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Wie ein Regisseur eine Autorenposition reklamieren kann

Die Berufung des kürzlich verstorbenen Christoph Schlingensief nach Bayreuth löste 2004 einen Skandal aus. Für Schlingensief aber war es die Erfüllung eines Traums. Anhand seines Parzivals geht Caroline A. Lodemann der Frage nach, inwieweit die Arbeit der Inszenierung unter Kategorien von Autorschaft gebracht werden kann.

Von Michael Wetzel | 25.08.2010
    Die deutsche Theaterszene hat ihr Enfant terrible in Gestalt von Christoph Maria Schlingensief. Der 1960 Geborene wurde bekannt durch Filme wie "Das deutsche Kettensägenmassaker", mischte als Talkmaster unter anderen in "U 3000" die Fernsehwelt auf, hatte seinen wirklichen Durchbruch aber als Aktionskünstler. Seit seiner Aktion "Bitte liebt Österreich", bei der er nach dem Vorbild von Big Brother Container mit Asylanten vor der Wiener Oper platzierte, oder der Gründung seiner "Church of Fear" steht sein Name für kompromisslos skandalöse Interventionen im öffentlichen Raum. Als er vor zwei Jahren schwer an Lungenkrebs erkrankte, machte er auch dieses Leiden und seine Behandlung zum Gegenstand eines öffentlichen Spektakels in Form des "Fluxus Oratoriums": "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir". In diesem Jahr wurde er als Leiter des Deutschen Pavillons auf der Biennale in Venedig 2011 gewählt, was nicht ohne Proteste etablierter Künstler gegen den reinen Aktionisten ablief. Schlingensiefs Tod vor wenigen Tagen ließ dieses Projekt unvollendet bleiben.

    Angesichts seiner dadaistischen Tabubrüche und der habituellen Selbstinszenierung als "angry young man" versteht man den Skandal, den seine Berufung nach Bayreuth auslöste, um dort 2004 den Parzifal zu inszenieren. Dem damaligen Leiter der Festspiele, Wolfgang Wagner, wurde gar "Alterswildheit" unterstellt, dass er sich auf ein solches Risiko eines provokanten Spektakels einließ. Für Schlingensief aber war es die Erfüllung eines Traums. Denn nicht nur behauptete er, schon lange mit der Thematik des Parzifals ganz persönlich beschäftigt zu sein, sondern er manövrierte sich während der Arbeit immer mehr in eine narzisstische Identifikation mit Richard Wagner und dessen Erlösungsthematik hinein.

    Diese Selbstaufwertung als Künstler durch die Behauptung seiner Ebenbürtigkeit mit Wagner ist nun Gegenstand einer Untersuchung von Caroline Lodemann geworden. Es geht dabei jedoch nicht etwa um eine psychologische Analyse von Künstlerpersönlichkeiten, sondern – wie der Titel schon sagt – um "Regie als Autorschaft", das heißt um die Herausbildung einer schöpferischen Autorität gegenüber dem künstlerischen Material auch bei der Arbeit als Regisseur. Denn, wie die Autorin in einer Rekapitulation der Begriffsgeschichte von Regie und Autorschaft ausführt, herrscht bei Theater und Oper ein anderes Verhältnis von Urheberschaft gegenüber dem geschaffenen Werk als beim Schreiben von Texten. Der Regisseur wird traditionellerweise als Vermittler und Ausführender der ursprünglichen Intention des Autors von Stück oder Libretto verstanden, auch wenn die letztlich entstehende Aufführung sein Werk ist. Vor diesem Hintergrund fragt die Studie gerade angesichts des eigenwilligen Stils von Schlingensief, inwieweit nicht auch die Arbeit der Inszenierung unter Kategorien von Autorschaft gebracht werden kann.

    Die Untersuchung begreift sich als streng diskurskritisches Verfahren. Das heißt herangezogen werden nur solche Phänomene, die sich in sprachlichen Strukturen niederschlagen:

    "Das kann die juristische Formulierung eines Regievertrages ebenso sein wie im Verlauf einer Aufführung geflüsterte Kommentare an den Sitznachbarn, Programmheftbeiträge wie Rezensionen, Interviews mit Intendanten, Regisseuren, Darstellern, öffentliche Einführungsvorträge oder anschließende Publikumsdiskussionen, Probengespräche – um nur beispielhaft eine offene Liste anzufertigen."

    Grundlage für diese Herangehensweise sind die Untersuchungen des französischen Literaturwissenschaftlers Gérard Genette zur Transtextualität. Thematisch werden darin die Beziehungen der verschiedenen Textgattungen zueinander, also nicht nur des Librettos oder der Regieanweisungen des Komponisten, sondern auch zum Beispiel von Kommentaren, Kritiken, Interviews, Statements, Aufschriften im Bühnen- oder Aufführungsraum etc. Allerdings zeigt sich der Interpretationsansatz mit dieser Fixierung auf ein Textparadigma extrem beschränkt, wie dann die Beschäftigung mit Schlingensiefs Parzifal zeigt. Wesentliches Merkmal derselben ist nämlich, wie die Kritiken durchweg konstatieren, dass das Bühnengeschehen überfrachtet ist durch eine in allen Details gar nicht mehr erfassbare Bilderflut von Dia- und Videoprojektionen, in denen Schlingensief seine kultur- und religionsgeschichtlichen Assoziationen sozusagen als eigenen Beitrag zum Gesamtkunstwerk einbringt. Zugleich betont er, dass diese Bildassoziationen für ihn durch die Musik motiviert sind und nicht durch den diegetischen Text der Handlung. Er stellt also eine intermediale Text-Bild-Spannung her, die von Lodemann jedoch nicht berücksichtigt wird. Ihr geht es mehr darum zu zeigen, wie der Regisseur eine klassische Autorenposition reklamieren kann. Dies gelingt ihm, so die Diagnose, nur außerhalb der Inszenierung durch öffentliche Auftritte und mediale Erklärungen seiner Intentionen als Regisseur, während er beim Regie-Führen selbst gerade auf Autorschaft verzichte und in postmoderner Manier das Material des Musikdramas als Versatzstücke, ja "Readymades" montiere.

    Mit dieser Feststellung lässt uns die Studie von Caroline Lodemann verwirrt zurück, da zwei ganz unterschiedliche Positionen beide mit dem Begriff "Autorschaft" bezeichnet werden. Unverständlich bleibt auch, warum bei einem als Filmregisseur beginnenden Künstler wie Schlingensief nicht auch die wichtige Debatte über den Autorenfilm und seine Schreibstrategien herangezogen wird. Versöhnt wird der Leser aber durch die köstlichen Berichte über Schlingensiefs Beteiligung an der Inszenierung von Braunfels "Jeanne d'Arc" 2007, für die er wegen seiner Erkrankung nur die schriftlichen Entwürfe zur Verfügung stellen konnte, die jedoch als seine gelungenste Regieleistung gefeiert wurde.

    Hier zeigt sich eine marktspezifische Gesetzmäßigkeit der Anerkennung von künstlerischem Schöpfertum, derzufolge man vielleicht den Titel der Arbeit umdrehen sollte: Denn geht es bei Autorschaft nicht letztendlich um Regie einer gelungenen Selbstinszenierung?

    Caroline A. Lodemann: "Regie als Autorschaft. Eine diskursanalytische Studie zu Schlingensiefs 'Parsifal'". V & R unipress, Göttingen 2010, 193 S. (gebunden), 37,90 Euro