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Wie reformbereit sind die Gewerkschaften?

Rote Fahnen, Trillerpfeifen und Fackeln zum Warnstreikauftakt um Mitternacht. Das sind typische Merkmale im Auftreten der IG Metall. Zum Habitus der Funktionäre gehören starke Sprüche. Sie sollen Macht demonstrieren in jeder Tarifrunde. Bei Metall steht die nächste kurz bevor. Trillerpfeifen geben aber auch bei den Kollegen der IG Bau und bei der Dienstleistungsgewerkschaft VERDI den Ton an. Nahezu geräuschlos geht es dagegen in der Chemiebranche zu. Dort stimmt auch die Chemie zwischen den Tarifpartnern. Warnstreiks und Arbeitskämpfe gibt es schon lange nicht mehr. Die Chemie-Gewerkschaft, die sich vom ideologischen Ballast und den Ritualen befreit hat, erklärt freimütig, dass sie die Dinge auch ohne Trillerpfeifen voranbringe. Eine Harmonie, die bisher unbeschadet blieb vom heftigen Streit zwischen Vertretern der Politik, der Wirtschaft und der Arbeitnehmer. Dabei geht es um die Tarifautonomie und es geht um die Zukunft der flächendeckenden Tarifverträge. Viele der sogenannten Modernisierer sehen in den Gewerkschaften Blockierer. Es sind überwiegend pauschale Vorwürfe. Und dagegen setzt sich auch der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie, Hubertus Schmoldt, der eigentlich die leisen Töne liebt, mit deutlichen Worten zur Wehr:

Hermann Gilbhard |
    Wir lassen uns nicht in die Rolle der Blockierer drängen. Schon gar nicht von Leuten, deren politische Vorstellungskraft sich darin erschöpft, unser Land in die Frühzeiten des Kapitalismus zurückzuführen. Wir beabsichtigen nicht, wie Rogowski oder Merz, das Gestern zu konservieren. Uns fehlt es nicht an Mut, neue Wege zu gehen. Aber wir erwarten von den Arbeitgebern die gleiche Bereitschaft, alte Pfade zu verlassen, Tabukataloge zu verwerfen und überkommene Ideologien fallenzulassen. Zum Beispiel, wenn wir unsere Tarifverträge öffnen.

    In der Chemiebranche sind Gewerkschaft und Arbeitgeber konsensorientiert. Sie pflegen eine Sozialpartnerschaft, die es ermöglicht, ihr Tarifvertragssystem laufend zu modernisieren und damit auf die Sorgen und Nöte einzelner Unternehmen einzugehen. Zahlreiche Öffnungsklauseln erlauben eine Abweichung vom flächendeckenden Tarifvertrag. So kann die Regel-Wochenarbeitszeit, die 37 einhalb Stunden beträgt, je nach Auftragslage eines Betriebes auf 35 Stunden abgesenkt oder auf 40 Stunden angehoben werden.

    Es gibt einen Entgeltkorridor, der die Absenkung des Tarifeinkommens um 10 Prozent zulässt. Das Gehalt kann auch ergebnisorientiert schwanken und das Weihnachtsgeld auf 80 Prozent gesenkt oder auf 125 Prozent erhöht werden, je nach Gewinnlage des Unternehmens.

    Der Flächentarif lässt sich bereits heute öffnen auch ohne den Gesetzgeber. Die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände müssen es nur wollen. Das ist der entscheidende Punkt. Zwischen der öffentlichen Debatte und der betrieblichen Realität liegen aber Welten. Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie, Hubertus Schmoldt:

    Das sozialpolitische Feld ist zu einer Bühne geworden. Da tummeln sich alle, die auf Aufmerksamkeit hoffen. Deshalb ist in der Öffentlichkeit ein Bild entstanden, ein Bild von einer unflexiblen und veralteten Tarifpolitik. Das ist beschämend, auf welch bescheidenem Nivea sich zum Teil die Debatte um die Tarifpolitik mittlerweile befindet. Ich zitiere beispielhaft den BDI-Präsidenten Rogowski. Der sagt, Zitat: Man müsste Lagerfeuer machen und erst mal die ganzen Flächentarifverträge verbrennen. Zitat Ende. Das ist schlicht primitiv.

    Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Michael Rogowski, will einen Ausstieg aus dem bestehenden Tarifsystem. Die Gewerkschaften sollen entmachtet werden. Rogowski plädiert dafür, dass die einzelnen Unternehmen und ihre Betriebsräte nicht nur Betriebsvereinbarungen treffen, die ihnen die Öffnungsklauseln im Tarifvertrag erlauben, sondern auch über die Löhne und die Arbeitszeit verhandeln. Deshalb möchte der BDI-Präsident den Paragraphen 77 des Betriebsverfassungsgesetzes streichen, der Tarifabschlüsse ohne die Gewerkschaft und die Arbeitgeberverbände verbietet. Der Flächentarifvertrag würde Konkurrenz bekommen und wäre dann nur noch eine Option. Was das für Folgen hätte, erklärt Norbert Blüm, der unter Kanzler Helmut Kohl von 1982 bis 1998 Bundesarbeitsminister war:

    Wo wir keine Gewerkschaften als Lohnverhandlungspartner haben, da muss der Staat eingreifen, da haben wir Mindestlöhne und das klappt nicht besser. Andererseits zu sagen, die sollen jetzt eine Lohnpolitik von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich machen, da wünsche ich viel Spaß dabei. Dann muss man auch das Streikrecht den Betriebsräten geben. Das kann ich der deutschen Wirtschaft nicht wünschen. Das wäre nämlich Häuserkampf. Da braucht man sich nur strategische Punkte im Netzwerk der deutschen Wirtschaft auszusuchen, dann leg ich mit einer Hand voll Streikenden den Rest der deutschen Wirtschaft lahm.

    Sympathie für Rogowskis Vorstoß gibt es in den Firmen kaum. Betriebsräten und Unternehmern graust es gleichermaßen vor der Vorstellung, über Lohn und Arbeitszeit verhandeln zu müssen, während die ausgesperrte Gewerkschaft draußen kräftig an der Haustür des Betriebes rüttelt. Das würde die Beteiligten überfordern, meint Horst-Udo Niedenhoff vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln:

    Es würde nicht nur ein Häuserkampf entstehen, sondern, wenn wir die Tarifpolitik auf die Betriebsebene völlig freigeben würden, dann wäre eine totale Unsicherheit da. Bei den vielen Befragungen, die ich gemacht habe, kann ich eins sagen, weder das Gros der Arbeitgeber noch das Gros der Betriebsräte möchten Tarifpolitik betreiben. Die habe andere Sachen zu tun.

    Ein Ausstieg aus dem bestehenden Tarifsystem wäre mit dem Grundgesetz unvereinbar. Artikel 9 schützt die Tarifautonomie, also das Recht von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, die Lohn- und Arbeitsbedingungen auszuhandeln.

    Bei dem Wirrwarr von Positionen und Begriffen im Streit um die Öffnung der Tarifverträge fällt selbst Fachleuten der Durchblick langsam schwer. Da stehen sich nicht nur die Gewerkschaften und die Wirtschaftverbände gegenüber. Auch innerhalb der Wirtschaft treten die Gegensätze offen zutage. Auf der einen Seite der Bundesverband der Deutschen Industrie, BDI, der eigentlich die wirtschaftspolitischen Interessen zu vertreten hat, aber ständig in die Tarifpolitik reinredet und auf der anderen Seite die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA, die für die Tarifpolitik zuständig ist. Im September kam es zum Eklat, als sich BDA-Präsident Dieter Hundt, der das System verändern, aber nicht sprengen möchte, öffentlich vom BDI-Präsidenten Michael Rogowski distanzierte:

    Diese von uns geforderte gesetzliche Öffnungsklausel wird gelegentlich mit anderen Forderungen verwechselt, die ausdrücklich nicht Position der BDA und ihrer Mitglieder sind. Die von vereinzelten Stimmen der Wirtschaft geforderte Streichung des Paragraphen 77 drei Betriebsverfassungsgesetz. Die BDA und alle ihrer Mitgliedsverbände lehnen diese Forderung entschieden ab, weil dies ein wirtschaftsschädigender Eingriff in die Vertragsfreiheit wäre.

