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Wider die Tyrannei der Fürsorge

In Rainer Hanks Buch über die Misere der mehrheitsdemokratischen Staaten geht es vor allem um wirtschaftliche, weniger um politische Freiheit. In "Die Pleite-Republik – Wie der Schuldenstaat uns entmündigt und wie wir uns befreien können" setzt er den gegenwärtigen politischen Verhältnissen ein radikal liberales Verständnis von Staat entgegen.

Von Rainer Kühn | 18.06.2012
    Rainer Hank hat Philosophie, Literatur und katholische Theologie studiert. Mit dieser Vita leitet er seit 2001 die Wirtschaftsredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Gleich zu Beginn seines Werks "Die Pleite-Republik" formuliert er prägnant sein Credo:

    "Dieses Buch ist ein Versuch, die Theorie des Staates wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Nicht der Staat steht am Anfang, sondern die menschliche Freiheit."

    Hanks Anliegen ist es also, ein radikal liberales Verständnis von Staat und Politik den gegenwärtigen politischen Verhältnissen entgegenzusetzen. Und dem angeblich links-dominierten Mainstream zu widersprechen, der völlig zu Unrecht das Rückgrat des Liberalismus, die freien Märkte attackiere. Dem hält der Autor entgegen:

    "Nicht das Versagen der Märkte ist das Thema der Staatskrise, sondern der Skandal, dass Mehrheitsdemokratien nicht mit Geld umgehen können. Dieses Buch widerspricht der wohlfeilen Marktschelte Die Schuldenkrise ist der untauglichste Gegenstand, an dem man das Versagen der Marktwirtschaft exemplifizieren kann. Der Kapitalismus funktioniert. Wer daran zweifelt, muss sich in China umschauen."

    Jemand, der sich Liberalismus und größtmöglicher Freiheit verschrieben hat, verweist ausgerechnet auf das autoritäre China? Aber dieser Passus ist durchaus symbolisch für das Ganze Buch. Trotz gegenteiliger Behauptungen geht es Hank in seinem Werk über die Misere der mehrheitsdemokratischen Staaten zu allererst um wirtschaftliche Freiheit, die auf einem starken Rechtsstaat beruht; und nicht so sehr um politische Freiheit.

    "Der Konflikt, um den es geht, heißt Mehrheitsdemokratie versus Rechtsstaatlichkeit. Demokratien sind nichts anderes als die 'Diktatur der zufälligen Mehrheit'."

    So positioniert, nimmt Hank vier Anläufe, um die derzeitige Politik der westlichen Demokratien zu kritisieren. Wir seien, so der Autor im ersten Kapitel, Staaten ausgeliefert, die uns mit ihrer Fürsorge tyrannisierten. Das, schreibt Hank im zweiten Kapitel, werde allerdings von uns nicht moniert, da wir irrationale, neidische und oft entscheidungsunfähige 'Mängelwesen' seien, die sich nur allzu gern vom Staat einen paternalistischen "Schubs" geben ließen. Diese "Verführung" zum Glück werde, so der Theoretiker im dritten Kapitel, ergänzt durch eine "Verführung" zur Wohlfahrt; denn der Staat korrigiere mittlerweile ständig die Marktergebnisse nach seinen sozialen Gerechtigkeitsvorstellungen. Um aber die ausufernde Wohlfahrt bezahlen zu können, so der Autor im vierten Kapitel, verfielen alle mehrheitsdemokratischen Staaten zwangsläufig der "Verführung" zum Schuldenmachen. Nach diesen Bestandsaufnahmen erläutert Hank dann im fünften Kapitel, jeder "Verführung" abhold, seine Utopie einer besseren Welt: Stadtstaaten, Steuerreformen und die Erziehung zur Mündigkeit. Das und unzählige weitere Einzelaspekte – wie Helmpflicht, europäischer Rettungsschirm, 60-Watt-Birnen, Diabetes und und und – werden bisweilen mit einem Furor und in Boulevardblatt-Stil präsentiert, dass der Leser nur den Kopf schüttelt; etwa, wenn sich Hank einige Schmarotzer vorknöpft:

    "Kommunen und Länder holen sich das Geld beim Bund. Der Osten holt es sich im Westen. Und die Griechen und Portugiesen zechen auf Kosten der Deutschen und Franzosen. Die Eltern holen sich das Geld vom Familienministerium, dort, wo auch die Senioren und Pflegefälle schon vorstellig geworden sind und die Hand aufgehalten haben."

    Das Buch ist zudem redundant. Und es finden sich Fehler: So ist es schlichtweg falsch, dass Deutschland seit Einführung des Euro höhere Zinsen für seine Staatsanleihen zahlen muss. Der Leser muss sich zusammenreißen, um überhaupt bis zu den Lösungsvorschlägen durchzuhalten, die Hank anzubieten hat. Einer davon lautet so:

    "Wir spielen die 'Siedler von Catan', aber in echt. Man nehme eine Fläche unbebauten Landes, gründe darauf eine neue Stadt als kleinen souveränen Staat (Stadtstaat), einige sich untereinander über Regeln und Gesetze und warte ab, bis die neuen Bürger kommen: Charter Cities nennt [der amerikanische Ökonom] Paul Romer seine Städte, denn es sind Städte, die sich selbst ihre Verfassung (Charter) geben."

    Das ist, wie vieles im Buch, völlig ahistorisch gedacht. Denn Hanks Beispiel Dubai zeigt ja, welch immense finanzielle und materielle Ressourcen vorher über lange Zeit hinweg aufgehäuft werden mussten, um eine Stadt im Nirgendwo bauen zu können. Der theologisch gebildete Autor hingegen erfreut sich am Wunder: an der 'Creatio-ex-nihilo', der Schaffung-aus-Nichts:

    "Neue Staaten, aus dem Nichts. Das klingt verrückt. Aber die naheliegenden Einwände sind schneller gekontert, als es den Kritikern lieb ist."

    Oder auch nicht. Ein einziges Argument von Hank für seine Utopien - und das Buch überhaupt – ist allerdings richtig: Nur wer über Alternativen verfügt, kann den Status quo als eine Möglichkeit unter anderen denken, also als ersetzbar. Es bleibt zu fragen, warum man hierzu Hank lesen sollte und nicht gleich die Originale: zum einen den extravaganten Paul Romer; und zum anderen den gegenüber Hank noch ein klein wenig krudere Positionen vertretenden Thilo Sarrazin. Denn ein Agent Provokateur dieser Richtung reicht für Deutschland allemal.

    Rainer Hank: Die Pleite-Republik.
    Wie der Schuldenstaat uns entmündigt und wie wir uns befreien können
    Blessing Verlag, 448 Seiten, 19,95 Euro
    ISBN: 978-3-896-67421-0