oft die zivilen Komponenten der Einsätze. Ein Land, in dem die Polizei nicht funktioniert, wird immer ein instabiles Land bleiben. Ein Land ohne Steuereinnahmen kann sich nur über Korruption finanzieren. Ein Land, in das die eigenen Bürger kein Vertrauen haben, ist ein Unsicherheitsfaktor für die ganze Region. Antje Herrberg von der Crisis Management Initiative hat im Auftrag der Kommission den EU-Friedenseinsatz in der indonesischen Krisenprovinz Aceh mitorganisiert:
"Oft geht es um zivile Krisenintervention, das heißt, wir brauchen Polizisten und wir brauchen Richter. Und welcher Mitgliedsstaat will schon Polizisten und Richter abgeben, wir brauchen Sie eigentlich zu Hause. So was ist sehr teuer und sehr schwierig. Da stellt sich natürlich die große Frage, ob wir das wirklich stellen können (...) das ist vor allem notwendig, denn es geht hier um Staatsaufbau in diesen Regionen."
Steuerbehörden, Polizeiapparate und Justizsysteme aufzubauen, ist ein undankbarer Job. Es ist mühsam, extrem teuer und die Erfolge sind in der Öffentlichkeit nicht darstellbar. Man sieht sie nicht mit bloßem Auge.
Aber genau in diesem Bereich liegt die Stärke der Europäischen Union. Hier hat sie Erfahrung, schließlich hat sie entscheidend dazu beigetragen, aus zehn ehemals kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa marktwirtschaftliche Demokratien zu machen.
Die Europäische Union ist dabei, ihren Stil der weltweiten Einflussnahme zu finden: Zivil-militärische Krisenprävention und - Intervention, immer unter Rückgriff auf eine Legitimierung durch die UNO. Diese Strategie ist sicher ein Ergebnis der militärischen Schwäche, aber auch der Erfahrung Europas, wie viel man mit ziviler Unterstützung erreichen kann.
Doch selbst bei diesen Kriseninterventionen spielen die nationalen Interessen nach wie vor eine große Rolle. Im Kaukasus z.B. hätte die EU schon längst zivil und militärisch in die jahrelangen Konflikte eingegriffen. Das allerdings hat Berlin bisher verhindert - gegen eine breite Mehrheit der EU-Mitgliedsländer. Berlin will Moskau nicht verärgern.
Bei allem guten Willen zur Zusammenarbeit: Oft genug schlagen die nationalen Interessen der Mitgliedsländer spürbar durch. Am deutlichsten wurde das beim Irakkrieg und zuletzt bei der Diskussion um den US-Raketenschild. Viele EU-Staaten waren die Beziehungen zu den USA wichtiger als eine einheitliche europäische Position.
Doch in einigen Ländern scheint es bereits ein Umdenken zu geben. Der tschechische Sozialdemokrat Libur Roucek, stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlamentes, über die Diskussion in seiner Heimat:
"Jetzt nach der Irakinvasion, vor zwei Jahren, gab es eine Meinungsumfrage, wie sie die amerikanische Außenpolitik sehen und dreiviertel der Bevölkerung haben geantwortet, die Amerikaner kümmern sich nur um sich selbst. Die verteidigen nur amerikanische politische und ökonomische Interessen. Die schauen nicht auf Europa."
