Wer im religiösen Sinne glaubt, hat einen Dachschaden. Wer nicht glaubt, hat dafür kein metaphysisches Dach überm Kopf.
Beide Positionen sind verbohrt und irrig. Am Anfang von Alexander Kisslers Buch steht die Annahme und der Irrglaube, wer aufgeklärt ist, sei gottlos, und je aufgeklärter man sei, desto gottloser müsse man sein.
"Ich versuche in meinem Buch, das ist zugespitzt im Titel, die These zu vertreten, dass auch der Gottesglaube aufklärerische Elemente hat, ja dass selbst der Glaube an Gott eine aufklärerische Haltung zur Welt in Gang setzen kann."
Der 39-jährige Journalist Alexander Kissler greift damit Debatten auf, wie sie zuletzt in der Ratzinger-Habermas-Kontroverse um die vorpolitsichen Grundlagen des konstitutionellen Staates aufgebrandet sind. Die Religion wird vom Philosophen als nicht schlechterdings irrational eingestuft. Sie bewahre gesellschaftlich verlorene Qualitäten.
Ursprünglicher Antrieb für Kisslers journalistischen Einspruch, für sein Buch "Der aufgeklärte Gott. Wie die Religion zur Vernunft kam", ist indes der Erfolg eines anderen Buches gewesen, nämlich Richard Dawkins' atheistisch- polemische Streitschrift "Der Gotteswahn". Mit ihr begann eine Art Siegeszug vulgär naturalistischer Weltschau und gottesfeindlicher Evolutionsbetrachtung.
Der Oxforder Zoologe und theoretische Biologe wurde nur seinerzeit von ähnlich fundamentalistischen Irrwegen christlicher Eiferer wie Intelligent Design und den amerikanischen Kreationisten angetrieben und schrieb sein Buch. Inzwischen hat er Millionen-Auflagen.
"Wir haben es hier mit einem komplett neuen Phänomen zu tun. Der Neoatheismus hat mit dem klassischen abendländischen Atheismus wenig bis gar nichts zu tun. Er ist global vernetzt, er ist aggressiv, quasi missionarisch, und er ist keine philosophische Veranstaltung. Er ist auf biologischer , naturalistischer Grundlage errichtet, und auf dieser Grundlage geht es ihm um eine politische Umgestaltung der Weltgesellschaft."
Kissler erkennt zu Recht das scheinbar harmlose Bedrohungspotenzial einer radikal-materialistischen Natur - und Weltbetrachtung. Denn das hat Auswirkungen auf eine Reihe heikler und heiß diskutierter Gegenwartsthemen: etwa die Frage nach dem Beginn der Menschenwürde, die Frage nach dem freien Willen, der Verfügbarkeit des Lebens.
"Also der Neo-Atheismus ist ein politisches Geschäft, und deshalb müssen wir uns dazu auch politisch, in säkulater Sprache verhalten. Es ist kein Theologenproblem."
Es geht Kissler nicht um die falsche Alternative, irrationaler Gottesstaat oder rationale Atheistenrepublik. Er hat einen Anti-Dawkins geschrieben, ohne selber missionarisch exklusiv sein zu wollen. Auf die Vermutung, auf die Frage, ob er ein Agent des Apostolischen Stuhls sei, antwortet er kurz?
"In keinster Weise."
Kissler arbeitet mit dem Kantischen Trick und bietet dem Skeptiker die aufklärerische Ausgangstür. Wer mit der Religion hadert und die Offenbarung ablehnt, nimmt sich lediglich die Pflichten ihrer Moral zu Herzen, sprich, die Gebote, und ist dann fein raus. Die finden sich schließlich auch in der Menschenrechtskonvention wieder.
Kissler will mehr . Er legt es auf eine Synthese an, dem besten aus beiden Lagern, die ohne einander nicht zu haben sind.
"Jenen Glauben, der der Vernunft sich öffnet, weil er sie in sich trägt, und von jener Vernunft, die den Glauben verstehen will, weil auch sie aus Freiheit geboren ist und Wahrheit sucht.”"
