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Western von gestern mit Spaß von heute

Mit "Lone Ranger" liefert Gore Verbinski Witz und Unterhaltung, wilde Zirkus-Travestie und darunter überraschenden Ernst. Seine Kritik am heutigen Amerika versteckt er dabei wenig subtil - man kann den Film kaum ansehen, ohne an Afghanistan, an Abu Ghraib und an die NSA zu denken.

Von Rüdiger Suchsland |
    Totgesagte leben länger. Das bewiesen Johnny Depp und Gore Verbinski schon vor zehn Jahren, als sie mit "Fluch der Karibik" das von Hollywoodstudios längst aufgegebene Genre des Piratenfilms wiederbelebten. Nach spektakulären Reinfällen wurde es ein Welterfolg und inspirierte mittlerweile drei Fortsetzungen. Depp, nicht nur der bestbezahlte, sondern einer der kreativsten unter allen Superstars der US-Filmbranche, und Verbinski, ein immer noch junger, sehr kreativer Kopf, der die Filmindustrie nicht nur als Gelddruckmaschine begreift, sondern auch als Apparat, um kreativ zu erzählen und Neues zu schaffen, wissen, dass Kino dann am besten ist, wenn es gelingt, Popkultur und Klassik zu verbinden, und so die Mythologie eines Zeitalters zu kreieren - ein Unterfangen, das immer nur durch Rückgriff auf die Tradition funktioniert: Mit "Lone Ranger" versuchen sie nun das nächste Genre von den Toten aufzuwecken: Den Western.

    Nicht zufällig gehen sie dabei zurück zu den Ursprüngen des Kinos im Jahrmarkt. Mit den Cowboyträumen eines kleinen Jungen in den 1930er Jahren geht es los. In einem Museum, wo lebensgroße Figuren der "Wilden", von Amerikas Indianern also, ausgestellt werden, erwacht wie von Zauberhand einer von ihnen zum Leben - der von Johnny Depp gespielte Komantsche Tonto, der den Jungen nun, stellvertretend fürs Kinopublikum, in die eigentliche Handlungszeit führt: die Zeit der letzten Indianerkriege, des Eisenbahnbaus, der auch moralischen und politischen Zivilisierung des westlichen Nordamerika.

    So umständlich dieser fünfminütige Auftakt ist, so virtuos geht es nun weiter: mit Schießereien, einem Bankraub, einem Zugüberfall und der Einführung der wesentlichen Figuren im Minutentakt. Ein sehr lustiges Chaos, dessen Grundkonstellation schnell klar ist: Der weiße Staatsanwalt John und der Indianer Tonto sind irgendwo in Texas hinter der gleichen Räuberbande her. Deren brutaler Anführer Butch Cavendish ist ein Sadist - als noch größerer Schurke entpuppt sich bald aber der anfangs nur undurchsichtige Eisenbahn-Tycoon Latham Cole. Als Johns Bruder von Cavendish brutal ermordet wird und er selbst nur überlebt, weil man ihn für tot hält - auch dies eine Auferstehung von den Toten -, verwandelt er sich in den maskierten Gerechtigkeitskämpfer Lone Ranger, eine Art Batman des Wilden Westens, und geht auf Verbrecherjagd.

    "If we ride together, we ride for justice." - "Justice is what I seek, Kimosabe."

    Diese Figur des "Lone Ranger" ist eine Ikone der US-Popkultur. Zwischen 1933 und 1954 brachte sie es als Radioserie auf unglaubliche 2956 Episoden, und schuf zur Musik von Rossinis "Wilhelm Tell"-Ouvertüre prägende Kindheitserlebnisse für eine ganze Generation von US-Jugendlichen, später war sie auch als Fernsehreihe erfolgreich, es gab Filme und Comics.

    Verbinskis "Lone Ranger" ist demgegenüber etwas völlig anderes - eine zugleich hochunterhaltsame, spektakuläre Zirkusshow und ein brandaktueller Blick auf den Western und Amerika. Verbinski zeigt: Der Western ist nicht nur reaktionärer Männermythos, in dem die geistigen Nachfolger John Waynes sich an richtigem Mannsein, und ihrer Vorstellung alttestamentarischer Gerechtigkeit ergötzen dürfen. Er ist auch Anarchie und Freiheit, ja Befreiung im allerbesten Sinn. Denn wenn dieser Film überhaupt irgendetwas ist, dann ist er Witz und Unterhaltung, wilde Zirkus-Travestie, und darunter dann überraschender Ernst. Denn dieser Film zeigt eine "Eroberung" des Westens, die ganz wörtlich zu begreifen ist: Als brutale Landnahme, bei der Indianer massakriert wurden, und daneben auch viele Weiße unter die Räder kamen, bei der chinesische Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden, und ein militärisch-industrieller Komplex aus Eisenbahn und Kavallerie ein autoritäres Regime führt - die Kritik am heutigen Amerika ist hier kaum noch subtil.

    So ist "Lone Ranger" ein hochunterhaltsamer Mix aus Operette und Tragödie, ein Film, der 3-D nicht braucht, um interessant zu sein, der uns nebenbei wunderbare Klassiker ins Gedächtnis ruft, von Buster Keatons "Der General" über "Der Große Eisenbahnraub" und Sergio Leones "Es war einmal im Wilden Westen" bis zu Arthur Penns revisionistischem Western "Little Big Man", der auch schon im Vernichtungskrieg gegen die Indianer das Schicksal Vietnams spiegelte - so wie man jetzt "Lone Ranger" kaum ansehen kann, ohne an Afghanistan, an Abu Ghraib und an die NSA zu denken. Ein kleines Kino-Wunder, dass "Lone Ranger" trotzdem Spaß macht.