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Wie Kinder die Welt sehen

Er steht für witzige Alltagspersiflagen und Popkultur-Dada, der Musiker PeterLicht. Aber auch auf Theaterbühnen ist er unterwegs. Jetzt hat sein Stück "Wunder des Alltags" für Sechs- bis Zwölfjährige am Jungen Schauspielhaus Düsseldorf Premiere, das die kindliche Weltsicht skizzieren will.

Von Peter Backof | 20.09.2012
    "Heut' ist mal wieder: Gegenteiltag – Gegenteil, von dem wie es ist."

    PeterLicht: "Im Hier und Jetzt sein, keine Schranke und keine klare Bahn, wo jemand anders schon mal vorgedacht hat, wie das jetzt ist…,"

    … das alles. Der Kölner Autor und – wie er sich nennt – Liedschreiber PeterLicht hat einen Theatertext für Kinder geschrieben. Ein 60-seitiges Essay mit und über den kindlichen Blick. Eine Welt, in der die Naturgesetze aufgehoben sind. Oder in ihr Gegenteil verkehrt:

    "Der magische Blick: keine klaren, rationalen Begründungen. Viele Bilder haben genauso viel Wahrheit wie dann das exakte naturwissenschaftliche Phänomen."

    Bilder? Was meint er damit, würden Erwachsene fragen: meint er Gemälde oder Metaphern? Für Sechsjährige ist das noch eins. Und:

    "Arbeit ist, wenn man wo hingeht, wo man dann nicht mehr zu Hause ist und keine Zeit mehr hat für etwas anderes."

    Gute Arbeit ist, wenn man möglichst nah an Schreibtischschubladen sitzt, denn dort liegt Geld – oder: man könnte Bürowände melken, denn Geld fließt ja. Zwischen Tagtraum und Sprachspiel bewegen sich die Wunder, die einem begegnen.

    Peter Kastenmüller: "Vorsicht! Nicht zu viel definieren, aber trotzdem Wege bauen, die diese Texte irgendwie flutschen lassen."

    Regisseur Peter Kastenmüller und Dramaturg Ludwig Haugk haben mindestens fünfzigprozentigen Anteil am Gesamtkonzept der Inszenierung "Wunder des Alltags" am Jungen Schauspielhaus Düsseldorf. PeterLichts Text musste erst einmal in Rollen aufgeteilt werden und auch die visuelle Umsetzung war nicht festgelegt.

    "Morgen! – ah, einer meiner Freunde, der Zahn!"

    Ein Theaterstück für Grundschulkinder zu schreiben, ist schwierig. Denn die schneiden einen gnadenlos, wenn das Stück nicht gefällt und kennen keinen Höflichkeitsapplaus. Ein hohler Zahn, ein klappriger "Transformer", eine Ritterin, ein Spinne und eine Clown-Frau wagen ihr Glück: Aufwendige Requisite! Und ein Ensemble zwischen Mitte zwanzig und Mitte fünfzig, die Figuren alterslos konzipiert.

    "Ich möchte zu dem kommen, was die Welt im Innersten zusammenhält: das Konto!"

    Wobei - man ahnt es - Konto ist, wenn man irgendwo Zahlen eingibt, seine Hand davor hält und dann Geld rauskommt. Und Bankenkrise ist, wenn Börsenexperten im Fernsehen komische Gesichter machen, als hätten sie ein Skateboard im Mund.

    PeterLicht: "Sagen wir mal, diese kindliche Stumpfheit, wenn es auch um die Realisierung von eigenem Vorteil geht, das ist auch gerade, was in dem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem drin steckt, in dem wir unterwegs sind. Ich denke mal, viele erfolgreiche Wirtschaftsführer, ja, da wird diese Stumpfheit einfach sehr klar durchgezogen und dann ist es auch erfolgreich."

    Das Stück will dabei nicht Sachverhalte infantilisieren oder in Dingsda-Manier erklären, sondern eine Psychologie der kindlichen Welt skizzieren. Dramaturg Ludwig Haugk:

    "Es gibt etwas ganz Wesentliches in dem Stück und das ist die Feststellung: nichts ist getrennt voneinander, sondern alles hat miteinander zu tun."

    Vom Hölzchen zum Stöckchen, vom "Konto" über das "Internet" bis zu "Liebe" und "Gott" durchwandert man Zusammenhänge. Was zählt, ist die emotionale Lage, für Kinder: die Weltlage. Und freilich haben heute die meisten "Wunder des Alltags" auch bei Kindern etwas mit Geld zu tun.

    "Dann ist es Arbeit. Wir brauchen Leute, die es machen und wenn sie es machen, dann arbeiten sie."

    Die Idee kam PeterLicht vor drei Jahren beim Besuch des Festivals "Labor für generationsübergreifendes Sehen" in Mülheim an der Ruhr. Daraufhin sammelte er Theaterleute und Musiker, die auch noch nie Kindertheater gemacht hatten.

    "Das Drumherum macht den Unterschied."

    Der unter Pseudonym und so gut es geht inkognito arbeitende Musiker hadert mit dem Musikbetrieb, der ihm immer nur drei Minuten 20 Sekunden Spielfläche bietet. Beim "Festival des unsichtbaren Menschen", 2009 an den Münchner Kammerspielen, war er mit einem eigenen Stück vertreten. Experimentelles Musiktheater bringt ihm seither mehr als immer nur wieder neue spaßige Indiepop-Hits zu veröffentlichen. Bleibt nur noch abzuwarten, ob die "Wunder des Alltags", bei der Premiere in Düsseldorf heute, auch ankommen, beim jungen Publikum.

    PeterLicht: "Also das wäre dann ein gescheiterter Abend, wenn das für die Kinder so was Verzweifeltes wäre. Für mich soll das eine Heiterkeit, eine Freiheit, eine Leichtigkeit ergeben."
    "Aber niemand, niemand ist allein."