Heinlein: Über zwei Wochen wurde verhandelt. Am Ende stand das Scheitern. Ohne greifbares Ergebnis trennten sich die Verhandlungsdelegationen in Camp David. Der Nahost-Friedensprozess steht damit wieder einmal vor einer schweren Bewährungsprobe. Trotz gegenseitiger Schuldzuweisungen waren beide Seiten jedoch auffallend darum bemüht, ihr Interesse an weiteren Verhandlungen zu betonen. Zu groß anscheinend die Sorge sowohl bei Israelis als auch bei Palästinensern vor einer erneuten Eskalation der Gewalt. Dennoch: Die radikalen Gegner einer Verständigung fühlen sich zur Stunde als Gewinner. Verlierer der gescheiterten Verhandlungen scheint in jedem Fall Bill Clinton. Ihm blieb zum Ende seiner Amtszeit der große außenpolitische Erfolg versagt. Nach dem Scheitern von Camp David – wie geht es weiter im Nahen Osten? Die Frage geht an Abdallah Franghi, dem Generaldelegierten Palästinas in Deutschland. Guten Morgen.
Franghi: Guten Morgen Herr Heinlein.
Heinlein: Herr Franghi, Jubel in Gaza nach dem Scheitern der Verhandlungen und der Rückkehr Arafats. Was ist der Grund für diese Zufriedenheit?
Franghi: Der Grund ist, dass die Leute nicht aufgeben wollen, dass Jerusalem unter der israelischen Kontrolle und Souveränität bleiben darf. Und sie spüren, dass Arafat dem Druck des USA-Präsidenten und Baraks ausweichen konnte und dass er standgehalten hat. Aus diesem Grund hat man das Gefühl, dass Arafat in dieser Frage um Jerusalem nicht nachgegeben hat. Der Vorschlag des israelischen Ministerpräsidenten Barak und des amerikanischen Präsidenten, die gemeinsame Verantwortung in der Selbstverwaltung – das ist eine Sache, die wir nicht akzeptieren können. Die Souveränität kann nicht geteilt werden in dieser Stadt zwischen uns und den Israelis, weil die Teilung der Souveränität für uns nicht unbedingt . . .
Heinlein: . . . dennoch, Herr Franghi, die Frage – Entschuldigung –: Es drängt sich der Eindruck auf, dass ein Scheitern der Verhandlungen für viele Palästinenser besser ist als ein Nachgeben, als ein Kompromiss. Diesen Eindruck vermitteln zumindest die Bilder und die Nachrichten aus Gaza und aus Bethlehem.
Franghi: Ja, weil die Palästinenser in den letzten sieben Jahren seit dem Osloer Abkommen immer nachgegeben haben. Wir haben nachgegeben, wir haben die Ausrufung des Staates Palästina zwei Jahre verschoben, wir haben nachgegeben, indem wir die Selbstverwaltung der palästinensischen Gebiete mehr oder weniger eingebettet akzeptiert haben – in das israelische System, wirtschaftlich und sicherheitsmäßig. Und in vielen Punkten haben die Palästinenser nachgegeben. Die Palästinenser wissen, dass wir dem israelischen Druck ausgeliefert sind, wenn jetzt mit der israelischen Regierung eine gemeinsame Verantwortung für Jerusalem eingehen. Wir können dem nicht ausweichen und müssten in jedem Punkt nachgeben, was zum Beispiel die Siedlungspolitik betrifft und was den Stadtteil Palästina zum Beispiel betrifft. Und wir wollen noch einmal demonstrativ zeigen, dass die Lösung von Jerusalem so, wie sie vorgesehen war, nicht akzeptabel ist.
Heinlein: Herr Franghi, wie hoch war denn der Druck aus dem arabischen Lager auf Arafat, in der Jerusalemfrage nicht nachzugeben?