Der geistesgeschichtlich gebildete Autor schreibt angenehm journalistisch, flott und streitlustig. Wie zumeist bei Büchern von Journalisten wird dieser Lektürevorteil um einen gewissen systematischen Nachteil erkauft. Aber wer die Auffassung der Philosophen zu Gott nachlesen will, greift zum Klassiker der philosophischen Theologie, zu Wilhelm Weischedels dickem Schinken "Der Gott der Philosophen".
Daher stellt sich gelegentlich der Eindruck ein, Kissler wolle zuviel, uns teilhaben lassen an seiner Belesenheit. Von Moses bis Jaspers, von Luther bis Habermas wird querbeet alles herangezogen. Warum dann nicht auch Nikolaus von Kues und Sartre, die französischen Materialisten von damals und die Evolutionsbiologen von heute.
Manchmal will der Autor zuviel. Andererseits kann man in jeden Artikel, jedes Kapitel einsteigen, so wie man sich bei einer Kalten Platte die Delikatessen aussucht. Nur wie meist in diesen Fällen ist das Buch nur für jene, die schon überzeugt sind. Auf den großen systematischen Wurf dieses talentierten Autors warten wir noch.
""Es geht darum,. dass wir die Grundlagen unseres ganz zivilen gemeinschaftlichen Menschenlebens verspielen, wenn wir allgemein zur Auffassung gelangen, Menschenwürde ist nur eine Zuschreibung, freier Wille ist nur eine Illusion und letzten Endes sind wir für unser Taten nicht verantwortlich und es gibt keine letztgültigen Prinzipien, sondern immer nur neu auszuhandelnde Interessen. Das sind die Grundlagen dieser neoatheistischen-evolutionären Ethik, und ich glaube, das kann uns alle nicht kalt lassen."
Wer von Gott und dem Glauben spricht, meint häufig damit den Menschen und sein Handeln. Zur Frage nach der Ethik, der Frage nach dem rechten und guten Handeln, der Frage "Was soll ich tun?" muss die Frage nach der qualitativen Identität des Menschen hinzutreten, die Frage "Wer will ich sein?".
Alexander Kissler: Der aufgeklärte Gott - Wie die Religion zur Vernunft kam
Pattloch, München
287 Seiten, 17,50 Euro
Beide Positionen sind verbohrt und irrig. Am Anfang von Alexander Kisslers Buch steht die Annahme und der Irrglaube, wer aufgeklärt ist, sei gottlos, und je aufgeklärter man sei, desto gottloser müsse man sein.
"Ich versuche in meinem Buch, das ist zugespitzt im Titel, die These zu vertreten, dass auch der Gottesglaube aufklärerische Elemente hat, ja dass selbst der Glaube an Gott eine aufklärerische Haltung zur Welt in Gang setzen kann."
Der 39-jährige Journalist Alexander Kissler greift damit Debatten auf, wie sie zuletzt in der Ratzinger-Habermas-Kontroverse um die vorpolitsichen Grundlagen des konstitutionellen Staates aufgebrandet sind. Die Religion wird vom Philosophen als nicht schlechterdings irrational eingestuft. Sie bewahre gesellschaftlich verlorene Qualitäten.
Ursprünglicher Antrieb für Kisslers journalistischen Einspruch, für sein Buch "Der aufgeklärte Gott. Wie die Religion zur Vernunft kam", ist indes der Erfolg eines anderen Buches gewesen, nämlich Richard Dawkins' atheistisch- polemische Streitschrift "Der Gotteswahn". Mit ihr begann eine Art Siegeszug vulgär naturalistischer Weltschau und gottesfeindlicher Evolutionsbetrachtung.
Der Oxforder Zoologe und theoretische Biologe wurde nur seinerzeit von ähnlich fundamentalistischen Irrwegen christlicher Eiferer wie Intelligent Design und den amerikanischen Kreationisten angetrieben und schrieb sein Buch. Inzwischen hat er Millionen-Auflagen.
"Wir haben es hier mit einem komplett neuen Phänomen zu tun. Der Neoatheismus hat mit dem klassischen abendländischen Atheismus wenig bis gar nichts zu tun. Er ist global vernetzt, er ist aggressiv, quasi missionarisch, und er ist keine philosophische Veranstaltung. Er ist auf biologischer , naturalistischer Grundlage errichtet, und auf dieser Grundlage geht es ihm um eine politische Umgestaltung der Weltgesellschaft."
