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Wie kann eine Neuregelung des Finanzausgleiches bei den Krankenkassen aussehen?

    Capellan: Das Problem ist ja lange bekannt. Die Betriebskrankenkassen locken mit günstigen Beiträgen; sie haben viele junge - und damit meist gesunde - Mitglieder in ihren Reihen, Beitragszahler also, die wenig Geld kosten. Anders dagegen die Ortskrankenkassen. Bei ihnen finden sich viele ältere und chronisch kranke Menschen, die für hohe Kosten und damit zwangsläufig auch für höhere Beitragssätze sorgen. Eine Wettbewerbsverzerrung, der die Bundesgesundheitsministerin eigentlich mit dem Einführen eines Mindestbeitragssatzes von 12,5 Prozent entgegenwirken wollte. Damit ist sie zunächst gescheitert. Gestern nun waren die Kassenvertreter wieder einmal bei der Ministerin zu Gast, und Ulla Schmidt - sie denkt nun an eine andere Variante. Sie will eine Mindestabgabe einführen, die alle Kassen in den sogenannten ‚Risikostrukturausgleich' zahlen sollen. Vereinbart wurde gestern gar nicht; man hat sich wieder vertagt. Dennoch wollen wir nun sprechen mit Professor Karl Lauterbach, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie in Köln und Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung für das Gesundheitswesen. Guten Morgen Herr Lauterbach.

    Lauterbach: Guten Morgen.

    Capellan: Was halten Sie davon, eine solche Mindestabgabe - und dadurch den Mindestbeitragssatz durch die Hintertür einzuführen?

    Lauterbach: Zum einen: Das Anliegen des Mindestbeitrags war korrekt. Es ist ganz klar so, dass die Betriebskrankenkassen, insbesondere die sogenannten virtuellen Betriebskrankenkassen mit besonders niedrigen Beitragssätzen die Beitragssätze deshalb so niedrig halten können, weil sie aus dem Risikostrukturausgleich eine Subvention bekommen, die höher ist als die Ausgaben. Vereinfacht gesprochen: Man bekommt mehr aus dem Risikostrukturausgleich in dem Sinne, dass man mehr ‚Wohngeld' bekommt als man eigentlich ‚Miete' ausgibt. Das sollte der Mindestbeitrag also abschneiden. Der Mindestbeitrag war aber keine besonders geschickte Lösung dafür. Das Geld wäre bei den Betriebskrankenkassen verblieben und nicht in die eigentlich bedürftigen Kassenarten geflossen. Darüber hinaus also gibt es Widerstand natürlich an der Basis, wenn hier nicht die eigentliche Subvention gekürzt wird sondern der Beitrag erhöht wird. Und jetzt werden andere Modelle überlegt; es ist aber nicht absehbar, ob es eine neue Variante geben wird.

    Capellan: Also, klären Sie uns doch bitte einmal auf. Wie könnte das mit dieser Mindestabgabe funktionieren, an die Ulla Schmidt ja offensichtlich denkt.

    Lauterbach: Also da möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht spekulieren. Es gibt mindestens 10 mir bekannte Varianten, wie man hier die Subventionen - Betriebskrankenkassen, im Risikostrukturausgleich - kürzen könnte . . .

    Capellan: . . . welche wäre denn die beste nach Ihrer Ansicht, um diese zweifellos vorhandenen Wettbewerbsverzerrungen zu korrigieren?

    Lauterbach: Berücksichtigt werden müsste stärker als bislang die Mobilität der Betriebskrankenkassen. Das ist mittelfristig ohnedies vorgesehen durch den mobilitätsorientierten Risikostrukturausgleich. Jetzt kann man allerdings überlegen, worauf . . .

    Capellan: . . . das müssen Sie erklären, Entschuldigung, Herr Lauterbach.

