"Wir müssen sehen, dass gerade schulpolitische Reformen eine ganz Weile brauchen, um sich auszuwirken auf bildungspolitische Ergebnisse. Im Grunde können wir erst sehen, ob die Post-PISA-Ergebnisse etwas gebracht haben, wenn die erste Kohorte einmal durch die Schulen durch ist."
Frieder Wolf von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Der Politikwissenschaftler präsentierte sich auf der Tagung als einer der jüngeren Beobachter der Bildungsreformen in Deutschland und auch einer der Optimistischen.
"Unumstritten ist, dass wir eine frühere Sprachförderung brauchen von Problemgruppen, die schlechter abschneiden. Da ist überall etwas passiert und da spricht vieles dafür, wie auch immer man es gemacht hat, dass es etwas bringen wird. Es gibt andere Bereiche, wenn wir über Schulautonomie reden, da bin ich sehr skeptisch, weil das ja oft ein Wettbewerb ohne Markt ist. Wenn da dieser Profilbildungswahn betrieben wird und in stundenlangen Konferenzen überlegt wird, was die Grundschule nun für ein Profil haben soll, dann ist das meines Erachtens vertane Energie und etwas, was im Zweifel auch Chancengleichheit mindert."
Was ist in den zurückliegenden neun Jahren seit der ersten PISA-Studie geschehen und was muss geschehen, um Deutschland tatsächlich in eine Bildungsrepublik zu verwandeln? Wer sind die treibenden Kräfte hinter der Schulpolitik und welche Interessen setzen sich durch? Darüber diskutierten Bildungsforscher und Bildungspolitiker aus der gesamten Bundesrepublik, sehr viele von ihnen seit 60 Jahren mit Reformanstrengungen des Landes vertraut. Unter ihnen Professor Ludwig von Friedeburg von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Als Kultusminister von Hessen führte er in den 70er-Jahren die ersten staatlichen Gesamtschulen ein.
"Ich musste verstehen, welche Kräfte sich wann bewegen - und wann kommt es zu einer Bildungsreform. Ich lernte, dass es immer - nur beinahe hätte ich gesagt, eine totale Katastrophe braucht, aber man kann Katastrophe nicht noch steigern. Wenn sie an Humboldt denken, da war Preußen von den Franzosen besetzt. Die haben das in Memel sich ausgedacht, dass - wenn schon alle politische Macht so ist -, dass sie dann wirklich etwas für die Bildung tun müssen. In Deutschland ist es immer so gewesen. Es brauchte riesen Antriebe, dass es überhaupt zur Reform kam, und anschließend, nach einer kurzen Zeit - und die lange Zeit der Reaktion."
Die Katastrophe zu Beginn des 21. Jahrhunderts besteht darin, dass das deutsche Schulsystem 20 Prozent der 15-Jährigen mit dem Stigma kompetenzarm in die Abhängigkeit von sozialen Unterstützungssystemen entlässt. Die Bildungsexpansion, die Deutschland in den zurückliegenden Jahrzehnten ein dynamisches Wirtschaftswachstum bescherte, stagniert. Nur um zwei Prozent stieg zwischen 1994 und 2004 die Zahl jener, die mit einer akademischen Bildung auf den Arbeitsmarkt gelangten. Im OECD-Vergleich fiel Deutschland von der Spitze auf Mittelmaß zurück. Während 83 Prozent der Akademikerkinder studieren, schaffen es nur 23 Prozent der Kinder ohne eine entsprechende elterliche Unterstützung bis zum Abitur. Ludwig von Friedeburg erinnert diese Ausgrenzung an die Einteilung von Staatsbürgern und Stadtbürgern zu Humboldts Zeiten.
"Noch heute sind die Vorurteile ursprünglich ständischer Art und in einem Maße von Interessengruppen, die den Status quo erhalten wollen, die dafür sorgen, dass ihre Kinder bessere Chancen haben und möglichst auf dieselbe Höhe kommen oder noch besser. Der Bourdieu hat mal gesagt, unter allen Versuchen, diese Vermittlung von Privilegien und Ämtern zu verschleiern, ist das Bildungssystem die beste Methode, die das tut."
