Mit Begriffen wie Richtungs-, Schicksals- oder Jahrhundertwahl sollte man bekanntlich vorsichtig umgehen. Allzu oft wurden und werden sie von Zeitgenossen gebraucht, die durchsichtigen parteipolitischen Interessen verpflichtet sind und denen weniger an einer rationalen Auseinandersetzung um Politik als am Spiel mit Emotionen gelegen ist. Allerdings bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel. Denn die amerikanischen Wähler entscheiden Anfang November nicht allein darüber, ob George W. Bush weitere vier Jahre im Amt bleibt. Sie stimmen zugleich über Grundfragen politischer Willensbildung ab. Soll ein Präsident an der Spitze stehen, der den Ausnahmezustand zur Norm erklärt und mit Sondererlassen und Notverordnungen regiert? Oder gibt man seinem demokratischen Herausforderer John F. Kerry die Stimme - in der Hoffnung, dass der Kongress und außerparlamentarische Interessenvertretungen wieder gehört und an der politischen Willensbildung beteiligt werden? Es geht, in anderen Worten, um die Essenz der Demokratie - wie Macht verteilt, kontrolliert und gebändigt wird und ob das in der Verfassung festgeschriebene System der "checks and balances" gewahrt bleibt. Seit der Amtsenthebung von Richard Nixon vor dreißig Jahren stand dergleichen nicht mehr zur Debatte.
So argumentiert im Wahljahr die konservative Opposition in den USA. Ihre Wortführer haben in den vergangenen Monaten Bücher vorgelegt, die in Ton und Gestus an die große Tradition politischer Streitschriften seit dem späten 18. Jahrhundert erinnern. Und die zum Politikum geworden sind, weil gestandene Patrioten ihrem Präsidenten den Fehdehandschuh hingeworfen haben. John Dean gehört seit den Tagen der Nixon-Regierung zum Establishment der republikanischen Partei. Richard Clarke, in den 1990er Jahren zum Koordinator der Anti-Terror-Behörden berufen, diente noch zwei Jahre unter George W. Bush - nicht zuletzt ist sein Name mit dem Krisenmanagement nach dem 11. September 2001 verbunden. Auch der langjährige Botschafter Joseph Wilson hegte lange Zeit Sympathien für die Republikaner, ehe er sich auf die Seite der unversöhnlichen Bush-Gegner schlug. Mit einer politisch hochkarätigen Vita kann Peter Dale Scott nicht aufwarten. Seine Kritik ist aus der Warte eines Akademikers mit zeitweiligen Erfahrungen im diplomatischen Dienst und eines Lobbyisten der parlamentarischen Opposition formuliert.
Wie unterschiedlich sie ihre Akzente auch setzen mögen - Dean, Clarke, Wilson und Scott eint ein gemeinsames Anliegen: Zu verhindern, dass im Kampf gegen den Terrorismus Freiheitsrechte real geopfert werden, um eine fiktive Sicherheit herzustellen. Dabei werfen sie Fragen auf, die über die Konjunktur des Büchermarktes und den anstehenden Urnengang hinaus in der Diskussion bleiben werden.
