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"Wider den Nützlichkeitszwang"

Nachdem Bundeskanzler Schröder Bildung zur Chefsache gemacht hat und seit Wochen Themen wie die Elite-Unis die Öffentlichkeit bewegen, legt jetzt Bundespräsident Johannes Rau nach. Auf der Kölner Bildungsmesse Didacta präsentierte er sein Buch mit dem Titel "Den ganzen Menschen bilden - wider den Nützlichkeitszwang. Plädoyer für eine neue Bildungsreform."

Von Patrick Honecker | 11.02.2004
    So ein Bundespräsident zieht. Diverse Kamerateams, die zugehörigen Journalisten und viele interessierte Zuschauer drängelten sich im Offenbachsaal der Kölnmesse um den Ergüssen von Johannes Rau zu lauschen. Flankiert von der moderativen Allzweckwaffe Elke Heidenreich gab sich Rau gewohnt jovial bei seiner kurzen Rede zur Bedeutung von Bildung.

    Der Mensch besteht aus mehr als Kopf und Verstand. Bildung ist Persönlichkeitsentwicklung. Da geht es um Geist und Gefühl, Körper und Seele. Bildung hat ihren eigenen Sinn und eigenen Wert, jenseits aller Nützlichkeit im Arbeitsleben.

    Das klingt schön, das ist wahr, genau wie schon vor über 60 Jahren, als der kleine Rau noch in Wuppertal zur Schule ging. Leider ist auch das gesamte Buch nicht vorwärts gewandt, sondern begnügt sich mit eine Zusammenstellung der Reden, die Rau im weitesten Sinne über Bildung gehalten hat. Das geht über ein Grußwort von einem Gutenberg-Kongress in Mainz, November 2000, bis zu einer Rede zum 25jährigen Bestehen der Gesamtschule Bonn-Beuel, November 2003. Diese Rede ist der aktuellste Beitrag in einem Buch, das niemand weh tun wird, aber auch keine neuen Aspekte in die aktuelle nildungspolitische Debatte bringt.

    Hinsichtlich der Hochschulen sprach sich Rau heute noch einmal für ein neues Zugangssystem aus. Ohne allerdings eine eindeutige Position zu beziehen:

    Es gibt ja mit diesem ZVS-System, dem Notensystem 1,1 und dann Medizin, mehrfache Schwierigkeiten. Das eine ist, dass derjenige, der 1,1, hat, denkt: Jetzt bin verpflichtet, das zu studieren, was ich darf, und dass der andere, der mit 2,7 Abitur gemacht hat und sehr guter Arzt wäre, nie eine Chance hat, Arzt oder Tierarzt zu werden, weil er den Schnitt nicht hat. Da muss man ein neues System finden, der Wissenschaftsrat ist im Augenblick auch dabei. Ich bin nicht dafür, dass alleine die Hochschule durch Aufnahmeprüfungen entscheidet, denn dann würde das Abitur völlig entwertet. Aber ich bin dagegen, dass die Starrheit des derzeitigen Systems einfach perpetuiert würde.

    Da wurde Bühnenmoderatorin Heidenreich etwas ungeduldig. Ob Hochschule oder Schule, man habe doch Probleme mit dem Föderalismus. Wie können wir bloß die Länder in den Griff bekommen, lautete deshalb ihre Frage. Rau entgegnete:

    Ja, das ist ein ganz kompliziertes System, zumal dann, wenn Sie es vereinheitlichen und es nicht verbessert wird. Ich habe jetzt mal die neuen Standards gelesen, auf die sich die Kultusministerkonferenz geeinigt hat.

    Zwischenfrage von Elke Heidenreich: "Nicht gut?"

    Ich kann die überhaupt nicht verstehen!

    Nein, entgegnet der Bundespräsident, nicht zu schwer, aber sie seien zu abstrakt. Das passt auch als Bilanz und Kritik: Seinem Buch hätten ein bisschen weniger Abstraktion und ein bisschen mehr Vorschläge zur Weiterentwicklung unseres Bildungssystems gut getan.

    Literatur

    "Den ganzen Menschen bilden - wider den Nützlichkeitszwang" von Johannes Rau ist im Beltz Verlag erschienen, hat 272 Seiten und kostet 14,90 Euro.