    Lauterbach: Die Krankheitslast der Kassen wird bisher nicht berücksichtigt. Im Risikostrukturausgleich wird bisher im wesentlichen berücksichtigt die Alters- und die Geschlechtsverteilung der Patienten oder der Versicherten. Die Krankheitslast wird bisher nicht berücksichtigt. Dafür gibt es jetzt zwei Ansätze - zum einen den kurzfristigen, zum andern den langfristigen Ansatz. Den langfristigen will ich nicht diskutieren; da wird im wesentlichen die Krankheitsverteilung der Krankenkassen direkt gemessen. Beim kurzfristigen Ansatz will die Ministerin für vier Krankheiten für chronisch Kranke den Satz erhöhen, der aus dem Risikostrukturausgleich bezogen werden kann auf das Niveau der durchschnittlichen Kosten dieser chronisch Kranken. Und das soll geknüpft werden an die Tatsache, dass diese chronisch Kranken auch besser behandelt werden. Das halte ich für eine besonders sinnvolle Maßnahme. Hier wird zum einen erreicht, dass die Betriebskrankenkassen zusätzlich belastet werden, sie haben deutlich weniger chronisch Kranke als die Ortskrankenkassen oder die Ersatzkrankenkassen. Und zum zweiten: Das Geld fließt nur dann, wenn sich auch die Versorgung verbessert der chronisch Kranken. Diese Maßnahme soll vorgezogen werden . . .

    Capellan: . . . vor der Bundestagswahl möchte die Ministerin da noch was tun. Können solche Maßnahmen so schnell greifen?

    Lauterbach: Also die Maßnahmen greifen dann schnell, wenn sehr schnell bekannt ist, um welche Krankheiten es sich handelt. Die Krankheiten sollten im Prinzip jetzt von der Ministerin - das hat sie auch gemacht - genannt werden und sollten per Gesetz festgelegt werden. Die Tatsache, dass die Ministerin letzten Montag die Krankheiten schon genannt hat - die ersten vier - hat zur Folge gehabt, dass die Krankenkassen jetzt schon beginnen mit der Vorbereitung entsprechender Programme.

    Capellan: Der Finanzausgleich unter den Krankenkassen soll also möglichst schnell reformiert werden. Aber das allein wird ja kaum dazu führen können, dass die Beiträge tatsächlich stabil bleiben. Was müsste noch getan werden?

    Lauterbach: Echte Kostenstabilisierung ist tatsächlich nur möglich, wenn also die Prävention verstärkt wird. Wir haben folgende Situation: Es sind nur 20 Prozent der Versicherten, die 80 Prozent der Kosten verursachen. Somit lassen sich die Kosten nur wirklich stabilisieren, indem diese Krankheiten entweder später auftreten durch Prävention - in späteren Lebensphasen - oder wenn sie so behandelt werden, dass sich Komplikationen vermeiden lassen. Daran kann man aber nicht von heute auf morgen arbeiten, das heißt, hier sind in gewisser Weise Vorlaufzeiten zu berücksichtigen. Es bedarf hier auch Strukturmaßnahmen. Ich nenne mal ein Beispiel: Viele dieser chronischen Erkrankungen sind besser behandelbar, wenn die Bereiche ‚ambulante Versorgung' und ‚stationäre Versorgung' geöffnet sind, das heißt, der Patient wird zum Teil ambulant weiter behandelt von stationär tätigen Ärzten - und umgekehrt. Und das sieht das deutsche System zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor.

    Capellan: Also, da muss einiges reformiert werden. Professor Karl Lauterbach war das, Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung. Ich danke Ihnen, auf Wiederhören.

    Lauterbach: Ich danke Ihnen.

    Capellan: Mitgehört hat Dieter Thomae, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen Herr Thomae.

    Thomae: Guten Morgen.

    Capellan: Auch an Sie die Frage: Die Neuregelung des Finanzausgleichs ist sicher wichtig, aber nicht das Allheilmittel?

    Thomae: Also ich denke, die Entwicklung, die jetzt in den letzten Wochen eingetreten ist, immer mehr und stärker den Risikostrukturausgleich in den Vordergrund zu stellen, ist der falsche Weg. Wir sehen den Weg darin, mehr Vertragsgestaltungsmöglichkeiten den Krankenkassen einzuräumen: also die Vertragsgestaltungsmöglichkeiten mit der Ärzteschaft, mit den Krankenhäusern, mit der Reha-Klinik müssen nennenswert erweitert werden. Und jede Krankenkasse muss mehr Rechte bekommen . . .

    Capellan: . . . also die müssen eigene Verträge Ihrer Ansicht nach mit den Ärzten aushandeln dürfen, um sich die günstigsten Angebote - sage ich jetzt mal - heraussuchen zu können?

    Thomae: Ja, auf jeden Fall. Es kann nicht mehr sein, dass nur noch allein die kassenärztlichen Vereinigungen hier die Verantwortung tragen, sondern Ärztegruppen müssen auf jeden Fall mit einbezogen werden, aber auch der Krankenhausbereich und der Reha-Bereich.

