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Wie der Kalte Krieg das Denken veränderte

Im Kalten Krieg wurde Wissen zur strategischen Ressource. Mit Wissen konnte man die jeweilige Blocküberlegenheit demonstrieren und im globalen Spiel der Mächte punkten. Eine internationale Tagung forschte den intellektuellen Konzepten im Kalten Krieg nach.

Von Ursula Storost |
    13. Oktober 1961. Die DDR baut eine Mauer. Quer durch Berlin, quer durch Deutschland. Ein Höhepunkt im Kalten Krieg. Bundeskanzler Adenauer kommentiert die Abriegelung:

    "Es ist die Fortsetzung der unmenschlichen Politik seit 16 Jahren."

    Militär- und Diplomatiegeschichte bestimmen gemeinhin die Forschungen zum Kalten Krieg. Jener bipolaren Welt in der Westmächte und Ostblock sich unversöhnlich gegenüber standen. Im Schatten der Atombombe.

    "Aber dabei geht oft verloren, dass sowohl die Denker und Experten im Westen als auch im Osten davon ausgingen, dass beide Systeme sich grundsätzlich in ähnliche Richtungen bewegen. "

    Der Historiker Tim Müller forscht am Hamburger Institut für Sozialforschung. Er war einer der Organisatoren der Tagung zur Ideengeschichte des Kalten Krieges. Modernisierung des Systems, des Landes, der Technologien waren Triebfedern der Intellektuellen und der Regierungen im Osten wie im Westen, sagt er.

    "Es geht ja nicht nur darum, den Gegner einzudämmen oder gar auszuschalten. Sondern es geht um einen Wettstreit von Systemen, von Gesellschaftsordnungen, die sich möglichst attraktiv zeigen möchten. Einander gegenüber. Aber auch noch viel stärker gegenüber dem Rest der Welt, Dritte Welt usw. "

    Die Atombombe spielte dabei eine wichtige Rolle. Denn Ost und West war bewusst, dass ein neuer Weltkrieg die eigene Vernichtung bedeutete.

    "Was wiederum die Folge hat, dass es viel wichtiger wird, nach Konzepten zu fragen, wie kann man Gesellschaft modernisieren, wie kann man Techniken entwickeln. Das ist sogar eine direkte Folge, dass solche Fragen der Entwicklung so stark in den Vordergrund gespielt werden."

    Also musste geforscht werden. An Forschungsinstituten und Universitäten.

    "Wie Großforschung organisiert ist, das ist ohne den Kalten Krieg nicht denkbar. Dieses System der Drittmittel und was wir alles heute haben. Das hat sich da in einem Maße ausgeprägt. Das gab es vorher auch schon. Aber niemals in dieser Dimension."

    Entsprechend wurde auch die Bildung organisiert, weiß Andreas Wirsching. Er ist Zeithistoriker an der Universität Augsburg. Wissenschaftlich technologische Entwicklung erfordert Anwendungsorientiertheit. Für den Westen hieß das, sich von seinem klassischen humboldtschen Bildungsideal zu verabschieden.

    "Und es gibt ne Menge Tendenzen, die sagen, wir brauchen mehr praktische Bildung, wir brauchen mehr Verbindungen mit gesellschaftlichen und ökonomischen Funktionen im Bildungssystem usw."

    Die weltwirtschaftliche Internationalisierung in den 70 und 80er-Jahren bedeutet für beide Seiten eine neue Herausforderung. Bildungsökonomie lautet jetzt die gemeinsame Handlungsmaxime. Wettbewerb findet fortan nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Nord und Süd statt. Japan und Ostasien kamen ins Spiel.

    "Zum Beispiel auf der Ebene der Europäischen Union ist diese Frage, wie machen wir unsere Kinder, Bürger, Individuen, unsere Gesellschaften fit für einen weltwirtschaftlichen Wettbewerb in gewisser Weise noch ein Erbe noch der 80er-Jahre. Und wenn Sie heute die im Jahr 2000 verabschiedete Lissabonstrategie der Europäischen Union sich ankucken, dann sind genau die Schlagworte sozusagen im Zentrum. Flexibilisierung der Arbeitsmärkte aber eben auch der Individuen durch Bildung, fit machen für einen sich wandelnden Arbeitsmarkt."

