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Werner Mittenzwei: Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945 - 2000.

Zur letzten Rezension unserer heutigen Sendung, zu einem Buch aus der Feder des Brecht-Biographen Werner Mittenzwei. Während der Name des 1927 geborenen Literatur- und Theaterwissenschaftlers in der einstigen DDR weithin bekannt ist, dürfte Mittenzwei in westdeutschen Kulturkreisen - wenn überhaupt - vornehmlich als Mitherausgeber der Großen kommentierten Brecht-Ausgabe präsent sein. Als Mitglied der Akademien der Wissenschaften und der Künste, des DDR-PEN, als Direktor des Instituts für Literaturgeschichte und in Leitungsfunktionen beim Berliner Ensemble konnte Mittenzwei über Jahrzehnte hinweg Innenansichten in den Kultur- und besonders Literaturbetrieb der DDR nehmen, die er jetzt zu einem Buch über die "DDR-Intellektuellen" verarbeitet hat. Jacqueline Boysen stellt es Ihnen vor:

Jacqueline Boysen |
    Zur letzten Rezension unserer heutigen Sendung, zu einem Buch aus der Feder des Brecht-Biographen Werner Mittenzwei. Während der Name des 1927 geborenen Literatur- und Theaterwissenschaftlers in der einstigen DDR weithin bekannt ist, dürfte Mittenzwei in westdeutschen Kulturkreisen - wenn überhaupt - vornehmlich als Mitherausgeber der Großen kommentierten Brecht-Ausgabe präsent sein. Als Mitglied der Akademien der Wissenschaften und der Künste, des DDR-PEN, als Direktor des Instituts für Literaturgeschichte und in Leitungsfunktionen beim Berliner Ensemble konnte Mittenzwei über Jahrzehnte hinweg Innenansichten in den Kultur- und besonders Literaturbetrieb der DDR nehmen, die er jetzt zu einem Buch über die "DDR-Intellektuellen" verarbeitet hat. Jacqueline Boysen stellt es Ihnen vor:

    Du kannst nicht glücklich sein, wenn Du zuviel behalten willst Und auch nicht, wenn Du was willst, was zuviele nicht wollen Laß Dein Schiff leicht, laß leicht zurück Laß auch das Schiff leicht zurück, wenn man Dir rät Deinen Weg landeinwärts zu nehmen.

    Der Germanist Werner Mittenzwei hält sich wie kaum ein zweiter an die Worte Bert Brechts - kein Wunder, ist er doch dessen Biograph und Herausgeber der Großen Kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe der Brechtschen Werke. Mittenzwei, lange Jahre Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Künste der DDR, hat ein havariertes Schiff zurückgelassen und ist landeinwärts gezogen. Nun blickt er zurück auf das Kultur- und Geistesleben der gestrandeten, vermeintlich besseren Deutschen Demokratischen Republik, in der auch er einen Platz gewissermaßen an einem Seitenruder innehatte. Den Protagonisten des einst volkseigenen Kulturbetriebs gilt Mittenzweis Interesse, den Intellektuellen, wie es im Titel heißt und wie Mittenzwei auch gleich einführend erklärt:

    Kaum eine andere Schicht der Gesellschaft wurde so widersprüchlich charakterisiert wie die Intellektuellen. Man hob sie auf die Königsebene, bezeichnete sie als Götter, die keine waren, pries ihre besten Vertreter als das Gewissen Europas oder beschimpfte sie als Bußgemeinde für die Hauptlasten und die Schande der Nation.

    Systematisch erklärt Mittenzwei seinen philosophisch untermauerten Begriff vom Intellektuellen und dessen politischer Rolle. Schon der Untertitel des Bands macht deutlich, dass er in erster Linie die Literaten der DDR meint, deren Auseinandersetzung mit der Staats- und Parteiführung er zum Teil minutiös, aber nie unnötig kleinpusselig schildert. Der Blick des einstigen SED-Mitglieds richtet sich dabei ausschließlich auf jene, die der Staat gewähren, also publizieren ließ - um die zentrale Schwäche des umfangreichen Werkes gleich vorwegzunehmen.