Jedes EU-Mitglied hat seine nationalen Traditionen und Ängste, die sich in der Außenpolitik widerspiegeln und die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik beeinflussen: Ob es um Polen und Russland geht, um Belgien und seine Kongo-Politik, Spanien und Lateinamerika, oder eben Großbritannien und die USA. Manchmal ist es hilfreich, weil die Länder ihre besonderen Erfahrungen einbringen können, aber oft genug behindert es das gemeinsame Vorgehen. Aber es gibt auch positive Beispiele, wie das geschlossene europäische Auftreten gegenüber dem Iran. Und das gibt erfahrenen Außenpolitikern wie Daniel Cohn-Bendit, dem Vorsitzenden der Grünen im Europaparlament, die Zuversicht, dass jede interne Auseinandersetzung die europäische Außen- und Sicherheitspolitik letztlich stärker machen wird:
" "Die Europäer werden die Spaltung überwinden, in dem sie die Momente der Spaltung , die Krisen, auch verarbeiten: Das ist ein langwieriger Prozess. Das ist klar, und das wird noch ein paar Jahre dauern. Aber die Europäer werden immer mehr merken an diesen Krisen, dass sie auch gemeinsame Interessen haben. Dass sie gemeinsame Handlungsinteressen haben und so wird meiner Meinung nach sich diese Sicherheitspolitik immer stabiler entwickeln können. "
So wie EU-Kommissar Günter Verheugen die Europäische Union als künftige Weltmacht beschreibt, klingt das extrem ehrgeizig. Denn Europa ist zwar wirtschaftlich inzwischen auf Augenhöhe mit den USA, aber außenpolitisch oder gar militärisch wird die Europäische Union weltweit immer noch nicht entsprechend wahrgenommen.
Weltmacht Europa. Das Bild, das die Europäische Union derzeit abgibt, sieht anders aus: Unentschlossen, zerstritten und zersplittert. Wenn Washington handelt, fängt die Europäische Union erst einmal an zu diskutieren. Ob im Irak, im Nahen Osten, in Nordkorea, Europa spielt keine Rolle - auch, weil es militärisch so schwach ist. Die USA geben mehr als doppelt so viel Geld für Rüstung aus als alle 27 EU-Mitglieder zusammen.
Doch Europa holt auf. In den letzten Jahren hat die EU die Strukturen für eine 60.000 Mann starke Eingreiftruppe zur Reaktion in Krisengebieten aufgebaut. Dazu 13 kleine Kampftruppen mit je 1500 Soldaten, die für besondere Einsätze ausgebildet und schnell zu mobilisieren sind. Seit einem Jahr unterhält die Europäische Union mitten in Brüssel ein eigenes militärisches Hauptquartier.
Wenn Militärs aus den Mitgliedsländern das Operationscenter der EU besuchen, reiben sie sich erst mal die Augen. Mitten im Brüsseler Europaviertel, eingeklemmt im fünften Stock eines Bürohauses, einen ungeeigneteren Platz für eine militärische Kommandozentrale gibt es kaum. Das viel zu kleine Operationscenter ist Beton gewordener Ausdruck der europäischen Unentschlossenheit. Oder genauer: der Unentschlossenheit einiger Mitgliedsländer. Der sozialdemokratische Europaabgeordnete Hannes Swoboda beschreibt das Grundproblem:
"Deutschland ist eines der wenigen Länder, die wirklich eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wollen. Viele andere reden davon, meinen aber eher ihren eigenen Standpunkt, Großbritannien ist nach wie vor sehr stark an den USA orientiert. Also glaube ich, dass vor allem Deutschland, sicher auch Italien, Spanien und einige kleine Länder mehr investieren müssen in diese gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, um die anderen Partner innerhalb der Europäischen Union, so weit sie das können, zur Ordnung rufen müssen."
Seit gerade einmal 15 Jahren baut die Europäische Union an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Zwar gab es auch davor schon so etwas wie eine politische Zusammenarbeit in außenpolitischen Fragen. Doch erst im Vertrag von Maastricht wurden die nötigen Kompetenzen und Entscheidungsstrukturen festgelegt.
Von Beginn an gab es zwischen den Mitgliedsländern Streit darüber, welche Rolle die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik spielen sollte. Eine Reihe von Ländern, darunter auch Deutschland, hatte als Fernziel vor Augen, dass die Europäische Union irgendwann die Außenpolitik seiner Mitgliedsländer übernehmen sollte. Die EU sollte irgendwann nicht mehr neben den Mitgliedsländern, sondern an ihrer Stelle auftreten.
