Archiv


Wie kann die Sackgasse im Nahost-Friedensprozess überwunden werden?

    Remme: Herr Lahnstein, der Nahost-Friedensprozess ist seit vielen Jahren ein Auf und ein Ab. Ist das, was wir hier beobachten, lediglich der Tiefpunkt einer solchen Entwicklung, oder ist es mehr?

    Lahnstein: Auf jeden Fall ist es ein Tiefpunkt, und das Schlimme daran ist, dass man nicht so recht sieht, wie es unter den gegenwärtigen Vorzeichen wieder nach oben gehen sollte. Ratlos sind sie mittlerweile alle, in Jerusalem, in Ramallah, in Washington, in Brüssel, in Berlin, und viele drohen auch, zu resignieren. Auch die arabischen Staaten sind nun völlig ruhig. Das ist eine komplette Sackgasse, in der der Prozess derzeit steckt, und es ist schwer zu sehen, wie man da wieder herauskommt.

    Remme: Sie sind Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Heißt es, dass Sie automatisch Verständnis für die Politik Ariel Sharons haben?

    Lahnstein: Wir haben Verständnis für die Sorgen der Israelis. Wir sind nicht immer mit allen Maßnahmen der israelischen Regierung einverstanden. Wenn sie notwendig und vernünftig sind, natürlich ja, aber persönlich glaube ich, dass der israelische Regierungschef in den letzten Wochen überreagiert hat.

    Remme: Haben Sie Alternativen parat?

    Lahnstein: Man muss wissen, wo man ansetzt. Es wird sicher notwendig sein, dass die amerikanischen Vermittlungsbemühungen, die ja nun gar nicht um große politische Fragen gehen, sondern hier geht es nur um den Dialog, zwischen den für die Sicherheit Zuständigen auf beiden Seiten, erfolgreich sind und der Dialog möglichst rasch wieder in Gang kommt. Dann würde ich schon glauben, dass die Zone A geräumt werden sollte. Ich persönlich würde mich auch immer für eine Bewegungsfreiheit für Arafat aussprechen. Im Gegenzug allerdings - und das ist genauso wichtig, damit die Sache nicht umgekehrt einseitig wird - gehören die palästinensischen Terroristen, die dort unten jedermann kennt, gefangengenommen und vor Gericht gestellt. Die Terrororganisationen, die auch jedermann kennt, gehören verboten. Und auf dieser Basis wird man dann versuchen müssen, vorsichtig weiterzukommen. Das wird nach meinem Eindruck ohne Druck von außen nicht ganz gehen. Deshalb ist es aus meiner Sicht zwingend notwendig, dass die Amerikaner und die Europäer, auch Russland, die alle Signatarmächte des Oslo-Prozesses sind, sich auf gemeinsame Positionen verständigen und aktiv werden können.

    Remme: Bleiben wir bei dem Faktor, der uns am nächsten ist, nämlich der Europäischen Union. Israel hat in den vergangenen Tagen Infrastruktur zerstört, die offensichtlich auch mit Hilfe von EU-Gelder aufgebaut wurde. Kann die EU da einfach so zusehen?

    Lahnstein: Die Palästinenser haben mit Waffen operiert, die auch mit europäischen Mitteln im Zusammenhang mit dem Aufbau der Polizei offiziell bezahlt worden sind. Das ist diese elendige Aufrechnerei, die uns überhaupt nicht weiterbringt. Das hat ja gerade in diese Sackgasse hineingeführt. Ich halte das in Gaza für eine Überreaktion, aber man muss immer die andere Seite auch sehen. Deswegen denke ich, dass die EU bei beiden Seiten vorstellig werden muss, und zwar energisch.

    Remme: Sie sagen, es muss Druck ausgeübt werden. Wie kann sich dieser äußern?

    Lahnstein: Wir haben es - hier rede ich nun für die israelische Seite - in Israel mit einer demokratisch gewählten Regierung zu tun. Davon kann man auf der palästinensischen Seite nur sehr bedingt sprechen. Und man wird den Mehrheitswillen des israelischen Volkes zu achten haben. Das schließt aber verstärkte diplomatische Bemühungen nicht aus. Ich hoffe als engagierter Bürger, dass diese Bemühungen in Gang sind. Die effektiven Bemühungen sind ja meistens diejenigen, die nicht öffentlich sind.

    Remme: Die Deutsch-Israelische Gesellschaft ist ja ein Miteinander von Staatsbürgern beider Seiten. Da wird es Gespräche, Kommunikation geben. Haben Sie den Eindruck, dass die Bürger in Israel den Kurs der jetzigen Regierung mittragen?

    Lahnstein: Es gibt ein erhebliches Maß an Zustimmung, und das müssen Sie psychologisch auch verstehen. Wir müssen ja einen Augenblick mal darüber nachdenken, was hier in Deutschland nach den ersten drei, vier Terrorattentaten los wäre. Das kann man psychologisch verstehen. Das kann aber eine längerfristige Politik nicht ersetzen. Insofern gibt es in Israel viel Ratlosigkeit und manchmal auch Verzweiflung. Das wird sich aber in der Demokratie im politischen Prozess auflösen müssen. Hier kommt ein zusätzlicher Punkt hinzu: Koalitionen in Israel sind immer schwierige Veranstaltungen. Das begrenzt auch den Spielraum für Scharon, im Übrigen. Es gibt Zustimmung für die Grundlinie der Politik. Das bedeutet natürlich nicht, dass es Zustimmung für jede Maßnahme gibt. Sie werden sich sicherlich daran erinnern können, dass selbst der israelische Staatspräsident seinen politisch nahestehenden Premierminister in der Öffentlichkeit gerügt hat, rund um die Vorgänge in Bethlehem zu Weihnachten.

    Remme: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio