Die historischen Ursachen der spannungsgeladenen Beziehungen beleuchtet das Buch "Streitbare Brüder".
Edi Finger:
"Tor, Tor, Tor, i wer narrisch! Krankl schießt ein: 3:2 für Österreich!"
Am 21. Juni 1978 kam die österreichische Nation auch sportlich zu sich selbst: Seit Menschengedenken hatte kein österreichisches Fußballteam mehr eine deutsche Mannschaft geschlagen. Und dann – in der 88. Minute des WM-Spiels Deutschland gegen Österreich – umdribbelte Hans Krankl im argentinischen Cordoba die deutsche Abwehr und schob den Ball an Sepp Maier vorbei ins deutsche Gehäuse. Der Sieg über den großen Nachbarn entfesselte in der Alpenrepublik eine unerhörte Hysterie. Im "Mythos von Cordoba" manifestiert sich die Zwiespältigkeit des deutsch-österreichischen Verhältnisses auf beispielhafte Weise: Einerseits fühlen sich die Österreicher ihren Schwestern und Brüdern aus Hamburg oder Recklinghausen eng verwandt, andererseits leiden viele Ösis an einem schweren Minderwertigkeitskomplex den angeblich so "arroganten Piefkes" gegenüber. Die Kultur- und Filmhistorikerin Karin Moser hat die Ambivalenzen der "österreichischen Seele" den Deutschen gegenüber viele Jahre lang kritisch studiert. Eines findet sie dabei besonders interessant:
"Dieses ständige 'Sind wir wirtschaftlich besser?', 'Sind wir im Sport besser?', also, immer dieser direkte Vergleich, der, glaube ich, umgekehrt gar nicht so stattfindet, weil Österreich insgesamt für Deutschland weniger wichtig ist, als es umgekehrt der Fall ist."
Hans Moser und Theo Lingen zieren das Cover des Buchs, zwei Schauspieler, die beliebte Nationalklischees, etwa das vom "pingeligen Piefke" und vom "grantlerischen Ösi" nachgerade exemplarisch verkörpern.
"Hier treten zwei Exponenten auf, die sozusagen die typischen Merkmale beider Seiten vorführen, die sich aneinander reiben, sehr oft natürlich miteinander streiten und im Endeffekt dann einander näherkommen, einander helfen und schlussendlich zu Freunden werden. Das passiert dann interessanterweise sehr oft am Schauplatz Wien, wo die Deutschen sehr schnell ihre Distanz und ihre Korrektheit ablegen und sich der wienerischen Leidenschaft und dem leichten Leben hingeben."
Karin Moser, Verena Moritz und Hannes Leidinger gehen weit zurück in ihrer historischen Untersuchung, bis zur Varusschlacht und zu den Geburtswehen des "Heiligen Römischen Reichs", in dem "Deutsche" und "Österreicher" fast 1000 Jahre lang vereint gewesen sind. Wobei Hannes Leidinger betont: Es mache wohl erst seit der Schlacht von Königgrätz Sinn, überhaupt von "Deutschen" und "Österreichern" zu sprechen. Preußens Sieg von 1866 setzte die "Kleindeutsche Lösung" durch, der deutsche Einigungsprozess vollzog sich fortan ohne die Gebiete der damaligen K.K.-Monarchie. Für die deutschsprachigen Bürger des Habsburgerreichs brachte Königgrätz eine dramatische Identitätskrise mit sich.
Hannes Leidinger:
"Insofern, als zunächst ja keine österreichische Nationalitätsvorstellung, Identität in diesem Sinne, existiert. Ich glaube, es geht nicht ohne die Frage: ja, wann kann man denn eigentlich von einem deutsch-österreichischen Verhältnis in diesem Sinne sprechen, also von zwei unterschiedlichen Nationalbegriffen, und diese Nationswerdung findet ja in Österreich eigentlich erst nach 1945 statt."
Die Autoren arbeiten in ihrem Buch deutlich heraus: Nach der Gründung der Ersten Österreichischen Republik 1918 glaubte niemand an die Lebensfähigkeit des neuen Kleinstaats. Alle politisch relevanten Kräfte – auch die Sozialdemokraten und die radikale Linke – sprachen sich für den unverzüglichen Anschluss an Deutschland aus. Ein Vorhaben, das die Friedensverträge von Versailles und Saint-Germain bekanntlich unterbanden.
Von Deutschland abzurücken begannen die Österreicher erst nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Die Verantwortung für den Nationalsozialismus überließ man gern den nördlichen Nachbarn; aus Habsburger-Nostalgie und dem Rekurs auf die Traditionen katholisch-barocker Sinnenfreude begann man so etwas wie eine "österreichische Identität" zu zimmern. In der Kreisky-Ära kam ein Schuss aufgeklärter Liberalität dazu. Dabei war die Abgrenzung von den "Piefkes" integraler Bestandteil der österreichischen Selbstvergewisserung.
Hannes Leidinger:
"Die österreichische Nationswerdung ist gleichzeitig ein ständiges Suchen nach Nähe, Distanz und schließlich nach großer Distanz zu Deutschland. Etwas angestrengt versucht man abzurücken und beginnt dann auch die Geschichte umzudeuten."
