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Wie schaffen die Bündnis-Grünen eine bessere Ressonanz im Osten?

    Liminski: Gestern haben die Koalitionsverhandlungen zwischen den alten und neuen Partnern der rot-grünen Koalition begonnen. Einige personelle Fragen waren vor allem in der SPD im Vorfeld bereits geklärt worden, aber Bündnis 90/Grünen lassen sich bislang mit manchen Entscheidungen noch Zeit, beispielsweise mit dem Fraktionsvorsitz oder auch die alte Frage der Grünen zur Vereinbarkeit von Amt und Mandat. Am Telefon begrüße ich nun den bisherigen wirtschafts- und ostpolitischen Sprecher der Grünen, Werner Schulz. Er kommt aus Leipzig und ist seit 1990 im Bundestag. Guten Morgen, Herr Schulz!

    Schulz: Guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Sie sind einer der wenigen grünen Abgeordneten aus dem Osten und wer sich die Zahlen anschaut, der muss feststellen, dass vom Bündnis 90 bei den Grünen nicht viel übrig geblieben ist. Ist es nicht an der Zeit, vielleicht nach den Wahlen auch eine günstige Zeit, die Grünen in Ostdeutschland stärker zu verankern?

    Schulz: Ohne Zweifel! Als Partei der nachwachsenden Ressourcen müssen wir uns an dieser Stelle im eigenen Interesse darum kümmern, dass wir uns in Ostdeutschland verstärken. Die Situation ist besonders günstig: Wir haben erstmalig geschafft, dass die PDS nicht in den Bundestag einziehen konnte. Diese Entscheidung ist hier in Berlin gefallen, vor allem im Wahlbezirk Pankow ist der PDS das dritte Direktmandat verstellt worden. Das ist zum einen eine große Chance, zum anderen aber auch eine große Verantwortung, weil die Ost-Themen damit nicht erledigt sind, nur weil die PDS eine Schwäche hat. Es gibt nach wie vor großen Problemdruck beim Aufbau Ost, und der innerparteiliche Aufbau Ost muss natürlich vorangetrieben werden. Wir haben in den ostdeutschen Bundesländern - im Gegensatz zur SPD - nicht so gut abgeschnitten. Unser Wahlerfolg lag mehr oder weniger in Berlin, aber hier haben wir Erfahrungen gemacht über das Zusammenwachsen von Ost und West, die sich natürlich auch auf die ostdeutschen Bundesländer übertragen lassen.

    Liminski: Wie wollen Sie denn die Verankerung konkret schaffen?

    Schulz: Ja gut, das ist eine inhaltliche und personelle Ausführung, ganz klar. Wir sind eine Partei, in der es bisher an original Ost-Tönen gemangelt hat. Dieses Repräsentationsdefizit Ost ist uns nicht gut bekommen im Osten. Sie müssen hier natürlich auch mit authentischen Personen vertreten sein. Sie hören im Moment die Forderung der SPD, die eine Erhöhung dieser Repräsentanz in der Regierung haben will. Das ist glaube ich auch für uns Grüne wichtig. Sie haben eine gesamtdeutsche Zukunft auch nur mit ostdeutscher Herkunft, das muss man deutlich sagen. Da sind wir zu stark als West-Partei bisher wahrgenommen worden. Das gilt für die Parteispitze, das gilt für die Fraktionsspitze, das gilt für die gesamte Regierungsbank. Hier müssen die fähigen Ostdeutschen, die wir haben, in eine wirklich deutlich hervorgehobene Position bekommen.

    Liminski: Das Repräsentationsprinzip sei auch eine personelle Frage, sagen Sie, und Sie erwähnen Stolpe, der gefordert hat, ein weiteres Ministerressort für einen Kandidaten aus dem Osten. Das Familienressort reiche nicht aus, die Menschen müssten das Gefühl haben, einer von ihnen sitze am Schalthebel. Könnte das auch ein Grüner aus dem Osten sein?

    Schulz: Ich will jetzt über die Besetzung von Ministerien hier in der Öffentlichkeit nicht sprechen. Sie wissen, das ist eine der beliebtesten Fragen, der Ihre Kollegen nachgehen. Es ist unmöglich, so was im Moment zu besprechen, weil das läuft ja in den Koalitionsverhandlungen. Wir müssen uns in dieser Zeit jetzt wirklich gedulden, was dort erreicht werden kann. Aber ich habe die Richtung angedeutet, auf die es mir ankommt.

    Liminski: Sie würden das aber nicht ausschließen?