Franghi: Er ist ungeheuer groß. Es gibt keinen Palästinenser und keinen Araber, der in dieser Frage bereit ist, nachzugeben. Das ist der Grund, warum man Arafat jubelnd empfangen hat, weil man das Gefühl hatte, Arafat hat in dieser Frage wirklich nicht nachgegeben. Alle haben erwartet, er würde auch in dieser Frage nachgeben, wie er zum Beispiel es in den letzten sieben Jahren getan hat. Und daher ist der Empfang auch in Kairo ungeheuer groß, der Empfang in Gaza viel größer und viel intensiver. Und wir überlegen uns jetzt, damit wir nicht noch einmal so ein Debakel erleben, dass wir das gesamte Problem zurückdrängen in die Vereinten Nationen. Das Palästina-Problem und seine Lösung begann 1947. Die Teilung Palästinas damals hat dort in dieser Institution stattgefunden, und ich glaube, das Beste wäre, dass wir eine Institution suchen, in der die Anerkennung Israels im Jahre 1947 stattgefunden hat und wo die Teilung Palästinas stattgefunden hat – dass wir dorthin zurückgehen und dieser Institution die Chance geben, dass alles wieder ernst genommen wird von der Weltgemeinschaft. Wir wollen keinen amerikanischen Druck, weder für uns noch für Israel.
Heinlein: Herr Franghi, Führer der Hamas-Bewegung riefen jetzt zu einer Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes gegen Israel auf. Wie groß ist denn aus Ihrer Sicht die Gefahr einer neuen Terrorwelle gegen Israel?
Franghi: Ich meine, Hamas hat jetzt die Stunde der Freude, weil sie spüren, dass sie in ihrer Position gestärkt sind durch das Scheitern von den Gesprächen, die jetzt stattgefunden haben in Camp Davis. Aber Hamas hat nicht mehr das politische Gewicht, dass sie die palästinensische Politik steuern oder beeinflussen kann. Sie wird nicht in der Lage sein, solche militärischen Aktionen durchzuführen. Wir werden das auch nicht gestatten; wir werden dagegen vorgehen. Wir werden es nicht zulassen, dass wir in eine militärische Konfrontation zurückkehren, weil das für die Palästinenser und für die Israelis einen großen Rückschritt auf dem Weg zum Frieden bedeutet, wenn wir in eine militärische Konfrontation kämen. Natürlich: Die einzigen, die sich gefreut haben auf diese Entwicklung, waren natürlich die Radikalen auf beiden Seiten.
Heinlein: Abdallah Franghi war das, der palästinensische Generaldelegierte in Deutschland. Ich danke für dieses Gespräch und auf Wiederhören. Auf einer anderen Leitung hat mitgehört der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor. Er ist jetzt Vizepräsident der Universität von Tel Aviv. Guten Morgen auch an Sie.
Primor: Guten Morgen und auch guten Morgen an Herrn Franghi.
Heinlein: Herr Primor, ‚alles oder nichts‘ – war das die richtige Verhandlungstaktik in Camp David von Barak?
Primor: Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil – vollkommen im Gegenteil. Es hat noch nie einen Regierungschef in Israel gegeben, der so viel – so viel – nachgegeben hat wie Barak. Zunächst, bevor wir die Frage Jerusalem antasten, vergessen wir nicht, dass er bereit war, 90 Prozent des Westufers des Westjordanlandes den Palästinensern zu übergeben. Überhaupt möchte ich sagen: Herr Franghi hat von Arafat gesprochen, der immer nachgegeben hat. Er hat vielleicht taktisch ab und zu nachgegeben, aber was das Territorium betrifft, haben immer wir nachgegeben. Von Anfang an hat es damit begonnen, dass die Palästinenser überhaupt nichts hatten. Und nach jedem Schritt in den Verhandlungen haben wir weiteres Territorium abgegeben; bei allen Verhandlungen haben wir weitere Stücke des Territoriums den Palästinensern gewährt. Und jetzt hat Barak ihnen 90 Prozent des Territoriums zugesagt. Das hat noch kein Regierungschef Israels sich getraut. Jetzt ging es nicht nur um Territorium, es ging auch um Fragen der Siedlungen, es ging um Fragen der Flüchtlinge – die Barak zum ersten Mal in der Geschichte der Verhandlungen angetastet hat. Und letzten Endes hat er auch die Frage Jerusalem angetastet, auch zum ersten Mal in der Geschichte der Verhandlungen. Er war zu Zugeständnissen bereit. Er war zu territorialen Zugeständnissen innerhalb der Stadt Jerusalem bereit, Teile der Stadt den Palästinensern zu übergeben, das heißt, Teile der Souveränität der Stadt den Palästinensern zu übergeben, andere Teile der Stadt zu palästinensischer Selbstverwaltung zu übergeben. Und was die Heilige Stätte anbelangt – also den Tempelberg – war er bereit, den Palästinensern dort nicht nur die Verwaltung, sondern auch eine Flagge zu gewähren. Also, er hat sehr, sehr viel Zugeständnisse gemacht. Wahrscheinlich nicht genügend für Arafat.
