Mittwoch, 24. April 2024

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Widerstand
"Heute würde Bonhoeffer als Gutmensch beschimpft"

Der Theologe Wolfgang Huber hat ein neues Buch über den Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer veröffentlicht. Er zeigt, wie früh der evangelische Pfarrer das NS-Regime durchschaute. Wenn nun rechte Gruppen unter Berufung auf ihn zum "Widerstand" aufriefen, sei das eine falsche Instrumentalisierung.

Wolfgang Huber im Gespräch mit Christiane Florin | 15.02.2019
    Der Theologe, NS-Widerstandskämpfer und Pazifist Dietrich Bonhoeffer (undatierte Aufnahme)
    Der Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer wurde kurz vor Kriegsende im April 1945 hingerichtet. (dpa / Archiv)
    "Es ist unendlich viel leichter, in Gehorsam gegen einen menschlichen Befehl zu leiden als in der Freiheit eigenster verantwortlicher Tat. Es ist unendlich viel leichter, in Gemeinschaft zu leiden als in Einsamkeit. Es ist unendlich viel leichter, öffentlich und unter Ehren zu leiden als abseits und in Schanden." (aus: Widerstand und Ergebung)
    Christiane Florin: Dies schrieb Dietrich Bonhoeffer am Jahreswechsel 1942/43 an seine Freunde. Wenige Monate später, am 5. April 1943 wurde der Theologe und Pfarrer der Bekennenden Kirche verhaftet. Das Regime warf ihm unter anderem "Wehrkraftzersetzung" vor und meinte damit seine Beteiligung an einer Widerstandsgruppe im militärischen Geheimdienst. Inhaftiert wurde Dietrich Bonhoeffer zunächst in Tegel, dann in Buchenwald.
    In den letzten Tagen des NS-Regimes wurde er im KZ Flossenbürg hingerichtet. Dietrich Bonhoeffer ist 1906 geboren, er starb am 9. April 1945 – es gibt also keinen runden Jahrestag. Aber es gibt ein neues Buch über ihn, keine klassische Biografie, eher eine Biografie, ein Porträt seines Denkens. Geschrieben, gezeichnet hat das Wolfgang Huber. Er ist uns aus Berlin zugeschaltet. Guten Morgen, Herr Huber.
    Wolfgang Huber: Guten Morgen, Frau Florin.
    Florin: Wolfgang Huber ist Theologieprofessor, er war 15 Jahre lang, bis 2009, Bischof von Berlin und sechs Jahre lang Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands.
    Herr Huber, Dietrich Bonhoeffer ist im protestantischen Alltag sehr präsent, fast schon Popkultur, der Satz zum Gehorsam, den wir eingangs gehört haben, der steht auf Kalendern, es gibt Bonhoeffer für Verliebte, für Trauernde, für Suchende. Es gibt schon zahlreiche Biografien. Was hat Ihnen in den bisherigen Bonhoeffer-Darstellungen gefehlt?
    Huber: Ich finde, dass das Verhältnis zwischen Biografie und Theologie intensiver beschrieben werden sollte, als das in vielen Biografien der Fall ist. Wir leben in einer Zeit, in der das Narrativ ganz hoch gehalten wird, also die Erzählung, die Dramatisierung des Biografischen. Und dahinter verschwindet gelegentlich das Theologisch, die Ernsthaftigkeit seiner Suche nach Wahrheit, die Intensität, mit der er zeitlebens Theologe gewesen ist. Nehmen Sie nur die dramatische Zeit des Widerstands, dass er in der Zeit der Konspiration, in der Zeit, in der er ein Teil der militärischen Abwehr war und unter diesem Dach konspirativ gegen Hitler tätig war und diejenigen unterstützte, die dann das Attentat auf Hitler vorbereiteten, und dass er in dieser Zeit gleichzeitig beharrlich und kontinuierlich an einem Manuskript, einem theologischen Manuskript über Ethik arbeitete, das charakterisiert Bonhoeffer und das spielt in vielen Darstellungen nicht die Rolle, die ich für angemessen halte.
    Immunisiert durch die Bergpredigt
    Florin: Ich würde gerne etwas früher ansetzen, zeitlich. Wann kam ihm der Gehorsam gegenüber dem Staat abhanden?