"Das hat natürlich mit bestimmten Interessenkonstellationen zu tun, dass Personen in Deutschland, Eltern, aber auch Verbandsvertreter, immer noch denken, wenn mehr Personen eine höhere Bildung haben, dass das dazu führt, dass die Returns to the Education für alle niedriger werden."
Professorin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
"Dies ist nicht der Fall. Wir sehen nicht in Ländern, wo 40 bis 50 Prozent einen Hochschulabschluss haben, dass die eine niedrigere Rendite für ihre Bildung haben, als bei uns, wo es um die 40 Prozent sind. Aber das ist einer der Mythen, die in deutschen Köpfen ist."
Die Leidtragenden dieses mangelnden Reformwillens sind die Kinder. In der Mehrheit der Bundesländer werden sie noch immer nach vier Schuljahren in ein hochselektives Bildungssystem einsortiert, ohne dass die Lehrer ausreichend Gelegenheit hatten, wirklich ihre Leistungsfähigkeit kennenzulernen.
"Kinder sind in dem Altern, im neunten, zehnten Lebensjahr in hohem Maße intensiv deprimiert. Es gibt eine ganz hohe Inzidenz von Depression, Belastung, von Albträumen. Die Schulpsychologen können ein Lied davon singen. Als Dulder dieser Auslese sind sie außerordentlich tangiert, es sei denn, sie kommen aus privilegierten Gruppen."
Professor Wolfgang Edelstein vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Auch später erleben Kinder kaum, dass Erkenntnisse der Neurowissenschaften, der Lernpsychologie oder der Lehr-Lern-Forschung im Unterricht genutzt werden.
"Wenn man sie über die Schule befragt, ist die dominante Reaktion Langeweile. Es ist einfach nicht interessant. Und sie nehmen die Schule in Kauf, um in den sozialen Verhältnissen ihrer Umwelt, Gewinn zu haben, Freunde zu haben, Mitwirkung zu haben."
Vor diesem Hintergrund starten Länder wie Berlin, Hamburg, Schleswig-Holstein gegenwärtig ihre Schulreformen - und folgen den Beispielen von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen: ermöglichen ein längeres gemeinsames Lernen von Kindern, schaffen die Hauptschulen ab, etablieren Stadtteil-, Regional- oder Gemeinschaftsschulen als übergreifende Schulformen.
In die halten auch neue Unterrichtsinhalte und Lernmethoden Einzug. Für Bildungshistoriker ist das nichts als eine Rückkehr in die Zweigliedrigkeit des 19. Jahrhunderts mit der höheren Bildung; und dennoch sind es dringend notwendige Schritte, ehe Deutschland erneut in eine Reformstarre verfällt, so Stimmen auf der Tagung. Hinderlich erweist sich allerdings die für die Bildungspolitik bestimmende föderale Struktur. Jedes Bundesland macht seine eigene Reform:
"Es meint kaum ein Landespolitiker, sich leisten zu können, zu sagen: Wir müssen ehrlich zugeben, wir dachten zwar, wir haben das allerbeste Modell, aber im Rückblick muss man sagen, in anderen Bundesländern hatten sie bessere Ideen, die übernehmen wir jetzt einfach."
"Wir haben keinen flächendeckenden Pakt für Bildung und das sind richtige Mobilitätshindernisse, die zu Zeiten, wo wir von Bologna sprechen und einem europäischen Bildungsraum, gerade zu absurd sind."
Soviel sich etliche Schulen wandelten und dank des Engagements von Lehrern und Eltern zu Leuchtturmschulen wurden - der große Ruck durch die Bildungslandschaft in Deutschland steht immer noch aus.
"Die Aussicht ist jene, dass wir Schulproteste, Studentenproteste in viel breiterem Maße brauchen, dass Eltern aufstehen für ihre Kinder, sich nicht alles gefallen lassen. Wir brauchen soziale Protestformen, weil ich nicht denke, dass allein aus dem politischen Raum sich maßgebliche Änderungen ergeben werden."
