Montag, 29. April 2024

Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika
Wie die BRICS-Staaten zum Nahostkrieg zwischen Israel und Hamas stehen

Die BRICS-Staaten haben bei ihrem Gipfel in Südafrika noch ihren Anspruch auf mehr globale Mitsprache untermauert. Doch zur aktuellen Eskalation in Nahost geben sie sich bislang zurückhaltend.

26.10.2023
    Das Foto zeigt Luiz Inacio Lula da Silva (l-r), Präsident von Brasilien, Xi Jinping, Präsident von China, Cyril Ramaphosa, Präsident von Südafrika, Narendra Modi, Premierminister von Indien, und Sergej Lawrow, Außenminister von Russland.
    Die Staats- und Regierungschefs beim BRICS-Gipfel in Südafrika - mit einer Ausnahme: Russland wurde von Außenminister Lawrow vertreten, da gegen Präsident Putin ein internationaler Haftbefehl vorliegt. (Ricardo Stuckert / Palacio Planalt)
    Beim Gipfel der Staatengruppe in Johannesburg hatte ihr derzeitiger Vorsitzender, der südafrikanische Präsident Ramaphosa, eine "grundlegende Reform" der Weltordnungspolitik gefordert. Die Mitglieder - Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika - hatten sich einst als Gegengewicht zur vom US-Dollar dominierten internationalen Währungsordnung positioniert, wollen nun aber ihren Einfluss ausbauen und neue Staaten in ihre Gruppe aufnehmen. Der Krieg zwischen Israel und der Hamas wäre ein Anlass, diesen gemeinsamen Einfluss geltend zu machen. Insgesamt positionieren sich die BRICS-Mitglieder eher auf Seiten der Palästinenser - jedoch mit Nuancen und Unterschieden.

    China

    Peking hat den Terrorangriff der Hamas auf Israel nicht ausdrücklich verurteilt. Stattdessen kritisierte China eine "kollektive Bestrafung" der Palästinenser im Gazastreifen durch Israel. Das Land hat zwar wirtschaftliche Interessen in Israel, stand jedoch historisch den Palästinensern immer näher. Vor einigen Tagen ist der chinesische Nahost-Sondergesandte Zhai Jun zu einer Vermittlungsmission aufgebrochen.
    Am Montag sicherte Chinas Außenminister Wang Yi seinem israelischen Kollegen Cohen zu, "alle Länder haben das Recht auf Selbstverteidigung". Wang betonte, das humanitäre Völkerrecht müsse eingehalten und die Sicherheit der Zivilisten geschützt werden. China werde "sein Bestmögliches" tun, um Bemühungen zu unterstützen, die "zum Frieden beitragen".

    Russland

    Auch Moskau hat historische Verbindungen zu den Palästinensern: Zu Sowjetzeiten, in der Logik des Kalten Krieges, war es allzu logisch, den Gegenpol zu dem mit dem Westen verbündeten Israel zu unterstützen. Und auch heute pflegt Russland im Nahen Osten vor allem Verbindungen zu Israels Gegnern, namentlich zum Assad-Regime in Syrien sowie zu Israels Erzfeind Iran, dessen Drohnen bei Russlands Angriffen auf die Ukraine massenhaft zum Einsatz kommen. Allerdings wanderten nach dem Kollaps der Sowjetunion mindestens 900.000 russische Juden nach Israel aus - wohl auch deshalb hielt sich Israel bei der Verurteilung des russischen Angriffskriegs eher bedeckt.
    Angesichts der aktuellen Eskalation zwischen Israel und Hamas spricht sich Russland für eine rasche Waffenruhe aus - und eine Friedensvereinbarung, die nach Moskaus Willen die Errichtung eines souveränen Palästinenserstaats beinhalten soll. Am Montag brachte Russland eine Resolution in den UNO-Sicherheitsrat ein, die Gewalt gegen Zivilisten verurteilte, den Terrorschlag der Hamas gegen Israel jedoch nicht erwähnte. Das Papier scheiterte an zu wenigen Ja-Stimmen und dem Veto der USA.

