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Wie kommt die Zeit zur Uhr?

Physik. - Im Januar 1959 begann die Aussendung von Normalfrequenzen und Zeitmessmarken der Physikalisch Technischen Bundesanstalt, PTB, in Braunschweig über den posteigenen Sender DCF77. Der steht in der Nähe von Frankfurt, sendet auf Langwelle und erreicht und steuert mittlerweile geschätzte 100 Millionen Funkuhren.

Von Mathias Schulenburg |
    Die Zeit war schon immer ein mehr oder minder wertvolles Gut, die wohl wichtigste Motivation der Neuzeit zu ihrer technischen Beherrschung aber sollte erst eine Schiffskatastrophe werden, die 2000 englische Marinesoldaten das Leben kostete. Deren Schiffe wurden im Oktober 1707 am Eingang des Ärmelkanals von Riffen versenkt, deren Position falsch berechnet worden war, auch, weil keine genauen Uhren zur Verfügung gestanden hatten. Die wurden im folgenden mit staatlicher Unterstützung entwickelt. 1772 navigierte Kapitän Cook mit Sauerkraut – gegen Skorbut – und einer guten Uhr in der Südsee und wurde nicht müde, beider Nützlichkeit zu preisen. In der Gestalt von Schiffschronometern entstand ein erstes globales Zeitnetz, das das britische Empire errichten half.

    Die Eisenbahn erforderte ein dichter geknüpftes Zeitnetz. Wie die Zeit der Schiffschronometer wurde auch die englische Eisenbahnzeit zunächst vom Königlichen Observatorium in Greenwich abgeholt und in genau abgeglichenen Uhren an die Bahnstationen verteilt. Schließlich lösten Telegrafen entlang der Eisenbahnlinien die umständliche Prozedur ab. Unterwasserkabel begannen, neben Nachrichten die genaue Zeit über die Meere zu tragen; im Dezember 1901 gelang erstmals die funktechnische Überbrückung des Atlantiks.

    Heute ist die Zeitverteilung über Funk die gängigste Methode, das Zeitnetz über große Distanzen intakt zu halten, was mit der Genauigkeit von Atomuhren geschieht. Funkuhren haben die Haushalte erobert. Sie werden in Deutschland von einem Langwellensender nahe Frankfurt gespeist, dessen Trägerwelle von 77,5 Kilohertz so moduliert wird, dass die Uhren Informationen nicht nur über die Zeit, sondern auch das Datum bekommen. Außerdem wird die 77,5 Kilohertz-Trägerwelle als Frequenzstandard genutzt. Die Langwelle wird nicht aus nostalgischen Gründen verwendet, sondern ihrer guten Durchdringungsfähigkeit wegen: Bäume, Häuser, Hochhausschluchten sind kein Problem. So kommt die Zeit in jedes Schlafzimmer.

    Es gibt in der Industriegesellschaft eine Unzahl von Anwendungen, die auf sehr genaue Zeitstandards angewiesen sind. Wenn man etwa im elektrischen Überlandnetz von einer Leitung zu einer anderen schaltet, muss das zeitlich punktgenau passieren – bei falscher Phasenlage gäbe es einen Kurzschluss. Auch der öffentliche Personennahverkehr schaltet auf die funkvermittelte Atomzeit um, so lassen sich die jeweiligen Verspätungen exakt ermitteln.

    Noch einmal die Zeit im Großen: Weil sich die Erde durch Gezeitenreibung und andere Effekte immer langsamer dreht, beginnen Atomzeit und astronomische Zeit merkbar auseinander zu laufen. Die internationalen Hüter der Zeit reagieren mit der scharf kalkulierten Einfügung von Schaltsekunden. Deren Einsatz wird unter anderem mit Radioteleskopen ermittelt, die die Erddrehung genauestens vermessen und ihre Ergebnisse via Glasfaser zusammenführen.