    Schulz: Es wäre gut für uns, das unter Beweis zu stellen, weil wir glaube ich, diese Akzeptanz im Osten nur finden können wie Manfred Stolpe das formuliert hat: Dass die Wähler im Osten natürlich auch stark danach schauen, wie stark sind wir eigentlich vertreten. Das ist ein Plus, das die Union jetzt mit Angela Merkel hat, das ist ein Plus, das die SPD mit Wolfgang Thierse erreicht hat, und hier gibt es bei uns, den Bündnisgrünen, die ja einen ost-westdeutschen Namen tragen, einen echten Nachholbedarf.

    Liminski: Welche programmatischen Schwerpunkte wollen Sie in den Koalitionsverhandlungen wirklich durchsetzen?

    Schulz: Wir müssen das verstärken, wofür wir gewählt worden sind. Rot-grün ist durch ein stärkeres Gewicht der Bündnis-Grünen zustande gekommen. Wie gesagt, die Regierungsmehrheit ist durch das Nicht-Hineinkommen der PDS letztendlich gesichert und ermöglicht worden. Das heißt die rot-grün Wähler - man muss hier auch sehen, dass es eine Kräfteverschiebung gegeben hat - haben offensichtlich die ökologisch-soziale Reformpolitik der Grünen gestärkt und wünschen auch, dass das deutlicher zum Ausdruck kommt. Das heißt, die Ressorts, die wir momentan besetzt haben, Umwelt und Klimaschutz, muss deutlicher hervorgehoben werden. Aber auch die Agrarwende, die Verkehrswende. Das sind Projekte, die wir angefangen haben und die glaube ich, in den nächsten vier Jahren deutlicher an Kontur gewinnen müssen.

    Liminski: Agrarwende, Verkehrswende, wie hartnäckig wird in diesem Zusammenhang denn eine Erhöhung der Ökosteuer verfolgt?

    Schulz: Auch die Fortführung der Ökosteuer ist ein Thema, auch die Qualifizierung dieses Instrumentes. Es hat ja eine Lenkungswirkung gegeben, wir haben den Spritverbrauch senken können. Wir haben eine stärkere Nachfrage an energiesparsamen Fahrzeugen. Wir haben eine Aufkommensneutralität, das heißt, wir haben einen Großteil in der Rentenversicherung damit stabilisieren können. Das Geld, was wir eingenommen haben, ist komplett zurück gegangen an die Steuerzahler. Es gibt allerdings ein Akzeptanzproblem der Ökosteuer, das ist deutlich geworden. Hier muss man glaube ich die Bewusstseinsbildung, das wir hier wirklich etwas steuern, Arbeit billiger und Energieverbrauch teurer machen wollen, also den Ressourcenverbrauch teurer machen wollen. Da gilt es nachzuarbeiten, aber an dem Instrument müssen wir festhalten.

    Liminski: Akzeptanzproblem, heißt das, dass Sie nicht unbedingt an der Ökosteuer festhalten?

    Schulz: Das hängt von der gesamten finanzpolitischen Ausgewogenheit des Koalitionsvertrages ab. Aber wir werden sie fortführen. Zu Erhöhungsstufen kann ich jetzt auch nichts sagen.

    Liminski: Die Wirtschaftsexperten sind sich einig. Nur eine Belebung der Wirtschaft führt dauerhaft und spürbar zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Das sei nicht nur eine Frage der Weltkonjunktur. Alt-Bundeskanzler Schmidt sprach von hausgemachten Gründen für die hohe Arbeitslosigkeit. Wie wollen Sie die Belebung schaffen?

    Schulz: Wenn wir uns die hausgemachten Gründe anschauen, dann haben wir vor allem hausgemachte Gründe im Zuge der deutschen Einheit. Hier sind Überkapazitäten in der Bauindustrie geschaffen worden, weil man an ein zweites Wirtschaftswunder im Osten glaubte, das durch die Konjunkturlokomotive Bauindustrie bewerkstelligt werden könnte. Das hat in den ersten Jahren enorme Wachstumsraten in Ostdeutschland ermöglicht, aber hat uns leere Büropaläste und verprellte Anleger zurück gelassen. Das ist ein enorm hausgemachtes Problem, das ist nicht einfach zu lösen. Wir werden eine kleine Ausgleichsvariante finden aufgrund der Flutkatastrophe, weil jetzt viele Bauaufträge anstehen. Es in diesen Regionen zu einem regelrechten Wiederaufbau Ost kommt. Das sind enorm viele öffentliche Aufträge, aber es wird möglicherweise auch nur die Geschwindigkeit des Abbaus von Überkapazitäten etwas verringern. Hier sind Strukturprobleme zu lösen. Die Struktur unserer Wirtschaft stimmt nicht. Wir müssen mehr auf Zukunftsfelder setzen, deshalb ist die Energiewende so wichtig. Das sind wirtschaftsstrategische Fragen, die wir lösen müssen, was die Binnenkonjunktur anbelangt.

    Link: Interview als RealAudio