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Widerstand gegen jede Form von Diskriminierung

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist das Recht auf Religionsfreiheit klar festgeschrieben. Die Wirklichkeit sieht in vielen Staaten anders aus. Als UN-Sonderberichterstatter kämpft der deutsche Philosoph, Theologe und Historiker Heiner Bielefeldt für Religions- und Weltanschauungsfreiheit.

Von Marc Engelhardt | 27.03.2012
    Einmal im Jahr legt Heiner Bielefeldt vor dem UN-Menschenrechtsrat Rechenschaft ab. Dann berichtet der deutsche Philosoph, Theologe und Historiker über die Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit, die er seit Juni 2010 als einziger der 45 Sonderberichterstatter des Rates beobachtet. Bei seiner Aufgabe, die er ehrenamtlich mithilfe eines kleinen Sekretariats in Genf bestreitet, muss Bielefeldt mit nur wenigen Befugnissen auskommen.

    "Ich alleine kann nichts verändern. Ich habe eine herausgehobene Rolle - Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, das gibt es nur einmal in der Welt. Aber ich brauche die Unterstützung etwa vom UN-Hochkommissariat und von vielen NGOs."

    Bielefeldt, 53, im Hauptberuf Professor für Menschenrechte an der Universität Erlangen-Nürnberg, darf vor allem dies: reden, berichten, plädieren, anprangern, verurteilen, fordern. Er sammelt Vorwürfe, Bedenken, Kritik von Einzelpersonen und Interessengruppen und leitet sie weiter. Nichts von alledem hat irgendeine bindende Wirkung. Doch wer redet, dem wird auch zugehört, der kann Veränderungen anstoßen. Diese Erfahrung hat Bielefeldt in seinem Leben schon häufig gemacht, bei seinem Engagement für den interreligiösen Dialog und gegen die Islamophobie in der Gesellschaft etwa – ganz im Kleinen, wenn es etwa um den umstrittenen Neubau einer Moschee geht, oder im übergreifenden Sinn, so als Kuratoriumsmitglied der Christlich-Islamischen Gesellschaft.

    Auch im Menschenrechtsrat wird Bielefeldt bei seinem diesjährigen Auftritt konkreter, als sich manche Staaten gewünscht hätten. Er kritisiert offen Staatsreligionen, die aus seiner Sicht fast zwangsläufig die Diskriminierung Anders- und Nichtgläubiger zur Folge haben.

    "Staatsreligion ist im internationalen Recht nicht förmlich verboten, aber sie ist immer ein Problem. Sie muss sozusagen kritische Nachfragen auslösen, weil der Verdacht nicht von der Hand zu weisen ist, dass es de facto Diskriminierungen gibt."

    Am offensichtlichsten scheint dies in den arabischen Ländern der Fall zu sein, wo mit wenigen Ausnahmen die islamische Scharia Grundlage der Gesetzbarkeit ist.

    "Es führt in der Regel dazu, dass dann Angehörige christlicher Minderheiten einen minderen Status haben. Wenn wir uns Ägypten anschauen: Seit den schrecklichen Anschlägen in der Neujahrsnacht 2011 ist ja die öffentliche Aufmerksamkeit etwas gestiegen, aber auch Jahre zuvor hat es immer wieder Anschläge gegeben, aber auch systematische Diskriminierung. Etwa in der öffentlichen Verwaltung, bei hohen Universitätsposten, im Kabinett sind religiöse Minderheiten ganz stark unterrepräsentiert. Das gilt für die Christen und noch einmal mehr für die Bahai oder die Zeugen Jehovas, die gar nicht anerkannt sind, kleine Gruppen, die ganz abseits der Öffentlichkeit leben."

    Ein besonders dramatisches Beispiel für den Eingriff eines religiös verfassten Staates in die Glaubensfreiheit sieht Bielefeldt in den drakonischen Blasphemiegesetzen in Pakistan.

    "Die Blasphemiegesetze in Pakistan sind besonders hart formuliert, da kann ja sogar die Todesstrafe verhängt werden für kaum definierte Beleidigungstatbestände. Pakistan ist kein Einzelfall, vielleicht ein besonders deutlicher, aber auch in Ägypten, Algerien, in Griechenland oder in Irland haben wir Blasphemiegesetzgebungen, die von der Perspektive der Religionsfreiheit her doch sehr problematisch sind."

    Für Heiner Bielefeldt steht fest: um Religions- und Glaubensfreiheit zu garantieren, müssen Staatsreligionen – gleich welcher Prägung – abgeschafft werden.

    "Ich persönlich bin der Meinung, dass die Verbindung von religiösen Normen mit staatlicher Zwangsdurchsetzung für die Religionsfreiheit fatal ist. Daher würde ich eine Entflechtung begrüßen. Ich glaube, das wäre für alle Seiten positiv – nicht nur für die Minderheiten wie die Kopten oder die Bahais. Auch für die Mehrheit könnte das heißen, dass die Religion freier atmen kann und dass man den äußeren Zwang und die innere Verbindlichkeit religiöser Praxis nicht mehr einfach ineinander mengt."

    Unterstützung für seine Forderung macht Bielefeldt an den ungewöhnlichsten Orten aus. Selbst im Iran, einer autoritären Theokratie mit Religionsführer Ayatollah Ali Chamenei an der Spitze, der über Glaubens- und Weltfragen gleichermaßen bestimmt.

    "Iran ist eine Gesellschaft, bei der ich mir ganz vieles vorstellen kann, langfristig auch sehr viel Hoffnungsvolles. Das ist eine sehr dynamische Gesellschaft, eine Gesellschaft, in der Literatur wertgeschätzt wird und in der auch Religionskritik stattfindet, obwohl das lebensgefährlich ist. Auch innerhalb des schiitischen Klerus würden viele Leute einen ganz anderen Kurs fahren bis hin zu einer Entflechtung von Staat und Religion."

    In Deutschland sind Staat und Kirche zwar offiziell getrennt. Aber: Die großen christlichen Kirchen genießen nach Ansicht Bielefeldts dennoch mehr Privilegien als andere Glaubensgemeinschaften.

    "Wir haben das besonders augenfällige Defizit, dass Muslime, die ja in Deutschland schon seit drei Generationen präsent sind, in Statusfragen nach wie vor benachteiligt werden. Wir stellen fest: Es knirscht da an manchen Ecken und Enden."

    Und wo es knirscht, mischt Heiner Bielefeldt sich ein – ob als unbequemer Mahner oder als Ideengeber. Dabei beackert er ein weites Feld. Die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verbriefte Religionsfreiheit umfasst das Recht auf theistische, nicht-theistische und atheistische Überzeugungen – und natürlich auch, sich in Glaubensfragen überhaupt nicht festzulegen. Eine umfassende Aufgabe für Bielefeldt also – doch der UN-Sonderbeauftragte ist nach den ersten eineinhalb Jahren seiner Amtszeit entschlossen, weiterzumachen. Denn die Verteidigung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit als fundamentales Menschenrecht ist für ihn letztlich alternativlos.

    "Ich glaube, insgesamt ist das eine Erfolgsgeschichte und eine der Hoffnungen unserer Zeit, deshalb müssen wir weiter machen."