    Huber: Spätestens 1932. Das ist ein sehr interessantes Datum, also noch vor der Übergabe der Macht an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 hatte er eine Phase, in der er sich mit neuer Intensität mit biblischen Texten beschäftigte und dabei insbesondere mit der Bergpredigt Jesu.
    Der Theologe Wolfgang Huber
    Der Theologe Wolfgang Huber (Nicolas Hansen)
    Florin: Sie schreiben, er sei durch die Bergpredigt gegen die NS-Ideologie immunisiert gewesen. Inwiefern macht die Bergpredigt immun und wogegen genau?
    Huber: Weil sie eine klare Priorität setzt in dem Verständnis, das Bonhoeffer davon hatte. "Auf der Seite Jesu Christi zu stehen", sagt er, "heißt auf der Seite von Frieden und Gerechtigkeit zu stehen, also Anwalt der Menschen zu sein, politische Machtausübung unter dem Gesichtspunkt anzuschauen, ob sie wirklich im Dienst der Menschen steht. Und das hat er ganz früh verstanden, dass das beim Nationalsozialismus nicht der Fall war. Auch das hat er nicht etwa erst 1933 gemerkt, sondern er hat Freunden aus der Ökumene, also Freunden aus anderen europäischen Ländern schon im Sommer 1932 ganz klar gesagt: "Wenn Hitler an die Macht kommt, dann ist das ein Unglück, nicht nur für Deutschland, sondern für Europa."
    Florin: Wenn jemand sich heute politisch einmischt mit der Bergpredigt im Kopf und der Bibel in der Hand, dann gilt der oder die oft als Gutmensch, wird als Gutmensch verschrien. Sehen Sie da Verbindungen zwischen heute und den Dreißigerjahren?
    Huber: Diese Debatte gab es damals natürlich auch schon, als Bonhoeffer aufgrund seiner Wahrnehmung der politischen Realität die Überzeugung aussprach, jetzt ist es Zeit, dass die Kirchen ganz klar gegen die Kriegsvorbereitung Stellung nehmen. Wurde ihm auch öffentlich vorgehalten, das sei ja realitätsblind und man müsse den Realitäten ins Auge schauen und sich auf die machtpolitische Lage einstellen. Diese Debatte hat Bonhoeffer schon erlebt.
    Florin: Und wie erleben Sie diese Debatte heute?
    Huber: Ja, es zieht sich natürlich eine Diskussion durch, gerade auch in Deutschland, die mit der Gegenüberstellung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik arbeitet, unter Berufung auf den großen Soziologen Max Weber. Und wir haben in den Debatten um die Nachrüstung vor 30 Jahren und jetzt aktuell in den Debatten um die Flüchtlingspolitik erlebt, dass das sich wiederholt hat. Bonhoeffer war ganz fest davon überzeugt, dass seine Position, mit der er versuchte weiterzudenken, nicht etwa eine gesinnungsethische, sondern eine verantwortungsethische Position war. Er hätte sich also strikt verweigert, wenn man ihn einen Gesinnungsethiker oder wie man heute zu sagen liebt, einen Gutmenschen genannt hätte.
    "Er würde in der Flüchtlingspolitik auf der Seite der Bedrängten stehen"
    Florin: Was meinen Sie denn, wo er heute stehen würde in der Flüchtlingspolitik?
    Huber: Er würde in der Flüchtlingspolitik auf der Seite derer stehen, die die menschliche Lage ernst nehmen, die Bedrängnis von Menschen, die sich auf die Flucht begeben, als eine große Herausforderung wahrnehmen, die aber bis zu Ende denkt und fragt: Was passiert mit ihnen, wenn sie bei uns ankommen? Wo finden sie Aufnahme? Wie werden sie integriert? Und was tragen wir dazu bei, dass die Ursprungskonflikte, die sie zum Verlassen ihres Landes bringen, dass diese Ursprungskonflikte bearbeitet und behoben werden?
    Florin: Das heißt, würde er heute als Gutmensch beschimpft?
    Huber: Er würde möglicherweise heute als Gutmensch beschimpft. Er würde sich dadurch nicht einschüchtern lassen. Er würde aber argumentieren. Er würde auf die Debatte eingehen und würde verantwortungsethisch fragen, was denn die langfristigen Folgen des Handelns derjenigen sind, die sich dieser Aufgabe zu verweigern suchen.