Richard Clarke machte international Schlagzeilen, als er eine Anhörung vor dem Kongress zum Anlass nahm, sich bei den Angehörigen der Opfer vom 11. September zu entschuldigen. Was es mit dieser Entschuldigung auf sich hatte, ist in seiner auch auf Deutsch unter dem Titel "Against All Enemies" erschienenen Bilanz von zehn Jahren Anti-Terror-Politik nachzulesen. Dass die Anschläge von New York und Washington unter einem anderen Präsidenten hätten verhindert werden können, will Clarke nicht behaupten. Wohl aber attestiert er der Administration Bush eine atemberaubende Fahrlässigkeit. Als sie ins Amt kam, hätte sie sich die Erfahrungen einer langjährigen Reform der Sicherheitsapparate zunutze machen können. Zur Zeit von Bill Clinton hatte man das bürokratische Dickicht bei FBI und CIA ausgedünnt, neues Personal eingestellt und zusätzliche Etats bewilligt - und bemerkenswerte Erfolge gegen Al Qaida erzielt. Einsätze gegen Ausbildungslager in Afghanistan zeugen ebenso davon wie die vereitelten Anschläge im Umfeld der Milleniumsfeiern zu Silvester 2000. Unter George W. Bush jedoch wurde das Thema Terrorismus von der politischen Agenda gestrichen - trotz gegenläufiger Empfehlungen einer von zwei Senatoren geleiteten, überparteilichen Expertenkommission, obwohl CIA-Direktor Tenet ihn in persönlichen Unterredungen sage und schreibe 40 Mal auf die virulente Bedrohung seitens Al Qaida aufmerksam gemacht und zum Beleg eindeutige Memoranden seiner Behörde vorgelegt hatte. Wie aus dem Abschlussbericht der "National Commission on Terrorist Attacks" hervorgeht, ist Clarkes Darstellung über jede Kritik erhaben. Damit aber will sich der Autor nicht schmücken. Er macht sich vielmehr zum Vorwurf, die Öffentlichkeit nicht früher darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass die Regierung Bush ein Sicherheitsrisiko darstellt.
John Dean haut in seinem Buch "Das Ende der Demokratie - Die Geheimpolitik des George W. Bush" in die gleiche Kerbe, wenn auch mit anderem Akzent. "Worse Than Watergate" - schlimmer als Watergate - nennt er die Praktiken des Weißen Hauses und verweist auf eine aus dem Lot geratene Verteilung politischer Macht. In der Tat hat George W. Bush die Terrorattacken zum Vorwand genommen, um die Exekutive nachhaltig zu stärken. Im Vergleich dazu erscheinen die von Abraham Lincoln während des Bürgerkriegs oder von Franklin D. Roosevelt während des Zweiten Weltkrieges erlassenen Ausnahmeverordnungen harmlos. Bush nutzt das "exekutive Privileg" des Präsidenten auf beispiellose Art. Weitreichende Veränderungen in der Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik wurden nicht qua Gesetz auf den Weg gebracht, sondern mit so genannten "regulations" durchgepaukt - mit Verordnungen, Erlassen und Verfügungen hinter dem Rücken der demokratisch gewählten Gesetzgeber. Und Vizepräsident Richard Cheney, der "Richelieu hinter dem Thron", bastelt seit Jahren an neuen Stellen und Ämtern, die jenseits der fachlich zuständigen Ministerien agieren und einzig dem Weißen Haus zur Rechenschaft verpflichtet sind. Wie weit der Arm dieser mit ideologisch Zuverlässigen bestellten "Schattenadministration" reicht, kann auch John Dean nicht beantworten. Sein schonungsloser Blick macht indes deutlich, warum in Washington seit geraumer Zeit das Wort vom "kalten Staatsstreich" die Runde macht. Und warum bisweilen von einem schleichenden Übergang zum "Caesarismus" die Rede ist.
Joseph Wilson, über Jahrzehnte als US-Botschafter in verschiedenen afrikanischen Ländern akkreditiert, schildert in seinem zornigen, aber nie unsachlichen Buch "Politik der Wahrheit - Die Lügen, die Bush die Zukunft kosten könnten" die Exzesse des Machtmissbrauchs am Beispiel seiner eigenen Familie. Nachdem er die Meldungen über Urangeschäfte des Irak mit Niger als wissentlich betriebene Desinformation entlarvt hatte, wurde ein Exempel statuiert. Um ihn einzuschüchtern und andere potentiell "Abtrünnige" abzuschrecken, brachen hochrangige Mitarbeiter des Präsidenten ein für die Arbeit der Geheimdienste elementares Tabu. Sie informierten interessierte Journalisten, dass Wilsons Frau eine verdeckt arbeitende Agentin der CIA ist - ein Spiel zu Lasten der beruflichen Karriere von Valerie Plame und mehr noch auf Kosten ihrer persönlichen Sicherheit. Dergleichen hatte zuletzt Senator Joseph McCarthy in den finstersten Tagen des Kalten Krieges angezettelt. Er zahlte bekanntlich mit dem vorzeitigen Ende seiner Karriere.
