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Wie man Verse macht und Lieder

"Die kalten Frauen, die mich streicheln, die falschen Freunde, die mir schmeicheln, die scharf sind auf die scharfen Sachen und selber in die Hosen machen in dieser durchgerissnen Stadt die hab ich satt."

Liane Dirks |
    Chausseestraße 131: eine Gitarre, eine Stimme und historischer Lärm, der, in Verbindung mit Musik, fast schon etwas Poetisches und Gesang, der vor diesem Hintergrund fast immer etwas Lärmendes hat.

    Wolf Biermann hat geschrieben, wie er Verse und Lieder macht. In acht Kapiteln stellt er dar, was er zwei Jahre lang in Düsseldorf an der Heinrich-Heine-Universität erfolgreich vorgetragen hat:

    Poetik oder wie er es sagt: "Ein Geflecht aus Ästhetik, Analysen, Anekdoten, Geschichte und Geschichten".

    Ein Beweis, auf jeden Fall, daß der Einblick in die Dichterwerkstatt erhellend, aufschlußreich, interessant und unterhaltend sein kann, vor allem aber mehr noch als ein Einblick, ein Ausblick ist und zwar der des Dichters auf die Welt.

    Und weil Einblick und Ausblick im Grunde nicht zu trennen sind, heißt die erste Vorlesung "Politisch Lied, privates Lied" und sie beginnt ganz biermannsch: "Natürlich kenne ich die Welt besser als jeder hier im Saal!"

    Diesen Satz läßt er aber keineswegs stehen, denn man hat es bei diesem Dichter ja immer eher mit einem schlauen Fuchs als mit einem heulenden Wolf zu tun und deshalb fährt er fort:

    "Aber ich weiß kalt, daß auch jeder von Ihnen die Welt besser kennt als ich." Poetik ist Schläue, sie liegt zwischen diesen beiden Sätzen.

    Vielleicht da, wo Biermann mit seinen Versen nach eigener Aussage immer hinwollte: ins Bett seiner Liebsten und auf die Straße ins Getümmel. "Streicheln und totschlagen. Tändeln unterm Rosenstrauch und treffen im Gemetzel. Ich wollte mit meinen Liedern immer zärtlich ins Herz meiner Freunde und mörderisch ins Herz meiner Feinde", schreibt er.

    "Politisch Lied / Privates Lied" - der Titel enthält versteckt auch ein Zitat. Es ist aus Goethes Faust: In Auerbachs Keller stimmt ein Altsemester ein Spottlied über den Zerfall des heiligen römischen Reiches an, woraufhin ein Saufkumpan ihn unterbricht mit inzwischen geflügelten Worten: "Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied / Ein leidig Lied!"

    An dieser Stelle treten Faust und Mephistoles ein und es ist der Teufel, der singt: ein wahrhaft politisches Lied.

    Bevor man ein solches singen kann, muß man wissen, was es ist:

    "Die Dichter mit der feuchten Hand Dichten zugrund das Vaterland Das Ungereimte reimen sie Die Wahrheitssucher leimen sie Dies Pack ist käuflich und aalglatt - die hab ich satt!"

    Das Private ist politisch! - Wir erinnern uns an diesen Satz. Was er in den frühen 60er Jahren der DDR bedeutete, daran erinnert Biermann. Trotz der von oben angeordneten Entstalinisierung, der sich Ulbricht, so Biermann, mit saurer Miene beugte, galt ein Gespräch über Bäume in den Augen der Herrschenden immer noch als ein Verbrechen und: "... Ein Sonett über einen verweigerten Kuß war nach den Maßstäben der stalinistischen Offizialidioten immer noch ein kleinbürgerlicher Schwächeanfall. Folglich beginnt Biermann sein Gedicht "Rücksichtslose Schimpferei" mit den Worten "ich, ich ich". Er hat es geschrieben "gegen die totalitäre Anmaßung des Kollektiv-Ideologen, "ich, ich, ich, / bin voll Haß / bin voll Härte / der Kopf zerschnitten / das Hirn zerritten / Ich will keinen sehn! Bleibt nicht stehn! Glotzt nicht! / Das Kollektiv liegt schief..."