Vor allem Großbritannien hatte und hat mit dieser Vorstellung erhebliche Schwierigkeiten. Während Frankreich die europäische Außenpolitik vor allem in der Hoffnung unterstützt, sie für die eigenen Ziele einzuspannen, legt London Wert auf seine Unabhängigkeit. Aber nicht nur London, auch in vielen anderen Hauptstädten ist die Neigung gering, die eigenen Interessen im Ausland zugunsten einer gemeinsamen europäischen Position zurückzustellen.
Wichtige Entscheidungen wurden nicht aus Überzeugung getroffen, sondern nur unter dem Eindruck größter Gefahr. Hannes Swoboda bezeichnet die Kriege im ehemaligen Jugoslawien als Wende in der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik:
"Sie haben eine sehr große Rolle gespielt, weil wir gesehen haben, dass vor unserer Haustür Konflikte entstehen, die wir überhaupt nicht bändigen können, dass wir die USA brauchen für relativ geringfügige Interventionen, um überhaupt dort zu Rande zu kommen. Dass wir die USA brauchen, um Frieden zu schließen. Das war eigentlich eine Schande, und das haben die meisten doch auch als Schande gesehen. Das hat uns geholfen, eine sehr positive Entwicklung einzuleiten. Einzuleiten, das heißt nicht, dass wir schon am Ziel sind. Wir sind noch weit entfernt vom Ziel. Aber uns ist bewusst, wenn wir nicht zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik finden, wir immer eine zweite oder dritte Geige spielen werden."
Zu Beginn der Jugoslawienkriege sah es so aus, als würde Europa in seine alten Verhaltensmuster zurückfallen. Deutschland unterstützte Kroatien und Slowenien. London und Paris nahmen reflexhaft die Serben in Schutz, ihre Verbündeten aus dem zweiten Weltkrieg. Statt den Konflikt einzudämmen, war die Europäische Union nahe daran, sich zu spalten.
Doch die Fernsehbilder von den Granateneinschlägen in Sarajewo, die Flüchtlingsströme in die Europäische Union, die Nachrichten von den ethnischen Säuberungen, die Massaker an der Bevölkerung erinnerten die Europäischen Politiker an ihre Verantwortung: Die Europäische Union, bis dahin im wesentlichen eine Wirtschaftsgemeinschaft, konnte nicht einfach zuschauen und die Verantwortung für den Frieden in Europa den USA überlassen.
Nicht nur die Politiker lernten dazu, auch in der Bevölkerung änderte sich die Stimmung. Die Europäische Union, die so stolz auf ihren unmilitärischen Lebenslauf war, wurde von den Ereignissen zum Umdenken gezwungen. "Frieden schaffen ohne Waffen," diese Illusion war nach Srebrenica nicht mehr möglich, sagt der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit:
"Vor allem haben wir gemerkt, dass wir überhaupt nichts können an den Toren Europas, wenn nicht die Amerikaner mitmachen. Das war der Schock. Man konnte nicht mal Sarajevo mit humanitärer Hilfe versorgen ohne die Amerikaner, das war der europäische Schock."
Was 1992 in Maastricht noch undenkbar war, das war nach Srebrenica plötzlich möglich. Die Regierungen der Europäischen Union einigten sich darauf, eine europäische Verteidigung aufzubauen, um bei Krisen wie in Bosnien oder im Kosovo eingreifen zu können.
Umstritten war allerdings, wie diese Verteidigungspolitik aussehen sollte: Während Frankreich eine eigenständige Europäische Militärstruktur forderte, wollte Großbritannien lediglich einen europäischen Pfeiler innerhalb der NATO zulassen. Auf keinen Fall sollte die Europäische Union einen militärischen Einsatz gegen den Willen der USA durchführen können.
Am Widerstand Großbritanniens hat sich bis heute nichts geändert. Die britische Regierung hat den Aufbau einer europäischen Verteidigungspolitik massiv behindert und behindert sie immer noch. Doch aufhalten konnte sie ihn nicht. Der Druck war einfach zu stark. Selbst die USA, die die Entwicklung Europas mit großem Widerwillen beobachten, forderten mehr militärisches Engagement der Europäer in der Welt. Vor allem aber gibt es weltweit immer mehr regionale Krisen, die eine europäische Antwort erfordern.