Dessen eingedenk vermutet Wilson, dass die Präsidentschaft Bush eher auf geborgter denn konsolidierter Macht gründet. Denn wer den Ehrenkodex staatlicher Institutionen verletzt und mit der Loyalität seiner Klientel spielt, geht ein hohes Risiko ein. Einige Beobachter sprechen bereits von einer Vertrauenskrise innerhalb des Sicherheitsapparates und des Militärs. Selbst in den Reihen der republikanischen Partei ist Unmut zu spüren, weil Bushs Wahlhelfer Rivalen aus dem eigenen Lager mit ähnlichen Methoden abstraften wie Wilson. So könnten die Intrigen des Weißen Hauses für weitere Skandale und unkalkulierbare Überraschungen am Wahltag sorgen. Es sei denn, ein neuer Terroranschlag treibt Bush die Verängstigten und Ratlosen wieder in Scharen zu.
Peter Dale Scott lehnt in seinem Buch "Die Drogen, das Öl und der Krieg" dergleichen Spekulationen über die Konjunkturen des tagespolitischen Geschäfts ab. Er widmet sich statt dessen den - wie er es nennt - "Tiefenstrukturen" der amerikanischen Politik und schlägt einen radikalen Wechsel der Perspektive vor: Wer Kontinuitäten und Dynamiken verstehen will, sollte sich nicht in erster Linie mit Präsidenten, Ministern und Bürokraten befassen, sondern die auf anderen Bühnen und in der Regel verdeckt agierenden Lobbyisten in den Blick nehmen. Gemeint sind die im Drogen- und Ölgeschäft tätigen Geschäftsleute und deren Partner im Geheimdienst und Militär. Dieses Interessenkartell bringt Scott mit zahlreichen Kriegen und Interventionen in Verbindung - von Korea und Vietnam über Panama bis Afghanistan. Den Beweis seiner These allerdings bleibt er schuldig. An keiner Stelle wird einsichtig, mit welchen Mitteln und auf welche Weise diese Akteure politische Entscheidungen beeinflusst haben sollen. Die Schattenmänner bleiben in ihrer Schattenwelt, umrankt von Vermutungen, Gerüchten und Spekulationen.
Scotts Buch spiegelt einen beunruhigenden Trend in der politischen Diskussion in den USA wie andernorts: Je mehr eine Regierung sich von der Außenwelt abschottet und je stärker sie das Recht des Parlaments wie der Zivilgesellschaft auf Kontrolle und Mitsprache beschneidet, desto blumiger schießen Verschwörungstheorien ins Kraut - Weltbilder also, die in der Vorstellung gründen, dass alle Politik dem gestalterischen Willen der Öffentlichkeit längst entzogen ist. Dieser Flurschaden wird auf unabsehbare Zeit nachwirken, unabhängig davon, wer im Oval Office sitzt.
Wie also wäre zu verhindern, dass die amerikanische Demokratie an der Wurzel vergiftet wird? Im Rückgriff auf Tugenden, die dereinst weltweit bewundert wurden, fordert Richard Clarke eine zeitgemäße Form des zivilen Ungehorsams: Die Mauer der Geheimnisse durchbrechen, Interna preisgeben und usurpierte Macht bloßstellen.
Ich glaube, dass die Patrioten, die dieses Land gegründet haben … ein sehr kritisches Verhältnis zu Autoritäten hatten und alles hinterfragten. Wenn wir dieses Land retten wollen, … müssen wir diesen Geist zu neuem Leben erwecken und wahre Demokraten sein, Demokraten ohne Parteibuch.
Früher hätte man solche Sätze in Magazinen wie "Mother Jones" oder "The Progressive" gelesen. Heute findet man sie in "Vanity Fair" - mittlerweile auch ein Forum der konservativen Opposition.