    Indien

    Auch Indien steht den Palästinensern näher als Israel. Delhi sichert ihnen humanitäre Hilfen zu und dringt diplomatisch auf eine Zwei-Staaten-Lösung. Das bevölkerungsreichste Land der Erde hat auch eine beträchtliche Zahl muslimischer Einwohner.
    Zugleich verurteilte Premierminister Modi den Angriff der Hamas sofort und unmissverständlich als Terrorakt. Indien unterhält seit 1992 diplomatische Beziehungen zu Israel. Lange Zeit befürchtete das auf arabisches Öl angewiesene Land offenbar, die Fürsprecher der Palästinenser am Golf zu verprellen. Inzwischen ist Israel jedoch für Indien als Handelspartner wichtig geworden - etwa im Rüstungsbereich.
    Die unter Vermittlung des damaligen US-Präsidenten Trump geschlossenen "Abraham Accords" zur Aussöhnung Israels mit mehreren Golfstaaten erleichterten somit auch Indien die Beziehungen zu den verschiedenen Mächten in der Region.

    Südafrika

    Als Ägyptens Präsident Al-Sisi jüngst zu einer Friedenskonferenz einlud, schickten auch die BRICS-Staaten Diplomaten. Der einzige Staatschef der Gruppe, der persönlich nach Kairo flog, war Südafrikas Präsident Ramaphosa. Seine Partei, der ANC, organisierte sogar Solidaritätsdemos zur Unterstützung der Palästinenser.
    Südafrika hat einen anderen Grund als die übrigen BRICS-Staaten, weshalb viele Bürger eher mit den Palästinensern solidarisch sind: Sie werfen Israel im Umgang mit den Palästinensern ähnliche Methoden vor, wie sie das weiße Apartheid-Regime in Südafrika bis 1994 zur Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit angewandt hatte.

    Brasilien

    Auch Brasilien hat eine Resolution zur Eskalation in Nahost in den UNO-Sicherheitsrat eingebracht, in dem es derzeit einen der nicht-ständigen Sitze innehat. In dem Entwurf wurden der Terrorangriff der Hamas sowie jegliche Gewalt gegen Zivilisten verurteilt, ein Ende der Gewalt angemahnt und das Festhalten an einer Zwei-Staaten-Lösung gefordert. Ohne Israel explizit zu nennen, forderte Brasilien, den Evakuierungsaufruf für den nördlichen Gazastreifen aufzuheben. Mutmaßlich wegen dieser Passage legten die USA ihr Veto ein, sodass die Resolution nicht verabschiedet wurde. Russland und China stimmten ebenfalls nicht gemeinsam mit ihrem BRICS-Partner, sondern enthielten sich.

    Und die Neuzugänge?

    Zum Jahreswechsel wird BRICS zu BRICS-plus: Dann sollen der Iran, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Äthiopien und Argentinien aufgenommen werden.
    Iran tritt traditionell Israel-feindlich auf; die Führung in Teheran wiegelt die eigene Bevölkerung zum Hass auf den Erzfeind auf. Das Regime unterstützt unter anderem die libanesischen Hisbollah und die Hamas; weltweit gibt es Sorgen, Teheran könnte zumindest über Stellvertreter den Konflikt noch weiter ausweiten.
    Ägypten hat bereits 1979 mit Israel Frieden geschlossen. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben infolge der "Abraham Accords" seit 2020 die Beziehungen zu Israel normalisiert, zuletzt war auch Saudi-Arabien auf dem Weg dorthin. Alle drei haben kein Interesse an weiterer Eskalation - insbesondere Ägypten nicht, das eine kurze direkte Landgrenze mit dem Gazastreifen teilt. Damit wird es zum Schlüsselland für humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Kairo will eine Vertreibung vieler Palästinenser aus dem Gazastreifen in sein eigenes Staatsgebiet auf jeden Fall vermeiden. Insgesamt solidarisieren die drei muslimisch geprägten Länder stark mit den Palästinensern.
    Mit Äthiopien und Argentinien stoßen zwei Partner zu BRICS-plus hinzu, die sich eher für Israel einsetzen könnten: In Äthiopien gab es jahrhundertelang eine wichtige jüdische Minderheit ("Beta Israel"). Argentinien hat mit mehr als 170.000 Jüdinnen und Juden die größte jüdische Gemeinde Lateinamerikas. Hinter Israel, den USA, Frankreich, Kanada und Großbritannien handelt es sich um die sechstgrößte jüdische Gemeinschaft weltweit.
    Diese Nachricht wurde am 25.10.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.