Heinlein: Herr Primor, wäre es denn sinnvoll gewesen, in diesen Teilfragen, die Sie angesprochen haben, eine Einigung zu erzielen und die schwierigen Themen, wie etwa die Jerusalem-Frage oder die Flüchtlingsfrage auszuklammern und dann später weiter zu verhandeln?
Primor: Mag sein. Das ist eine permanente Diskussion bei uns. Wir haben 1993 mit den Palästinensern gemeinsam lediglich einen allmählichen Friedensprozess ins Leben gerufen – schrittweise wollten wir den Friedensprozess fortsetzen. Diesmal sagte Barak: ‚Wir haben schon so viel Fortschritte erzielt – die Zeit ist gekommen, um den Konflikt endgültig zu beenden. Wir müssen jetzt eine Pauschalverhandlung haben und alle Probleme auf den Verhandlungstisch legen und alles lösen.‘ Ist das richtig so oder nicht? – Weiß ich nicht. Immerhin hat er dadurch Fragen angetastet, die wir in den allmählichen Prozessen bzw. in den schrittweisen Prozessen nie antasten konnten. Und ich glaube, dass die Fortschritte, die man jetzt erzielt hat, jetzt zementiert wurden. Von denen kann man nicht mehr zurücktreten, und ich glaube, dass die nächsten Verhandlungen, die bestimmt in Kürze kommen werden, von diesem Punkt an weitergehen werden. Also hat man doch Fortschritte erzielt, wenn man auch das Ziel nicht erreicht hat.
Heinlein: Aber Herr Primor, sind diese Einigungen, die erzielt worden sind, aber dann nicht unterschrieben wurden, innenpolitisch in Israel überhaupt durchsetzbar, denn Ehud Barak hat ja weder in der Knesset noch in der Bevölkerung eine breite Mehrheit?
Primor: Also ich glaube, dass das eigentlich der Schwerpunkt war – sowohl bei uns als auch bei den Palästinensern. Ich gehe schon davon aus, dass sowohl Arafat als auch Barak tatsächlich eine Vereinbarung haben wollten, nur, die Frage entstand immer: Können sie eine gewisse Vereinbarung auch in ihrer Bevölkerung durchsetzen? Manchmal muss man abwarten, weil die Bevölkerung noch nicht so weit ist und bereit ist. Man muss die Bevölkerung erst an diese Ideen gewöhnen. Aber, was die politische Lage in Israel anbelangt, möchte ich Ihnen sagen: Barak verfügt heute nicht mehr über ein Mehrheit im Parlament, das stimmt. Die Opposition jedoch auch nicht. Deshalb kann die Opposition ihn nicht stürzen. Ehud kann man überhaupt nicht stürzen, weil er unmittelbar von der Bevölkerung gewählt wurde. Aber darüber hinaus kann die Opposition auch seine Regierung nicht stürzen, weil sie über eine Mehrheit im Parlament nicht verfügt.
Heinlein: Also führt kein Weg an Neuwahlen vorbei? Was ist Ihre Einschätzung?
Primor: Ja, zunächst wird Barak versuchen, eine neue Koalition zu bilden. Er wird wahrscheinlich die alte Koalition - die zerbröckelte Koalition - wieder aufbauen zu versuchen. Und wenn nicht, wird er eine andere Koalition vielleicht finden wollen. Wenn ihm das nicht gelingt, und dazu hat er drei Monate, weil das Parlament nächste Woche drei Monate Urlaub nimmt – also bis Ende Oktober muss er sich keine großen Sorgen machen –, aber wenn er bis dahin keine neue Koalition bilden kann, wird er möglicherweise Neuwahlen hervorrufen. Das hängt davon ab, ob er bis dahin eine Vereinbarung mit dem Herrn Arafat unterschreiben kann.