Richard A. Clarke: Against All Enemies - Der Insiderbericht über Amerikas Krieg gegen den Terror
Verlag Hoffmann und Campe Hamburg 2004, 384 Seiten, 19,90 Euro
John W. Dean: Das Ende der Demokratie. Die Geheimpolitik des George W. Bush
Propyläen Verlag Berlin 2004, 240 Seiten, 22,-- Euro
Peter Dale Scott: Die Drogen, das Öl und der Krieg - Zur Tiefenpolitik der USA
Zweitausendseins Versand Frankfurt 2004, 386 Seiten, 14,90 Euro
Joseph C. Wilson: Politik der Wahrheit - Die Lügen, die Bush die Zukunft kosten könnten
Fischer Verlag Frankfurt 2004, 416 Seiten, 19,90 Euro
So argumentiert im Wahljahr die konservative Opposition in den USA. Ihre Wortführer haben in den vergangenen Monaten Bücher vorgelegt, die in Ton und Gestus an die große Tradition politischer Streitschriften seit dem späten 18. Jahrhundert erinnern. Und die zum Politikum geworden sind, weil gestandene Patrioten ihrem Präsidenten den Fehdehandschuh hingeworfen haben. John Dean gehört seit den Tagen der Nixon-Regierung zum Establishment der republikanischen Partei. Richard Clarke, in den 1990er Jahren zum Koordinator der Anti-Terror-Behörden berufen, diente noch zwei Jahre unter George W. Bush - nicht zuletzt ist sein Name mit dem Krisenmanagement nach dem 11. September 2001 verbunden. Auch der langjährige Botschafter Joseph Wilson hegte lange Zeit Sympathien für die Republikaner, ehe er sich auf die Seite der unversöhnlichen Bush-Gegner schlug. Mit einer politisch hochkarätigen Vita kann Peter Dale Scott nicht aufwarten. Seine Kritik ist aus der Warte eines Akademikers mit zeitweiligen Erfahrungen im diplomatischen Dienst und eines Lobbyisten der parlamentarischen Opposition formuliert.
Wie unterschiedlich sie ihre Akzente auch setzen mögen - Dean, Clarke, Wilson und Scott eint ein gemeinsames Anliegen: Zu verhindern, dass im Kampf gegen den Terrorismus Freiheitsrechte real geopfert werden, um eine fiktive Sicherheit herzustellen. Dabei werfen sie Fragen auf, die über die Konjunktur des Büchermarktes und den anstehenden Urnengang hinaus in der Diskussion bleiben werden.
Richard Clarke machte international Schlagzeilen, als er eine Anhörung vor dem Kongress zum Anlass nahm, sich bei den Angehörigen der Opfer vom 11. September zu entschuldigen. Was es mit dieser Entschuldigung auf sich hatte, ist in seiner auch auf Deutsch unter dem Titel "Against All Enemies" erschienenen Bilanz von zehn Jahren Anti-Terror-Politik nachzulesen. Dass die Anschläge von New York und Washington unter einem anderen Präsidenten hätten verhindert werden können, will Clarke nicht behaupten. Wohl aber attestiert er der Administration Bush eine atemberaubende Fahrlässigkeit. Als sie ins Amt kam, hätte sie sich die Erfahrungen einer langjährigen Reform der Sicherheitsapparate zunutze machen können. Zur Zeit von Bill Clinton hatte man das bürokratische Dickicht bei FBI und CIA ausgedünnt, neues Personal eingestellt und zusätzliche Etats bewilligt - und bemerkenswerte Erfolge gegen Al Qaida erzielt. Einsätze gegen Ausbildungslager in Afghanistan zeugen ebenso davon wie die vereitelten Anschläge im Umfeld der Milleniumsfeiern zu Silvester 2000. Unter George W. Bush jedoch wurde das Thema Terrorismus von der politischen Agenda gestrichen - trotz gegenläufiger Empfehlungen einer von zwei Senatoren geleiteten, überparteilichen Expertenkommission, obwohl CIA-Direktor Tenet ihn in persönlichen Unterredungen sage und schreibe 40 Mal auf die virulente Bedrohung seitens Al Qaida aufmerksam gemacht und zum Beleg eindeutige Memoranden seiner Behörde vorgelegt hatte. Wie aus dem Abschlussbericht der "National Commission on Terrorist Attacks" hervorgeht, ist Clarkes Darstellung über jede Kritik erhaben. Damit aber will sich der Autor nicht schmücken. Er macht sich vielmehr zum Vorwurf, die Öffentlichkeit nicht früher darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass die Regierung Bush ein Sicherheitsrisiko darstellt.