Auf kompetente, bisweilen auch höchst humorvolle Weise arbeiten Hannes Leidinger, Verena Moritz und Karin Moser in ihrem Buch die zentralen Nachbarschaftsfragen heraus: Was verbindet Deutsche und Österreicher, was trennt sie voneinander? Wie viel ist dran an den liebevoll gehätschelten Klischees, die man voneinander pflegt: die "Piefkes" als großkotzige Besserwessies, die "Ösis" als verlogene Provinzler mit schmierigem Hofrats-Schmäh und abgeschmackter Küss-die-Hand-Attitüde?
Hannes Leidinger:
"Dass auf einer mentalitätengeschichtlichen Ebene bestimmte Vorurteile oder auch lieb gewonnene Klischees beibehalten und dann auch sehr schnell wieder abgerufen werden können, scheint außer Zweifel zu stehen, wenn man sich die Fußballspiele der Jetztzeit anschaut, die Europameisterschaft. Oder vielleicht auch die Frage, wie weit sehr wohl eine ständige Konkurrenzsituation Österreich – Deutschland im Wirtschaftsbereich etwa vorhanden ist, oder ein Hochschulzugang. Also, hier lässt sich das abrufen, aber es wird meiner Meinung nach immer weniger mit einer älteren Geschichte verbunden. Königgrätz ist wirklich sehr weit weg."
Daran arbeitet das Wiener Historiker-Trio in seinem Buch: Königgrätz – und damit die geschichtlichen Hintergründe der Beziehung der beiden Nachbarländer – wieder mehr in den Blick zu bekommen. Vom Ersten nachchristlichen Jahrhundert bis zur Auflösung des Deutschen Bunds reicht der zeitliche Bogen, von der spannungsgeladenen "Waffenbrüderschaft" im Ersten Weltkrieg bis zum "Anschluss" und zum Fall der Mauer von 1989 ...
Für sportliche Ersatzschlachten wird übrigens auch in nächster Zukunft gesorgt sein: Im Rahmen der EM-Qualifikation werden Österreich und Deutschland, die "verfreundeten Nachbarn", nächstes Jahr gleich zwei Mal gegeneinander antreten. Mal sehen, wer dann "narrisch" wird.
Hannes Leidinger, Verena Moritz, Karin Moser: "Streitbare Brüder: Österreich – Deutschland. Kurze Geschichte einer schwierigen Nachbarschaft."
Residenz Verlag,
304 Seiten, Euro 21,90
ISBN: 978-3-70173-180-0
Edi Finger:
"Tor, Tor, Tor, i wer narrisch! Krankl schießt ein: 3:2 für Österreich!"
Am 21. Juni 1978 kam die österreichische Nation auch sportlich zu sich selbst: Seit Menschengedenken hatte kein österreichisches Fußballteam mehr eine deutsche Mannschaft geschlagen. Und dann – in der 88. Minute des WM-Spiels Deutschland gegen Österreich – umdribbelte Hans Krankl im argentinischen Cordoba die deutsche Abwehr und schob den Ball an Sepp Maier vorbei ins deutsche Gehäuse. Der Sieg über den großen Nachbarn entfesselte in der Alpenrepublik eine unerhörte Hysterie. Im "Mythos von Cordoba" manifestiert sich die Zwiespältigkeit des deutsch-österreichischen Verhältnisses auf beispielhafte Weise: Einerseits fühlen sich die Österreicher ihren Schwestern und Brüdern aus Hamburg oder Recklinghausen eng verwandt, andererseits leiden viele Ösis an einem schweren Minderwertigkeitskomplex den angeblich so "arroganten Piefkes" gegenüber. Die Kultur- und Filmhistorikerin Karin Moser hat die Ambivalenzen der "österreichischen Seele" den Deutschen gegenüber viele Jahre lang kritisch studiert. Eines findet sie dabei besonders interessant:
"Dieses ständige 'Sind wir wirtschaftlich besser?', 'Sind wir im Sport besser?', also, immer dieser direkte Vergleich, der, glaube ich, umgekehrt gar nicht so stattfindet, weil Österreich insgesamt für Deutschland weniger wichtig ist, als es umgekehrt der Fall ist."
Hans Moser und Theo Lingen zieren das Cover des Buchs, zwei Schauspieler, die beliebte Nationalklischees, etwa das vom "pingeligen Piefke" und vom "grantlerischen Ösi" nachgerade exemplarisch verkörpern.
"Hier treten zwei Exponenten auf, die sozusagen die typischen Merkmale beider Seiten vorführen, die sich aneinander reiben, sehr oft natürlich miteinander streiten und im Endeffekt dann einander näherkommen, einander helfen und schlussendlich zu Freunden werden. Das passiert dann interessanterweise sehr oft am Schauplatz Wien, wo die Deutschen sehr schnell ihre Distanz und ihre Korrektheit ablegen und sich der wienerischen Leidenschaft und dem leichten Leben hingeben."