Nicht nur in der Verteidigungspolitik, auch in der Außenpolitik hat die EU nach den Jugoslawienkriegen in kurzer Zeit beachtliche Fortschritte gemacht. Im Vertrag von Amsterdam setzten die Regierungen zum ersten Mal eine Art europäischen Außenminister ein. Der Hohe Repräsentant, so der offizielle Titel, soll die nationalen Ambitionen zusammenführen, die Aktionen bündeln und eine europäische Linie vorgeben. Doch die Regierungen haben nur das Amt geschaffen, ohne dem Hohen Repräsentanten die nötigen Kompetenzen zu geben. So können wir nicht weitermachen, sagt Javier Solana. Der frühere NATO-Generalsekretär füllt das Amt seit acht Jahren aus.
"Europa hat Interessen zu wahren, Bedrohungen zu bewältigen, Probleme anzugehen und zu lösen. Dafür müssen wir eine echte Außenpolitik und eine Verteidigungs- und Sicherheitspolitik entwickeln. In den letzten Jahren sind wir auf diesem Weg ein gutes Stück vorangekommen, doch geschah dies dank der Überzeugung, der harten Arbeit, dem guten Willen vieler, Probleme notfalls durch Improvisation zu lösen. Wir sind nun hart an der Grenze dessen, was durch Improvisation erreicht werden kann."
Das Amt des Hohen Repräsentanten für die Außen- und Sicherheitspolitik ist einer der typischen Kompromisse der EU. Er soll der EU Gesicht und Stimme in der Welt geben. Aber zuviel Macht darf er auch nicht haben.
Die Europäische Union hat diplomatische Vertretungen in fast allen Ländern dieser Erde. Sie gibt jedes Jahr knapp zwei Milliarden Euro für Entwicklungshilfe aus, dazu noch einige Milliarden für humanitäre Projekte, für Nachbarschaftspolitik und zur Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Doch all diese außenpolitischen Instrumente werden nicht vom Hohen Repräsentanten verwaltet, sondern von der Europäischen Kommission. Solana hat darauf keinen Zugriff. Wenn er bei Verhandlungen in Palästina mit Sanktionen drohen oder mit Finanzhilfen locken will, dann muss er vorher einen komplizierten Abstimmungsprozess in Gang setzen, zuerst mit den 27 nationalen Außenministern, dann mit den Chefs der EU-Kommission.
Nicht weniger als fünf der 27 EU-Kommissare befassen sich mit Außenpolitik. Kernstück ist die Europäische Nachbarschaftspolitik. EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner hat für die nächsten sieben Jahre 12 Milliarden Euro zur Verfügung.
"Die europäische Nachbarschaftspolitik lädt unsere Nachbarn im Osten und Süden ein, teilzuhaben an Frieden, Stabilität und Wohlstand, Dinge, die wir in der Europäischen Union bereits genießen. Unser Ziel ist es in der Tat, einen Ring von Freunden zu schaffen um das neue, erweiterte Europa herum. In den kommenden Jahren, da bin ich ganz sicher, wird die Europäische Nachbarschaftspolitik von entscheidender Bedeutung sein für unsere Außenbeziehungen."
Die Nachbarschaftspolitik ist eines der wichtigsten außenpolitischen Programme der EU. Sie soll vor allem jene Nachbarländer stabilisieren und gewogen machen, die für einen EU-Beitritt nicht in Frage kommen. Das sind zum einen alle Länder rund ums Mittelmeer, von Marokko bis Syrien. Für die Länder am Ostrand der gewachsenen Union ist vor allem die Hilfe für die Nachbarn jenseits der Grenze wichtig, wie Jacek Saryusz-Wolski erläutert. Der Konservative ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament:
"Die neuen EU-Mitglieder wollen eine starke, durchsetzungsfähige EU-Außenpolitik, die an den Ostgrenzen der Union für Menschenrechte und Demokratie eintritt, also für Demokratie in Weißrussland und in der Ukraine, in Moldawien, Armenien, im Südkaukasus, in Armenien und Aserbaidschan. Aber wir wollen auch ein Eintreten für Menschenrechte und Demokratie in Russland."
