Und wieder hallt ein Jubelruf über den Flughafen Oberwiesenfeld. Der erste Minister Großbritanniens, Mister Neville Chamberlain verlässt etwa 14 nach 2 Uhr den deutschen Boden. Er ist der letzte der großen Gäste des Reiches, die an den historischen Besprechungen von München am 29. September teilgenommen haben.
Es ist der 30. September 1938. Der britische Premierminister Chamberlain hat am Vortag das Münchner Abkommen unterschrieben, das den Anschluss des Sudetenlandes an Deutschland ermöglichte. Die Deutschen jubeln ihm beim Abflug zu, in London wird er später ebenso begrüßt. Die Menschen in Europa sind glücklich, dass ein neuer Weltkrieg verhindert wurde, der mit Deutschlands Drohung, in der Tschechoslowakei einzumarschieren, unmittelbar erwartet wurde. Für die Tschechoslowakei jedoch war das Münchner Abkommen ein Dolchstoß, ebenso wie für einige entschlossene Männer in Berlin, die an diesem Tag Hitler erschießen wollten.
"Die Sudetenkrise war eine einzigartige Chance für die Deutschen gewesen, die Diktatur des NS-Regimes abzuschütteln. Die britische Kapitulation in letzter Minute machte die Pläne der Verschwörer jedoch zunichte."
... resümiert der Autor, Terry Parssinen. Das Buch erzählt davon, wie Militärs, Geheimdienstler, Diplomaten und Wehrmachtsgeneräle sich im Sommer 1938 verschwören, um Hitler davon abzuhalten, einen Krieg anzuzetteln. Hans Oster war Organisator und Motor dieser Verschwörung. Der Berufssoldat arbeitete seit 1934 bei der Abwehr, dem militärischen Nachrichtendienst unter Admiral Canaris. Wie so viele Offiziere schätzte Oster die Vergrößerung und Aufwertung der Reichswehr, die Nazis jedoch mochte er nicht, auch wegen der Judenverfolgung.
"Ich halte mich für einen besseren Deutschen als alle die, die hinter Hitler herlaufen. Mein Plan und meine Pflicht ist es, Deutschland und damit die Welt von dieser Pest zu befreien."
Wesentlich mehr über die Person Oster erfahren wir aus dem Buch leider nicht; auch die meisten anderen handelnden Personen bleiben blass, selbst ihre Motivation zum Widerstand wird eher behauptet als bewiesen. ABER: Durch die überzeugende, plastische Darstellung der Ereignisse im Sommer 1938 wird die Geschichte noch einmal so lebendig, dass beim Leser die Frage aufkommt: Was, wenn es geklappt hätte, wenn uns der Krieg, die Massenmorde, die Spaltung Europas, der Kalte Krieg erspart geblieben wären? Zu verführerisch ist dieser Gedanke, als dass man nicht mit Spannung verfolgt, wie die Männer um Hans Oster einen um den anderen Plan schmieden, wie Hitler zu beseitigen wäre. Das Buch ist in Szenen gegliedert, wie ein Theaterstück. Es treten auf: Schurken, Intriganten, Informanten, mächtige Männer und schöne Frauen, Aufstrebende und Strauchelnde, skurrile Engländer und verblendete Sudetendeutsche, untreue Ehemänner und zaudernde Generäle. Wir geraten in konspirative Treffen, in Vier-Augen-Gespräche in Londons Nr. 10 Downing Street und in eine Generalsbesprechung. Wir lesen vom absurd anmutenden Plan, im Falle eines Krieges einen Streik der Generäle auszurufen, organisiert vom Generalstabschef.
"In vier Monaten würde die Wehrmacht die Tschechoslowakei und vielleicht die Welt angreifen. Oster und seine Mitverschwörer wussten nun, dass sie nur vier Monate Zeit hatten, diesen Wahnsinnigen davon abzuhalten, sie in einen Krieg zu stürzen."
Und sie wussten auch, dass sie zweierlei für einen erfolgreichen Putsch brauchten: Einerseits eine überzeugende militärische Basis, die Willens und in der Lage war, Hitler festzusetzen und SS und Gestapo ruhig zu halten. Andererseits eine klare britische Zusage, dass eine Besetzung des Sudetenlandes Krieg bedeutete. So könnte eine revolutionäre Situation entstehen, hofften die Verschwörer. Also setzten sie alles daran, Wehrmachtsgeneräle für sich zu gewinnen und sandten unentwegt Emissäre nach London, um die Botschaft zu übermitteln, dass es Deutsche gibt, die gegen Hitler sind und die Hilfe brauchen. Sie stießen jedoch auf Ratlosigkeit und Vorsicht: Die Engländer glaubten an eine deutsche Finte.
Außerdem hoffte der britische Premierminister Neville Chamberlain, mit seiner Appeasement- also Beschwichtigungspolitik den Frieden in Europa wahren zu können, wenn er nur Hitler, den er für exzentrisch, aber doch berechenbar hielt, entgegenkomme. So lieferte die britische Regierung die Souveränität der Tschechoslowakei Hitlers Expansionsgelüsten aus.