Karin Moser, Verena Moritz und Hannes Leidinger gehen weit zurück in ihrer historischen Untersuchung, bis zur Varusschlacht und zu den Geburtswehen des "Heiligen Römischen Reichs", in dem "Deutsche" und "Österreicher" fast 1000 Jahre lang vereint gewesen sind. Wobei Hannes Leidinger betont: Es mache wohl erst seit der Schlacht von Königgrätz Sinn, überhaupt von "Deutschen" und "Österreichern" zu sprechen. Preußens Sieg von 1866 setzte die "Kleindeutsche Lösung" durch, der deutsche Einigungsprozess vollzog sich fortan ohne die Gebiete der damaligen K.K.-Monarchie. Für die deutschsprachigen Bürger des Habsburgerreichs brachte Königgrätz eine dramatische Identitätskrise mit sich.
Hannes Leidinger:
"Insofern, als zunächst ja keine österreichische Nationalitätsvorstellung, Identität in diesem Sinne, existiert. Ich glaube, es geht nicht ohne die Frage: ja, wann kann man denn eigentlich von einem deutsch-österreichischen Verhältnis in diesem Sinne sprechen, also von zwei unterschiedlichen Nationalbegriffen, und diese Nationswerdung findet ja in Österreich eigentlich erst nach 1945 statt."
Die Autoren arbeiten in ihrem Buch deutlich heraus: Nach der Gründung der Ersten Österreichischen Republik 1918 glaubte niemand an die Lebensfähigkeit des neuen Kleinstaats. Alle politisch relevanten Kräfte – auch die Sozialdemokraten und die radikale Linke – sprachen sich für den unverzüglichen Anschluss an Deutschland aus. Ein Vorhaben, das die Friedensverträge von Versailles und Saint-Germain bekanntlich unterbanden.
Von Deutschland abzurücken begannen die Österreicher erst nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Die Verantwortung für den Nationalsozialismus überließ man gern den nördlichen Nachbarn; aus Habsburger-Nostalgie und dem Rekurs auf die Traditionen katholisch-barocker Sinnenfreude begann man so etwas wie eine "österreichische Identität" zu zimmern. In der Kreisky-Ära kam ein Schuss aufgeklärter Liberalität dazu. Dabei war die Abgrenzung von den "Piefkes" integraler Bestandteil der österreichischen Selbstvergewisserung.
Hannes Leidinger:
"Die österreichische Nationswerdung ist gleichzeitig ein ständiges Suchen nach Nähe, Distanz und schließlich nach großer Distanz zu Deutschland. Etwas angestrengt versucht man abzurücken und beginnt dann auch die Geschichte umzudeuten."
Auf kompetente, bisweilen auch höchst humorvolle Weise arbeiten Hannes Leidinger, Verena Moritz und Karin Moser in ihrem Buch die zentralen Nachbarschaftsfragen heraus: Was verbindet Deutsche und Österreicher, was trennt sie voneinander? Wie viel ist dran an den liebevoll gehätschelten Klischees, die man voneinander pflegt: die "Piefkes" als großkotzige Besserwessies, die "Ösis" als verlogene Provinzler mit schmierigem Hofrats-Schmäh und abgeschmackter Küss-die-Hand-Attitüde?
Hannes Leidinger:
"Dass auf einer mentalitätengeschichtlichen Ebene bestimmte Vorurteile oder auch lieb gewonnene Klischees beibehalten und dann auch sehr schnell wieder abgerufen werden können, scheint außer Zweifel zu stehen, wenn man sich die Fußballspiele der Jetztzeit anschaut, die Europameisterschaft. Oder vielleicht auch die Frage, wie weit sehr wohl eine ständige Konkurrenzsituation Österreich – Deutschland im Wirtschaftsbereich etwa vorhanden ist, oder ein Hochschulzugang. Also, hier lässt sich das abrufen, aber es wird meiner Meinung nach immer weniger mit einer älteren Geschichte verbunden. Königgrätz ist wirklich sehr weit weg."
Daran arbeitet das Wiener Historiker-Trio in seinem Buch: Königgrätz – und damit die geschichtlichen Hintergründe der Beziehung der beiden Nachbarländer – wieder mehr in den Blick zu bekommen. Vom Ersten nachchristlichen Jahrhundert bis zur Auflösung des Deutschen Bunds reicht der zeitliche Bogen, von der spannungsgeladenen "Waffenbrüderschaft" im Ersten Weltkrieg bis zum "Anschluss" und zum Fall der Mauer von 1989 ...
Für sportliche Ersatzschlachten wird übrigens auch in nächster Zukunft gesorgt sein: Im Rahmen der EM-Qualifikation werden Österreich und Deutschland, die "verfreundeten Nachbarn", nächstes Jahr gleich zwei Mal gegeneinander antreten. Mal sehen, wer dann "narrisch" wird.
Hannes Leidinger, Verena Moritz, Karin Moser: "Streitbare Brüder: Österreich – Deutschland. Kurze Geschichte einer schwierigen Nachbarschaft."
Residenz Verlag,
304 Seiten, Euro 21,90
ISBN: 978-3-70173-180-0