Mittwoch, 17. April 2024

Archiv

Westbalkan-Staaten
McAllister: EU kann noch mehr Hilfe leisten

Nach Ansicht des CDU-Europaabgeordneten David McAllister kann die Europäische Union den Westbalkan bei der Bewältigung des Flüchtlingszustroms aus Kriegsgebieten noch stärker unterstützen als bisher. Das Problem habe eine neue Größenordnung erreicht, sagte McAllister im DLF. Für Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Westbalkan selbst sei das deutsche Asylrecht nicht vorgesehen.

David McAllister im Gespräch mit Peter Kapern | 27.08.2015
    David McAllister im EU-Parlament in Straßburg
    David McAllister im EU-Parlament in Straßburg (picture alliance/dpa/Patrick Seeger)
    In Deutschland müsse man sich auf Asylbewerber aus Kriegsgebieten konzentrieren und den Flüchtlingsstrom aus dem Westbalkan eindämmen, sagte McAllister. Der CDU-Politiker plädierte für Projekte zur Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort. Auch müsse dort darüber informiert werden, dass fast alle Asylanträge aus dem Balkan in Deutschland abgelehnt würden. Albanien, Kosovo und Montenegro sollten zu sicheren Herkunftsländern erklärt und die Asylverfahren beschleunigt werden. "Letztlich geht es darum, finanzielle Anreize, um nach Deutschland zu kommen, zu verringern", so McAllister.