    Schnelleres und effizienteres Lernen. Ein Erbe des Kalten Krieges bis heute. Beispiel: das Abitur nach zwölf Schuljahren.

    "Diese Bildungsökonomie, die selektiert natürlich auch sehr stark, ich würde sagen fast aggressiv zwischen nützlichem und weniger nützlichem Wissen und Wissensbeständen, die dann in der Schule gelehrt werden sollen. Und das ist ne politische Entscheidung, dass dafür zwölf Jahre reichen."

    Über Bildung sollten auch die ehemaligen Kolonialstaaten an einen der Blöcke gebunden werden. Beispiel Nigeria. Nachdem das Land 1960 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, wurde der Ministerpräsident in die Vereinigten Staaten eingeladen. Hier durfte er das geballte Hightech-Wissen des Landes bestaunen. Inszenierung nennt das der Historiker Sönke Kunkel von der Jacobs University in Bremen.

    "Er besucht eine US-amerikanische Universität, an der ihm all die Ressourcen vor Augen geführt werden, auf die die US-Regierung zurückgreifen kann, um Nigeria in seiner Entwicklung zu unterstützen. Und die USA schickt Experten nach Nigeria, um der nigerianischen Regierung mit der Formulierung eines nigerianischen Entwicklungsplanes zu helfen."

    Das Herzeigen von Wissen würde erstmals verknüpft mit dem Interesse ein Land ideologisch auf seine Seite zu ziehen, sagt Sönke Kunkel. Wer das Vertrauen der Eliten gewinne, gewinne Gefolgschaft. Eine Idee, der die sogenannte Modernisierungstheorie amerikanischer Prägung zugrunde liegt. Federführend beteiligt war dabei in den 50er-Jahren der Wirtschaftshistoriker Walt Rostow.

    "Er befürchtet, dass all diese europäischen Kolonien mit der Unabhängigkeit kommunistisch werden könnten. Und er sorgt dafür, dass die USA ein riesiges Entwicklungshilfeprogramm auflegen, dass im Grunde bis heute Kontinuitäten aufweist. Also die massive US-amerikanische Präsenz in Entwicklungsländern könnte man etwas zugespitzt formuliert auf die späten 50er, frühen 60er-Jahre zurückführen."

    Auch die deutsche Entwicklungshilfe hat dort ihren Ursprung. Sie entstand auf amerikanischen Druck. Und es ging ursprünglich darum, die wachsende Zahl von unabhängigen Entwicklungsländern als Bündnispartner im Kalten Krieg zu gewinnen.

    "Interessant ist ja auch, dass viele Schlagwörter der Bush-Jahre, Modernisierung, Demokratisierung von als unterentwickelt definierten Ländern, dass das Schlagwörter sind, die im Grunde auf die späten 1950er-Jahre zurückgehen als Modernisierungsbestrebungen zum Kernbestand US-amerikanischer Außenpolitik wurden."

    Aber der Kalte Krieg hat auch Gedankenentwürfe hervorgebracht, die zu seiner eigenen Überwindung beigetragen haben. Zum Beispiel die Theorie des Psychologen Charles Osgood zur Deeskalation von Konflikten.

    "Der gesagt hat, man muss die Logik des Kalten Krieges, wo Aktion und Reaktion immer in einem eskalierenden Verhältnis zueinander stehen einfach nur umdrehen und eine ähnliche Logik in Gang setzen mit einer anderen Prämisse. Nämlich man muss jemandem mit Vertrauen begegnen, vertrauensbildende Maßnahmen schaffen und auch dabei bleiben. Selbst wenn der andere noch nicht mit vertrauensbildenden Maßnahmen antwortet."

    Es gebe Hinweise darauf, so der Historiker Bernd Greiner vom Hamburger Institut für Sozialforschung, dass sich Michael Gorbatschow bei seinen Abrüstungsprogrammen Ende der 80er-Jahre, diese Überlegungen zu eigen gemacht habe. So gesehen hätte der Kalte Krieg der Menschheit auch Gutes beschert.