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Wie das Böse aussieht

Nichts fasziniert Menschen so sehr wie das Böse. Jede Gesellschaft, jede Religion, jede Kultur muss sich mit den dunklen Seiten der menschlichen Existenz auseinandersetzen. Grund genug für das Überseemuseum Bremen, gleich eine ganze Ausstellung diesem Thema zu widmen. "All about evil" heißt die Schau, im Untertitel schlicht "Das Böse".

Von Mirko Smiljanic |
    Hier also zeigt sich das Böse! In Wort und Schrift, auf Bildern und Filmen, in Peepshows und Amuletten. 800 Quadratmeter misst die Sonderschau des Bremer Überseemuseums, verglichen mit den Exponaten der Dauerausstellung - ausgestopfte Tiere aus Afrika, Schiffe aus Ozeanien, viel Kultur - erzeugt schon die Ankündigung den wohligen Schauer von Verbotenem. Halb so schlimm! Die Macherinnen von "All about evil" legen Wert auf die Feststellung, dass selbst Kinder den Rundgang unbeschadet überstehen. Kein Mord und Totschlag, kein Blut, kein Krieg - fast jedenfalls nicht, beim Bösen im Kinderzimmer blitzt die Gewalt dann doch ein wenig auf - aber davon später. Zunächst nähert sich der Besucher dem Eingang über das Treppenhaus und schaut ein wenig ratlos auf zwei riesige Augen.

    "Ja, zwei gelbe katzenartige Augen bereiten uns zum Eintritt in das Böse vor, doch vorher sind wir zunächst eine Treppe herauf gegangen, an der sehr viele Porträts zu sehen waren. Die Porträts haben eine Frage, die sie begleiten, sind es gute oder böse Menschen? Eigentlich möchten wir hier die Welt verlassen, aber mit einem Blick auf die Welt wieder zurückkommen, aber mit der Frage, wie ist es eigentlich um mit uns, mit dem Menschen, sind wir gut, sind wir böse, sind wir eindeutig, oder haben wir sehr viele Grauzonen?"

    Vorher zeigt Silke Seybold, Ethnologin und Leiterin der Ausstellung, aber noch auf die Spiegel in der Eingangstür: Jeder soll sich vor dem Rundgang anschauen und entscheiden: Bin ich böse? Bin ich gut? Ein museumsdidaktischer Trick, der die Besucher immerhin ahnen lässt, was sie erwartet: nicht das kopflastig in museale Lernpfade gezwängte Böse, sondern ein Feuerwerk für alle Sinne! Schon der Eingangsbereich empfängt mit einer Kaskade aus Rot und Schwarz, die Grundfarben des Bösen.

    " Ja, mit Gelb zusammen, das sind die Farben, die einem schon vom Plakat entgegenschauen, und das sind auch die Farben, wie wir in der westlichen Kultur mit dem Bösen verbinden, und um die Leute anzulocken, haben wir auch ganz bewusst diese Farben gewählt, ... "

    ... erzählt Dorothea Deterts, Ethnologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bremer Überseemuseum. Auf drei Fragen - fährt sie fort - sucht die Ausstellung Antworten: Wie ist das Böse entstanden? Wie sieht das Böse aus? Und: Wie gehen wir mit dem Bösen um? Beginnen wir mit dem Ursprung des Bösen und seiner religiösen Deutung.

    "Es gibt sehr viele böse Geschichten, es gibt sehr viel Böses, was sich dann zum Gesamtbild des Bösen zusammensetzt. Es ist ja schon mal die Frage, ist es etwas, was personifiziert ist oder ist es etwas, das durch seine Handlung, durch seine ethische Seite zum Bösen wird? Und hier merkt man eben, es gibt sehr viele Gesichter, es gibt sehr viele Zugänge, und wir verweigern uns auch hier, eine klare Definition zu geben, weil wir eben von sehr vielen kulturellen Seiten gucken möchten und nicht gleich eine westliche Deutung aufoktroyieren möchten und damit die Diskussion ersticken."

    Wer wissen will, was das Böse ist, findet in der Ausstellung keine befriedigende Antwort. "An sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu", lässt William Shakespeare Hamlet sagen. Wie ein Wegweiser hängt das Zitat in der Ausstellung. Was damit gemeint ist, wird schon an der ersten Vitrine deutlich: eine große Abbildung der indischen Göttin Kali, die üblicherweise mehrarmig bei ihrer Lieblingsbeschäftigung dargestellt wird: Sie schlägt Köpfe ab. Ist Kali böse?