Rundfunkansprache Neville Chamberlain 27. September 1938
"Es ist furchtbar, gespenstisch, unglaublich, dass wir hier Schützengräben anlegen und Gasmasken aufsetzen sollten wegen eines Streites in einem fernen Land zwischen Völkern, von denen wir nichts wissen,
Wie groß unsere Sympathie für eine kleine Nation, die mit einem großen Nachbarn im Streit liegt, auch sein mag: Wir können uns nicht dazu verpflichten, das ganze britische Imperium unter allen Umständen zugunsten dieser Nation in einen Krieg hineinzuziehen. Wenn wir kämpfen müssen, muss es um wichtigere Dinge gehen."
Genau zu der Zeit, als Chamberlain seine bewegende Rundfunkansprache hielt, empfing in Berlin ein Stoßtrupp, der Hitler töten sollte, Waffen und Sprengstoff. Die Verschwörer wurden aber immer wieder aufgehalten, von zögerlichen Generalen, von neuen Nachrichten aus London. In diesem Moment lud Hitler zum Gipfeltreffen nach München ein. Die akute Kriegsgefahr war zunächst gebannt. Für die Verschwörer jedoch war es das AUS: Einen friedenswilligen Hitler konnten sie nicht stürzen. 2 Tage später unterzeichnete Chamberlain das Münchener Abkommen. Für diese Haltung, die Demütigung dem Kampf vorzuziehen und einen sicheren Krieg nur zu verschieben, hat der Autor nur Verachtung übrig.
"Der britische Regierungschef hatte nicht nur den Köder geschluckt, sondern Hitler auch noch geholfen, den Haken hineinzustecken. Chamberlains tragische Fehleinschätzung von Hitlers Absichten, sein militärisches Unverständnis und seine tiefe Abscheu gegen den Krieg drängten ihn zu einer Haltung, die man nur als unterwürfigen Defätismus bezeichnen kann."
Selten nur ringt sich der Autor zu solch prägnanten Urteilen durch. Seine Schilderung der Sudetenkrise aus vielerlei Perspektiven kann aber nur als exzellent bezeichnet werden. Die Frage jedoch, ob die Verschwörung um Hans Oster eine realistische Chance gehabt hätte, lässt auch dieses Buch offen.
Henry Bernhard war das über: Terry Parssinnen: Die vergessene Verschwörung. Hans Oster und der militärische Widerstand gegen Hitler. Siedler Verlag, 350 Seiten, 22,95 Euro.
Es ist der 30. September 1938. Der britische Premierminister Chamberlain hat am Vortag das Münchner Abkommen unterschrieben, das den Anschluss des Sudetenlandes an Deutschland ermöglichte. Die Deutschen jubeln ihm beim Abflug zu, in London wird er später ebenso begrüßt. Die Menschen in Europa sind glücklich, dass ein neuer Weltkrieg verhindert wurde, der mit Deutschlands Drohung, in der Tschechoslowakei einzumarschieren, unmittelbar erwartet wurde. Für die Tschechoslowakei jedoch war das Münchner Abkommen ein Dolchstoß, ebenso wie für einige entschlossene Männer in Berlin, die an diesem Tag Hitler erschießen wollten.
"Die Sudetenkrise war eine einzigartige Chance für die Deutschen gewesen, die Diktatur des NS-Regimes abzuschütteln. Die britische Kapitulation in letzter Minute machte die Pläne der Verschwörer jedoch zunichte."
... resümiert der Autor, Terry Parssinen. Das Buch erzählt davon, wie Militärs, Geheimdienstler, Diplomaten und Wehrmachtsgeneräle sich im Sommer 1938 verschwören, um Hitler davon abzuhalten, einen Krieg anzuzetteln. Hans Oster war Organisator und Motor dieser Verschwörung. Der Berufssoldat arbeitete seit 1934 bei der Abwehr, dem militärischen Nachrichtendienst unter Admiral Canaris. Wie so viele Offiziere schätzte Oster die Vergrößerung und Aufwertung der Reichswehr, die Nazis jedoch mochte er nicht, auch wegen der Judenverfolgung.
"Ich halte mich für einen besseren Deutschen als alle die, die hinter Hitler herlaufen. Mein Plan und meine Pflicht ist es, Deutschland und damit die Welt von dieser Pest zu befreien."