John Dean haut in seinem Buch "Das Ende der Demokratie - Die Geheimpolitik des George W. Bush" in die gleiche Kerbe, wenn auch mit anderem Akzent. "Worse Than Watergate" - schlimmer als Watergate - nennt er die Praktiken des Weißen Hauses und verweist auf eine aus dem Lot geratene Verteilung politischer Macht. In der Tat hat George W. Bush die Terrorattacken zum Vorwand genommen, um die Exekutive nachhaltig zu stärken. Im Vergleich dazu erscheinen die von Abraham Lincoln während des Bürgerkriegs oder von Franklin D. Roosevelt während des Zweiten Weltkrieges erlassenen Ausnahmeverordnungen harmlos. Bush nutzt das "exekutive Privileg" des Präsidenten auf beispiellose Art. Weitreichende Veränderungen in der Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik wurden nicht qua Gesetz auf den Weg gebracht, sondern mit so genannten "regulations" durchgepaukt - mit Verordnungen, Erlassen und Verfügungen hinter dem Rücken der demokratisch gewählten Gesetzgeber. Und Vizepräsident Richard Cheney, der "Richelieu hinter dem Thron", bastelt seit Jahren an neuen Stellen und Ämtern, die jenseits der fachlich zuständigen Ministerien agieren und einzig dem Weißen Haus zur Rechenschaft verpflichtet sind. Wie weit der Arm dieser mit ideologisch Zuverlässigen bestellten "Schattenadministration" reicht, kann auch John Dean nicht beantworten. Sein schonungsloser Blick macht indes deutlich, warum in Washington seit geraumer Zeit das Wort vom "kalten Staatsstreich" die Runde macht. Und warum bisweilen von einem schleichenden Übergang zum "Caesarismus" die Rede ist.
Joseph Wilson, über Jahrzehnte als US-Botschafter in verschiedenen afrikanischen Ländern akkreditiert, schildert in seinem zornigen, aber nie unsachlichen Buch "Politik der Wahrheit - Die Lügen, die Bush die Zukunft kosten könnten" die Exzesse des Machtmissbrauchs am Beispiel seiner eigenen Familie. Nachdem er die Meldungen über Urangeschäfte des Irak mit Niger als wissentlich betriebene Desinformation entlarvt hatte, wurde ein Exempel statuiert. Um ihn einzuschüchtern und andere potentiell "Abtrünnige" abzuschrecken, brachen hochrangige Mitarbeiter des Präsidenten ein für die Arbeit der Geheimdienste elementares Tabu. Sie informierten interessierte Journalisten, dass Wilsons Frau eine verdeckt arbeitende Agentin der CIA ist - ein Spiel zu Lasten der beruflichen Karriere von Valerie Plame und mehr noch auf Kosten ihrer persönlichen Sicherheit. Dergleichen hatte zuletzt Senator Joseph McCarthy in den finstersten Tagen des Kalten Krieges angezettelt. Er zahlte bekanntlich mit dem vorzeitigen Ende seiner Karriere.
Dessen eingedenk vermutet Wilson, dass die Präsidentschaft Bush eher auf geborgter denn konsolidierter Macht gründet. Denn wer den Ehrenkodex staatlicher Institutionen verletzt und mit der Loyalität seiner Klientel spielt, geht ein hohes Risiko ein. Einige Beobachter sprechen bereits von einer Vertrauenskrise innerhalb des Sicherheitsapparates und des Militärs. Selbst in den Reihen der republikanischen Partei ist Unmut zu spüren, weil Bushs Wahlhelfer Rivalen aus dem eigenen Lager mit ähnlichen Methoden abstraften wie Wilson. So könnten die Intrigen des Weißen Hauses für weitere Skandale und unkalkulierbare Überraschungen am Wahltag sorgen. Es sei denn, ein neuer Terroranschlag treibt Bush die Verängstigten und Ratlosen wieder in Scharen zu.
Peter Dale Scott lehnt in seinem Buch "Die Drogen, das Öl und der Krieg" dergleichen Spekulationen über die Konjunkturen des tagespolitischen Geschäfts ab. Er widmet sich statt dessen den - wie er es nennt - "Tiefenstrukturen" der amerikanischen Politik und schlägt einen radikalen Wechsel der Perspektive vor: Wer Kontinuitäten und Dynamiken verstehen will, sollte sich nicht in erster Linie mit Präsidenten, Ministern und Bürokraten befassen, sondern die auf anderen Bühnen und in der Regel verdeckt agierenden Lobbyisten in den Blick nehmen. Gemeint sind die im Drogen- und Ölgeschäft tätigen Geschäftsleute und deren Partner im Geheimdienst und Militär. Dieses Interessenkartell bringt Scott mit zahlreichen Kriegen und Interventionen in Verbindung - von Korea und Vietnam über Panama bis Afghanistan. Den Beweis seiner These allerdings bleibt er schuldig. An keiner Stelle wird einsichtig, mit welchen Mitteln und auf welche Weise diese Akteure politische Entscheidungen beeinflusst haben sollen. Die Schattenmänner bleiben in ihrer Schattenwelt, umrankt von Vermutungen, Gerüchten und Spekulationen.
Scotts Buch spiegelt einen beunruhigenden Trend in der politischen Diskussion in den USA wie andernorts: Je mehr eine Regierung sich von der Außenwelt abschottet und je stärker sie das Recht des Parlaments wie der Zivilgesellschaft auf Kontrolle und Mitsprache beschneidet, desto blumiger schießen Verschwörungstheorien ins Kraut - Weltbilder also, die in der Vorstellung gründen, dass alle Politik dem gestalterischen Willen der Öffentlichkeit längst entzogen ist. Dieser Flurschaden wird auf unabsehbare Zeit nachwirken, unabhängig davon, wer im Oval Office sitzt.
Wie also wäre zu verhindern, dass die amerikanische Demokratie an der Wurzel vergiftet wird? Im Rückgriff auf Tugenden, die dereinst weltweit bewundert wurden, fordert Richard Clarke eine zeitgemäße Form des zivilen Ungehorsams: Die Mauer der Geheimnisse durchbrechen, Interna preisgeben und usurpierte Macht bloßstellen.
Ich glaube, dass die Patrioten, die dieses Land gegründet haben … ein sehr kritisches Verhältnis zu Autoritäten hatten und alles hinterfragten. Wenn wir dieses Land retten wollen, … müssen wir diesen Geist zu neuem Leben erwecken und wahre Demokraten sein, Demokraten ohne Parteibuch.
Früher hätte man solche Sätze in Magazinen wie "Mother Jones" oder "The Progressive" gelesen. Heute findet man sie in "Vanity Fair" - mittlerweile auch ein Forum der konservativen Opposition.
Richard A. Clarke: Against All Enemies - Der Insiderbericht über Amerikas Krieg gegen den Terror
Verlag Hoffmann und Campe Hamburg 2004, 384 Seiten, 19,90 Euro
John W. Dean: Das Ende der Demokratie. Die Geheimpolitik des George W. Bush
Propyläen Verlag Berlin 2004, 240 Seiten, 22,-- Euro
Peter Dale Scott: Die Drogen, das Öl und der Krieg - Zur Tiefenpolitik der USA
Zweitausendseins Versand Frankfurt 2004, 386 Seiten, 14,90 Euro
Joseph C. Wilson: Politik der Wahrheit - Die Lügen, die Bush die Zukunft kosten könnten
Fischer Verlag Frankfurt 2004, 416 Seiten, 19,90 Euro