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Werkverträge - "das große Krebsgeschwür in dieser Gesellschaft"

Steinmetz-Mindestlohn oder Verträge für Leiharbeiter – die IG Metall habe viel erreicht, aber noch mehr vor, sagt ihr Vize Detlef Wetzel. Denn Leiharbeit, Werkverträge und Praktika seien zwar nicht grundsätzlich schlecht, aber derzeit herrsche großer Regulierungsbedarf.

Detlef Wetzel im Gespräch mit Birgid Becker |
    Birgid Becker: Detlef Wetzel will sich im November zum Vorsitzenden der IG Metall wählen lassen, als Nachfolger von Berthold Huber. Kurz vor Wetzels Wahl und noch kürzer vor der Bundestagswahl häufen sich nun die tarifpolitischen Erfolgsmeldungen. Es gibt einen neuen Entgelttarifvertrag für die Leiharbeitsbranche, im Metallbezirk an der Küste wurde der erste Tarifvertrag für Werkvertragsbeschäftigte unterschrieben und auch die Bundesregierung will nicht hintanstehen. Da wurde auf der letzten Kabinettssitzung vor der Wahl gerade noch ein neuer Mindestlohn für Steinmetze abgesegnet. – Den designierten Chef der Metallgewerkschaft habe ich vor der Sendung gefragt, wie es zum Eindruck kommt, dass alle tarifpolitischen Wünsche auf einmal erfüllt werden. Kann Wetzel also im November mit einem aufgeräumten Schreibtisch in der Frankfurter Metallzentrale anfangen?

    Detlef Wetzel: Na ich glaube, so ist es nicht. Ja, wir sind froh, dass wir das Thema "wir brauchen eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt" bei den Parteien verankert haben, dass jetzt in einigen Branchen Mindestlöhne verabredet worden sind, dass wir in der Lage waren, jetzt einen guten Tarifvertrag in der Leiharbeit abzuschließen. Aber das sind natürlich alles nur Etappen. Nach wie vor ist der Arbeitsmarkt in Unordnung. Wir haben die Leiharbeit noch nicht reguliert. Gleiche Arbeit für gleiches Geld ist noch nicht Wirklichkeit. Und wir haben das große Krebsgeschwür in dieser Gesellschaft, die Werkverträge, wo wesentliche Teile aus den Tarifverträgen, aus der Wertschöpfungskette unserer Industrie herausgebrochen worden sind und nun zu schlechteren Bedingungen von Menschen erbracht werden müssen. Wir haben befristete Arbeitsverhältnisse, wir haben 25 Prozent aller Menschen, die im Niedriglohn-Sektor arbeiten, wir haben noch ganz, ganz viel zu tun, und insofern ist der Schreibtisch nicht leer. Der ist überfüllt mit Problemen, die angepackt werden wollen.

    Becker: Trotzdem aber scheint ja in den letzten Tagen zu gelingen, was lange nicht klappte, und auch wenn die Politik nicht den Stift in der Hand hat. Da gibt es – Sie haben es eben angesprochen – das Tarifergebnis für die Leiharbeiter zwischen DGB und den zwei Arbeitgeberverbänden und es gibt den angesprochenen Tarifvertrag für die Werksbeschäftigten. Brauchen Sie eigentlich wirklich noch die Unterstützung der Politik, die Sie immer fordern?

    Wetzel: Wir brauchen die Politik. Wir machen als IG Metall oder als DGB schon eine ganze Menge mit unseren Instrumenten. Das was wir in den Betrieben gut regeln können, das regeln wir in den Betrieben. Das was wir durch Tarifverträge machen können, das machen wir durch Tarifverträge. Aber natürlich ist die Politik auch gefordert, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen, die wir machen müssen. Wir können zum Beispiel einen Tarifvertrag abschließen über die Höhe der Entgelte in der Leiharbeitsbranche. Wie lang ein Leiharbeiter aber überhaupt beschäftigt werden darf im Betrieb, das muss schon die Politik organisieren, und so gibt es viele Beispiele. Nein, die Politik ist aufgerufen, hier die Unordnung, die sie ja auf dem Arbeitsmarkt politisch herbeigeführt hat, auch wieder zu beenden. Es ist keine gute Perspektive, wenn 25 Prozent der Menschen in Deutschland im Niedriglohnsektor arbeiten, prekär beschäftigt sind, Generation Praktikum, Chancen in der jungen Generation vernachlässigt werden. Die Politik darf hier nicht nur zuschauen, sondern sie muss endlich wieder aktiv werden.