    Sprach Johannes R. Becher 1947 - mit dem Idealismus des aus geistiger Enge Befreiten - noch von der "Großmachtstellung der Literatur" in der künftigen Gesellschaft, so lässt die Darstellung Mittenzweis erkennen, wie rasch diese Macht verloren ging, wie die politisch Mächtigen ihre geistige Elite zerrieben, Abhängigkeitsverhältnisse schufen und schließlich Literatur plump instrumentalisierten. Die Zuspitzung erreicht der Prozess bekanntlich unter Walter Ulbricht, dessen Biedermeierlichkeit zum Entsetzen der Intelligenz die Staatsästhetik prägen sollte - wie spätestens seit der 2. Bitterfelder Konferenz klar geworden war.

    Bitterfeld 1964 muss vor allem sein Weltbild, seine Weltanschauung sein. Es hat in der Geschichte der realistischen Kunst wohl keinen bedeutenden Künstler gegeben, dem die Welt und die Wirklichkeit nur als eine Ansammlung von mannigfachen Tatsachen und Verhaltensweisen erschienen wäre, der nicht nach ihrem inneren Bau, nach den großen Zusammenhängen gefragt hätte. Zur großen Kunst bedarf es heute mehr denn je eines großen Weltbildes, der Erkenntnis und des Bewusstseins der Perspektive der Entwicklung. Das ist das Entscheidende.

    Der Erste Sekretär des Zentralkomitees der SED und Staatsratsvorsitzende war sich nicht zu fein, eine Debatte über die Gestaltung von Blumenvasen vom Zaun zu brechen:

    Die Dresdner Ausstellung für Industrie- und Formgestaltung zeigte damals Vasen von Hubert Petras in der Bauhaustradition, die Ulbrichts Unmut hervorriefen. ... Die Vasen, im Neuen Deutschland beschrieben als weiße und graue Röhren, oben und unten glatt abgeschnitten, ohne Dekor, wurden als Zeugnis "schrecklicher Verarmung" hingestellt. Die offizielle Kritik sah darin ein Zeichen dafür, dass die Künstler das Kampffeld aufgegeben hätten, ihnen nicht mehr einleuchte, dass die Kunst in ihrer Gesamtheit Klassencharakter trage. Die Polemik ging direkt von Walter Ulbricht aus, aber die gesamte Presse machte sie sich zu eigen, wenn auch nicht ohne Widerspruch. Für Ulbricht und seine Frau Lotte war Grau keine Farbe, die Werktätigen wollten nach ihrer Meinung so etwas nicht. Auf einer Beratung fanden Künstler, Ulbricht gehe zu weit. Vor allem die Mitglieder des Berliner Ensembles entgegneten dem Staatsratsvorsitzenden mit Schärfe, was Ulbricht noch mehr empörte. Brecht hatte sie empfänglich gemacht für die Schönheit des Einfachen. Der Dichter behauptete gern von sich, ihm seien alle Farben recht, wenn sie nur Grau seien.

    Von Henry Fords gleichlautendem Plädoyer für alles Schwarze erzählt Mittenzwei hier nicht, auch verschweigt er, dass Blumen im Realsozialismus ein so seltenes Luxusgut waren, dass man die Vasengestaltung getrost hätte einstellen können. Der Literaturwissenschaftler schildert die beispielhafte Auseinandersetzung ohne Häme oder Überheblichkeit und ? ohne den Beteiligten die Schlussfolgerung zu ersparen.

    Sich in die Machtspiele Ulbrichts einbezogen zu sehen, war für die Künstler eine schwer zu durchschauende Angelegenheit. Man konnte Probleme zur Sprache bringen, die auf dem Weg durch die Bürokratie abgebremst oder weggedrängt wurden. Ungerechtigkeiten und Ungeschicklichkeiten der unteren Behörden konnten schneller behoben werden. Auch lernten Ulbricht und sein Apparat manches, was den Künstlern und der Kunst wieder zugute kam. Das alles hatte etwas Verführerisches. Welchen Künstler und Schriftsteller verlangte es nicht nach Publicity für sich und sein Werk. Wer von Ulbricht eingeladen oder ins Gespräch gezogen wurde, kam in die Presse und auf den Bildschirm. Kein Kreis- oder Bezirkssekretär der Partei, keine staatliche Einrichtung konnte an einem Künstler vorbeigehen, der von Ulbricht eingeladen worden war. Schikanen des unteren Apparats blieben ihm erspart. Und hatten die Künstler nicht schon immer nach direkter Mitsprache und Mitgestaltung verlangt! Sie konnten schwer ausschlagen, was sie selber gefordert hatten.