    BDA-Präsident Dieter Hundt sympathisiert mit einem Gesetzentwurf der Unionsparteien. Sie wollen den Paragraphen 77 drei Betriebsverfassungsgesetz, der betriebliche Lohnabsprachen verbietet, nicht antasten. In das Gesetz eingefügt werden soll aber ein zusätzlicher Passus, der Absprachen dann zulässt, wenn die Belegschaft mit Zweidrittelmehrheit zustimmt und die Tarifparteien nicht widersprechen. Ein Vetorecht der Gewerkschaft also, das für eine andere bedeutsame Neuregelung aber nicht vorgesehen ist. Dabei geht es um das so genannte Günstigkeitsprinzip im Tarifvertragsgesetz. Bisher dürfen Arbeitgeber vom Tarifvertrag nur dann abweichen, wenn die Arbeitnehmer mehr Geld bekommen oder kürzer arbeiten müssen als tariflich vereinbart ist.

    Eine Abweichung also nur nach oben überall dort, wo es noch keine Öffnungsklauseln gibt, die eine Abweichung auch nach unten ermöglichen, wie in der Chemiebranche beispielsweise. Der Gesetzentwurf der Unionsparteien sieht vor, dass künftig auch die Sicherung des Arbeitsplatzes als "günstiger" gelten soll, wenn der Arbeitgeber auf Kündigungen verzichtet und die Beschäftigten im Gegenzug einer Senkung der Löhne oder einer Verlängerung der Arbeitszeit zustimmen. Das würde die betrieblichen Bündnisse für Arbeit endlich auf den Weg bringen, meint BDA-Präsident Dieter Hundt:

    Der CDU/CSU-Gesetzentwurf sieht richtigerweise als das entscheidende Instrument die Erweiterung des Günstigkeitsprinzips in Anlehnung an unseren Vorschlag vor, also ohne Einspruchsrecht. Wenn Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam im Rahmen eines betrieblichen Bündnisses vom Tarifvertrag abweichen wollen, um Arbeitsplätze zu schaffen oder Arbeitsplätze zu sichern, muss dies als günstigere Regelung anerkannt werden. Alle Mitgliedsverbände der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, ausnahmslos alle, fordern eine solche gesetzliche Öffnungsklausel ohne Einspruchsrecht der Tarifvertragsparteien.

    Der Beschluss des BDA-Präsidiums vom 15. September wird also auch von den Chemie-Arbeitgebern mitgetragen, obwohl sie für die eigene Branche keinen Handlungsbedarf sehen. Die Mitgliedsverbände der BDA begrüßen, dass in vielen Tarifverträgen die Gestaltungsmöglichkeiten für betriebliche Bündnisse schon erweitert wurden. In einigen Branchen, so heißt es in der Erklärung, würden sich die Gewerkschaften aber immer noch dagegen sperren. Deshalb wird im Arbeitgeberlager auch Bundeskanzler Gerhard Schröder gelobt für seine Rede am 14.März im Deutschen Bundestag:

    Artikel 9 unseres Grundgesetzes gibt der Tarifautonomie Verfassungsrang. Aber das ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Verpflichtung. Denn Artikel 9 verpflichtet die Tarifparteien zugleich, Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft zu übernehmen. (Beifall!) Ich erwarte also, dass sich die Tarifparteien entlang dessen, was es bereits gibt, aber in weit größerem Umfang auf betriebliche Bündnisse einigen. Geschieht das nicht, wird der Gesetzgeber zu handeln haben.