Frieder Wolf von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Der Politikwissenschaftler präsentierte sich auf der Tagung als einer der jüngeren Beobachter der Bildungsreformen in Deutschland und auch einer der Optimistischen.
"Unumstritten ist, dass wir eine frühere Sprachförderung brauchen von Problemgruppen, die schlechter abschneiden. Da ist überall etwas passiert und da spricht vieles dafür, wie auch immer man es gemacht hat, dass es etwas bringen wird. Es gibt andere Bereiche, wenn wir über Schulautonomie reden, da bin ich sehr skeptisch, weil das ja oft ein Wettbewerb ohne Markt ist. Wenn da dieser Profilbildungswahn betrieben wird und in stundenlangen Konferenzen überlegt wird, was die Grundschule nun für ein Profil haben soll, dann ist das meines Erachtens vertane Energie und etwas, was im Zweifel auch Chancengleichheit mindert."
Was ist in den zurückliegenden neun Jahren seit der ersten PISA-Studie geschehen und was muss geschehen, um Deutschland tatsächlich in eine Bildungsrepublik zu verwandeln? Wer sind die treibenden Kräfte hinter der Schulpolitik und welche Interessen setzen sich durch? Darüber diskutierten Bildungsforscher und Bildungspolitiker aus der gesamten Bundesrepublik, sehr viele von ihnen seit 60 Jahren mit Reformanstrengungen des Landes vertraut. Unter ihnen Professor Ludwig von Friedeburg von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Als Kultusminister von Hessen führte er in den 70er-Jahren die ersten staatlichen Gesamtschulen ein.
"Ich musste verstehen, welche Kräfte sich wann bewegen - und wann kommt es zu einer Bildungsreform. Ich lernte, dass es immer - nur beinahe hätte ich gesagt, eine totale Katastrophe braucht, aber man kann Katastrophe nicht noch steigern. Wenn sie an Humboldt denken, da war Preußen von den Franzosen besetzt. Die haben das in Memel sich ausgedacht, dass - wenn schon alle politische Macht so ist -, dass sie dann wirklich etwas für die Bildung tun müssen. In Deutschland ist es immer so gewesen. Es brauchte riesen Antriebe, dass es überhaupt zur Reform kam, und anschließend, nach einer kurzen Zeit - und die lange Zeit der Reaktion."
Die Katastrophe zu Beginn des 21. Jahrhunderts besteht darin, dass das deutsche Schulsystem 20 Prozent der 15-Jährigen mit dem Stigma kompetenzarm in die Abhängigkeit von sozialen Unterstützungssystemen entlässt. Die Bildungsexpansion, die Deutschland in den zurückliegenden Jahrzehnten ein dynamisches Wirtschaftswachstum bescherte, stagniert. Nur um zwei Prozent stieg zwischen 1994 und 2004 die Zahl jener, die mit einer akademischen Bildung auf den Arbeitsmarkt gelangten. Im OECD-Vergleich fiel Deutschland von der Spitze auf Mittelmaß zurück. Während 83 Prozent der Akademikerkinder studieren, schaffen es nur 23 Prozent der Kinder ohne eine entsprechende elterliche Unterstützung bis zum Abitur. Ludwig von Friedeburg erinnert diese Ausgrenzung an die Einteilung von Staatsbürgern und Stadtbürgern zu Humboldts Zeiten.
"Noch heute sind die Vorurteile ursprünglich ständischer Art und in einem Maße von Interessengruppen, die den Status quo erhalten wollen, die dafür sorgen, dass ihre Kinder bessere Chancen haben und möglichst auf dieselbe Höhe kommen oder noch besser. Der Bourdieu hat mal gesagt, unter allen Versuchen, diese Vermittlung von Privilegien und Ämtern zu verschleiern, ist das Bildungssystem die beste Methode, die das tut."
