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Wie die Weltraumforschung Rehkitze retten kann

Was hat die Weltraumforschung mit dem Tierschutz zu tun? Eine Erfindung aus dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen kann Rehkitzen das Leben retten. Das Problem: Jährlich sterben Tausende Rehkitze, nur weil gerade ein paar Tage nach ihrer Geburt die Wiesen, in denen sie sich verstecken, zum ersten Mal gemäht werden. Das Gras ist 50 bis 60 Zentimeter hoch oder noch höher. Darin sind die Kitze kaum zu sehen. Die Lösung ist der "Wildretter", ein "Abfallprodukt" sozusagen aus der Weltraumforschung.

von Eva Firzlaff |
    Wenn im Frühsommer die Rehkitze geboren werden, verstecken die Mütter ihre Kleinen oft 20, 30 Meter entfernt vom Waldrand im hohen Gras. Sie sind so klein wie eine Katze und ducken sich ins Gras, auch wenn der Traktor kommt. Cornelius Schießel hat im Allgäu ein Jagdgebiet gepachtet. Er hat zwar schon immer vorher die Wiesen abgesucht, mit drei oder vier Helfern, und Rehkitze gefunden. Trotzdem sind in manchen Jahren 10 bis 15 Rehkitze ins Mähwerk gekommen.

    Die müssen dann erschossen werden oder erschlagen werden, das ist noch viel schlimmer. Da kommt dann der Landwirt und sagt: du, ich hab a Kitz vermäht. Und da sind die Beine weg, aber es lebt noch und schreit fürchterlich, also wie ein Baby. Das sind Erlebnisse, das möchte ich keinem antun, dass er so was mitmachen muss.

    Er ist einer der ersten, die den "Wildretter" anwenden. An einer 6 Meter langen Teleskopstange sind 10 Infrarot-Sensoren montiert. Eine Anzeige in der Mitte signalisiert, wo das Rehkitz liegt. Der Erfinder Dr. Volker Tank vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt führt den Wildretter vor.

    Der Sensor 3, der hat jetzt einen Alarm, 3 links. Es können auch 2 Kitze da sein. Ich gehe jetzt nach 5 rechts und halte da meine Hand drunter und wir sehen: es leuchten beide - 3 links und 5 rechts.

    Mit einem Tragegurt hängt man sich das Gerät quer vor den Bauch und geht damit über die Wiese, möglichst früh wenn die Wiese noch kühl ist. Auf die Körperwärme der Rehkitze reagieren die Sensoren. Dann ist die Rettung kein Problem mehr.

    Am besten ist es, das Kitz in einen Korb zu tun, wo Gras drin ist, und einen Deckel drauf, dass das Kitz nicht raus kommt. Bis der Landwirt gemäht hat, das da drin lassen. Wenn man das Kitz aus der Wiese treiben würde, läuft es 20 Meter weiter wieder in die Wiese, weil das Kitz kennt ja keinen Wald, seine Heimat ist dieses Gras. Und wenn gemäht ist, dann lassen wir die wieder aus und die alte oder die Geiß wartet schon im Wald. Die sieht man natürlich nicht, aber die wartet schon. Die fiepen ja, die rufen die Kitze. Also die nimmt die Kitze tadellos wieder an.

    Bei der nächsten Mahd sind die Kitze größer und flüchten allein. Der tragbare Wildretter wird bereits hergestellt von der Firma ISA Industrieelektronik in Weiden, kostet gut 1.000 Euro und lässt sich gut auf kleineren Schlägen nutzen. Für große Flächen wurde gemeinsam mit dem Institut für Landtechnik der TU München ein Traktor-Anbau entwickelt. Eine Problem ist das Tempo des Traktors. Wenn Alarm piept, schafft er es nicht zu bremsen. Das wurde gelöst, indem die Stange mit den Sensoren seitlich angebaut wird und immer die nächste Spur absucht. Ein zweites Problem ist die Wärme, denn wenn gemäht wird, scheint die Sonne, dann heizt sich die Wiese auf. Die Infrarot-Sensoren geben zu oft Fehlalarm. Oder die Rehkitze werden nicht gefunden.

    Wir sind im Moment dabei, eine Ergänzung zu entwickeln, d.h. einen zweiten Sensor, das ist ein Mikrowellensensor. Der detektiert in dem speziellen Spektralbereich Wasser. Das ist also nicht die Mikrowelle, die wir in der Küche haben, die das Wasser erwärmt, sondern es ist eine andere Mikrowellenfrequenz, die vom Wasser nicht absorbiert wird, sondern reflektiert wird. Wir strahlen schräg einen Mikrowellenstrahl voraus. Wenn der auf Wasser trifft, wird er stärker reflektiert, als wenn er nur auf den Boden trifft. Ein Kitz ist zu 80 Prozent Wasser. Wenn da der Mikrowellenstrahl drauf trifft, kommt er zurück, und wir stellen fest: da ist Wasser. Und wenn der Infrarot-Sensor noch feststellt: das Wasser ist warm, dann kann es nur was Lebendiges sein. Und die beiden zusammen funktionieren dann auch bei Sonnenschein.

    Beim tragbaren Wildretter und dem Traktor-Anbau suchen die Infrarot-Sensoren senkrecht von oben die Wiese ab, aus einer Höhe von etwa einem Meter. Eine Suche vom Feldrand aus - das haben sie getestet - ist erfolglos, weil das hohe Gras dem Gerät die Sicht auf die Tiere versperrt.