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Wie entstehen Spitzenleistungen?

Wie entstehen Spitzenleistungen? Unterscheidet sich die Herangehensweise der Spitzenleute verschiedener Fachrichtungen voneinander? Diesen und anderen Fragen gehen Expertiseforscher derzeit auf einer internationalen Konferenz in Berlin nach. Dabei geht es nicht nur um Spitzenkräfte aus Kunst, Sport und Kultur, sondern auch um den überdurchschnittlichen Börsenmakler oder Schuhputzer.

Von Barbara Leitner | 03.08.2006
    "Wir haben uns verschiedene Arten von Spitzenleistungen angeschaut. Zum Beispiel passionierte Kreuzworträtsel-Löser. Da gibt es Turniere, bei denen man Leute trifft, die tatsächlich schneller als andere die Lösungen finden. Und bei diesen Experten untersuchten wir, was sie besser sein lässt und wie sie sich diese Fähigkeiten angeeignet haben. "

    Karl Andres Ericsson, Psychologe von der Florida State University, USA.
    Er hat soeben das "Cambridge Handbook oft Expertise and Expert Performance" herausgegeben. Darin werden erstmalig die Erkenntnisse aus 80 Jahren internationaler Expertiseforschung zusammengefasst. Spitzenleistungen von Ärzten, Buchhaltern, Lehrern und Wissenschaftlern werden darin ebenso unter die Lupe genommen, wie die besonderen Fähigkeiten von Schachspielern, Tänzern, Musikern oder Sportlern. Für 15 verschiedene Gebiete fragten die Wissenschaftler: Wodurch unterscheidet sich die Ausbildung und Entwicklung, das Wissen, die soziale Unterstützung und auch das angeborene Talent der Spitzenleuten von normal Befähigten?

    Ericsson: "Experten, die etwas tatsächlich besser tun können als andere, eigenen sich ganz unterschiedliche geistige Fähigkeiten an, die es ihnen ermöglichen, über Probleme komplexer und tiefgründiger nachzudenken. "

    "Man nennt es in Englischen Delibate Practice . In Deutschen würde man es nennen, der Wille zu einer reflexiven Übung, wirklich besser werden zu wollen in seinem Bereich und das zu üben und das Wissen, was angesammelt wurde, in einem Bereich, sei es das Schachspielen oder Kochen oder die Medizin zu nutzen, um besser zu werden. Und nicht nur einfach Routine zu wiederholen. "
    Harald Mieg ist Professor für Metropolen- und Innovationsforschung an der Humboldt Universität Berlin und einer der wenigen Expertiseforscher in Deutschland. Im Schach genügt ein Blick in die Weltrangliste, um zu wissen, wer momentan der Beste ist. Doch nicht in jedem Fall können Spitzenleistungen so schnell bestimmt werden.

    Ericsson: "Zum Bespiel gibt es keine Beweise dafür, dass Börsenmarkler auf dem Aktienmarkt erfolgreicher als normale Leute investieren können. Oder dass Psychotherapeuten mit einer sehr langen Ausbildung und profunder Berufserfahrung Patienten schneller und mit besseren Ergebnissen heilen als andere. "

    Worin aber sind Spitzenkräfte wirklich besser? Expertiseforscher untersuchten beispielsweise die Denkleistungen von Schachspielern, während sie den nächsten Zug vorbereiteten. Die Weltbesten unterscheiden sich von den anderen nicht durch die Schnelligkeit ihres Denkens oder ihrer Gedächtnisfähigkeit im Allgemeinen. Vielmehr liegt ihre Überlegenheit darin, quasi ganz und gar in die Welt des Schachs eingedrungen zu sein und dadurch viele Züge in Gedanken vorwegnehmen zu können. Das gelingt nur durch Übung. Bei Spitzenpianisten fanden die Forscher heraus, dass sie im Alter von 20 Jahren bereits 10.000 Stunden Klavier spielten. Ihre befähigten Kollegen übten noch 5000 Stunden und ernsthafte Laien nur 2 000. Karl Anders Ericsson:

