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Westafrika
"Das Leben nach Ebola ist schlimmer als die Krankheit"

Es gibt erfreuliche Meldungen über den Rückgang von Ebola, aber die Epidemie ist längst noch nicht vorbei. Schulen bleiben aus Angst vor Infektionen geschlossen, Überlebende werden ausgegrenzt, Angehörige der Opfer finden keine Zeit zum Trauern. Die psychischen und wirtschaftlichen Folgen des Massensterbens sind enorm.

Von Alexander Göbel | 03.02.2015
    "Bye Bye Ebola!" rufen die Menschen in Liberias Hauptstadt Monrovia. Eine Art Karnevalsumzug mit Musikkapellen und Tanzgruppen führt durch die engen Straßen, Tausende feiern, als hätten sie das tödliche Virus schon besiegt. Tatsächlich hat es in den vergangenen Tagen keine neuen Ebola-Fälle in Monrovia gegeben. Insgesamt ist die Rede von deutlich weniger Neuinfektionen im Land. Zum Jubeln sei es aber viel zu früh, findet Amos Jessy – von den "Ebola-Afterparties", die schon in manchen Kneipen veranstaltet werden, hält er gar nichts.
    "Wir sollten uns nicht täuschen – Ebola ist noch nicht vorbei. Ebola ist in Liberia."
    Das musste auch Liberias Regierung einsehen. Eigentlich sollten die Schulen des Landes ab sofort wieder öffnen, nun wurde der Termin kurzfristig um 14 Tage verschoben. Offizielle Begründung: Es müsse erst noch Desinfektionsmaterial in allen Schulen verteilt werden. In Wahrheit aber dürfte das Bildungsministerium Angst haben, vermutet Amos Jessy. Angst vor Ebola.
    "Man kann die Bewegung von Erwachsenen kontrollieren, aber nicht die von Kindern. Wenn die Schulen nicht vorbereitet sind, dann könnten sich Kinder bei ihren Mitschülern anstecken, die Kinder tragen die Krankheit nach Hause zu ihren Eltern. Und das ganze Drama geht wieder von vorne los."
    Amos Jessy weiß, wovon er spricht. Wie durch ein Wunder hat er Ebola überlebt – bis heute kann er sich nicht erklären, wie er sich jemals anstecken konnte. Alle Vorsichtsmaßnahmen hatte er befolgt, keine Hände mehr geschüttelt, sich von Kranken ferngehalten – umso größer war der Schock. Ebola, sagt er, sei die Hölle auf Erden gewesen.
    Überlebende werden gemieden
    Heute würde Amos Jessy gerne anderen Mut machen, dass man Ebola überleben kann. Aber die Menschen meiden ihn.
    "Das Leben nach Ebola ist schlimmer als die Krankheit. Alles, was ich besaß, haben die Behörden zerstört, weil es ja kontaminiert sein könnte. Aber vernichtend ist, wie wir als Überlebende ausgegrenzt werden - von unseren Gemeinden, von Arbeitskollegen. Wir werden behandelt wie Außerirdische, die nicht existieren, wir gelten als verhext. Das Leben nach Ebola ist die größte Herausforderung, die man sich vorstellen kann.
    Eine einzige Qual ist dieses Leben auch für Brian Lomax. Der 26-Jährige wurde von seiner eigenen Familie verstoßen.
    "Ich bin hier in diesem Viertel hier geboren, da hinten steht unser Haus! Aber mein Vater hat mir verboten, es jemals wieder zu betreten. Er will mich nicht mehr sehen, er sagt, ich würde das Virus mitbringen und den Rest der Familie anstecken."
    Kein Dank und kein Geld von der Regierung
    Eine junge Frau betet in der Nähe von Monrovia für ein Ende der Ebola-Epidemie.
    In den vergangenen Tagen gab es keine Neuansteckungen in Liberia. (picture alliance / dpa / Ahmed Jallanzo)
    Ebola hatte Brian nie, nicht einmal Fieber – aber niemand will etwas mit ihm zu tun haben. Brian hat Ebola-Tote eingeäschert, im Krematorium von Margibi County, im Osten von Monrovia. Wegen der hohen Infektionsgefahr bei traditionellen Bestattungen hatte Präsidentin Johnson-Sirlieaf im vergangenen August angeordnet, alle Leichen zu verbrennen: Niemand wollte diese Arbeit machen. Brian Lomax machte sie, um seinem Land zu helfen. Manchmal waren es mehr als einhundert Leichen auf einmal. Auf seine Bezahlung wartet er bis heute vergeblich.
    "Es ist bitter – wir haben hier unser Leben riskiert - aber nach allem, was wir getan haben, werden wir nicht einmal bezahlt. Die letzten Wochen habe ich hier niemanden mehr gesehen."
    Ohne Geld und ohne richtiges Zuhause lebt Brian auf dem Gelände des Krematoriums. Mittlerweile ist es geschlossen, die Behörden lassen es verfallen. Nachts legt Brian seine Matratze zum Schlafen über die großen Regentonnen aus Blech. Darin sind die Knochen der verbrannten Ebola-Toten gesammelt. Urnen für eine anständige Beerdigung haben die Angehörigen nie bekommen, obwohl die Regierung sie versprochen hatte. Brian hat die Tonnen nach Monaten und Tagen beschriftet: So können die Menschen vielleicht wenigstens rekonstruieren, in welcher Tonne sich die Überreste eines Familienmitglieds befinden. Möglicherweise.
    Jetzt sind die wirtschaftlichen Folgen zu spüren
    Abgesehen davon, dass Einäschern in Liberia eigentlich nicht üblich ist: Viele Menschen werden sich nie von ihren Toten verabschieden können, sagt Brian. Hunderte Leichen musste er nach dem Verbrennen einfach in einem Massengrab verscharren - es gab nicht genug Regentonnen.
    Es fehle einfach an allem, sagt Mark Goldring von der Hilfsorganisation Oxfam: Ebola schlage gerade zum zweiten Mal zu.
    "Die Volkswirtschaften vor allem von Liberia und Sierra Leone sind wegen der Ebola-Krise stark geschrumpft – die Wachstumsraten, die durchaus ermutigend waren, hat das Virus sozusagen längst aufgefressen. Die Leute brauchen Geld, die Kinder müssen in die Schule. Die Preise für Lebensmittel sind stark gestiegen, und wir glauben, dass weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung hier deutlich weniger zu essen hat."
    Hunger, Armut, der Zusammenbruch der Gesundheitssysteme und der Landwirtschaft, die Flucht der Investoren: Die Region brauche dringend einen Marschall-Plan, sagt Goldring, um wenigstens die sichtbarsten Folgen der Ebola-Epidemie zu bekämpfen. Dann erst hätten die Menschen Kraft für den nächsten langen Kampf: gegen das Ebola-Trauma.