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Wetter und Co.

Es gibt einen schrägen Expressionisten, der mit Indianerfederschmuck auftritt und Rainald Grebe heißt. Er macht Musik und Kabarett, eine Art schräger Volksmusik, voll übermütiger Melancholie. Nun ist er am Schauspiel Leipzig mit seiner Klimarevue "Alle reden vom Wetter" zu sehen.

Von Hartmut Krug |
    Dass der Klimawandel nicht nur droht, sondern längst da ist, wissen wir. Was wir tun können, wissen wir auch, eigentlich, - und dass wir keine Chance haben, die schlimme Entwicklung zurück zu drehen. Die "Klimarevue" des Kabarettisten und Sängers Rainald Grebe ist deshalb weniger agitatorische Anklage oder scharfe Satire, sondern eher eine hilflos melancholische Bestandsaufnahme für das Jahr 2020:

    "Die Länder des Nordens, die von der Erwärmung profitieren, schotten sich gegen die Massen verzweifelter Klimaflüchtlinge aus den südlichen Regionen ab. Sibirien, die Kornkammer Asiens, ist mit Stacheldraht umzäunt. Das nahezu entvölkerte Spanien versorgt mit seinen Photovoltaik-Parks Europa mit Energie. Die Poebene trennt Italien vom Festland. Venedig und Brandenburg leben vom Tauchtourismus. Die Welt, wie sie war, gibt es nicht mehr."

    Dieser Abend ist stets beides: Show und Showparodie, Unterhaltung und Erklärung, ironisch wie tiefernst. Bevor wir den Zuschauerraum betreten, können wir uns mit einer kleinen Ablass-Zahlung ein gutes Gewissen kaufen. Denn wenn jeder Zuschauer nur 18 Cent zahlt, kann der Theaterabend als klimaneutral gelten. Weil für unser Geld in Panama exakt so viele Bäume gepflanzt werden könnten, wie für den Ausgleich der C0 2-Produktion der Klimarevue nötig wären. All das erzählt uns ein charmanter, extrem kleinwüchsiger Schauspieler, der mit seiner Figur und seinen Erklärungen den ernsthaft witzigen Grundton versinnlicht, der diesen von Ideen, Texten und Formen überquellenden Abend bestimmt.

    Drei Schauspielerinnen mit Amy-Whinehouse- Toupet-Frisuren, die nicht nur tolle Showgirls und gute Sängerinnen sind, sondern auch, wenn die Musiker von Grebes "Kapelle der Versöhnung" schauspielerisch tätig sind, diese ordentlich vertreten, stellen Showgesten aus und ironisieren sich als Background-Frischfleisch. Der Schauspieler Peter René Lüdicke persifliert Schlagerrevuen, indem er deren gestisches Material in kleinste Einheiten zerlegt, oder er schwebt nach einer Szene über die Zurück-zur-Natur-Mode als Bronzezeit-Euphoriker über der Bühne.

    Rainald Grebes Moderation enthüllt konsequent die eigene und gesellschaftliche Hilflosigkeit gegenüber der Klimaentwicklung. Dabei entwickelt er viel Witz und zeigt eine heiße Sehnsucht nach der alten, heilen Welt. "Ich habe ein Recht auf eine konstante Meereshöhe", behauptet er und fordert gegen das Artensterben das Weiterexistieren der ihm seit der Kindheit bekannten Tierwelt ein. Mal wird vom Raubbau der Menschen auf der Osterinsel erzählt, die über Jahrhunderte hin erst alle Vegetation und dann auch sich selbst verbraucht haben, dann wieder wird ein riesiger Weltkugel-Ball in die mitspielenden Hände der Zuschauer gerollt, bis er in einem Wasservorhang verschwindet. Songs beschäftigen sich mit Ängsten vor den Chinesen oder mit der eigenen Ignoranz und Ichbezogenheit in den 90er Jahren:

    " Ich war damals auf der Love-Parade, ich war ein wilder Knutscher, meine Arschbacken waren tätowiert mit "future, future." Guido fuhr im Guidomobil und der Guido lachte viel. Ich wär gern länger geblieben, ich glaub´, war haben Geschichte geschrieben. Alle hatten damals einen Waschbrettbauch, ich auch, ich auch, ich auch. Alle wollten so wie die spice girls sein, ich auch, ich auch, ich auch. Alle aßen säckeweise ecstacy, ich auch, ich war dabei. Den Eisbären ging es prima, Wetter war noch kein Klima, man dachte nichts Böses, wenn die Sonne schien. Ach die neun-, neun-, neunziger Jahre sind vorbei."

    Haltungen und Meinungen werden in gesellschaftlichen Milieubeschreibungen aufgespießt und ausgestellt. Im Mittelpunkt: das sogenannte Bionade-Biedermeier im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Dort soll es in Hausfluren C0 2-Tabellen geben und Mieter, die ihren Hund aus Klimaschutzgründen durch ein Meerschwein ersetzen wollen. Kinder werden als die größten C0 2-Schädlinge entdeckt und Paare unter dem Motto "Bleibt zusammen, auch wenn es die Hölle ist", aufgefordert, sich nicht zu trennen, weil jeder einzeln für sich mehr C0 2 verbrauche. Wunderbar, aber auch ein wenig harmlos, wie die Klimaentwicklung im lautmalerisch wortlosen Song bejammert wird und wie die Aktivitäten des Einzelnen und dessen scheinbare Hilflosigkeit immer wieder aufs Neue befragt und umwitzelt werden. Bevor der umjubelte selbstkritische Showabend in böse Anekdoten ausfranst und die Darsteller als neugierige Pinguine über die Bühne watscheln, benennt ein Song das Dilemma des Individuums in Zeiten des Klimawandels: Ich sitze vorm TV, meine Augen sind schon grau/ Ich weiß schon, was kommt: Waldbrand, Tsunami, Überschwemmung, und dann darüber eine Doku in Arte, und schließlich noch ein Spielfilm zum Thema.....

    Rainald Grebes melancholische Klimarevue führt den folgenlos guten Willen des hilflosen Menschen höchst unterhaltsam vor: Weshalb alle auf der Bühne auch immer wieder kräftig Zigaretten qualmen.