Kissler erkennt zu Recht das scheinbar harmlose Bedrohungspotenzial einer radikal-materialistischen Natur - und Weltbetrachtung. Denn das hat Auswirkungen auf eine Reihe heikler und heiß diskutierter Gegenwartsthemen: etwa die Frage nach dem Beginn der Menschenwürde, die Frage nach dem freien Willen, der Verfügbarkeit des Lebens.
"Also der Neo-Atheismus ist ein politisches Geschäft, und deshalb müssen wir uns dazu auch politisch, in säkulater Sprache verhalten. Es ist kein Theologenproblem."
Es geht Kissler nicht um die falsche Alternative, irrationaler Gottesstaat oder rationale Atheistenrepublik. Er hat einen Anti-Dawkins geschrieben, ohne selber missionarisch exklusiv sein zu wollen. Auf die Vermutung, auf die Frage, ob er ein Agent des Apostolischen Stuhls sei, antwortet er kurz?
"In keinster Weise."
Kissler arbeitet mit dem Kantischen Trick und bietet dem Skeptiker die aufklärerische Ausgangstür. Wer mit der Religion hadert und die Offenbarung ablehnt, nimmt sich lediglich die Pflichten ihrer Moral zu Herzen, sprich, die Gebote, und ist dann fein raus. Die finden sich schließlich auch in der Menschenrechtskonvention wieder.
Kissler will mehr . Er legt es auf eine Synthese an, dem besten aus beiden Lagern, die ohne einander nicht zu haben sind.
"Jenen Glauben, der der Vernunft sich öffnet, weil er sie in sich trägt, und von jener Vernunft, die den Glauben verstehen will, weil auch sie aus Freiheit geboren ist und Wahrheit sucht.”"
Der geistesgeschichtlich gebildete Autor schreibt angenehm journalistisch, flott und streitlustig. Wie zumeist bei Büchern von Journalisten wird dieser Lektürevorteil um einen gewissen systematischen Nachteil erkauft. Aber wer die Auffassung der Philosophen zu Gott nachlesen will, greift zum Klassiker der philosophischen Theologie, zu Wilhelm Weischedels dickem Schinken "Der Gott der Philosophen".
Daher stellt sich gelegentlich der Eindruck ein, Kissler wolle zuviel, uns teilhaben lassen an seiner Belesenheit. Von Moses bis Jaspers, von Luther bis Habermas wird querbeet alles herangezogen. Warum dann nicht auch Nikolaus von Kues und Sartre, die französischen Materialisten von damals und die Evolutionsbiologen von heute.
Manchmal will der Autor zuviel. Andererseits kann man in jeden Artikel, jedes Kapitel einsteigen, so wie man sich bei einer Kalten Platte die Delikatessen aussucht. Nur wie meist in diesen Fällen ist das Buch nur für jene, die schon überzeugt sind. Auf den großen systematischen Wurf dieses talentierten Autors warten wir noch.
""Es geht darum,. dass wir die Grundlagen unseres ganz zivilen gemeinschaftlichen Menschenlebens verspielen, wenn wir allgemein zur Auffassung gelangen, Menschenwürde ist nur eine Zuschreibung, freier Wille ist nur eine Illusion und letzten Endes sind wir für unser Taten nicht verantwortlich und es gibt keine letztgültigen Prinzipien, sondern immer nur neu auszuhandelnde Interessen. Das sind die Grundlagen dieser neoatheistischen-evolutionären Ethik, und ich glaube, das kann uns alle nicht kalt lassen."
Wer von Gott und dem Glauben spricht, meint häufig damit den Menschen und sein Handeln. Zur Frage nach der Ethik, der Frage nach dem rechten und guten Handeln, der Frage "Was soll ich tun?" muss die Frage nach der qualitativen Identität des Menschen hinzutreten, die Frage "Wer will ich sein?".
Alexander Kissler: Der aufgeklärte Gott - Wie die Religion zur Vernunft kam
Pattloch, München
287 Seiten, 17,50 Euro