    Becker: Was macht es eigentlich so viel schwieriger, das Problem mit den Werkverträgen anzugehen, als das Thema Leiharbeit zu behandeln?

    Wetzel: Das Thema Werkverträge ist nicht so eindeutig zuordenbar. Es gibt ja vernünftige Werkverträge. Wenn die Heizung kaputt ist, dann hole ich einen Heizungsbauer. Wenn das Dach undicht ist, hole ich einen Dachdecker. Da will ja gar keiner gegenreden. Wir kritisieren zwei Dinge: einmal, dass es Missbrauch gibt, insofern, dass Werkvertragsbeschäftigte eingesetzt werden in den Betrieben und es gar keine wirklichen Werkverträge sind, sondern einfach nur schlecht bezahlte Leiharbeit ist. Oder es werden große Teile von Arbeit ausgegliedert, outgesourct, und sie werden nach wie vor erbracht, weil sie notwendig sind zur Fertigung eines Produktes, aber sie werden jetzt deutlich schlechter bezahlt, vielleicht 50, 60 Prozent weniger, als vorher die Menschen bei der gleichen Arbeit verdient haben. Das ist das große Problem, dass es kein einheitliches Thema gibt, unterschiedliche Werkverträge, und viele Einzelregelungen notwendig wären, um hier wieder eine Ordnung auch tarifpolitisch herzustellen. Das macht das Problem so schwierig, zumal ein ganz großer Unterschied auch noch vorhanden ist zur Leiharbeit: Betriebsräte bekommen keine Informationen in ihren Betrieben über das Ausmaß der Werkverträge. Sie haben keinerlei Mitbestimmungsmöglichkeiten, sie haben noch nicht mal vernünftige Informationsanrechte über Art und Ausmaß der Werkverträge, und das muss ganz dringend von einer neuen Bundesregierung geändert werden.

    Becker: Und da wäre auch der gesetzgeberische Ansatz, meinen Sie, denn ein ganzer Teil dessen, was ansonsten den Umgang mit Werkverträgen ausmacht, muss ja wohl auch zur unternehmerischen Freiheit gehören?

    Wetzel: Ja. Wir fordern deswegen eigentlich im Kern zwei Dinge zum Thema Werkverträge: Einmal, dass die Mitbestimmung der Betriebsräte verbessert wird, über Art und Umfang und Ausmaß von Werkverträgen mitzubestimmen, und dann fordern wir – das ist jetzt ein bisschen juristisch kompliziert – die Umkehr der Beweislast. Nicht mehr der Arbeitnehmer muss nachweisen, dass es ein illegaler Werkvertrag ist, sondern der Arbeitgeber muss nachweisen, dass es ein legaler Werkvertrag ist. Das würde schon arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen erleichtern. Das fordern wir zum Beispiel von der Politik. Wir sind aufgerufen als Gewerkschaften, dass die Belegschaften sich organisieren, dass sie Betriebsräte wählen, dass sie sich selbst auch anstrengen, durchsetzungsfähig zu werden, um eigene Tarifverträge abzuschließen. Das tun wir auch, da sind wir auf einem guten Weg und haben schon gute Erfolge. Aber die Politik muss diese beiden Dinge, Mitbestimmung der Betriebsräte und Umkehr der Beweislast, dringend in ein Gesetz gießen und sozusagen zur Anwendung bringen.

    Becker: Der Arbeitgeberpräsident, Dieter Hundt, geht davon aus, dass sich sowohl Union als auch die SPD und mit Einschränkungen sogar die FDP einig sind, dass der Einfluss der kleineren Spartengewerkschaften eingedämmt werden soll, nach einer Bundestagswahl per Gesetz – getreu dem Motto: ein Betrieb, eine Gewerkschaft. Die Großgewerkschaft Metall will diesen Weg auch gehen, der ja demokratietheoretisch betrachtet durchaus problematisch ist?