Heinlein: Avi Primor war das, der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland – mit den Chancen auf einen Frieden im Nahen Osten nach dem Scheitern der Camp David-Gespräche. Herr Primor, vielen Dank und auf Wiederhören.
Primor: Ja, auf Wiederhören und einen guten Tag.
Link: Interview als RealAudio
Franghi: Guten Morgen Herr Heinlein.
Heinlein: Herr Franghi, Jubel in Gaza nach dem Scheitern der Verhandlungen und der Rückkehr Arafats. Was ist der Grund für diese Zufriedenheit?
Franghi: Der Grund ist, dass die Leute nicht aufgeben wollen, dass Jerusalem unter der israelischen Kontrolle und Souveränität bleiben darf. Und sie spüren, dass Arafat dem Druck des USA-Präsidenten und Baraks ausweichen konnte und dass er standgehalten hat. Aus diesem Grund hat man das Gefühl, dass Arafat in dieser Frage um Jerusalem nicht nachgegeben hat. Der Vorschlag des israelischen Ministerpräsidenten Barak und des amerikanischen Präsidenten, die gemeinsame Verantwortung in der Selbstverwaltung – das ist eine Sache, die wir nicht akzeptieren können. Die Souveränität kann nicht geteilt werden in dieser Stadt zwischen uns und den Israelis, weil die Teilung der Souveränität für uns nicht unbedingt . . .
Heinlein: . . . dennoch, Herr Franghi, die Frage – Entschuldigung –: Es drängt sich der Eindruck auf, dass ein Scheitern der Verhandlungen für viele Palästinenser besser ist als ein Nachgeben, als ein Kompromiss. Diesen Eindruck vermitteln zumindest die Bilder und die Nachrichten aus Gaza und aus Bethlehem.
Franghi: Ja, weil die Palästinenser in den letzten sieben Jahren seit dem Osloer Abkommen immer nachgegeben haben. Wir haben nachgegeben, wir haben die Ausrufung des Staates Palästina zwei Jahre verschoben, wir haben nachgegeben, indem wir die Selbstverwaltung der palästinensischen Gebiete mehr oder weniger eingebettet akzeptiert haben – in das israelische System, wirtschaftlich und sicherheitsmäßig. Und in vielen Punkten haben die Palästinenser nachgegeben. Die Palästinenser wissen, dass wir dem israelischen Druck ausgeliefert sind, wenn jetzt mit der israelischen Regierung eine gemeinsame Verantwortung für Jerusalem eingehen. Wir können dem nicht ausweichen und müssten in jedem Punkt nachgeben, was zum Beispiel die Siedlungspolitik betrifft und was den Stadtteil Palästina zum Beispiel betrifft. Und wir wollen noch einmal demonstrativ zeigen, dass die Lösung von Jerusalem so, wie sie vorgesehen war, nicht akzeptabel ist.
Heinlein: Herr Franghi, wie hoch war denn der Druck aus dem arabischen Lager auf Arafat, in der Jerusalemfrage nicht nachzugeben?
Franghi: Er ist ungeheuer groß. Es gibt keinen Palästinenser und keinen Araber, der in dieser Frage bereit ist, nachzugeben. Das ist der Grund, warum man Arafat jubelnd empfangen hat, weil man das Gefühl hatte, Arafat hat in dieser Frage wirklich nicht nachgegeben. Alle haben erwartet, er würde auch in dieser Frage nachgeben, wie er zum Beispiel es in den letzten sieben Jahren getan hat. Und daher ist der Empfang auch in Kairo ungeheuer groß, der Empfang in Gaza viel größer und viel intensiver. Und wir überlegen uns jetzt, damit wir nicht noch einmal so ein Debakel erleben, dass wir das gesamte Problem zurückdrängen in die Vereinten Nationen. Das Palästina-Problem und seine Lösung begann 1947. Die Teilung Palästinas damals hat dort in dieser Institution stattgefunden, und ich glaube, das Beste wäre, dass wir eine Institution suchen, in der die Anerkennung Israels im Jahre 1947 stattgefunden hat und wo die Teilung Palästinas stattgefunden hat – dass wir dorthin zurückgehen und dieser Institution die Chance geben, dass alles wieder ernst genommen wird von der Weltgemeinschaft. Wir wollen keinen amerikanischen Druck, weder für uns noch für Israel.