    Florin: Ich habe in Ihrem Buch ein Wort gelesen, das mir ehrlich gesagt schon lange nicht mehr begegnet ist, nämlich das Wort "Ritterlichkeit". Sie beschreiben das als Prinzip der Erziehung. Also, es war eine wichtige Tugend in der Familie, in der Dietrich Bonhoeffer aufwuchs. Was meint Ritterlichkeit?
    Huber: Es war nicht nur in der Familie Bonhoeffer, sondern es wird beschrieben als eine gemeinsame Grundhaltung des ganzen Freundeskreises, zum dem die Bonhoeffers gehörten. Und Ritterlichkeit meint dabei, auf die Situation des anderen zu achten und ihm zur Seite zu stehen, wenn er Hilfe, und wenn er Unterstützung braucht.
    Florin: Gestern haben sie via Twitter kritisiert, dass es einen Hang zur politischen Korrektheit gebe, einschließlich strenger Regeln zu gender-gerechter Sprache. Können Frauen auch ritterlich sein? Gibt es Ritterinnen?
    Die ritterliche Haltung in der Erziehung
    Huber: Ja, das Wort ist natürlich auf Männer geprägt. Ich habe einer der Damen, die mich kritisiert haben und gesagt hat, ich solle nur noch weibliche Formen verwenden, habe ich gedacht, ich schreibe ihr: "Sehr geehrte Herrin, ich bin damit einverstanden, das zu machen." Das zeigt, dass man in der Sprache nicht alles in gleicher Weise in beiden Formen ausdrücken kann. Und es ist eine Frau, die diesen Zug in der Erziehung der jungen Männer beschrieben hat. Emilie Delbrück hat das so beschrieben. Von ihr stammt die Bezeichnung "ritterlich" für die Haltung, die nun in der Tat bei den jungen Männern sich ausgeprägt hat und die die jungen Damen damals zu respektieren wussten.
    Florin: Ein anderer berühmter Satz Bonhoeffers, auch schon ein geflügeltes Wort, stammt aus einem Aufsatz von 1933. Dieser Aufsatz heißt "Die Kirche vor der Judenfrage". Bevor wir auf den Inhalt kommen, möchte ich noch mal gerade über dieses Wort "Judenfrage" mit Ihnen sprechen. Was war für Bonhoeffer die Judenfrage?
    Huber: Die Judenfrage war für ihn die Stellung der Juden in Deutschland, ihre Zugehörigkeit zur Bürgerschaft dieses Landes und die Tatsache, dass diese Zugehörigkeit in Zweifel gezogen wurde und sie ausgegrenzt werden sollten. Das war die Judenfrage. Und er verwendete dafür dieses unglückliche Wort. Denn so, wie ich jetzt seine Haltung auch beschreibe, war es ja keineswegs eine Judenfrage, sondern es war eine Frage der Mehrheitsgesellschaft und wie sie mit den Juden umging und ließ sich gerade nicht auf das Wort Judenfrage reduzieren. Er übernahm diesen Begriff. Das ist ein Teil der problematischen Seiten dieses ansonsten wirklich außerordentlich bemerkenswerten Vortrags.
    "Man findet bei ihm eine Theorie des Widerstands"
    Florin: Die Formulierung, auf die ich hinauswill, ist die, man müsse dem "Rad in die Speichen fallen". Also, die Kirche solle nicht nur die Opfer des Regimes verbinden, solle also nicht nur Erste Hilfe leisten, frei übersetzt, sondern sie soll dem "Rad in die Speichen fallen". Was meinte er damit?
    Huber: Das ist ja die dritte Stufe innerhalb einer Beschreibung der Aufgaben der Christen und der Kirchen gegenüber dem Staat, die Art und Weise, in der sie an der politischen Verantwortung teilnehmen. Und die drei Stufen heißen so. Erstens: Die Kirche hat die Aufgabe, den Staat an seine Aufgabe zu erinnern, zu mahnen, ihn aufzufordern, dieser Aufgabe nachzukommen, nämlich für Ordnung und Recht zu sorgen, also den Menschen dazu zu helfen, dass sie in Frieden leben und sich auf Recht verlassen können. Das Zweite ist, wenn der Staat gegenüber dieser Aufgabe versagt, hat sie die Aufgabe, den Opfern staatlichen Handelns beizustehen, die Opfer unter dem Rad zu verbinden. Wenn aber das staatliche Handeln so unerträglich diese Richtung nimmt, dann reicht es nicht, die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dann muss man dem Rad in die Speichen fallen. Und das heißt im Jahre 1933, im April 1933 formuliert, man muss zum Widerstand, ja, im äußersten Fall zum gewaltsamen Widerstand bereit sein. Es ist absolut aufregend, dass man bei Dietrich Bonhoeffer, wenn ich ein großes Wort verwenden darf, eine explizite, öffentlich geäußerte Theorie des Widerstands im Sommer 1933 findet. Der Text wurde veröffentlicht.