    "Es ist eine große Herausforderung, sich dem zu unterziehen, was wir Delibate Practice nennen. Man muss sich konzentrieren und sich den Aufgaben stellen, die immer ein wenig über dem eigenen gegenwärtigen Leistungsniveau liegen. Das geht nur, wenn man sich nach der Decke streckt und wahrscheinlich lassen sich diese Leute von den Vorteilen der verlockenden Zukunft anziehen. Sie erleben beispielsweise, wie sie sich im Sport dem Sieg eines Wettbewerbs nähern oder spüren deutlich, wie sie als Fachkraft in ihrem Beruf den anderen durch ihr Fachwissen überlegen sind und das spornt sie an."
    Zehn Jahre ernsthaftes Mühen – so fand man als Durchschnittswert bei den verschiedenen Fachgebieten heraus – braucht man vom Beginn seiner Karriere bis man durch eine Spitzenleistung hervorsticht. Als ein großes Hindernis auf dem Weg kann sich dabei der Erfolg erweisen, meint Dietrich Dörner von der Universität Bamberg:

    "Weil man dann Seitenlinien nicht mehr bereit ist zu gehen. Man muss ja offen sein. Man muss Dinge verfolgen, von denen man gar nicht weiß, ob sie etwas bringen oder nicht - nur weil es Spaß macht. "

    Der Kognitionspsychologe untersucht Strategien für Problemlösungen. Seine Prämisse: In einem dynamischen System können Probleme nicht durch Wiederholung und Routine gelöst werden, sondern verlangen einzigartige Antworten. Doch in vielen Fällen ist das Misslingen bereits programmiert. Beispielsweise, weil wir nur die Probleme angehen, die wir lösen können, nicht die, die wir lösen sollten. Oder weil wir, wenn wir uns einmal für eine Strategie entschieden haben, nicht mehr überprüfen, ob sie zu den beabsichtigten Ergebnissen führt. Solche Misslingensstrategien werden in einer Gruppe noch verstärkt.

    "Gruppendruck ist vielleicht eine der wichtigsten Sachen. Dass eine Gruppe immer verlangt, dass irgendwie eine Einheit da ist. Eine Gruppe kann nicht dulden, dass einer mit ganz anderen Worten redet und andere Begriffe gebraucht als man selber oder die unter Umständen von heute auf morgen wechselt. Das machen Erfinder. "
    Mit diesen Überlegungen begibt sich die Expertiseforschung auf ein neues Terrain. Bisher untersuchte sie vor allem zuverlässig testbare Spitzenleistungen einzelner. Inzwischen kümmert sich die Wissenschaftsdisziplin auch darum, wie die operationalen Bedingungen sein müssen, wenn eine Gruppe gemeinsam Spitzenleistungen erreichen will. Sie fragt nach dem Wechselverhältnis von Innovation und erfahrungsgestütztem, reflektierten Wissen. Und sie unterbreitet Vorschläge, wie Experten unterschiedlicher Disziplinen miteinander und mit Laien kommunizieren können. Gleichzeitig schaut sie auch auf die Bildung und Ausbildung von Schülern und Studenten. Aus der Sicht der Expertiseforschung sollte vor allem das gezielte Üben auf einigen ausgewählten Gebieten bereits während des Studiums beginnen. Harald Mieg und Karl Andres Ericsson:

    Mieg: "Die Leute können nicht nur Fachwissen eingetrichtert bekommen Heute sagt man, sie müssen auch auf die Führungskräftearbeit vorbereitet werden oder auf exzellente Forschung vorbereitet werden. Wie schreibt man z.B. einen guten Artikel, das früher einfach uninteressant war in der deutschen Wissenschaft. "

    Ericsson: " Wir haben festgestellt, dass eigentlich jeder seine Leistung verbessern kann, wenn er nur willens ist, sich dieser deliberate practice zu unterziehen. D.h. man muss sich ganz konkrete Ziele setzen. / Man muss eine Entscheidung treffen, dass man z.B. seine Fähigkeiten im Computer programmieren verbessern möchte oder eine andere Sprache erlernen möchte. Dann ist aber auch die Ausbildung neu zu denken. Vielleicht könnte sie mehr die Fähigkeiten in den Bereichen trainieren, in denen sie wirklich tätig und gut sein wollen. Dann verstehen sie auch stärker den Sinn dessen, was sie sich aneignen, weil ihnen klar ist, dass es ihnen für den Rest ihres Lebens nützen wird. "