Die Nachbarschaftspolitik soll diese Länder an die EU binden, ohne dass damit ein Aufnahmeanspruch verbunden ist. Das Angebot umfasst Finanzhilfen, Unterstützung bei wichtigen Reformen bis hin zur Teilnahme an einzelnen EU-Programmen wie Studentenaustausch oder Forschungsvorhaben. EU-Kommissarin Ferrero-Waldner:
"Was wir natürlich im Gegenzug erwarten, ist, dass diese Länder sehr viel enger mit uns zusammen arbeiten im Kampf gegen den Terrorismus und gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und bei der Beilegung regionaler Konflikte und eine deutliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Bereich der Justiz- und Innenpolitik."
Im Kaukasus beispielsweise könnte die Nachbarschaftspolitik die diplomatischen Bemühungen des Hohen EU-Repräsentanten Solana um die Beilegung der Minderheitenkonflikte unterstützen. Doch der "europäische Außenminister" hat keinen Zugriff auf dieses Instrument. Javier Solana sitzt nicht in der EU-Kommission, sondern auf der anderen Seite der Brüsseler Rue de la Loi, im Ministerrat.
Der Hohe Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik sollte nicht zuviel Macht haben, vor allem sollte er den nationalen Außenministern nicht zuviel von ihrem Glanz nehmen. Deshalb haben sie ihn im Ministerrat angesiedelt, wo die Regierungen der Mitgliedsländer das Wort führen und den Hohen Repräsentanten notfalls an der kurzen Leine halten können.
Die meisten Regierungen haben den Fehler inzwischen eingesehen und wollen ihn durch die Europäische Verfassung korrigieren. Dort ist ein echter Europäischer Außenminister vorgesehen, der in der EU-Kommission sitzt und damit all die Mittel zur Verfügung hat, die Javier Solana vorenthalten bleiben. Doch genau diese Aufwertung ist einer der Hauptgründe dafür, dass Großbritannien die EU-Verfassung nach wie vor ablehnt.
Die unsinnige Streuung der Zuständigkeiten lähmt auch die internationalen Kriseneinsätze der Europäischen Union. Denn das Markenzeichen der europäischen Einsätze ist das Zusammenspiel von militärischer und ziviler Unterstützung in Krisengebieten, erläutert General Heinrich Brauss:
"Um eine Krise zu lösen oder zu lindern braucht man unter Umständen Militär, aber im Rahmen eines ganzheitlichen Konzeptes. Sobald die Sicherheit hergestellt ist, muss das Management einer Krise und der Wiederaufbau in zivile Hände gelegt werden. Dazu braucht man eine Fülle von Instrumenten, die die Europäische Union bereitstellt: Polizei, Rechtsstaatexperten oder finanzielle Mittel und Programme der Europäischen Kommission im Rahmen der humanitären Hilfe und Entwicklungshilfe."
Seit 2003 hat die Europäische Union weltweit 16 Krisen-Operationen bewältigt. Die ersten Einsätze, zum Beispiel in Mazedonien, haben in der Öffentlichkeit noch viel Staub aufgewirbelt. Vor allem, wenn die EU Soldaten schickt, dann ist das immer noch ein großes Thema.
Doch viel wichtiger sind oft die zivilen Komponenten der Einsätze. Ein Land, in dem die Polizei nicht funktioniert, wird immer ein instabiles Land bleiben. Ein Land ohne Steuereinnahmen kann sich nur über Korruption finanzieren. Ein Land, in das die eigenen Bürger kein Vertrauen haben, ist ein Unsicherheitsfaktor für die ganze Region. Antje Herrberg von der Crisis Management Initiative hat im Auftrag der Kommission den EU-Friedenseinsatz in der indonesischen Krisenprovinz Aceh mitorganisiert:
"Oft geht es um zivile Krisenintervention, das heißt, wir brauchen Polizisten und wir brauchen Richter. Und welcher Mitgliedsstaat will schon Polizisten und Richter abgeben, wir brauchen Sie eigentlich zu Hause. So was ist sehr teuer und sehr schwierig. Da stellt sich natürlich die große Frage, ob wir das wirklich stellen können (...) das ist vor allem notwendig, denn es geht hier um Staatsaufbau in diesen Regionen."