    Solche Sätze waren eindeutig gegen die Staatsdoktrin. Weil sie privat waren, waren sie politisch, mittels des Privaten lehnte sich der politische Liedermacher auf. Biermann war nicht der einzige. Und weil man das merkte, versuchte man die jungen Querdenker wieder einzufangen, zu vereinnahmen."Durch's Feuer führt keine Furt", zitiert Biermann ein deutsches Sprichwort. Die Jungen spürten das, suchten diese Furt aber dennoch. Biermann spart sich mit seinen Irrtümern in diesem Buch auf angenehme Weise einmal nicht aus. Auch er glaubte als junger Bursche an Stalins Kraft. Aber vor allem: Auch er wollte wie alle anderen Erfolg. Wenn ihm also 1962 ein Auftritt bei einer öffentlichen, groß anberaumten Lyriklesung in der Adademie der Künste am Robert-Koch-Platz möglich ist, dann liest er. Nach Biermanns Vortrag von dem Gedicht "an die alten Genossen", dessen Inhalt man prosaisch mit den Worten "Abtreten" zusammenfassen kann, kommt es allerdings zum Eklat.

    "Hier entsteht eine neue Plattform!" schrie der Feuilletonchef vom "Neuen Deutschland", Sprache, die wirkte, nach diesem Satz war alles still, Sprache, die der Autor heute schon wieder übersetzen muß. Sie bedeutete: "Gefängnis - Harichprozeß, Walter Janka, im Namen des Volkes, Cottbus, Bautzen, Genickschuß."

    Der Satz "Hier entsteht eine neue Plattform" wurde damals noch zurückgewiesen von einem anderen, von einem entschiedenen "Ich warne Sie!", die drei besten Worte, wenn es nach Biermann geht, die drei besten Worte des Dichters Stefan Hermlin. Mit markerschütterndem Pathos habe er sie gegen das "Neue Deutschland" geschrien. Nach dieser Veranstaltung, so schreibt Biermann, hatte er etwas gelernt: "Wer bin ich? Was ist die Welt? Was bin ich in der Welt?" werden seine zentralen Fragen. Denn: Durch's Feuer führt tatsächlich keine Furt. Biermann weiß, er muß sich stellen. Um das zu können, muß er sich kennen.

    "Kunststück" "Wenn ich mal voll bin wenn ich mal voll bin geh ich kurz zum Teufel runter und spendier Stalin ein Bier: Armer Alter - Kunststück!" So einfach war's freilich nicht.

    "Lyrik: Schattenbild in der Höhle des Gemüts" lautet Vorlesung Nummer zwei. "Ich will am Gedicht eines anderen Menschen sehen, welche Wirkungen die Welt, in der ich auch lebe, auf seinen Gefühlshaushalt und Denkapparat hat", fordert Biermann vom Dichter. Die Welt wie sie ist, will er nicht sehen, denn: das wäre 1. anmaßend, 2. unmöglich, er geht immer wieder zurück zu seiner ersten These (jeder sieht eh immer nur seine eigene Welt), 3. sind die sogenannten Fakten langweilig.

    Die Schule seiner Lyrik ist die Schule seines Charakters, in diese führt er den Leser ein. Er zeigt Freunde, die er hatte, wie Robert Havemann und Peter Huchel. Mit letzterem verband ihn eine "Symbiose im Vorübergehen".

    "Er hat mir nichts beigebracht, aber abgelernt habe ich von Peter Huchel das Schweigen zwischen den Worten". Vor allem aber zeigt Biermann in diesem Buch seine Meister. Sie begleiten ihn quer durch sein Leben, sie ziehen sich quer durch das Buch: Platon mit seinem Höhlengleichnis, Jean Jaques Rousseau, Alexander Pope mit seinem Gedicht "Essay on Man", Friedrich Hölderlin, Francois Villon, John Donne, William Shakespeare, Johann Wolfgang von Goethe, immer wieder Heinrich Heine, Samuel Beckett und natürlich:

    Brecht / Eissler Einheitslied "Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum braucht er was zum Essen bitte sehr...

    Hanns Eissler und Bertolt Brecht. Biermann hat Brecht verehrt, Eissler hat er in dessen Villa in Hohenschönhausen, kurz nach dem Mauerbau, vorgegrölt, seine Unsicherheit vor dem bewunderten Komponisten provozierte ihn angeblich zu übertriebenen Posen. Es war die Ballade vom Fernlastfahrer Bruno, in der ein Mann überlegt, ob er das Mädchen im Wirtshaus vom Tisch gegenüber - "... ihre Lippen waren traurig / Aber sonst war sie noch frisch..." - ob dieses Mädchen sich vielleicht nicht umgebracht hätte, wenn er sie eingeladen hätte. Eisslers Urteil über diese Ballade war hart: "Ekelhaft, das ist ein kitschiges Pubertätslied! Ein Dreck."

    Doch zwei weitere Lieder und der Meister zog schon seine schöne Frau und die Tochter hinzu, eine Woche später lud Eissler noch mal ein, da sang Biermann bereits vor der versammelten Medienschickeria des Arbeiter- und Bauernstaates.