    Entsetzen machte sich breit unter den Gewerkschaftsfunktionären. Abstriche am Tarifrecht, das galt vorher nur als Forderung neoliberaler Eiferer und plötzlich liebäugelt auch die SPD mit derartigen Ideen. Gerhard Schröder vermied es allerdings, die Branchen zu nennen, in denen es immer noch an Flexibilität mangelt. Wie im Öffentlichen Dienst oder im Einzelhandel beispielsweise, wo die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft VERDI zuständig ist oder auf dem Bau, wo die IG Bau, Agrar und Umwelt die Tarifverträge aushandelt. Einen Handlungsbedarf sehen viele Kritiker auch in der Metallindustrie. Der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, ist aber anderer Meinung:

    Bundeskanzler Schröder sagt, ich will mehr Öffnung in den Tarifverträgen, dass mehr betrieblich passieren kann. Konkret sagt er nicht, wie das passieren soll. Wir haben immer als Gewerkschaft, wo Firmen in Schwierigkeiten waren, wo Arbeitsplätze gefährdet waren, haben wir beschäftigungssichernde Verträge gemacht. Wir sind unseren Verpflichtungen nachgekommen, dort wo wir Chancen sahen auf Sanierung, auf Rettung von Arbeitsplätzen, auch unter Belastung unserer eigenen Leute, sei es das Weihnachtsgeld, sei es das Urlaubsgeld. Wir haben den Beschäftigungssicherungsvertrag. Wenn die Arbeit fehlt, kann die Arbeitszeit nach unten abgesenkt werden von 35 pro Woche auf 30 Stunden, da passiert auch nichts mit Lohnausgleich, das bezahlen unsere Leute dann aus der eigenen Tasche.

    Eine Abweichung von der 35 Stunden-Woche ist aber auch nach oben möglich. So können in Bayern 13 Prozent der Beschäftigten eines Metallbetriebes 40 Stunden arbeiten. In Baden-Württemberg liegt die Quote bei 18 Prozent. Die IG Metall ist bereit, die Quoten zu erhöhen und damit den Arbeitgebern entgegenzukommen, die einen Korridor fordern, der die 40 Stunden Woche für die ganze Belegschaft eines Betriebes zulässt. Die Arbeitgeber wollen auch eine Öffnungsklausel für die Mehrarbeit ohne Bezahlung durchsetzen. Betriebliche Bündnisse sind in der Metallindustrie heute schon gängige Praxis. Firmen, die in Not geraten, dürfen die Konditionen des Flächentarifs unterschreiten, wenn sie ihre Bilanz auf den Tisch legen. Viele Unternehmer wollen aber nicht, dass ihnen die Gewerkschaft in die Bücher schaut. Deshalb ist der Präsident des Arbeitgeber-Dachverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, mit der Härtefall-Regelung nicht ganz zufrieden:

    Es ist ein großer Unterschied, ob ich sozusagen aus einer Sanierungssituation heraus im Unternehmen unter Mitwirkung Dritter abweichen kann oder aber die Betriebsparteien selber etwas miteinander vereinbaren können. Wir haben in unseren Tarifverträgen Öffnungsklauseln, die gibt es ja in vielen Bereichen, allerdings immer, indem dies ausgehandelt wird mit der IG Metall. Und das ist hier der entscheidende Punkt, der eigentliche Streit, um den es geht.

    Bei dem Streit geht es natürlich auch darum, wer künftig das Sagen in den Betrieben hat. Die Arbeitgeber wollen ihre Machtposition verstärken und die Gewerkschaften aus den Betrieben rausdrängen, behauptet die IG Metall. Nach einer Umfrage der IG Metall befürchten vor allem Betriebsräte kleinerer Betriebe, dass sie vom Arbeitgeber erpresst werden könnten, wenn er von ihnen verlange, niedrigeren Löhnen oder einer längeren Arbeitszeit zuzustimmen, um Arbeitsplätze zu retten. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, weist diese Unterstellung zurück:

    Dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer erpressen könne, das halte ich für eine Schutzbehauptung von Funktionären. Das ist, glaube ich, eine, um es vorsichtig auszudrücken, eine völlig unzulässige Unterschätzung des Urteilsvermögens, was heute der überwiegende Teil aller unserer Betriebsräte und auch Arbeitnehmer hat. Die wissen schon, ob ein Betrieb dieses nur als Druckmittel benutzt oder ob ernsthaft die Gefährdung gegeben ist, wenn man sich nicht entsprechend anpasst. Viele Betriebe haben betriebliche Bündnisse und die bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone.