    In den vergangenen zehn Jahren sind bergeweise Betrachtungen über Schriftsteller im SED-Staat erschienen, Apologien und Abrechnungen jeglicher Couleur. Wozu also nun noch Mittenzwei? Der fast 75-jährige Autor ist ein kompetenter Zeitzeuge - und genau dies macht den Reiz seiner ausführlichen Schilderung der Konflikte zwischen Schriftstellern und Funktionären, zwischen Verlagen und Zensoren, zwischen Macht und Meinung aus. Er schreibt kein Tagebuch, aber der Leser spürt, Mittenzwei hat mitgerungen, mitgefochten, sein eigenes Weltbild gepflegt, auch kapituliert, sich aber wieder aufgerappelt - er weiß, wovon er schreibt, auch wenn er mit den alten Scheuklappen versehen weiterhin die Existenz von Gegenliteratur konsequent ignoriert.

    Werner Mittenzwei muss sich weder für seine SED-Mitgliedschaft rechtfertigen, noch muss er sich vor der Übermacht einer selbstgerechten westdeutschen Germanistik ducken. So könnte er auch souverän jenen verdienstvollen Untersuchungen Tribut zollen, die sich mit den unappetitlichen Verflechtungen zwischen Literaten und dem Ministerium für Staatssicherheit beschäftigen - doch hier blockiert der Autor geradezu verbohrt, obgleich er selbst Mechanismen der Unterdrückung durch die Staatspartei glasklar beschreibt. Vielleicht hält er sich hier zu eng an eine Brechtsche Weisheit:

    Verfolgt das Unrecht nicht zu sehr, in Bälde Erfriert es schon von selbst, denn es ist kalt.

    Klug gewählt ist die zeitliche Begrenzung, die Werner Mittenzwei für seine Untersuchung gewählt hat: Wie andere Germanisten und Historiker beginnt seine Erzählung bereits mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, so dass er ausführlich die Konflikte zwischen den Daheimgebliebenen und den Schriftstellern im Exil und deren weltanschauliche Differenzen schildern kann.

    Sein Betrachtungszeitraum reicht bis ins Jahr 2000 ? weniger weil die Zahl das schwierige Jahrhundert hübsch abschließt, sondern weil das Geistesleben Ost mit dem Beitritt zur Republik West keineswegs erloschen ist. Seine Besonderheit kristallisiert sich vielfach erst jetzt heraus, nimmt unter den neuen Bedingungen neue Form an: Welterklärer alter Schule versuchen, den aus dem mystifizierten Leseland DDR Entlassenen Orientierung zu geben, andere hadern mit sich selbst, richten wortgewaltig oder auch zerknirscht über das Vergangene, wieder andere müssen feststellen, dass sie wohlwollender Kritik aus dem Westen einst nur deshalb teilhaftig wurden, weil sie einen Status als Exoten genossen. Kurz - das Erbe der DDR lebt in ihren Intellektuellen fort. Und also auch in Werner Mittenzwei. Darum sind die Schlusskapitel seines Werkes besonders aufschlussreich. Hier kann der Wissenschaftler und Zeitzeuge sich nicht auf die nüchterne Narration beschränken. Er löst die Distanz zum Gegenstand seiner Studie auf und verfällt dabei leider in verstaubte Dialektik ? gelernt ist eben doch gelernt. Die Theoretiker erhalten das Wort, Lenin sowie Marx, auch Aristoteles und Christa Luft, Schumpeter und Dahrendorf gehörten eigentlich nicht hierher. Mittenzwei könnte es sich erlauben, auch ohne schwergewichtige Kronzeugen von "Umwälzungen aller bisherigen Verhältnisse in radikal erneuerter Fassung" zu träumen. Warum traut sich ein anerkannter sozialistischer Brecht-Herausgeber nicht, die Vision einer gerechten Gesellschaft selbst zu entwickeln?

    Die Wissenschaft, die Theorie liefert dazu noch keinen Fingerzeig. Auch sollte man nicht so sicher sein, dass ein zweiter Anlauf gelingt. Der Fortschritt ist kein kontinuierliches Fortschreiten. Dazwischen liegen Katastrophen.

    Jaqueline Boysen über: Werner Mittenzwei: Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945 - 2000. Faber & Faber Verlag Leipzig 2001, 528 Seiten zum Preis von EUR 29,70. Soviel für heute in unserer Sendung "Politische Literatur". Am Mikrofon verabschiedet sich - mit Dank für Ihr Interesse - Marcus Heumann. Guten Abend.