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Wie Kirchenmedien über die Causa Woelki berichten
"Ritt auf der Rasierklinge"

Seit Monaten steht der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki in der Kritik. Dem katholischen Kirchenmann wird unter anderem vorgeworfen, ein selbst beauftragtes Gutachten zum Missbrauchsskandal unter Verschluss zu halten. In kirchlichen Medien stößt die Kritik daran immer wieder an Grenzen.

Von Annika Schneider | 17.02.2021
Ein Mikrofon des Radiosenders domradio vor der Kulisse des Kölner Doms
Das domradio im Köln, finanziert aus Kirchengeldern, hat dennoch den Anspruch, journalistisch-kritisch auch über Kirchenthemen zu berichten (picture-alliance/ dpa | Rolf Vennenbernd)
Das domradio in Köln sendet Kirchennachrichten, Gottesdienste und spirituelle Impulse. Finanziert wird es vom Bildungswerk des Erzbistums, also aus Kirchengeldern. Trotzdem habe der Sender immer eine gewisse Autonomie gehabt, findet Thomas Schüller, Kirchenrechtler aus Münster.
"Die haben also auch kritische Stimmen aus allen Lagern – aus dem Linkskatholizismus, aus dem Rechtskatholizismus –, haben auch mal am Rande gelegene Themen aufgegriffen. Das fand ich immer gut. In den letzten zwei, drei Wochen beobachte ich, dass das domradio Beiträge aufnimmt, die natürlich in der Auseinandersetzung mit Kardinal Woelki von Bedeutung sind und wo man den Eindruck hat, sie werden zu einem offiziellen Presseorgan des erzbischöflichen Ordinariates. Das heißt, man findet dann Interviews mit Gesprächspartnern, die die Sicht des Erzbischofs stärken und unterstützen."

Macht das domradio Öffentlichkeitsarbeit?

Eines dieser Interviews ist das mit dem ehemaligen Bundesrichter Thomas Fischer, der die Darstellung der Ereignisse rund um Kardinal Woelki vergangene Woche als "Hysterisierung" bezeichnete. Macht das domradio also Öffentlichkeitsarbeit im Sinne des Erzbischofs? Ingo Brüggenjürgen, seit über 20 Jahren Chefredakteur des Senders, widerspricht vehement. Man sei weder Pressestelle noch Propaganda-Abteilung des Erzbistums:
"Wir haben eine ordentliche Lizenz wie jeder andere Radiosender, und von daher werden wir einen Teufel tun und uns die Interviewpartner vorschreiben lassen. Wir wählen die Interviewpartner wie jede Redaktion selber aus. Wir werden finanziert von all den Kirchensteuerzahlern im Erzbistum Köln. Und wenn die breit aufgestellt sind, dann ist es auch unsere Aufgabe, diese Meinungsvielfalt, die es dort gibt, widerzuspiegeln im Programm. Klar, das ist eine Herausforderung jeden Tag, da die Balance zu halten. Das ist vielleicht manchmal auch ein Ritt auf der Rasierklinge, aber das ist letztendlich die Aufgabe von Journalisten."

Keine Recherche zu umstrittenen Themen

Dieser Ritt auf der Rasierklinge zeigt sich zum Beispiel in einem aktuellen Kommentar des Chefredakteurs. Dort wirft er der Kirche vor, zu mauern und zu lamentieren – versteckt ist diese Beobachtung allerdings in den letzten Versen eines humoristischen Karnevalsgedichts. Und auch wenn der Sender kritische Äußerungen gegen Woelki regelmäßig vermeldet, recherchiert er nicht selbst zu umstrittenen Themen.
Wo Bischöfe Medienmärtyrer sein können
Im Missbrauchsskandal kritisieren katholische Journalisten die Öffentlichkeitsarbeit im Erzbistum Köln. Das System der katholischen Kirche funktioniere nach einer eigenen Logik, sagte die Journalistin Christiane Florin im Dlf.
Weil das domradio vom Bistum finanziell abhängt, überschreitet die Redaktion eine gewisse rote Linie nicht. Das zeigt sich auch darin, dass Woelki auf dem Webportal des Senders jede Woche eine Videokolumne veröffentlicht, die er schon mehrfach als Plattform genutzt hat, um sich zu rechtfertigen – ein Format, das die Redaktion bei aller erklärten Unabhängigkeit wohl zu akzeptieren hat.

Kritischere Berichterstattung bei katholisch.de

Mehr kritische Kirchenangehörige kommen beim Nachrichtenportal katholisch.de zu Wort. Das liegt auch daran, dass das es von allen deutschen Bistümern gemeinsam getragen wird, meint Redaktionsleiter Björn Odendahl:
"Wenn man 27 Chefs hat, 27 Bischöfe, die mitfinanzieren, dann ist natürlich auch im deutschen Episkopat die Meinung sehr unterschiedlich zu diesen vielen verschiedenen Themen: Missbrauchsaufarbeitung, Strukturreformen, Frauen in der Kirche. Das verschafft uns dann vielleicht auch eine bisschen größere Freiheit, weil man da selbst unterschiedlicher Meinung ist. Ich glaube, dass die Kirche da in letzter Zeit und auch die Bischöfe nochmal verstärkter wahrgenommen haben, dass wir mit unserer kritischen Berichterstattung auch Teil der Transparenzoffensive der Kirche sind."

Öffentlichkeitsarbeit als PR? "Das hat sich geändert"

Diese Transparenzoffensive beobachtet auch Manfred Becker-Huberti, der unter dem Kölner Kardinal Meisner 15 Jahre lang Pressesprecher des Erzbistums Köln war und dessen Tochter heute stellvertretende Chefredakteurin des domradios ist. Bis Ende der 80er-Jahre habe die katholische Kirche ihre Öffentlichkeitsarbeit vor allem als PR angesehen. "Das hat sich inzwischen geändert. Man sieht ein, dass das ein Prozess ist, der abläuft, ein Kommunikationsprozess, in den man sich einbringen kann. Aber indem man sich als einseitig erkennbar gibt, hat man bereits verloren."
Sendezeiten für die Kirchen
Nur etwas mehr als die Hälfte der Deutschen gehört noch einer Kirche an. Trotzdem steht der katholischen und evangelischen Kirche per Gesetz Sendezeit im Rundfunk zu. Kritiker fordern, dass auch andere Gruppen ihre eigenen Radioformate bekommen.
Die Debatten um Kardinal Woelki stellen diese Entwicklung nun noch einmal auf eine Probe. domradio-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen sagt, ein solches Medienecho habe er in seinen Berufsjahren noch nie erlebt. Dass das Thema bald wieder Schlagzeilen macht, ist absehbar. Denn am 18. März will Kardinal Woelki sein neues Gutachten zur Aufarbeitung sexueller Gewalt vorlegen.