    Wetzel: Ja. Ich sage das mal so: Diese Gewerkschaftseinheit hat die IG Metall nicht so nötig. Bei uns im Organisationsbereich gibt es diese Fälle nicht. Das ist eher in einem Bereich unserer Schwestergewerkschaft ver.di, Flughäfen oder Bahngewerkschaften und Ähnliches. Ich glaube trotzdem, dass es sinnvoll ist und notwendig ist, darauf Wert zu legen, dass nicht jeder, der sich Gewerkschaft nennt, sozusagen eigenständig auftreten kann, Tarifverträge abschließt oder nicht abschließt. Es kommt schon darauf an, dass es eine gewisse Repräsentativität in den Betrieben gibt von Gewerkschaften, die legitimiert sein sollten, Verträge abzuschließen.

    Becker: Wie werden Sie sich denn da positionieren in einer womöglich künftigen Diskussion, wenn Sie jetzt zurecht sagen, Ihre eigene Organisation interessiert das nicht so sehr? Werden Sie die anderen unterstützen, oder werden Sie eher still beiseite stehen?

    Wetzel: Wir unterstützen die anderen, weil es schon auch ordnungspolitisch gute Gründe dafür, diese Gewerkschaftseinheit einzufordern. Wenn es nicht käme, würden wir als IG Metall damit auch gut leben können.

    Becker: Ich will Sie nun nicht fragen, was Sie von einer neuen Regierung nach der Bundestagswahl erwarten, auch wenn Sie das politisch neutral formulieren, wie sich das ja für eine Einheitsgewerkschaft gehört. Dann sind wir doch alle wach genug, um parteipolitische Präferenzen herauszuhören. Deshalb gleich anders gefragt nach Ihrer eigenen Wahl. Was wollen Sie denn an der IG Metall verändern, wenn Sie im November gewählt werden?

    Wetzel: Zuerst mal möchte ich versuchen, das, wo ich auch mit den letzten sieben Jahren zu beigetragen habe, dass die IG Metall eine erfolgreiche Gewerkschaft geworden ist, dass wir das fortsetzen. Darüber hinaus gibt es natürlich immer Anpassungsnotwendigkeiten, neue Situationen, neue Themen, neue Probleme, die müssen neue Antworten haben. Neben dem, das ich fortführen möchte, was wir gut begonnen haben in der IG Metall, sehe ich zwei große Themen: das Thema "Welche Zukunft hat unsere Marktwirtschaft, was heißt Marktwirtschaft in unserer Gesellschaft, was heißt Sozialstaat in unserer Gesellschaft" und das ganze große Thema der Mitbestimmung, der Partizipation. Mein Gedanke ist, sozusagen den Bürger am Arbeitsplatz mit Leben zu erfüllen. Wir brauchen mehr Demokratie, mehr Beteiligung in Gesellschaft und Wirtschaft, damit wir eine gute gesellschaftliche Entwicklung nehmen.

    Becker: Und noch einmal Wahlkampf, aber anders. Wenn man IG-Metall-Chef werden möchte, muss man da auch Wahlkampf machen, oder muss man da, wenn man vorgeschlagen wird vom ersten Vorsitzenden, keinen Wahlkampf machen?

    Wetzel: Ich kann das nur für mich beantworten. Ich hoffe, dass ich durch meine Leistungen in der Vergangenheit so viele Kolleginnen und Kollegen überzeugt habe, dass ich der richtige bin, dass ein Wahlkampf im klassischen Sinne nicht nötig ist, zumal ein Wahlkampf in dem klassischen Sinne der Parteien in der IG Metall sowieso nicht stattfindet. Ich hoffe, durch meine guten Leistungen der Vergangenheit hier genügend punkten zu können.

    Becker: Detlef Wetzel war das, zweiter Mann bei der IG Metall, der sich im November an die Spitze wählen lassen will.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.