    "Auf den ersten Blick kann man es glauben, aber genau darum geht es auch hier. Kali ist die Todesgöttin, aber Kali ist eine Erscheinungsform einer Göttin, Shiva, der unter ihren Füßen liegt, ist ein großer Gott im Hinduismus, und Shiva ist verheiratet mit Parvati, einer sehr sanften und gutmütigen Göttin, wie wir hier nicht zeigen, wir zeigen hier nur das Böse, aber Parvati kann zu Durga oder zu Kali werden, und Kali kann zerstören, kann Dämonen fressen, wie man sieht an den Köpfen an ihrer Kette, aber sie kann durch das, was wir vielleicht als böse empfinden, etwas Gutes tun, zerstören kann auch etwas schaffen."

    Kali kann böse sein, muss es aber nicht: Ist sie sanft, heißt sie Durga. Eine zugleich böse und gute Göttin! Ganz anders ist die Darstellung des Bösen in christlichen Motiven, sagt Silke Seybold und zeigt auf eine zeitgenössische Darstellung der Vertreibung aus dem Paradies.

    "Das ist im Prinzip der Gegensatz zu dem, was uns Kali gerade vermittelt hat. Kali hat gezeigt, innerhalb einer Kultur kann das Böse mit gedacht werden, dass es gar nicht um den Ursprung geht, sondern um eine Balance, die man zwischen den verschiedenen Kräften halten muss. Und hier bei der religiösen Sicht aus dem Christentum zeigen wir, wie sehr klar Ursprungsgeschichten dazu dienen, das Böse auszukristallisieren, und der Sündenfall ist ja Inbegriff das Entstehen des Bösen."

    Daneben gibt es Motive und Ausstellungsstücke, die sich dem Besucher erst auf den zweiten Blick erschließen. Die überlebensgroße Figur des Darth Vader etwa, der gefallene Engel aus dem Film Star Wars.

    " Jeder, der sich mittlerweile nicht mehr für Religion interessiert, wird Darth Vader kennen und seine Geschichte, und da wird dann plötzlich klar, wie sich ein sehr klares religiöses Motiv in einem anderen Motiv, in einer anderen Welt, die Welt des Star Wars, wieder findet, wie sehr eine Kultur durch das Konzept von Gut und Böse, mit dem man aufgewachsen ist, einen selber infiltriert."

    Die Begriffe Gut und Böse werden unkritisch auf alle nur denkbaren kulturellen und kommerziellen Bereichen übertragen. Gut und Böse betrifft alles. Problematisch wird diese Wertewanderung erst, wenn die Vorstellungen von Gut und Böse unterschiedlicher Kulturen aufeinanderprallen. So geschehen unter anderem bei Missionaren, die Mitte des vorletzten Jahrhunderts von Bremen aus nach Afrika aufbrachen, um den Heiden das Christentum zu bringen.

    "Die Missionare hatten ein eindeutiges Bild, sie haben den Teufel quasi nach Afrika mitgebracht, und das hat natürlich dazu geführt, als die Missionare dorthin kamen, dass sie die Religionen gar nicht richtig verstanden hatten, sie haben Sie aber zunächst einmal akzeptiert. Aber man hat auch gesagt, die Götter können ja eigentlich keine guten Götter sein, sie müssen böse Götter sein, also hatte der Teufel auf einmal großes Heer von Dämonen bekommen, die alten Göttern wurden zu seinen Helfern. Das hat zu großen Konflikten geführt weil, eine Religion auf die andere zu stülpen, das Gut in das Böse umzumünzen oder überhaupt diese Konzepte nicht zu verstehen, das hat natürlich diese Konflikte getragen."

    So wie die Vorstellung vom Bösen sich wandelt, so wandeln sich die Vorstellungen über das Aussehen des Bösen. Natürlich gab und gibt es das abstrakte Böse, die Idee eines unethischen Verhaltens, gesichtslos, ohne Konturen. Verbreiteter und beliebter sind aber Bilder über das Böse, die gleichzeitig auch den Ort des Bösen festlegten: Die Hölle spielt dabei eine herausragende Rolle: Böse Menschen landen im Höllenfeuer, gute im Himmel - sagt Silke Seybold und zeigt auf ein prachtvolles Bild.