    Florin: Für Schlagzeilen sorgte vor einigen Jahren ein ehemaliger sächsischer Pfarrer, der sich bei einer "Merkel-muss-weg-Kundgebung", von rechts also organisiert, auf Dietrich Bonhoeffer berief, auch mit diesem Satz, "dem Rad in die Speichen fallen". Wem gehört Bonhoeffer?
    "Bonhoeffer gehört niemandem"
    Huber: Bonhoeffer gehört niemandem. Er steht für sich selbst und man muss sich an ihm messen. Dass er in diesem Fall instrumentalisiert worden ist, ist ja deswegen klar, weil niemand bestreiten kann, dass wir in Deutschland eine öffentliche Diskussion haben, die nach dem richtigen politischen Weg sucht, ohne dass man deswegen zur Gewalt gegenüber der Bundeskanzlerin aufrufen muss. Und man muss sich über ein Land freuen, in dem auch das noch möglich ist, dass jemand sich so vergreift. Aber die Berufung auf Bonhoeffer war natürlich in dem Fall daneben.
    Florin: Was halten Sie vom Wort Widerstand? Das ist ja wieder en vogue. Früher war es eher so von links, ziviler Ungehorsam, jetzt von rechts. Ist die Verwendung legitim?
    Huber: Das Wort Widerstand hat so viele Schattierungen, dass man sozusagen keine politische Korrektheit für dieses Wort einfordern kann. Ich erinnere mich an eine Ministerialverfügung des bayrischen Kultusministers gegenüber seinen Beamten, die er aufforderte, Widerstand zu leisten gegen unsinnige Verwendungen von Ministerialerlassen. Also, das sieht man, das Wort hat eine ganz große Breite. Und vorhin haben Sie über den zivilen Ungehorsam gesprochen, also, eine dezidiert gewaltfreie Art und Weise, gegen Gesetze zu protestieren, die man für verhängnisvoll hält. Wir haben die passive Resistenz und wir haben den großen Widerstand, der Gewalt einschließt. Das Besondere bei Bonhoeffer im Jahre 1933 ist, dass er tatsächlich auch diesen großen Widerstand, die aktive Resistenz schon im Blick gehabt hat.
    Florin: Wäre es für Sie politische Korrektheit, wenn sich die evangelische Kirche von einer, ja, Instrumentalisierung Bonhoeffers und des Wortes "Widerstand von rechts" distanziert?
    Huber: Nein, das wäre keine politische Korrektheit, sondern das wäre ein Beitrag zur Klarheit, den ich außerordentlich wünschenswert fände.
    Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.
    Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last.
    Ach Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen das Heil, für das du uns bereitet hast.
    Und reichst du uns den schweren Kelch, den bitteren des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand.
    Florin: Ja, "Von guten Mächten", das ist sicherlich das berühmteste, was Bonhoeffer hinterlassen hat. Auch Teil der Popkultur, was jetzt nicht despektierlich gemeint sein soll. Herr Huber, wozu braucht es im Protestantismus mehr Mut – zum Denken oder zum Fühlen?
