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Wider die Four-Letter-Words

Ein englisches Four-Letter-Word sorgt für Kontroversen. Es beginnt mit "F" und bezeichnet nicht nur einen sexuellen Vorgang, sondern impliziert auch eine Beschimpfung. Der Oberste Gerichtshof der USA hat sich nun mit diesem und anderen Wörtern mit vier Buchstaben zu beschäftigen.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Was sind eigentlich Wörter? Ist ein Wort ein unveränderlicher, durchsichtiger Kristall oder ist es so etwas wie die Außenhaut eines lebendigen Gedankens? Diese poetische Formulierung stammt nicht von einem Dichter oder einem Linguisten, sondern von Mitgliedern des Obersten Gerichtshofs der USA. Sie hatten sich vor 30 Jahren mit einem Fall beschäftigt, der Geschichte machte: die Rundfunkaufsichtsbehörde FCC gegen den Radiosender Pacifica. Es ging um eine Show des Komikers George Carlin, der darüber gewitzelt hatte, dass man im prüden amerikanischen Fernsehen gewisse Wörter niemals sagen dürfe und sie prompt und mehrfach aussprach: shit, piss, fuck, cunt, cocksucker, motherfucker, tits. Das fand der Vater eines radiohörenden Kindes so empörend, dass er sich bei der FCC beschwerte, worauf die eine Strafe gegen Pacifica verhängte, Pacifica dagegen Berufung einlegte - und letzten Endes verlor. Der Oberste Gerichtshof legte vor 30 Jahren fest, dass die den Amerikanern sonst so heilige Äußerungsfreiheit in Radio und Fernsehen durchaus eingeschränkt werden könne, wenn es um das seelische Wohl der Kinder gehe. Radio und Fernsehen, so erklärten die Richter damals, drängen eben viel stärker in den persönlichen Lebensbereich ein als Buch und Presse.

    Dieses Argument hat seither stark an Überzeugungskraft verloren, denn es gibt längst andere Medien, die nicht der FCC-Aufsicht unterliegen, wie Kabelfernsehen oder Internet, in denen die schlimmen Wörter jederzeit und haufenweise vorkommen. Und was genau ist denn so schlimm daran? Vor fünf Jahren bekam die FCC wieder zu tun, als der Sänger Bono bei der Verleihung der Golden Globe Awards ausrief: "This is really fucking brilliant". Dieser Spruch wurde weder zensiert noch sanktioniert, weil sich bei der Behörde ein bisschen von jener Erkenntnis durchgesetzt hatte, die ein paar Mitglieder des Obersten Gerichtshofs ein Vierteljahrhundert zuvor mit der schönen Formulierung, Wörter seien die Außenhaut lebendiger Gedanken, ausgedrückt hatten.

    In der Tat meint kaum jemand, der heute "fuck" sagt, den sexuellen Akt. Und "shit!" ist eine alltägliche Interjektion geworden, bei der niemand wirklich an Exkremente denkt. Gegen diesen sprachlichen Abschleifprozess möchten sich nun auf dem puritanischen Ticket fahrende Politiker mit gesetzlicher Macht stemmen. Sie wollen sich nicht auf Bedeutungsunterscheidungen einlassen. Egal, in welchem Zusammenhang und in welcher grammatikalischen Form - als Infinitiv oder als flektiertes Verb, als Adjektiv, Gerundium oder Partizip: Wer shit, piss, fuck, cunt, cocksucker, motherfucker oder tits sagt oder sagen lässt, wird bestraft, und zwar mit bis zu 325.000 Dollar pro Übertretung und pro Sendeanstalt.

    Nun gibt es seit Bonos Auftritt vor fünf Jahren juristisches Gerangel um diverse FCC-Entscheidungen. Ein Bundesgericht in New York nannte letztes Jahr das Vorgehen der Behörde willkürlich und unfundiert und stoppte deren in letzter Zeit gestiegenen Eifer. Deshalb ist jetzt der Supreme Court an der Reihe. Das höchste Gericht wurde jedoch von George W. Bush auf reaktionär gebürstet und hat gerade in neuer Besetzung traditionsgemäß am ersten Montag im Oktober seine neue Arbeitsperiode aufgenommen.

    Gewiss gehören Prüderie und Libertinage von jeher zu dem charakteristischen Kulturmix der Vereinigten Staaten. Vor zwanzig Jahren wurde Damenunterwäsche dort in Fernsehspots nicht an lebenden Personen, sondern nur auf Kleiderständern gezeigt, und gleichzeitig wurden die wildesten Sexfilme in Kalifornien produziert. Das Land ist einfach groß genug, um zwei Wirklichkeiten zu ertragen.

    Am Umgang mit der Sprache aber zeigt sich, ob ein Land bei Trost ist. So bigott die konservative Sprachregelung bei Kraftausdrücken ist, so bigott ist sie bei der Political Correctness unter Linksliberalen. Der große George Carlin hat beides durch den Kakao gezogen. Leider ist er in diesem Sommer gestorben.