Heinlein: Herr Franghi, Führer der Hamas-Bewegung riefen jetzt zu einer Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes gegen Israel auf. Wie groß ist denn aus Ihrer Sicht die Gefahr einer neuen Terrorwelle gegen Israel?
Franghi: Ich meine, Hamas hat jetzt die Stunde der Freude, weil sie spüren, dass sie in ihrer Position gestärkt sind durch das Scheitern von den Gesprächen, die jetzt stattgefunden haben in Camp Davis. Aber Hamas hat nicht mehr das politische Gewicht, dass sie die palästinensische Politik steuern oder beeinflussen kann. Sie wird nicht in der Lage sein, solche militärischen Aktionen durchzuführen. Wir werden das auch nicht gestatten; wir werden dagegen vorgehen. Wir werden es nicht zulassen, dass wir in eine militärische Konfrontation zurückkehren, weil das für die Palästinenser und für die Israelis einen großen Rückschritt auf dem Weg zum Frieden bedeutet, wenn wir in eine militärische Konfrontation kämen. Natürlich: Die einzigen, die sich gefreut haben auf diese Entwicklung, waren natürlich die Radikalen auf beiden Seiten.
Heinlein: Abdallah Franghi war das, der palästinensische Generaldelegierte in Deutschland. Ich danke für dieses Gespräch und auf Wiederhören. Auf einer anderen Leitung hat mitgehört der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor. Er ist jetzt Vizepräsident der Universität von Tel Aviv. Guten Morgen auch an Sie.
Primor: Guten Morgen und auch guten Morgen an Herrn Franghi.
Heinlein: Herr Primor, ‚alles oder nichts‘ – war das die richtige Verhandlungstaktik in Camp David von Barak?
Primor: Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil – vollkommen im Gegenteil. Es hat noch nie einen Regierungschef in Israel gegeben, der so viel – so viel – nachgegeben hat wie Barak. Zunächst, bevor wir die Frage Jerusalem antasten, vergessen wir nicht, dass er bereit war, 90 Prozent des Westufers des Westjordanlandes den Palästinensern zu übergeben. Überhaupt möchte ich sagen: Herr Franghi hat von Arafat gesprochen, der immer nachgegeben hat. Er hat vielleicht taktisch ab und zu nachgegeben, aber was das Territorium betrifft, haben immer wir nachgegeben. Von Anfang an hat es damit begonnen, dass die Palästinenser überhaupt nichts hatten. Und nach jedem Schritt in den Verhandlungen haben wir weiteres Territorium abgegeben; bei allen Verhandlungen haben wir weitere Stücke des Territoriums den Palästinensern gewährt. Und jetzt hat Barak ihnen 90 Prozent des Territoriums zugesagt. Das hat noch kein Regierungschef Israels sich getraut. Jetzt ging es nicht nur um Territorium, es ging auch um Fragen der Siedlungen, es ging um Fragen der Flüchtlinge – die Barak zum ersten Mal in der Geschichte der Verhandlungen angetastet hat. Und letzten Endes hat er auch die Frage Jerusalem angetastet, auch zum ersten Mal in der Geschichte der Verhandlungen. Er war zu Zugeständnissen bereit. Er war zu territorialen Zugeständnissen innerhalb der Stadt Jerusalem bereit, Teile der Stadt den Palästinensern zu übergeben, das heißt, Teile der Souveränität der Stadt den Palästinensern zu übergeben, andere Teile der Stadt zu palästinensischer Selbstverwaltung zu übergeben. Und was die Heilige Stätte anbelangt – also den Tempelberg – war er bereit, den Palästinensern dort nicht nur die Verwaltung, sondern auch eine Flagge zu gewähren. Also, er hat sehr, sehr viel Zugeständnisse gemacht. Wahrscheinlich nicht genügend für Arafat.