"Das hat natürlich mit bestimmten Interessenkonstellationen zu tun, dass Personen in Deutschland, Eltern, aber auch Verbandsvertreter, immer noch denken, wenn mehr Personen eine höhere Bildung haben, dass das dazu führt, dass die Returns to the Education für alle niedriger werden."
Professorin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
"Dies ist nicht der Fall. Wir sehen nicht in Ländern, wo 40 bis 50 Prozent einen Hochschulabschluss haben, dass die eine niedrigere Rendite für ihre Bildung haben, als bei uns, wo es um die 40 Prozent sind. Aber das ist einer der Mythen, die in deutschen Köpfen ist."
Die Leidtragenden dieses mangelnden Reformwillens sind die Kinder. In der Mehrheit der Bundesländer werden sie noch immer nach vier Schuljahren in ein hochselektives Bildungssystem einsortiert, ohne dass die Lehrer ausreichend Gelegenheit hatten, wirklich ihre Leistungsfähigkeit kennenzulernen.
"Kinder sind in dem Altern, im neunten, zehnten Lebensjahr in hohem Maße intensiv deprimiert. Es gibt eine ganz hohe Inzidenz von Depression, Belastung, von Albträumen. Die Schulpsychologen können ein Lied davon singen. Als Dulder dieser Auslese sind sie außerordentlich tangiert, es sei denn, sie kommen aus privilegierten Gruppen."
Professor Wolfgang Edelstein vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Auch später erleben Kinder kaum, dass Erkenntnisse der Neurowissenschaften, der Lernpsychologie oder der Lehr-Lern-Forschung im Unterricht genutzt werden.
"Wenn man sie über die Schule befragt, ist die dominante Reaktion Langeweile. Es ist einfach nicht interessant. Und sie nehmen die Schule in Kauf, um in den sozialen Verhältnissen ihrer Umwelt, Gewinn zu haben, Freunde zu haben, Mitwirkung zu haben."
Vor diesem Hintergrund starten Länder wie Berlin, Hamburg, Schleswig-Holstein gegenwärtig ihre Schulreformen - und folgen den Beispielen von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen: ermöglichen ein längeres gemeinsames Lernen von Kindern, schaffen die Hauptschulen ab, etablieren Stadtteil-, Regional- oder Gemeinschaftsschulen als übergreifende Schulformen.
In die halten auch neue Unterrichtsinhalte und Lernmethoden Einzug. Für Bildungshistoriker ist das nichts als eine Rückkehr in die Zweigliedrigkeit des 19. Jahrhunderts mit der höheren Bildung; und dennoch sind es dringend notwendige Schritte, ehe Deutschland erneut in eine Reformstarre verfällt, so Stimmen auf der Tagung. Hinderlich erweist sich allerdings die für die Bildungspolitik bestimmende föderale Struktur. Jedes Bundesland macht seine eigene Reform:
"Es meint kaum ein Landespolitiker, sich leisten zu können, zu sagen: Wir müssen ehrlich zugeben, wir dachten zwar, wir haben das allerbeste Modell, aber im Rückblick muss man sagen, in anderen Bundesländern hatten sie bessere Ideen, die übernehmen wir jetzt einfach."
"Wir haben keinen flächendeckenden Pakt für Bildung und das sind richtige Mobilitätshindernisse, die zu Zeiten, wo wir von Bologna sprechen und einem europäischen Bildungsraum, gerade zu absurd sind."
Soviel sich etliche Schulen wandelten und dank des Engagements von Lehrern und Eltern zu Leuchtturmschulen wurden - der große Ruck durch die Bildungslandschaft in Deutschland steht immer noch aus.
"Die Aussicht ist jene, dass wir Schulproteste, Studentenproteste in viel breiterem Maße brauchen, dass Eltern aufstehen für ihre Kinder, sich nicht alles gefallen lassen. Wir brauchen soziale Protestformen, weil ich nicht denke, dass allein aus dem politischen Raum sich maßgebliche Änderungen ergeben werden."