    In einer rechtlichen Grauzone, von der Martin Kannegiesser spricht, bewegen sich rund 60 Prozent aller Firmen, die betriebliche Bündnisse haben. Ihren Bündnissen liegt überhaupt keine tarifvertragliche Öffnungsklausel zugrunde. Das geht aus einer Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung hervor. Die IG Metall gibt dazu ihren Segen und schweigt, während der Arbeitgeberverband Gesamtmetall daraus ein politisches Großthema macht. Martin Kannegiesser ist davon überzeugt, dass gesetzlich gesicherte Gestaltungsspielräume die Flucht von Firmen aus der Tarifbindung und den Arbeitgeberverbänden stoppen würden. Aber auch unter dem Dach von Gesamtmetall gibt es keine Einigkeit. Während mittelständische Betriebe auf Reformen drängen, warnen Großunternehmen vor allzu großem Reformeifer. Vor allem die Automobilhersteller befürchten, dass Konflikte der Tarifparteien in ihre Werkshallen getragen werden könnten. Ihre Bedenken haben sie auch dem Bundeskanzler mitgeteilt. Kürzlich erklärte Gerhard Schröder in Hannover:

    Was ich möchte, ist, dass die Regelungen klarer werden, aber dass sie in der Hand der Tarifvertragsparteien bleiben. In den Betrieben wächst langsam die Erkenntnis, dass die Auflösung der Flächentarifverträge mit einer Totalrevision verbunden wäre, zu einer Unüberschaubarkeit in der Tarifgestaltung führt. Das System total aufzulösen, ist Unsinn, weil es in sich richtig ist. Aber die Tarifvertragsparteien müssen ein Angebot an die Politik machen, wie das Verhältnis zwischen betrieblicher und verbandlicher Ebene gestaltet werden soll.

    Der Bundeskanzler sagte aber nicht, welche Regelung er selbst für wünschenswert hält. Er erwartet von den Tarifverbänden einen Vorschlag. Anfang September haben die Gewerkschaften Gerhard Schröder zugesagt, mit den Arbeitgeberverbänden eine gemeinsame Position zu suchen. Und sie ließen dabei offen, ob der Vorschlag, wenn er zustande käme, auch in einem Gesetz verankert werden könnte. IG METALL und VERDI rudern inzwischen wieder zurück. Die für die Tarifpolitik zuständige VERDI-Vizechefin Margret Mönig-Raane erklärt, dass sie zu Gesprächen bereit sei, aber nicht erkennen könne, was man noch vereinbaren soll, das nicht schon vorhanden sei. Für IG Metall Vizechef Berthold Huber macht es überhaupt keinen Sinn mehr, auf die Arbeitgeber zuzugehen. Demgegenüber plädiert der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie und Energie, Hubertus Schmoldt, für eine Aufnahme von Gesprächen, um endlich aus der Defensive rauszukommen:

    Der Gesetzgeber darf die Tarifautonomie nicht antasten. Allerdings glaube ich, dass wir als Gewerkschaften im eigenen Interesse gut beraten wären, diese Diskussion um die Frage, wie können Öffnungen in die Tarifverträge reinformuliert werden, selber schnell beenden, sonst wird die Diskussion nicht aufhören, und sie wird dann noch mit weiteren Dingen befrachtet, die wir als Gewerkschaften ablehnen. Deshalb werben wir dafür, dass wir möglichst bald zu einem einvernehmlichen Ergebnis kommen, mit dem wir dann zur Bundesregierung gehen und sagen, so können wir uns das vorstellen und das sind unsere Möglichkeiten.

    In den Gewerkschaften macht sich Angst breit, dass die Bundesregierung bei der Öffnung der Tarifverträge den Unionsparteien entgegenkommt, damit sie im Bundesrat rot-grüne Reformvorhaben nicht blockieren. Und darauf setzen anscheinend auch die Arbeitgeberverbände, wie ihr selbstbewusstes Auftreten zeigt. BDA-Präsident Dieter Hundt fordert jetzt auch gesetzliche Maßnahmen gegen die so genannten Warnstreiks. Das trifft die Gewerkschaften am Nerv. Ein Ende der Rituale ist noch nicht in Sicht. Auch in der bevorstehenden Metall-Tarifrunde werden die Trillerpfeifen wieder den Ton angeben nach Ablauf der Friedenspflicht.