    Capellan: Kann man denn dann vor diesem Hintergrund eine Neuregelung des Finanzausgleichs vernachlässigen?

    Thomae: Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn große Krankenkassen Verträge abschließen, werden sie sicherlich andere Konditionen bekommen als kleinere Krankenkassen. Und das stärkt das Prinzip des Wettbewerbs - im Gegensatz das Prinzip der Planwirtschaft, das gegenwärtig verfolgt wird bei dieser Bundesregierung.

    Capellan: Das heißt also, einen Mindestbeitragssatz oder eine Mindestabgabe, die im Rahmen des Finanzausgleichs zu einem solchen Mindestbeitragssatz ja quasi führen würde, das darf es Ihrer Ansicht nach nicht geben?

    Thomae: Ja, Sie haben ja schon eben aus dem Gespräch mit Professor Lauterbach gehört, wie kompliziert das System ist. Kein Mensch versteht mehr das System. Das ist ein System voller planwirtschaftlicher Instrumente, und das kann nicht der sinnvolle Weg sein, sondern wir müssen auf der anderen Seite mehr Strukturen im Wettbewerb schaffen. Dann wird dieses System auch viel übersichtlicher und klarer.

    Capellan: Mehr Wettbewerb ist ja schön und gut; dafür stehen sicherlich auch die Liberalen. Aber ist dieser Wettbewerb unter den Krankenkassen denn wirklich noch fair?

    Thomae: Er ist machbar. Wir haben das in dem Gesetz von 97 gezeigt, und wir würden dieses auch weiter ausbilden. Das heißt, der Patient muss auch mehr Rechte bekommen. Der Patient muss seine Rechnung bekommen, er muss wissen, welche Leistungen zu welchen Preisen erbracht wurden. Und ein weiterer wichtiger Punkt - neben Vertragsgestaltungsmöglichkeiten zu erweitern sehen wir auch darin, dass der Patient mehr Möglichkeiten der Mitbestimmung bekommt bei der Gestaltung seines Leistungspaketes. Und - als weiterer wichtiger Punkt sage ich sehr deutlich: Wir wollen, dass die Eigenverantwortung gestärkt wird und auf der anderen Seite der sozial Schwache über Härtefallregelung und über Forderungsregelung geschützt wird. Das ist ein Gegenkonzept zu dem Konzept, was heute gegenwärtig diskutiert wird.

    Capellan: Herr Thomae, das leuchtet im Grunde ein, aber darf man denn die Ortskrankenkassen dafür bestrafen, dass sie viele ältere und chronisch kranke Menschen aufnehmen und weiter in ihren Reihen als Mitglieder haben?

    Thomae: Schauen Sie, die AOK hat eine solche Marktmacht, die teilweise in einzelnen Ländern bei 80 Prozent liegt. Die AOK könnte über Vertragsgestaltungsmöglichkeiten ganz andere Bedingungen erhalten als kleinere virtuelle Betriebskrankenkassen. Das ist der unterschiedliche Ansatz, den wir auf den Tisch legen.

    Capellan: Also, hier wird zuviel gejammert - Ihrer Ansicht nach?

    Thomae: Es wird sehr viel gejammert, aber Sie können im Grunde genommen entweder ein System entwickeln, was völlig staatlich ist - und wir sind sehr in der Nähe, wenn diese Konzeptionen dieser Bundesregierung weiter erfolgen in dieser Richtung. Oder Sie müssen sagen: Wir wollen mehr in wettbewerbliche Strukturen. Dann müssen die Krankenkassen auch mehr Gestaltungsmöglichkeiten bekommen.

    Capellan: Lässt sich ein Anstieg der Kassenbeiträge auch kurzfristig noch verhindern?

    Thomae: Bei dieser Politik dieser Bundesregierung - bei dieser Ministerin - nicht. Da sehen wir alle, dass Ende des Jahres die Beitragssätze massiv auf breiter Front steigen, weil die Ministerin einfach keine entscheidenden Konzepte auf den Tisch legt.

    Capellan: Wir werden sehen, was die Ministerin weiter tut. Die Diskussion geht sicherlich noch weiter. Dieter Thomae war das, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag. Herr Thomae, vielen Dank, auf Wiederhören.

    Thomae: Auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio