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Wie aus einem anderen Jahrhundert

Im belgischen Maastal, nur eine Stunde hinter der deutschen Grenze, können Touristen eine grüne Flusslandschaft mit Hunderten alten Burgen und Schlössern erkunden.

Von Antje Zimmermann |
    Gemächlich gleitet das Ausflugsboot durch das Wasser. Eine Gruppe Graugänse schwimmt für einige Minuten neben dem Schiff und erklimmt dann das Ufer. Mit wenigen Schritten gelangen die Vögel zur ersten Stufe eines terrassenförmig angelegten Gartens. Plätschernde Wasserspiele umgeben einen Pavillon. Apfelsinenbäume verströmen einen leichten Duft. Und dichte Hainbuchen bilden ein kilometerlanges Labyrinth.

    Der verspielte Garten gehört zu Schloss Freyr - einem Prachtbau im Stil des berühmten Versailles. In unmittelbarer Nachbarschaft des Schlosses ragen steile Felswände, die Ausläufer der Ardennen, in die Höhe und wenige Meter weiter liegt ein mittelalterliches Dorf. Auf eine Besucherin aus Übersee wirkt die Landschaft wie eine Filmkulisse.

    "Wenn man hierhin kommt, wähnt man sich im 16. Jahrhundert mit diesen alten Herrensitzen und Schlössern. Fast erwartet man, dass jemand auf seinem Pferd angeritten kommt. Die Landschaft ist absolut wunderschön und sehr grün."

    Die Flussfahrt endet in dem kleinen Städtchen Dinant. Wegen seiner architektonischen Schönheit gilt es als die Perle der Maas. Schon von Weitem sieht man die große, gotische Kirche. Daneben stehen bunte Häuschen mit eigenen Bootsanlegestellen und hinter dem Gotteshaus türmen sich wuchtige Felsen auf - die perfekte Postkartenidylle.

    Léa Zuckerman lebt heute bei Dinant. Geboren ist sie in Deutschland. Wegen ihres jüdischen Glaubens musste sie aber schon als kleinen Mädchen fliehen. Im Maastal ist Léa Zuckerman nicht zuletzt wegen der Schönheit der Landschaft geblieben.

    "Und hier in Belgien können wir, wenn Sie einen Architekten haben, nach unserem Geschmack ein Haus bauen lassen. Und das ist natürlich ein großer Unterschied zwischen zum Beispiel Holland oder England auch, wo Sie Straßen lang dieselben Häuser haben. Bei uns ist das sehr unterschiedlich - und das macht dann einen Charme; viele Blumen auch, mehr und mehr. Natürlich, wir haben das Glück, dass schon seit mehr als 60 Jahren Frieden ist - und das kann man merken."

    Rund 20 Kilometer oberhalb von Dinant liegt das Kloster Maredsous. Es ist ein beliebtes Ausflugsziel, denn viele Besucher schätzen die gute Küche der Benediktiner. Im Kloster wird Brot gebacken, Käse hergestellt und das eigene Bier ausgeschenkt. Zur Abtei Maredsous zählen aber auch ein weitläufiger Park und eine Schule, in der Christian Mettelart seit 35 Jahren unterrichtet.

    "Diese Schule startete mit acht Schülern. Nach einigen Jahrzehnten waren es schon 160 Schüler, aber alle gehörten dem Adel an. Und als ich 1974 hierhin kam - ich komme aus einer Kohle- und Stahlregion, mein Vater war ein Stahlkocher - und ich meine Klasse betrat, realisierte ich, dass meine Schüler alle zum Adel gehörten. Unter den zehn Jungen in der Klasse waren allein drei Prinzen. Sie sehen, das war eine große Veränderung in meinem Leben. Ich hätte nie gedacht, dass es eine solche Welt überhaupt geben könnte, denn ich war ihr nie zuvor begegnet."

    Weil der Geschichtslehrer die Historie des Klosters wie kein Zweiter kennt, führt Christian Mettelart auch Besuchergruppen über das Gelände. Deutsche Gruppen werden von ihm mit folgenden Worten begrüßt.

    "Entschuldigen Sie mir bitte, ich werde viele Fehler machen. Und sie antworten: Das ist Nichts, sprechen Sie Deutsch bitte!"

    Während des Rundgangs erzählt der Lehrer dann von der Gründung des Klosters.

    "Im Jahr 1817 gab es in Belgien keine Mönche mehr. Alle Klöster waren während der Französischen Revolution zerstört worden. Deshalb wandte man sich nach Deutschland, um ein Benediktinerkloster zu finden. In Beuron in der Nähe von Stuttgart wurde man schließlich fündig. Und der deutsche Abt akzeptierte das Ansinnen, in Belgien ein neues Kloster zu gründen, und schickte acht deutsche Mönche. Das ist schon witzig, dass die erste Gemeinschaft in Maredsous eine deutsche Gemeinschaft war, und auch der erste Abt ein Deutscher war."

    Christian Mettelart freut sich, dass mittlerweile mehr deutsche Urlauber den Weg ins Maastal finden. Obwohl man so nah beieinander wohnt, hat es über Jahrzehnte eher wenig Kontakt gegeben. Eine Möglichkeit, mehr über die Wallonen zu erfahren, ist eine private Unterkunft. Bed and Breakfast wird im Maastal oft in romantischen, alten Häusern angeboten. Eines der schönsten Gästehäuser finden Besucher in dem kleinen Dörfchen Yvoir.

    Immer weiter führt eine schmale Schotterpiste den Berg hinauf, sodass man schon glaubt, sich verfahren zu haben. Doch dann stehen die Logiergäste plötzlich im Innenhof einer ehemaligen Hofanlage und sind umgeben von blühenden Bäumen und duftenden Blumen. Gastgeberin Marie-Christine Crespeigne führt die Neuankömmlinge über die Anlage.

    "Wir reisen viel - mein Mann und ich - und wir waren immer in kleinen, privaten Unterkünften, wo uns die Besitzer sehr freundlich aufgenommen haben. Und dort hatte ich auf einmal die Idee, dass ich das auch bei uns hier anbieten kann. Natürlich mussten wir einiges renovieren, aber für uns ist das einfach eine wunderbare Möglichkeit, ganz verschiedene Menschen kennenzulernen und ihnen das zurückzugeben, was wir selbst als Gastfreundschaft erfahren haben."

    Marie-Christine ist eine ausgezeichnete Köchin. Wer den Wunsch äußert, wird in dem ungewöhnlichen Bed and Breakfast auch bekocht. Das Gemüse stammt fast ausnahmslos aus dem eigenen Garten. Hinter den Gemüsebeeten liegt ein kleiner Pool, der ganz von Lavendel umgeben ist. Hummeln umfliegen die Blüten und Vögel geben ihr abendliches Konzert. Als dann die Sonne über den Feldern und Wiesen des Maastals untergeht, fragt man sich unwillkürlich, warum man nicht schon eher den Weg in das Tal gefunden hat.

    Infotext - Maastal:

    Belgien Tourismus Wallonie-Brüssel
    Cäcilienstr. 46
    50667 Köln
    Tel.: 0221/277 59-0
    Fax: 0221/277 59 -100
    info@belgien-tourismus.de
    www.belgien-tourismus.de

    B & B von Marie-Christine Crespeigne
    La Ferme de l'Airbois
    Tricointe, 55
    5530 Yvoir
    Belgien
    Tel.: +32/8261 41 43
    mca@airbois.com
    www.airbois.com