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Wider die Überalterung der Dörfer

"Der Ländliche Raum ist weit mehr als die landwirtschaftliche Produktion", lautet das Credo von Bundesverbraucher- und Landwirtschaftsministerin Renate Künast. Sie empfiehlt den Bauern, auf nachwachsende Rohstoffe zur alternativen Energiegewinnung, auf Tourismus sowie auf die regionale Direktvermarktung von Produkten zu setzen. Über die Zukunft des Ländlichen Raums diskutieren in Berlin Politiker und Fachleute. Gilt es doch, der Landflucht und der Überalterung der Dörfer etwas entgegenzusetzen. Vor allem in Ostdeutschland vertreibt die hohe Arbeitslosigkeit die Menschen aus ihrer Heimat. Doch auch in westdeutschen Regionen bleiben in vielen Dörfern vorwiegend die Älteren zurück - zum Beispiel im Saarland.

Von Tonia Koch |
    Seit geraumer Zeit zieht Otmar Weber über Land. Der Mann, der beim saarländischen Umweltministerium die Agentur für die Entwicklung des ländlichen Raumes leitet, hat nur eine Botschaft im Gepäck. In den Dörfern muss sich etwas verändern, die Ortskerne überaltern:

    Wir werden älter und gleichzeitig weniger, wobei das Saarland als erstes älter wird. Das Saarland ist das älteste Bundesland.

    Die Statistiken bestätigen dies. Dennoch schütteln die meisten überwiegend älteren Zuhörer, die der Einladung zum Dorfgespräch gefolgt sind, den Kopf. Woanders mag das zutreffen aber hier in Saarhölzbach nicht. In der Gemeinde - unweit der luxemburgischen Grenze - haben die Menschen den nach wie vor attraktiven luxemburgischen Arbeitsmarkt im Blick. Er bietet Jobs und sichere Lebensperspektiven. Deshalb will man noch nicht recht daran glauben, dass die Bevölkerung so schnell wie geschildert altert, weil kein Nachwuchs mehr auf die Welt kommt:

    Hier ist die Situation so, im Neubaugebiet, dass in den meisten Häusern drei bis vier Kinder groß werden. Ich glaube, auf dem Dorf, da kommen doch noch mehr Kinder zur Welt als in der Stadt. Wenn man den Statistiken glauben darf und das muss man ja wohl, wird sich die Bevölkerungsentwicklung auf jeden Fall so ergeben, nur will das niemand wahrhaben.

    Die 1800-Seelen-Gemeinde hatte im Verdrängungswettbewerb um den Zuzug von jungen Paaren und Familien die Nase vor. Ein großzügiges Neubaugebiet lockte mit vergleichsweise preiswerten Grundstücken. Die Grundschule hat deshalb noch vier Klassen und der Kindergarten arbeitet mit drei Gruppen und 76 Kindern an der Kapazitätsgrenze. Ortsvorsteher Walter Michel, der nach den Kommunalwahlen einem Jüngeren Platz macht, sieht Handlungsbedarf:
    Wir sind von der Bevölkerungszahl von 1600 auf 1800 hochgeschossen mit dem Neubaugebiet, die Ursache war das Neubaugebiet. Aber wir müssen nun neu erschließen, die Gemeinde kann nichts mehr anbieten. Wir haben bereits Vorbereitungen getroffen. Im Moment liegen Anfragen von 40 bis 45 Bewerbern vor.

    An dieser Stelle liegt der Ortsvorsteher mit dem Umweltministerium nicht auf gleicher Wellenlänge. Umweltminister Stephan Mörsdorf:

    Im übrigen ist es eine Binsenweisheit, dass Neubaugebiete keine Kinder schaffen, sondern eher dazu beitragen, dass die Kinderzahl zurück geht, weil das neue Bauen erfordert, dass es zwei Verdiener geben muss, um den Neubau zu bezahlen.

    Der Minister hat deshalb ein Programm mit dem wohlklingenden Namen Melanie entwickelt. Melanie steht für Modellvorhaben zur Eindämmung des Landschaftsverbrauchs durch innerörtliche Entwicklung. Größere Wohnungen als im Saarland gibt es nirgendwo in der Bundesrepublik. Statistisch gesehen stehen jedem Saarländer 46 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Der Bundesdurchschnitt liegt bei etwa 40 Quadratmetern. Die üppig zugeschnittenen Wohnungen werden jedoch oft nur noch von allein stehenden älteren Menschen bewohnt. Die Ortskerne drohen zu veröden, wenn die Bürgermeister in den 261 Kommunen des Landes nicht schnellstens gegensteuern. Aber wie? Das Land hat kein Geld. Für das Modellvorhaben stehen lediglich 400.000 Euro aus der Landeskasse zur Verfügung. Der Minister setzt deshalb auf Einsicht und auf ein Umdenken bei der Förderung von Wohneigentum. Stephan Mörsdorf:

    Für mich wäre eine Eigenheimzulage vorstellbar, die nur in den Ortskernen und nur bei Erwerb von Altbausubstanz und deren Sanierung gewährt wird. Dann aber deutlich höher wäre, als dies heute der Fall ist. Dann hätten wir zwei Wirkungen: Wir hätten die Wirkung der Erhöhung des Eigenheimanteils der Bevölkerung als wichtiges übergeordnetes politisches Ziel und eine Belebung der Ortskerne.

    Die politische Diskussion um die Eigenheimzulage wird jedoch zu allererst unter parteitaktischen Vorzeichen geführt und orientiert sich mehr an Haushaltsnöten denn an den Erfordernissen einer demografischen Entwicklung. Eine Eigenheimzulage, die Besonderheiten der Region berücksichtigt, wie sie dem saarländischen Umweltminister vorschwebt, hätte jedoch durchaus Vorteile. Sie böte die Möglichkeit, den unterschiedlichen Anforderungen der Ballungszentren auf der einen und den ländlichen Gebieten auf der anderen Seite, Rechnung zu tragen.