    Huber: Ich habe Schwierigkeiten mit dieser Alternative, und zwar gerade, wenn ich an Bonhoeffer denke. Ja, das Gedicht, das gerade vorgelesen wurde, stammt aus der letzten Lebenszeit von Bonhoeffer. Es ist in gewisser Weise der letzte Text, den wir überhaupt von ihm haben. In den Vorweihnachtstagen 1944 im Gestapo-Gefängnis in Berlin, dem sogenannten Hausgefängnis der Gestapo, wo jetzt die "Topographie des Terrors" ist, geschrieben für seine Verlobte Maria von Wedemeyer und dann für seine Familie und seine Freunde glücklicherweise auch herausgekommen. Und das ist ein Gedicht, das zeigt, wie intensiv bei ihm Spiritualität und Theologie, Nachdenklichkeit und intensives Gefühl zusammenhängen. Und mein Wunsch ist schon sehr lange, dass diese Zusammengehörigkeit auch im Protestantismus lebendig ist und erfahrbar wird. Und dafür kann Bonhoeffer ein gutes Beispiel sein. Derjenige, der sich an diesem Gedicht freut, sollte sich aber auch die Mühe machen, zu sehen, wie Bonhoeffer theologisch gedacht hat, wie er seine Grundhaltung durchgearbeitet hat und zur Sprache gebracht hat.
    Florin: Wird der Ihrer Ansicht nach zu sehr verkitscht, speziell mit diesem Gedicht?
    Huber: Ja, vor allem dann, wenn man dieses Gedicht nur in seiner letzten Strophe zitiert und isoliert von der schmerzlichen Grunderfahrung, die dahintersteckt und die die vorangehenden Strophen dieses Gedichts auf so eindringliche Weise zur Geltung bringen. Und ich wünsche mir, dass nicht nur dieses, sondern auch die neun anderen Gedichte aus der Gefängniszeit, dass die auch zur Kenntnis genommen werden, ganz besonders "Stationen auf dem Weg zur Freiheit", das Gedicht, das meinem Buch auch den Untertitel gegeben hat: "auf dem Weg zur Freiheit". Das finde ich genauso wichtig.
    "Eine Extremsituation, die man wenig Menschen wünschen mag"
    Florin: Für seinen Glauben einstehen bis zum Tod, bis zum Märtyrertum, ist das für Sie ein Maßstab wahren Glaubens, diese Bereitschaft?
    Huber: Das ist eine Extremsituation, die man möglichst wenig Menschen wünschen mag. Und es gibt keinen Grund, denjenigen echten Glauben abzusprechen, die nicht in diese Situation geraten sind. Aber, dass man, wenn man in diese Situation gerät, dann durch den Glauben auch die Kraft bekommt, sie auf die eine oder andere Weise durchzustehen, das heißt übrigens auch dadurch durchzustehen, dass man sich – wie Bonhoeffer sich ausgedrückt hat – in den Künsten der Verstellung übt, also durchaus auch taktisch auf die Situation eingeht und keineswegs nur heroisch sagt, ich setze mein Leben aufs Spiel. Er selber wollte auch sein Leben retten und hat dann nur aus Rücksicht auf seine Freunde darauf verzichtet. Also, wieder diese Einheit von Überzeugung und verantwortlichem Umgang mit der Situation, die für Bonhoeffer in seinem Leben wie in seiner Ethik so charakteristisch ist.
    Florin: Er war bereit zu sterben, er war aber auch bereit zu töten. Wie war dieser Weg vom Pazifisten bis zu dem Theologen, der sagt, ein Tyrannenmord kann in einer Extremsituation infrage kommen – oder ist vielleicht sogar geboten?
    Vorrang für gewaltfreies Handeln
    Huber: Auch in der Zeit, die man als Bonhoeffers pazifistische Zeit bezeichnet, war er nicht der Auffassung, dass unter gar keinen Umständen Gewalt angewendet werden kann. Sondern da war er davon überzeugt, dass die kriegstreiberische Politik Hitlers ins Unglück führt, und dass Menschen dagegen aufstehen müssen mit einem klaren Zeichen für den Vorrang gewaltfreien Handelns vor der Gewalt. Er hat aber auch damals immer die Option offengehalten, dass Menschen sagen, in der Situation, in der sie sich befinden, ist die Beteiligung an militärischer Gewalt unausweichlich. Er hat für sich selbst ganz klar gesagt, wenn Hitler einen Krieg anfängt, verweigert er den Kriegsdienst. Nicht, weil er gesagt hat, das macht er generell und überall, sondern in dieser Situation. Und das war genauso die situationsbezogene Abwägung, die ihn dazu gebracht hat, seinen Freunden den Rücken zu stärken, als sie sich an der Konspiration beteiligt haben. Bonhoeffer selber war nicht eine Zentralfigur des Widerstands, sondern seine große Rolle bestand darin, dass er Menschen, wie seinem Schwager* Hans von Dohnanyi, die mit großen Gewissensskrupeln zu tun hatten, den Rücken gestärkt hat und gesagt hat: Ihr seid auf dem richtigen Weg und ich unterstütze euch auf diesem Weg. Diese Hilfe war sein Beitrag zum Widerstand.