    Das Interview in voller Länge
    Peter Kapern: Bei uns am Telefon ist David McAllister von der CDU, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament und Experte für den Balkan. Guten Morgen, Mr. McAllister.
    David McAllister: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Herr McAllister, was kann die Wiener Konferenz eigentlich ändern am Zustrom von Flüchtlingen vom Balkan und über den Balkan?
    McAllister: Ich finde es zunächst gut, dass die Westbalkan-Konferenz wieder stattfindet. Das ist ja ein Prozess, der im letzten Jahr mit der Konferenz in Berlin eingeleitet wurde, dass einmal im Jahr sich die Staats- und Regierungschefs, die Außen- und Wirtschaftsminister der Balkanländer mit den hochrangigen Vertretern der Europäischen Union treffen. Ursprünglich sollte es in der Tat um die Themen Verkehrs- und Energieinfrastruktur, um regionale Kooperation gehen. Jetzt wird natürlich das Thema Flüchtlings- und Asylpolitik die zentrale Rolle spielen und ich wünsche mir von dieser Konferenz in Wien ein klares Signal, dass wir in Europa die Asyl- und Flüchtlingspolitik gemeinsam nur gestalten können und wollen, und zum zweiten, dass die westlichen Balkanländer eine europäische Perspektive nach wie vor haben.
    Balkanländer - zwischen Transit und Auswanderung
    Kapern: Und so ein Signal, wie auch immer das dann aussehen mag, sorgt dann dafür, dass weniger Menschen über den Balkan und vom Balkan kommen?
    McAllister: Die westlichen Balkanländer sind ja in doppelter Hinsicht betroffen. Zum einen sind sie Transitland für viele Zehntausende von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten und aus Afrika. Hier gilt es, kurzfristig den Ländern zu helfen, die zum Teil völlig überfordert sind mit den vielen Menschen, die kommen. Da leistet die Europäische Union bereits Unterstützung, da kann noch mehr geleistet werden.
    Auf der anderen Seite sind aber die westlichen Balkanländer auch selbst der Ursprung von Migrationsbewegungen nach Europa. Das hat andere Gründe und auch die müssen in Wien angesprochen werden.
    Kapern: Sie sagten, den Ländern muss kurzfristig geholfen werden, weil sie Transitländer sind. Bleiben wir mal zunächst bei diesem Aspekt. Nun ist in den Agenturen heute früh zu lesen, dass die EU-Kommission diesen Ländern und der Türkei ab September sage und schreibe acht Millionen Euro zur Verfügung stellen will, damit die Flüchtlinge besser identifizieren und versorgen können. Das, Mr. McAllister, ist, glaube ich, noch etwas weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein, oder?
    McAllister: In der Tat! Die Europäische Union beginnt jetzt, Unterstützung zu geben. Da ist noch Raum für mehr, "room for improvement", wie der Engländer sagt. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, allen voran Deutschland, geben auch Unterstützung. Die Amerikaner fangen jetzt an, Unterstützung zu geben. Aber unbestritten ist, dieses Problem hat eine Größenordnung bekommen, wo wir über eine ganz andere Schwerpunktsetzung unserer Entwicklungs- und Außenpolitik insbesondere in unserer direkten Nachbarschaft reden müssen.
    Verwendung von EU-Fördermitteln kontrollieren
    Kapern: Nun fließen aber doch schon seit vielen Jahren Millionen und Abermillionen Beträge aus den Kassen der EU in die Staaten des westlichen Balkans, auch um die Wirtschaft dort zu verbessern, auch um die Möglichkeiten für junge Menschen, dort Arbeit zu finden, zu verbessern. Das alles funktioniert nicht. Woran liegt das? Taugt die EU-Politik nichts, oder taugen die Regierungen in den Westbalkanländern nichts?
    McAllister: Die Europäische Union unterstützt seit einigen Jahren den westlichen Balkan ganz intensiv mit Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen. Das ist auch richtig so, das ist auch in unserem Interesse, dass sich diese Region politisch und wirtschaftlich weiter stabilisiert. Aber in der Tat: Es ist ein langer und steiniger Weg. Ich bin immer dafür, das Geld, was gegeben wird, kritisch zu überprüfen, ob es sinnvoll und richtig verwendet wird. Ich würde mir wünschen, dass die Projekte noch konkreter auf die tatsächliche Schaffung von Arbeitsplätzen und wirtschaftlichem Wachstum sich konzentrieren.
    Kapern: Aber jetzt lassen Sie mich noch mal nachfragen. Wer hat da bislang versagt? Die Regierungen dort vor Ort oder die EU-Bürokratie?
    McAllister: Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat den westlichen Balkan enorm hart getroffen. Hinzu kommt, dass es 2014 eine verheerende Flut gegeben hat, die Länder wie Serbien, Bosnien auch sehr stark zurückgeworfen hat. Ich bin aber auch dafür, die sechs westlichen Balken-Länder differenziert zu betrachten. Ich würde sie nicht pauschal immer in einen Topf werfen. Die wirtschaftliche Entwicklung in Serbien ist in den letzten zwölf Monaten aus meiner Sicht besser als in anderen Ländern. Die Regierung von Aleksandar Vucic legt einen eindrucksvollen finanz- und wirtschaftspolitischen Reformkurs vor. Aber natürlich ist ein gängiges Problem auf dem Balkan die überall verbreitete Korruption und insbesondere in Ländern wie Kosovo gibt es noch sehr, sehr viel zu tun - leider.
