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Wie der junge Tom Waits

Es war ein Überraschungserfolg. Das Video "Stolen Dance" von Milky Chance wurde über zwei Millionen mal angeschaut, war kurzzeitig der am häufigsten angeklickte Newcomersong auf Youtube. Unverwechselbar ist die raue Stimme des erst 20-jährigen Sängers.

Von Susanne Lettenbauer |
    "Es läuft gut, es ist cool, es ist in Ordnung, es ist supertoll, wir haben genug zu tun, sagen wir es mal so."

    Ein wenig müde sehen die zwei von Milky Chance schon aus – Clemens und Philipp, die zwei Jungs aus Kassel, 20 Jahre alt beide und seit Sommer fast jeden Tag unterwegs: Clemens Rehbein mit rauchiger Stimme am Mikrofon, Philipp Dausch mit Laptop und Mischpult - auf winzigen Off-Bühnen, auf großen Open-Air-Bühnen, in Offlocations wie in den alten Lagerräumen vom Güterbahnhof in St. Gallen. Ein straffes Programm gibt Clemens zu:

    "Aufstehen, Auto fahren, Soundcheck, Hotel, spielen, schlafen, aufstehen, Autofahren, Soundcheck, Hotel, spielen, schlafen, aufstehen. Jeden Tag das Gleiche. Wir haben uns gar nichts vorgestellt."

    Heute: ein Schweizer Off-Club ohne Künstlergarderobe, zwei durchgesessene Sofas. Ein unbekannter Soundtechniker am Mischpult – alles sehr improvisiert auf dieser Club-Tour von Deutschlands Überraschungsband Nummer eins. Eine Tour auf die Schnelle organisiert von Freunden.

    "Also, ich hab mit zwölf angefangen, Gitarrenunterricht zu nehmen und Philipp ..."

    "Ich habe mit sechs meine erste Gitarre bekommen."

    "Dann haben wir uns in der Elf kennengelernt und zusammen Musik gemacht, in einer Band."

    "Also nicht so, sondern anders, da hab ich Bass gespielt und er Gitarre. Ganz klassisch."

    Ihr Abitur liegt erst gut ein Jahr zurück. Seit ihrem Überraschungs-Megaerfolg im Netz vor einigen Monaten bestimmt jetzt unerwartet intensiv die Musik ihr Leben. Denn die Jungs sind begehrt: Fast 2,3 Millionen Klicks auf Youtube gab es bislang für ihren Song "Stolen Dance". Auch ihre anderen knapp ein Dutzend Songs sind jeweils mehr als eine Million mal angeschaut worden: etwa das melancholische "Down by the River" oder das mit seinem schleppenden Rhythmus süchtig machende "Flash Junk Mind". In ihrer ersten Band spielte Clemens noch Bassgitarre, am Wochenende, zum Spaß. Vor einem Jahr dann die Solokarriere, erzählen beide:

    "Das entstand so aus der Not, im Prinzip."

    "Er hatte halt angefangen, Lieder zu schreiben, Musik zu machen. Dann hat sich die Band aufgelöst, und dann …"

    "… haben wir uns überlegt, wie wir es live machen können, und dann hatte Philipp auch Bock, dann haben wir es zu zweit gemacht, weil alleine ist's ja schwer."

    Milky Chance – eine junge Band wie jede, wäre da nicht diese Stimme von Clemens: Ein neuer Bob Dylan, sagen die einen Kritiker, die anderen sprechen von einem neuen Ray Charles. Aber eigentlich steht da mit schwarzen explodierten Haaren ein junger Tom Waits – rauchige Stimme, kratzig, verbeult, melancholisch. Die ist so, wie sie ist, sagt Sänger Clemens:

    "Das Geheimnis meiner Stimme? Weiß ich nicht. Whiskey, Rauchen? Nein, oder ja doch auch. Ich hab ja erst letztes Jahr wirklich angefangen zu singen, also, da hab ich es für mich selbst entdeckt, hab mich selber ausprobiert mit Singen. Da bin ich halt dahingekommen, dass ich so singe wie jetzt."

    Sadnecessary – so der Titel ihres jetzt auf CD und am 1. November auf Vinyl erscheinenden Albums mit dem roten Tintenklecks. Es entstand aus einer Laune heraus, sagt Clemens achselzuckend, ebenso wie der Band Name Milky Chance. Keine tiefere Bedeutung, keine Message. So wie sie einfach nur Musik machen wollen, ohne ein höheres Ziel.