Wesentlich mehr über die Person Oster erfahren wir aus dem Buch leider nicht; auch die meisten anderen handelnden Personen bleiben blass, selbst ihre Motivation zum Widerstand wird eher behauptet als bewiesen. ABER: Durch die überzeugende, plastische Darstellung der Ereignisse im Sommer 1938 wird die Geschichte noch einmal so lebendig, dass beim Leser die Frage aufkommt: Was, wenn es geklappt hätte, wenn uns der Krieg, die Massenmorde, die Spaltung Europas, der Kalte Krieg erspart geblieben wären? Zu verführerisch ist dieser Gedanke, als dass man nicht mit Spannung verfolgt, wie die Männer um Hans Oster einen um den anderen Plan schmieden, wie Hitler zu beseitigen wäre. Das Buch ist in Szenen gegliedert, wie ein Theaterstück. Es treten auf: Schurken, Intriganten, Informanten, mächtige Männer und schöne Frauen, Aufstrebende und Strauchelnde, skurrile Engländer und verblendete Sudetendeutsche, untreue Ehemänner und zaudernde Generäle. Wir geraten in konspirative Treffen, in Vier-Augen-Gespräche in Londons Nr. 10 Downing Street und in eine Generalsbesprechung. Wir lesen vom absurd anmutenden Plan, im Falle eines Krieges einen Streik der Generäle auszurufen, organisiert vom Generalstabschef.
"In vier Monaten würde die Wehrmacht die Tschechoslowakei und vielleicht die Welt angreifen. Oster und seine Mitverschwörer wussten nun, dass sie nur vier Monate Zeit hatten, diesen Wahnsinnigen davon abzuhalten, sie in einen Krieg zu stürzen."
Und sie wussten auch, dass sie zweierlei für einen erfolgreichen Putsch brauchten: Einerseits eine überzeugende militärische Basis, die Willens und in der Lage war, Hitler festzusetzen und SS und Gestapo ruhig zu halten. Andererseits eine klare britische Zusage, dass eine Besetzung des Sudetenlandes Krieg bedeutete. So könnte eine revolutionäre Situation entstehen, hofften die Verschwörer. Also setzten sie alles daran, Wehrmachtsgeneräle für sich zu gewinnen und sandten unentwegt Emissäre nach London, um die Botschaft zu übermitteln, dass es Deutsche gibt, die gegen Hitler sind und die Hilfe brauchen. Sie stießen jedoch auf Ratlosigkeit und Vorsicht: Die Engländer glaubten an eine deutsche Finte.
Außerdem hoffte der britische Premierminister Neville Chamberlain, mit seiner Appeasement- also Beschwichtigungspolitik den Frieden in Europa wahren zu können, wenn er nur Hitler, den er für exzentrisch, aber doch berechenbar hielt, entgegenkomme. So lieferte die britische Regierung die Souveränität der Tschechoslowakei Hitlers Expansionsgelüsten aus.
Rundfunkansprache Neville Chamberlain 27. September 1938
"Es ist furchtbar, gespenstisch, unglaublich, dass wir hier Schützengräben anlegen und Gasmasken aufsetzen sollten wegen eines Streites in einem fernen Land zwischen Völkern, von denen wir nichts wissen,
Wie groß unsere Sympathie für eine kleine Nation, die mit einem großen Nachbarn im Streit liegt, auch sein mag: Wir können uns nicht dazu verpflichten, das ganze britische Imperium unter allen Umständen zugunsten dieser Nation in einen Krieg hineinzuziehen. Wenn wir kämpfen müssen, muss es um wichtigere Dinge gehen."
Genau zu der Zeit, als Chamberlain seine bewegende Rundfunkansprache hielt, empfing in Berlin ein Stoßtrupp, der Hitler töten sollte, Waffen und Sprengstoff. Die Verschwörer wurden aber immer wieder aufgehalten, von zögerlichen Generalen, von neuen Nachrichten aus London. In diesem Moment lud Hitler zum Gipfeltreffen nach München ein. Die akute Kriegsgefahr war zunächst gebannt. Für die Verschwörer jedoch war es das AUS: Einen friedenswilligen Hitler konnten sie nicht stürzen. 2 Tage später unterzeichnete Chamberlain das Münchener Abkommen. Für diese Haltung, die Demütigung dem Kampf vorzuziehen und einen sicheren Krieg nur zu verschieben, hat der Autor nur Verachtung übrig.
"Der britische Regierungschef hatte nicht nur den Köder geschluckt, sondern Hitler auch noch geholfen, den Haken hineinzustecken. Chamberlains tragische Fehleinschätzung von Hitlers Absichten, sein militärisches Unverständnis und seine tiefe Abscheu gegen den Krieg drängten ihn zu einer Haltung, die man nur als unterwürfigen Defätismus bezeichnen kann."
Selten nur ringt sich der Autor zu solch prägnanten Urteilen durch. Seine Schilderung der Sudetenkrise aus vielerlei Perspektiven kann aber nur als exzellent bezeichnet werden. Die Frage jedoch, ob die Verschwörung um Hans Oster eine realistische Chance gehabt hätte, lässt auch dieses Buch offen.
Henry Bernhard war das über: Terry Parssinnen: Die vergessene Verschwörung. Hans Oster und der militärische Widerstand gegen Hitler. Siedler Verlag, 350 Seiten, 22,95 Euro.