    "Die Menschen kommen aus anderen Gründen nach Deutschland"
    Kapern: Bleiben wir noch mal beim Aspekt der Flüchtlinge aus diesen Westbalkanstaaten. Da findet ja so etwas wie ein Blame Game statt. Der serbische Ministerpräsident Vucic fordert nun eine Bekämpfung der sogenannten Pull-Faktoren. Das ist ein niedlicher Begriff dafür, dass er eigentlich eine drastische Reduzierung der Gelder fordert, die Flüchtlinge hier im nördlichen und mittleren Europa erhalten können. Hat er damit recht? Sind wir an dem Flüchtlingszustrom selbst schuld?
    McAllister: Über 40 Prozent der Asylbewerber bei uns in Deutschland kommen aus den sechs Ländern des westlichen Balkans. Aber diese Asylanträge werden zu 99,8 Prozent abgelehnt. Die Menschen kommen aus anderen Gründen nach Deutschland, aus nachvollziehbaren Gründen, sie kommen aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen nach Deutschland. Aber dafür ist das deutsche Asylrecht nicht vorgesehen. Und deshalb gilt es, uns zu konzentrieren auf die vielen Flüchtlinge und Asylbewerber aus den Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten, dass wir jetzt den Flüchtlingsstrom vom Westbalkan nachhaltig eindämmen. Dazu brauchen wir viele, viele Maßnahmen, insbesondere die wirtschaftliche Situation vor Ort zu verbessern. Wir brauchen eine Aufklärungs- und Informationskampagne vor Ort, dass Asylverfahren in Deutschland keine Chance haben. Wir sollten die drei Länder Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern erklären. Wir müssen die Asylverfahren beschleunigen und wir müssen dann abgelehnte Asylbewerber auch schneller rückführen.
    Letztlich geht es darum, finanzielle Anreize, um nach Deutschland zu kommen, zu verringern. Dazu haben die drei betroffenen Ministerpräsidenten jetzt sehr klare Worte gefunden. Aber das ist eine Entscheidung, die die deutsche Politik zu treffen hat.
    Kapern: Der Sie ja doch angehören, oder?
    McAllister: Natürlich gehöre ich der deutschen Politik an. Aber die Entscheidung beispielsweise, ob die drei Länder nun endlich zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden sollen oder nicht, die hätte seit Monaten im Bundesrat entschieden werden können. Das scheitert am Widerstand der rot-grünen Länder.
    Nun gibt es ja durch die Initiative von Angela Merkel und Francois Hollande einen neuen Anlauf, die Asyl- und Flüchtlingspolitik europaweit einheitlicher zu regeln. Ich begrüße das sehr. Das Thema muss jetzt auf die Tagesordnung. Wir können nur gemeinsam diese große Herausforderung meistern.
    McAllister will Höhe der Asylbewerber-Leistungen "ergebnisoffen diskutieren"
    Kapern: Und dann hatte ich Sie, Herr McAllister, auch noch gefragt nach Ihrer Meinung zu der Forderung des serbischen Ministerpräsidenten, die Gelder, die Flüchtlinge hier in Deutschland erhalten, zu kürzen.
    McAllister: Das durchschnittliche Monatseinkommen auf dem Balkan beträgt unter 500 Euro, in Serbien je nach Berechnung irgendwo zwischen 350 und 500 Euro. Natürlich wird es den einen oder anderen Asylbewerber aus dem Balkanland geben, der auch das für einen finanziellen Anreiz hält. Ob man finanzielle Leistungen durch Sachleistungen ersetzt, ob man die Geldsummen verringert, nochmals, das ist eine Frage, die ist im Asylbewerber-Leistungsgesetz geregelt und die muss der deutsche nationale Gesetzgeber regeln. Möglicherweise wird es auch eine gewisse Angleichung der Standards geben, wenn man dieses Thema auf der europäischen Ebene regelt.
    Kapern: Jetzt habe ich noch nicht ganz verstanden, ob Sie für die Kürzung der Mittel sind oder nicht.
    McAllister: Der serbische Ministerpräsident hat das ausgesprochen, was viele Experten auf dem Balkan vermuten. Über dieses Thema muss ergebnisoffen diskutiert werden, was ist im rechtlichen Rahmen möglich, auch mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Aber es ist nicht meine Aufgabe, diese Frage zu entscheiden. Das ist eine Frage der nationalen Politik.
    Kapern: Aber ich dachte, Sie hätten vielleicht eine Meinung dazu.
    McAllister: Ich habe sie versucht, Ihnen darzustellen.
    Kapern: Die Meinung ist - das habe ich noch immer nicht verstanden -, sollten diese Mittel jetzt gekürzt werden oder nicht?
    McAllister: Wir sollten über dieses Thema in Deutschland ergebnisoffen diskutieren.
    Kapern: Gut. Dann warten wir ab, wie diese Diskussion verläuft. Sie werden das ja sicherlich beobachten. - Das war David McAllister, der CDU-Europaabgeordnete, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr McAllister, danke, dass Sie Zeit für uns hatten.
    McAllister: Ja, bitte!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.