Einen Monat vor seiner Entlassung beschließt er, "innerlich zur Ruhe zu kommen", verweigert in bewusster Absicht die Arbeit und bekommt auf Anhieb für den Rest des Aufenthaltes Isolationshaft. Während seine Kollegen eine Meuterei organisieren, bei der er gerne dabei gewesen wäre, langweilt er sich zu Tode: "Die Freiheit selbst ödete mich an. Ich erwartete sie ganz ohne innere Überzeugung. Ich lief von Wand zu Wand und zählte die Schritte. Echt blöde. Die ließen ihr Blut, und ich gab hier den Eremiten."
Nach dem Gefängnisaufenthalt heißt man ihn in seiner Heimatstadt wie einen Helden willkommen, als wäre er mindestens der Zwangsarbeit entflohen, als hätte er nicht von Appell zu Appell unter einigermaßen humanen Bedingungen seine Zeit abgesessen, sondern wäre verwundet worden und hätte das Banner der Freiheit hochgehalten. Angenehme Wirkung davon war jedenfalls, dass die Männer mit ihm trinken und die Frauen mit ihm zusammensein wollten.
Stasiuks Autobiographie hat sich dem Refrain der Animals "It's my life and I'll do what I want" verpflichtet. Hier wird getrunken bis zum Umkippen, geraucht was das Zeug hält (und was man in die Hände bekommt), sinnlos und zugleich lustvoll über Gott und die Welt geredet, über alles und nichts gesprochen, dahergequatscht und gesungen. Über die Umhergetriebenheit der Jugendlichen heißt es an einer Stelle: "Man ging immer geradeaus. (...) Das wirkte immer leicht erregend. Warum eigentlich? Wir alle pilgerten zwischen dem einen und dem anderen Markt hin und her. Unterwegs keinerlei Attraktionen, und manche machten das den lieben langen Tag". Die jungen Leute durchstreifen Warschaus Straßen immer in der Hoffnung, dass etwas passieren würde, aber für gewöhnlich sei immer alles gleich geblieben. Man traf sich, ging auseinander. Obwohl das Warten und Herumstehen monoton gewesen seien, habe sich niemand über Langeweile beklagt.
Andrzej Stasiuk, 1960 geboren, ist Lyriker, Prosa- und Drehbuchautor und Essayist. Er lebt seit 1986 in einem Bergdorf in den Baskiden, dem äußeren Teil der Westkarpaten - einem Gebirgszug im östlichen Mitteleuropa. 1992 debütierte er mit dem Erzählband Die Mauern von Hebron, in dem er von seinen Erfahrungen mit der Gewalt im Gefängnis schreibt. Auf Deutsch sind bisher erschienen Der weiße Rabe und Die Welt hinter Dukla.. Seit er in den Beskiden wohne, komme ihm sein eigenes Leben immer mehr wie das eines Fremden vor, äußerte er einmal. Manchmal frage er sich, ob er nicht selber eine literarische Figur ist, die von ihm erfunden wurde.
In seiner Autobiographie ist viel die Rede von der "Melancholie der Peripherie". "Die Zeiten waren so", heißt es da, "immer fehlte etwas. Entweder Bier, oder Krüge, oder Kohle. Wir dachten, das wäre normal und würde immer so sein. Wir wollten nichts ändern. Wir befaßten uns mit den Ideen, nicht mit Gegenständen." Aber auch in den "Ideen" will sich nicht so recht das große Denken durchsetzen (vorsichtshalber verhöhnt man Derrida noch bevor er gelesen wird). Das Hinausgeworfensein ins Sinnlose und die totale Verschwendung, die in allem gelebte Verausgabung führen Stasiuk nicht nur zu Büchern von Georges Bataille, sondern auch zu einer ganz und gar eigenen Sprache. Mit Notwendigkeit musste diese Rasanz, diese hechelnde Turbulenz des beharrlichen Nach-Vorne-Gehens einmal einen Ruhepunkt finden. Dafür ist das Schreiben ein guter "Ort". Er bremst nicht die Geschwindigkeit und macht sie erfahrbar, indem er ihr zur Sprache verhilft.
Die ständige Hin- und Hergerissenheit Stasiuks zwischen "Rock'n'Roll und Literatur, Trinken und Nichttrinken, Klassik und Romantik" und vielem anderen mehr, hat er selbst mit der Formulierung "ewiger Amateur" am besten umschrieben. Seine lakonischen Zuspitzungen lassen den ironisch beschriebenen Lebenskampf humorvoll, konspirativ, ja geradezu nebensächlich erscheinen. Das freilich ist eine mitteleuropäische Tugend, der auch schon Autoren wie Danilo Kis oder der in Berlin lebende Bora Cosic gefolgt sind, in dem sie Gefühl versus Ironie gesetzt haben. "Nur scheinbar führten wir ein Leben ohne Prinzipien", heißt es bei Stasiuk, und spätestens hier wird klar, dass "Heroismus und Tragik" tatsächlich, wie es der Autor selbst formuliert, "nach ganz und gar untragischen und unheroischen Mitteln" verlangen.