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Wie Geschäftssinn tötet

Simon McBurney und sein "Théâtre de Complicité" sind mit eindrucksvollen Visualisierungen und intelligentem Regietheaters bekann geworden, auch in New York. 1998 bekam er für seine Broadway-Inszenierung von Ionescos "Die Stühle" sogar eine Nominierung für den Tony als beste Inszenierung. Nun hatte er mit Arthur Millers "All My Sons" in einer durchaus umstrittenen Inszenierung am Broadway Premiere.

Von Andreas Robertz | 03.11.2008
    Nach Meinung von Ben Brantley, Chefkritiker der New York Times, ist Simon McBurney nicht der geeignete Regisseur für Arthur Millers "All My Sons". Brantley schreibt, dass der Regisseur den Schauspielern durch seine reduzierte Bühne ein Spiel im leeren Raum abverlange und sie mit unpassender düsterer Musik um die Wette spielen lasse. Vor allem sei er - wie unzählige andere vor ihm - der Vielschichtigkeit der Millerschen Figuren nicht gerecht geworden. Und auch New York One, der lokale Fernsehsender, der dem Abend sehr gute Noten gibt, fragt, ob denn das Stück wirklich so viel Regie brauche. Arthur Miller, der vor allem in seinen späten Jahren den Broadway, dessen kommerzielle Politik und die völlig überteuerten Preise heftig kritisierte, war anscheinend anderer Meinung, als er McBurney 2001 nach seinem Besuch der berühmten Complicité-Produktion "Mnemonic" bat, "All My Sons" neu zu inszenieren:

    "Miller selbst hat mit mir über den Hintergrund seiner Charaktere gesprochen. Er wollte im Theater immer die Welt jenseits der Worte sehen, jenseits der Charaktere, und seine Regieanleitungen sind eher eine Art von Vorschlag, um dies zu zeigen. Alles was ich gemacht habe, war diese Vorschläge in ihr Extrem zu treiben. So habe ich dem Stück nichts hinzugefügt, sondern es eher ausgezogen."

    Simon McBurney inszeniert das Stück in einer, an den Film "Dogville" von Lars von Trier erinnernden, reduzierten Klarheit: eine grüne Fläche mit Gartenzäunen umgeben, ein Sessel, ein Stuhl, ein Tisch, ein Türrahmen - im Hintergrund eine Holzwand, die als Fläche für die Projektionen eines im Nebel stehenden Hauses, der Produktionsmaschinerie des Zweiten Weltkriegs oder düster ziehender Wolken dient.

    John Lithgow, Patrick Wilson, Dianne Wiest und Kate Holmes in den Hauptrollen spielen diszipliniert in der Form und emotional fesselnd die Familientragödie um den Industriellen Joe Keller. Der verschuldete den Tod von 21 Soldaten während des zweiten Weltkriegs - aus Profitsucht, und seine Lügen und der Betrug an seinen eigenen Söhnen führt letztlich zum katastrophalen Zusammenbruch der gesamten Familie.

    McBurney eröffnet den Abend, indem er ganz in Brechtscher Manier das gesamte Ensemble im Kostüm vor das Publikum treten und John Lithgow als sein Sprecher das Publikum bitten lässt, die Handys auszuschalten. Dann liest er die ersten Sätze der Regieanweisung: "Time: August of our era". Groß werden diese Worte an die Rückwand projiziert, das Licht geht aus und ein tosender Sturm lässt den Baum, der auf der Rasenfläche steht, umfallen. Mit diesen wenigen Mitteln gibt McBurney den düsteren Ton der gesamten Inszenierung vor. Wie in einem Ritual atmet jeder Spieler ruhig ein, bevor er die eigentliche Spielfläche betritt, stoppt und ändert seinen Rhythmus, wenn er sie wieder verlässt.

    An den entscheidend dramatischen Momenten treten die Spieler als Chor auf, der das Geschehen wie in einer griechischen Tragödie beobachtet. Kurz vor dem Ende, wenn Joe Keller die angewiderte Reaktion seines Sohnes Chris auf seine Lügen nicht mehr erträgt und sich erschießt, stehen alle an den Gartenzäunen und lassen in einer Bewegung die Köpfe fallen. Mit Joe Kellers Lüge sterben auch die, die sie akzeptiert hatten. Und auf das stammelnde Entsetzen seines Sohnes reagiert Mutter Kate mit: "Sei still und fang an zu leben" und einem Laut, mit dem man ein kleines Kind nach einem bösen Sturz beruhigt: "Schhhh". Immer wieder hören wir diesen Laut bis Chris seinen Widerstand aufgibt, das Licht langsam erlischt und hinten die Menschenmassen einer modernen amerikanischen Großstadt zu sehen sind: "Schhhh".

    In Simon McBurneys wunderbar präziser Inszenierung steht zum Schluss Millers grundlegende Kritik an der amerikanischen Gesellschaft wie eine schreiende Wunde im Mittelpunkt. In einer Zeit, in der man täglich auf CNN unter dem Titel "Who is to blame?" - wer hat Schuld? - die steckbriefartigen Bilder superreicher Bankmanager sehen kann, kommt diese Inszenierung gerade recht. In einer Zeit, in der eine kriegsmüde Nation zwischen der Angst um ihren Wohlstand und der Sehnsucht nach Veränderung einen neuen Präsidenten sucht, der "es wieder richten soll", ist die Inszenierung eine massive Aufforderung, die Fragen der Söhne zu beantworten und die schuldigen Väter zu enterben. Seltsam, dass Ben Brantley das nicht gesehen hat. Ein großer Theaterabend eines ungemein aktuellen Autors und eines mutigen Regisseurs.