    Dennoch, Wolf Biermann hatte es mit dem Vorsingen immer auch schwer. Als kleiner Junge sang er im Bett, wenn er allein war, die Mutter in die Wäscherei arbeiten ging. Der Vater, Kommunist, war seit Jahren schon inhaftiert. Bei den Leuten im Hinterhaus hieß der Junge mit 4 1/2 schon der kleine Sänger. Im Winter 1940/41, die von den Nazis sogenannte "Luftschlacht um England" tobte, nimmt die Mutter den kleinen Sänger einfach mit auf Besuchszeit ins KZ, dreimal im Jahr gab es eine halbe Stunde. Der Kleine sitzt vor einem Vater, den er nicht kennt und doch - aus den Erzählungen der Mutter. Der Vater, kahl geschoren, lacht, er schenkt dem Jungen Bonbons, die die Mutter ihm vorher heimlich zugeschoben hat. Die Mutter berichtet stolz von der Begabung ihres Kindes: sing deinem lieben Papa mal was Schönes vor. Der kleine Wolf ließ sich nicht lange bitten und was singt er?

    "Hörst du die Motoren brüllen. Ran an den Feind Hörst Du die Motoren brüllen: Ran an den Feind Boomben! Boomben! Bomben auf Engellant, Bumm, Bumm!"

    "Musik ist eine Hure, die mit jedem Text geht", und "Verse auf dem Marktplatz" sind Titel weiterer Vorlesungen, in denen es Biermann um den Spannungsbogen zwischen Musik, deren Wirkung und dem Text geht.

    Der Kleine sang dem Vater das Lied seiner Todfeinde vor. Der Vater grinste. Eine Begegnung, über die Biermann im Familienkreis noch oft gesprochen hat, gegenüber späteren Undurchschaubarkeiten nennt er sie "eine rührend einfache Geschichte aus meiner Vorzeit". Wer weiß.

    Aus "David und Goliath": "Ganz bin ich Jude und, nebbich, ganz Goy zwei und zwei und zwei und zwei Eß unter Palmen glatt koscher, bleib treu Tannenbaum, Sauerkraut, Eisbein und Bier

    "Ein Gedicht über das Allerhäßlichste ist nur zu ertragen, wenn es auch ein großes Kunstwerk ist", schreibt Biermann im Vorwort zu seiner Übersetzung von Jizchak Katzenelsons großem Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk. Einer Arbeit, bei der es ihm so vorgekommen sei, als habe er nur 30 Jahre ein bißchen seine Kräfte geübt, "um nun endlich dieses Werk lebendig ans deutsche Land zu ziehen." Biermann hat sich damit seiner Angst gestellt, seiner jüdischen Angst. Ob er sie ergründen will, sei dahingestellt, zumindest will er sich ausleuchten: die verborgenen Winkel seines Ich. Der "Dolmetzscherey", dem Training an Meisterwerken, widmet Biermann eine ganze Vorlesung. Er übersetzt sich und anderer Leben, was er sucht - und nicht nur in diesem Kapitel - ist immer dasselbe: Klarheit.

    Diese Suche wird bereits formuliert mit der Wahl des Umschlagbildes: Es zeigt eine Zeichnung, auf der ein großer schwarzer Mann mit Waffe in der Hand und erigiertem Penis einen kleinen bedroht, der am Abgrund steht und dem großen ein Bild hinhält, auf dem er sich selbst erkennen kann. "ist vor lauter Kompliziertheit / jedes klare Wort gevierteilt? sind noch Mörder Mörder? / sind die Steine Steine? / Ratten Ratten? Deutsche Deutsche? / Wein ich, wenn ich weine?" fragt Biermann in dem zugehörigen Gedicht "Zeichnung von Penck".

    Im Subtext dieser Vorlesungen geht es um Gewalt, um Täter und Opfer und es macht die Qualität des Buches aus, daß Biermann auf angenehme Weise absieht von der starren Position des Anklägers, indem er seiner Maxime vom Dichten gemäß, sich selber zeigt im Verhältnis zum Aggressor, zur Welt.

    Doch machen wir uns nichts vor. Es ist ein Kunst-Ich, das uns der Autor zeigt, auch in diesen sehr persönlichen Lesungen. Biermann spielt, denn er spielt immer auf den gespannten Seiten zwischen Herz und Kopf. Sein Manuskript war stets formuliert, die Schnoddrigkeit ist kalkuliert. Entstanden ist dabei ein Stück lebendiger Literatur.