    Florin: Er gehörte zur Bekennenden Kirche. Es gab damals auch Auseinandersetzungen innerhalb der Bekennenden Kirche, worin das Bekenntnis eigentlich bestünde. Wozu sollte sich die Evangelische Kirche in einer Demokratie wie der der Bundesrepublik bekennen – zu dieser Demokratie?
    "Die Kirche hat viel Grund, sich zu dieser Demokratie zu bekennen"
    Huber: Ja, sie hat viel Grund, sich zu dieser Demokratie zu bekennen, aber nicht nur in dem Sinn, dass sie den Status quo bejaht, sondern dass sie heute fragt: Wie muss es eigentlich weitergehen, damit wir auch in Zukunft eine Demokratie haben, damit die Polarisierung nicht überhand greift, damit die Gleichgültigkeit, in der viele Menschen die Demokratie als gegeben annehmen, ohne sich um deren Fortbestand zu sorgen, damit diese Gleichgültigkeit nicht das letzte Wort behält. Und insbesondere muss man sich klarmachen, dass Demokratie heute nicht mehr nationalstaatlich gedacht werden kann, sondern die Frage heißt, wie wir eigentlich in einer vernetzten Welt, in einem vernetzten Europa die wichtigen Fragen auch tatsächlich demokratisch klären und entscheiden und in Verantwortung für die Zukunft handeln.
    Florin: Aber manchen gilt schon das Bekenntnis zur Demokratie und auch zu gewissen Artikeln des Grundgesetzes, etwa dem zur Gleichheit von Mann und Frau, aber dem zur Gleichheit unabhängig von der Herkunft, als "politisch korrekt" – als etwas, was man relativieren sollte.
    Huber: Ach, so, "politische korrekt" jetzt kritisch gemeint.
    Florin: Kritisch gemeint, ja.
    Huber: Ja, also ich bin davon überzeugt, dass nur derjenige die Demokratie ernstnimmt, der die gleiche Würde aller Menschen zum Ausgangspunkt macht und das heißt, die Vorordnung der allgemeinen Menschenrechte vor den Bürgerrechten auch ganz klar zum Leitfaden seines Handelns macht. Das ist der Anspruch der Demokratie. Genau deswegen ist die Demokratie nicht etwa eine banale Organisationsform von politischen Entscheidungsprozessen, sondern eine inhaltliche Verpflichtung, die für den Christen unmittelbar damit zu tun hat, dass die gleiche Würde jedes Menschen ja nicht zur Disposition steht, sondern mit der Glaubensüberzeugung zusammenhängt, dass jeder Mensch zum Ebenbild Gottes geschaffen ist.
    Florin: Sie haben sich ja nicht nur für diese Buch mit Dietrich Bonhoeffer befasst, sondern eigentlich schon Zeit Ihres Lebens. Deshalb muss ich Sie das jetzt fragen. Wie viel Bonhoeffer steckt in Ihnen?
    Huber: Das kann ich nicht beantworten. Ich maße mir überhaupt nicht an, mich in irgendeiner Weise mit Bonhoeffer vergleichen zu wollen. Es ist ein großes Geschenk meines Lebens, dass ich so früh angefangen habe, mich mit ihm zu beschäftigen, und dass das dann ein Teil meiner eigenen Biografie und ein Teil meiner eigenen Theologie geworden ist, ich lerne daraus immer und ich gehe doch in vielen Fragen andere Wege als Bonhoeffer sie zu seiner Zeit gegangen ist. Also, ein Epigonentum ist nicht der angemessene Weg, mit Bonhoeffer umzugehen.
    Florin: Vielen Dank, Herr Huber, für dieses Gespräch. Das Buch, Wolfang Huber, "Auf dem Weg zur Freiheit", ein Porträt Dietrich Bonhoeffers, ist gerade im C.H. Beck Verlag erschienen.
    Wolfgang Huber: Dietrich Bonhoeffer. Auf dem Weg zur Freiheit. München CH Beck. 336 Seiten, 26.95 Euro.
    *Im Audio bezeichne Wolfgang Huber ihn irrtümlich als Vetter.