    "Das ist also eine sehr christliche Darstellung, eine Darstellung, komm ich in den Himmel oder in die Hölle, allerdings aus Kairo, also Ägypten. Hier sieht man also sehr schön, wie das Gericht über den Einzelnen urteilt, im Himmel erwarten ihn also Jesus und Maria und viele Engel und das Licht, und im Dunklen der Hölle ist der Sensenmann deutlich zu sehen, ein Drache, der das Maul aufreißt, dann der Fürst der Hölle, ganz Dunkel mit Krone und viel Feuer und Hitze und vielen Qualen, die man eben zu erleiden hat."

    Oben Gott, unten der Teufel - oben Licht und Leben, unten ewige Qual. Die christliche Lehre führt deutlich vor Augen, was mit Sündern geschieht. Ähnlich, aber dann doch ganz anders, sieht es im Buddhismus aus, sagt Dorothea Deiterts.

    "Wir sehen auf der linken Seite ein Exponat aus dem japanischen Buddhismus, und zwar ist es dort so, dass es nicht eine Hölle gibt, sondern mehrere Höllen, es gibt zehn Höllen, vor jeder Hölle gibt es einen Höllenrichter, und das ist ein Höllenrichter der fünften Hölle, der entscheidet, ob diejenigen, die jetzt in der Hölle sind, ob sie jetzt in seine Hölle dürfen, ... "

    Man beachte die sprachliche Nuance: Der Höllenrichter entscheidet, ob der Mensch in seine Hölle darf ... Dahinter verbirgt sich, dass im Buddhismus Höllen nicht nur Orte des Bösen für Böse sind, sondern die Möglichkeit der Reue bieten. Reue, im Gegensatz zur Reinigung durch Feuer, was auch die Funktion christlicher Höllenfeuer ist.

    "Buddhisten glauben ja an die Wiedergeburt, niemand wird also ewig in der Hölle schmoren, sondern wird diese Höllen durchlaufen und eines Tages wieder geboren werden, und nicht wie im Christentum, wo man eine ewige Hölle geglaubt wird. "

    Wo aber sind die Höllen und wie sieht es dort aus? Maler haben sich dem Thema seit Jahrhunderten gewidmet. Bekannt und in der Bremer Ausstellung "All about evil" als historisches Filmdokument zu sehen, ist Dantes "Göttliche Komödie", die in krassem Gegensatz zu einer aktuellen Höllenverfilmung steht.

    "Das, was wir eben gesehen haben, war eine filmerische Darstellung von 1911, wo man eben gesehen hat, wie die alten Klischees des Teufels zutreffen: Er hat Hörner, er ist wild gekleidet, er hat eine Bart, er lebt in einer Höhle, die in die Unterwelt geht. Der zweite Film, der ist von 2007, der uns von einem amerikanischen Filmemacher zur Verfügung gestellt wurde, zeigt, wie die Hölle heute interpretiert wird. Er verlegt die Hölle in die Megastädte des 21. Jahrhunderts nach Amerika, und die Hölle ist einfach in Los Angeles und der Eingang ein Parkhaus."

    Ein Parkhaus in L.A. als Eingang zu Hölle! Es könnte auch ein Büroturm sein oder ein Einkaufszentrum oder eine Schule. Das Böse wird banal. Und es wechselt unentwegt seine Gestalt. Es verführt - wobei Sexualität natürlich eine große Rolle spielt.

    "Immer auch, aber es geht vor allem darum, dass sich das Gesicht verwandelt. Wir haben gesehen, wie das Böse voller Hörner und wild uns entgegen tritt, dass es uns als Tier entgegen treten kann. Es kann aber auch eine sehr schöne menschliche Gestalt annehmen, je nachdem ob es das braucht oder nicht. Einerseits kennen wir zum Beispiel das Motiv der Meerjungfrau, wo wir auch Beispiele aus Indonesien und aus Afrika zeigen, wie die Sexualität zum Locken benutzt wird, aber eigentlich um ein anderes Thema gibt, das die gesamte Ausstellung durchzieht, nämlich um Macht! Gleiches ist zum Beispiel Mephisto, der die andere Seite der Ausstellung prägt, wo auch sehr klar wird, eigentlich ist nicht Mephisto derjenige, der der Böse ist. Er bietet zwar das Böse an, aber zugreifen tut Faust selber. Und ob wir zugreifen oder nicht, dass es die Entscheidung, ob man jetzt in der Mitte bei diesem großen Oval, wo lauter kleine Kästchen eingebaut sind, die Gelegenheit ergreifen, diese Peepshow zu erobern oder nicht."

