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Wettbewerb im Gedankenlesen

Informatik. - Normalerweise teilt man einem Computer per Maus und Tastatur mit, was er zu tun hat. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, den Rechner zu steuern. Zu den ungewöhnlichsten könnte die Steuerung durch Gehirnströme zählen. Die Idee dabei: Ein EEG zeichnet auf, was sich im Kopf des Nutzer abspielt. Der PC versucht aus diesen Daten zu erraten, was der Nutzer von ihm will. In einem Wettbewerb versuchen Berliner Forscher jetzt, die besten "Gedankenleser" unter den Computerprogrammen zu finden.

    Am Fraunhoferinstitut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik, FIRST, in Berlin. bereiten die Forscher ein Experiment vor: Sie wollen "Gedanken lesen". Benjamin Blankertz verkabelt dazu zwei Probanden mit merkwürdigen Badekappen auf dem Kopf: "Das ist eigentlich etwas Konventionelles: Diese Hirnstrommessung an der Kopfhaut, das so genannte Elektroenzephalogramm, EEG, wird auch in der Klinik gemessen." Die Datenflut aus dem Kopf, bestehend aus 128 gezackten Gehirnstromlinien, soll von Computerprogrammen weiterverarbeitet werden. Bewegt der Proband beispielsweise in Gedanken die rechte Hand, dann schiebt der Computer ein Kreuz auf dem Bildschirm nach rechts. Wackelt die Testperson gedanklich mit dem linken Fuß, wandert das Kreuz nach links.

    Die große Schwierigkeit dabei: Während der Proband in Gedanken die rechte Hand hebt, könnte ihm ja gleichzeitig der rechte Zeh jucken oder ein Auge zucken. Die Gehirnströme sehen dann womöglich ganz anders aus. Also muss der Computeralgorithmus regelrecht lernen, die eigentliche Absicht des Menschen, hier also das Heben der rechten Hand, aus dem gesamten EEG-Strom herauszufiltern. Dafür "belauscht" der Rechner die Probanden eine Zeitlang dabei, wie sie vorgeschriebene Rechts-Links-Entscheidungen treffen, erklärt Professor Klaus-Robert-Müller vom FIRST: "Es kommt auf dem Bildschirm der Buchstabe L und in dem Moment muss ich mir die linke Hand vorstellen. Dann kommt ein F und ich stelle mir den Fuß vor. Dann ein R - ich stelle mir die rechte Hand vor, und so weiter. So lange diese Buchstaben auftauchen, müssen sich die Probanden eben ganz munter etwas vorstellen."

    Um den besten Gedankenleser unter den Computer-"Telepathen" zu finden, haben sich die Berliner Forscher einen Wissenschaftswettbewerb ausgedacht. Im Internet veröffentlichen sie eigene EEG-Aufzeichnungen als zwei Datensätze zum Herunterladen. Einer ist als Trainingsmaterial gedacht: Bei ihm ist bekannt, welcher Teil der Daten welche Körperbewegung verschlüsselt. Ein zweiter Gehirncode ist geheim: Er muss geknackt werden. Benjamin Blankertz: "Alle Leute, die mitmachen, können ihre Lernalgorithmen an diesem Trainingsdatensatz trainieren und müssen sie dann anwenden auf diese unbekannten Daten." Über 60 Forschungsgruppen weltweit haben sich auf den Wettstreit eingelassen. Die Liste der Gewinner und ihrer siegreichen Algorithmen wird in einem Fachmagazin veröffentlicht, aber auch die Verlierer werden genannt. Das macht die Sache so spannend, sagt Klaus-Robert Müller: "Weil jeder die Hosen herunterlassen muss. Jeder muss irgendwie etwas abgeben und man kann sich dann hinterher nicht herausreden."

    [Quelle: Björn Schwentker]