Heinlein: Herr Primor, wäre es denn sinnvoll gewesen, in diesen Teilfragen, die Sie angesprochen haben, eine Einigung zu erzielen und die schwierigen Themen, wie etwa die Jerusalem-Frage oder die Flüchtlingsfrage auszuklammern und dann später weiter zu verhandeln?
Primor: Mag sein. Das ist eine permanente Diskussion bei uns. Wir haben 1993 mit den Palästinensern gemeinsam lediglich einen allmählichen Friedensprozess ins Leben gerufen – schrittweise wollten wir den Friedensprozess fortsetzen. Diesmal sagte Barak: ‚Wir haben schon so viel Fortschritte erzielt – die Zeit ist gekommen, um den Konflikt endgültig zu beenden. Wir müssen jetzt eine Pauschalverhandlung haben und alle Probleme auf den Verhandlungstisch legen und alles lösen.‘ Ist das richtig so oder nicht? – Weiß ich nicht. Immerhin hat er dadurch Fragen angetastet, die wir in den allmählichen Prozessen bzw. in den schrittweisen Prozessen nie antasten konnten. Und ich glaube, dass die Fortschritte, die man jetzt erzielt hat, jetzt zementiert wurden. Von denen kann man nicht mehr zurücktreten, und ich glaube, dass die nächsten Verhandlungen, die bestimmt in Kürze kommen werden, von diesem Punkt an weitergehen werden. Also hat man doch Fortschritte erzielt, wenn man auch das Ziel nicht erreicht hat.
Heinlein: Aber Herr Primor, sind diese Einigungen, die erzielt worden sind, aber dann nicht unterschrieben wurden, innenpolitisch in Israel überhaupt durchsetzbar, denn Ehud Barak hat ja weder in der Knesset noch in der Bevölkerung eine breite Mehrheit?
Primor: Also ich glaube, dass das eigentlich der Schwerpunkt war – sowohl bei uns als auch bei den Palästinensern. Ich gehe schon davon aus, dass sowohl Arafat als auch Barak tatsächlich eine Vereinbarung haben wollten, nur, die Frage entstand immer: Können sie eine gewisse Vereinbarung auch in ihrer Bevölkerung durchsetzen? Manchmal muss man abwarten, weil die Bevölkerung noch nicht so weit ist und bereit ist. Man muss die Bevölkerung erst an diese Ideen gewöhnen. Aber, was die politische Lage in Israel anbelangt, möchte ich Ihnen sagen: Barak verfügt heute nicht mehr über ein Mehrheit im Parlament, das stimmt. Die Opposition jedoch auch nicht. Deshalb kann die Opposition ihn nicht stürzen. Ehud kann man überhaupt nicht stürzen, weil er unmittelbar von der Bevölkerung gewählt wurde. Aber darüber hinaus kann die Opposition auch seine Regierung nicht stürzen, weil sie über eine Mehrheit im Parlament nicht verfügt.
Heinlein: Also führt kein Weg an Neuwahlen vorbei? Was ist Ihre Einschätzung?
Primor: Ja, zunächst wird Barak versuchen, eine neue Koalition zu bilden. Er wird wahrscheinlich die alte Koalition - die zerbröckelte Koalition - wieder aufbauen zu versuchen. Und wenn nicht, wird er eine andere Koalition vielleicht finden wollen. Wenn ihm das nicht gelingt, und dazu hat er drei Monate, weil das Parlament nächste Woche drei Monate Urlaub nimmt – also bis Ende Oktober muss er sich keine großen Sorgen machen –, aber wenn er bis dahin keine neue Koalition bilden kann, wird er möglicherweise Neuwahlen hervorrufen. Das hängt davon ab, ob er bis dahin eine Vereinbarung mit dem Herrn Arafat unterschreiben kann.
Heinlein: Avi Primor war das, der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland – mit den Chancen auf einen Frieden im Nahen Osten nach dem Scheitern der Camp David-Gespräche. Herr Primor, vielen Dank und auf Wiederhören.
Primor: Ja, auf Wiederhören und einen guten Tag.
Link: Interview als RealAudio