Steuerbehörden, Polizeiapparate und Justizsysteme aufzubauen, ist ein undankbarer Job. Es ist mühsam, extrem teuer und die Erfolge sind in der Öffentlichkeit nicht darstellbar. Man sieht sie nicht mit bloßem Auge.
Aber genau in diesem Bereich liegt die Stärke der Europäischen Union. Hier hat sie Erfahrung, schließlich hat sie entscheidend dazu beigetragen, aus zehn ehemals kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa marktwirtschaftliche Demokratien zu machen.
Die Europäische Union ist dabei, ihren Stil der weltweiten Einflussnahme zu finden: Zivil-militärische Krisenprävention und - Intervention, immer unter Rückgriff auf eine Legitimierung durch die UNO. Diese Strategie ist sicher ein Ergebnis der militärischen Schwäche, aber auch der Erfahrung Europas, wie viel man mit ziviler Unterstützung erreichen kann.
Doch selbst bei diesen Kriseninterventionen spielen die nationalen Interessen nach wie vor eine große Rolle. Im Kaukasus z.B. hätte die EU schon längst zivil und militärisch in die jahrelangen Konflikte eingegriffen. Das allerdings hat Berlin bisher verhindert - gegen eine breite Mehrheit der EU-Mitgliedsländer. Berlin will Moskau nicht verärgern.
Bei allem guten Willen zur Zusammenarbeit: Oft genug schlagen die nationalen Interessen der Mitgliedsländer spürbar durch. Am deutlichsten wurde das beim Irakkrieg und zuletzt bei der Diskussion um den US-Raketenschild. Viele EU-Staaten waren die Beziehungen zu den USA wichtiger als eine einheitliche europäische Position.
Doch in einigen Ländern scheint es bereits ein Umdenken zu geben. Der tschechische Sozialdemokrat Libur Roucek, stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlamentes, über die Diskussion in seiner Heimat:
"Jetzt nach der Irakinvasion, vor zwei Jahren, gab es eine Meinungsumfrage, wie sie die amerikanische Außenpolitik sehen und dreiviertel der Bevölkerung haben geantwortet, die Amerikaner kümmern sich nur um sich selbst. Die verteidigen nur amerikanische politische und ökonomische Interessen. Die schauen nicht auf Europa."
Jedes EU-Mitglied hat seine nationalen Traditionen und Ängste, die sich in der Außenpolitik widerspiegeln und die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik beeinflussen: Ob es um Polen und Russland geht, um Belgien und seine Kongo-Politik, Spanien und Lateinamerika, oder eben Großbritannien und die USA. Manchmal ist es hilfreich, weil die Länder ihre besonderen Erfahrungen einbringen können, aber oft genug behindert es das gemeinsame Vorgehen. Aber es gibt auch positive Beispiele, wie das geschlossene europäische Auftreten gegenüber dem Iran. Und das gibt erfahrenen Außenpolitikern wie Daniel Cohn-Bendit, dem Vorsitzenden der Grünen im Europaparlament, die Zuversicht, dass jede interne Auseinandersetzung die europäische Außen- und Sicherheitspolitik letztlich stärker machen wird:
" "Die Europäer werden die Spaltung überwinden, in dem sie die Momente der Spaltung , die Krisen, auch verarbeiten: Das ist ein langwieriger Prozess. Das ist klar, und das wird noch ein paar Jahre dauern. Aber die Europäer werden immer mehr merken an diesen Krisen, dass sie auch gemeinsame Interessen haben. Dass sie gemeinsame Handlungsinteressen haben und so wird meiner Meinung nach sich diese Sicherheitspolitik immer stabiler entwickeln können. "