    Eine Peepshow im Bremer Überseemuseum - solche Gelegenheiten dürfen nicht ungenutzt bleiben, zumal das museal Böse wahrscheinlich nicht allzu drastisch ausfällt. Schade eigentlich ... Wer durch die Sehschlitze schaut, sieht kleine Figuren und Bilder,...

    " ... ob das jetzt Jenna Jameson, eine us-amerikanische Pornodarstellerin, oder ob das jetzt Mephisto nochmal ist, als Puppe, oder auch die Verführung des heiligen Antonius durch den Teufel, oder der Mann, der die Frau verführt, also all diese Dinge finden sich in dem Oval in der Mitte der Verführer."

    Die Verführer sind überall und unentwegt am Werk, im Wohn- ebenso wie im Kinderzimmer. Erfolgreich sind sie vor allem bei den Kleinen. Nie sind Menschen empfänglicher für Werte und den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse als im Kindes- und Jugendalter.

    " Wir zeigen die alten Handpuppen, wir zeigen aber auch neue Gestalten, wie Bionicles und Co., wo man aber alles sehr schön sehen kann, wir bewegen uns unsere Kultur, weil das, was schon im Christentum angelegt ist, das findet sich auch nach wie vor in den Comics und im Spielzeug. Also dieser Dualismus, der wird fortgetragen nur mit neuen Gesichtern, so wie Darth Vader das schon angekündigt hat. Wenn Sie sich die Protagonisten anschauen in den Comics, wir haben einige auch herausgearbeitet, ob das Frauen, Männer oder tierische Wesen sind, es gibt die Bösen und es gibt die Guten, und es gibt die Guten, die böse geworden sind, die aber auch wieder geregelt werden müssen. Also die alten Geschichten in neuem Gewand!"

    Hier blitzt etwas Gewalt auf, kaum ein Computerspiele kommt ohne den blutrünstigen Streit aus. Blutrünstig böse ist die Ausstellung aber auf keinen Fall, kinderkompatibel zu sein war die Vorgabe, das ist dem Bremer Überseemuseum geglückt! Was auch für den letzten Teil von "All about evil" gilt: Wie geht man mit dem Bösen um?

    "Wir haben jetzt erkannt, das Böse ist irgendwie da, aber wir haben jetzt auch erkannt, wir müssen irgendwie damit umgehen. Und da kann man sich unterschiedlich positionieren. Ich kann entweder sagen, ich schütze mich davor, dass es mich erst gar nicht erlangt, und wenn doch, dann werde ich es wieder los, ich kann aber auch die andere Seite annehmen, ich kann mit dem Bösen flirten, ich kann es mir zu Nutzen machen."

    Eine Ausstellungsecke beschäftigt sich mit der Gothic-Kultur und ihrer Musik - morbide Flirts mit dem Bösen. Ein zweiter Bereich schaut in Küchen und zeigt, wie Werbestrategen das Böse nutzen.

    "Teufelssalat, Haribo, Süße Teufel, Kleine-Sünde-Tee der auch Schwarzwaldteufel als Schnaps, mir hat es einfach Spaß gemacht einkaufen zu gehen, im Internet zu recherchieren, viele Firmen anzusprechen, was sie nicht noch an bösen Sachen für uns hätten. Dabei haben wir vor allem eines gesehen: Der klassische Teufel, der hat an Gesicht verloren, weil kein Werbefachmann würde sich mit dem Teufel im Bunde sehen, wenn dieser nicht heute andere Eigenschaften hätte. Der Teufel ist heute jung, frech, verführerisch, heiß, was auch immer, er ist nicht mehr für uns angstbesetzt. Deshalb findet er in der Werbung Einzug, hier ist er Verkaufsfördern geworden. "

    Genau genommen ist das aber gar nicht mehr das Böse, allenfalls eine infantile Kopie. Das Böse gibt es natürlich trotzdem noch: Ungerechtigkeit, Verbrechen, Kriege - sich davor zu schützen bedarf viel Geschick und Mut und mancher kleiner Tricks.

    Am 31. Dezember wird so ein Trick wieder weltweit angewandt. Das Feuerwerk hat nur eine Aufgabe: Es vertreibt das Böse!

    "Auch Lärm haben wir hier bei uns im Angebot, wir haben ein ganzes Haus voller Amulette, und auch da sind kleine Momente, wo ich durch Musik, durch Geräusche das Böse fernhalte. Man kann es aber auch fernhalten durch Licht, durch Gestank oder durch Farben oder durch Formen, und all das sind Dinge, die sich in den Amuletten wiederfinden und uns sehr klarmachen: Es schützt auf jeden Fall!"