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Wie sieht die Union den Kompromissvorschlag zum Zuwanderungsgesetz?

Liminski: Die Arbeitgeber sind mit der Debatte über das Zuwanderungsgesetz nicht zufrieden. Sie wollen eine breitere Auswahl an qualifizierten Arbeitskräften und erhoffen sich eben durch das Zuwanderungsgesetz diese Auswahl. Der stellvertretende Vorsitzende des Bundes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, sagte dazu gestern Abend hier im Deutschlandfunk:

    Zitat Hans-Olaf Henkel: Die Populisten in beiden großen Parteien, ob das nun in der SPD ist oder in der CDU/CSU, vermischen die Notwendigkeit, auf der einen Seite hoch qualifizierte Menschen zu bewegen, Nach Deutschland zu kommen, mit dem Problem der Arbeitslosigkeit. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Schilys Entwurf ist ja nur ein Entwurf oder sieht nur vor, dass wir Menschen nach Deutschland holen, von denen wir derartige Qualifikationen hier gar nicht erwarten können. Wir haben nicht genug Informationstechniker. Wir wissen, wir haben heute schon nicht genug Physiker. Wir wissen, wir haben bald auch nicht mehr genug Ingenieure. Deshalb brauchen wir ein flexibles System, was auf so etwas reagieren kann. Es geht also nicht an, dass immer mehr junge Deutsche, hoch ausgebildete Deutsche ins Ausland gehen - und das tun sie sowohl in der Forschung als auch in der Bildung und natürlich in der Wirtschaft - und dass wir auf der anderen Seite die Schotten dicht machen. Wir sind in der globalisierten Welt. Wir müssen uns austauschen.

    Liminski: So weit Hans-Olaf Henkel für die Seite der Arbeitgeber und mitgehört hat Peter Müller, Ministerpräsident im Saarland und Vorsitzender der CDU-Zuwanderungskommission. Zunächst mal guten Morgen Herr Müller!

    Müller: Guten Morgen.

    Liminski: Herr Müller, stört es Sie nicht, dass das Nein der Union zum Kompromissvorschlag der Koalition die Union isoliert, denn auch die FDP dürfte ähnlich wie die Arbeitgeber denken und das Presseecho ist ebenfalls eher negativ für sie?

    Müller: Es stört mich überhaupt nicht, dass die veröffentlichte Meinung tendenziell sich so anhört wie der Herr Henkel eben, der offensichtlich den Gesetzentwurf gar nicht gelesen hat. Ich weiß nicht, über welchen Gesetzentwurf er geredet hat, denn der Gesetzentwurf von Otto Schily führt dazu, dass das weiter geht, was wir bisher haben: keineswegs die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, dort wo ein Arbeitsmarktbedürfnis besteht, sondern die Zuwanderung in die Sozialsysteme. Die Zahl der Ausländer in Deutschland hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt; die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer ist zurückgegangen. Es stört mich also nicht, dass es solche Stimmen gibt, weil sie an der Wirklichkeit vorbei gehen, und es stört mich auch deshalb nicht, weil ich weiß, dass die Union mit ihrer Position einer begrenzten und gesteuerten Zuwanderung die Mehrheit der Menschen in Deutschland auf ihrer Seite hat.

    Liminski: Aber dieser Trend der Begrenzung ist doch auch in dem Kompromiss ganz deutlich. Worauf begründen Sie eigentlich Ihr Nein?

    Müller: Da muss ich die Rückfrage stellen: An welcher Stelle haben Sie denn den Trend der Begrenzung in diesem Kompromiss gefunden?

    Liminski: Zum Beispiel beim Nachzugsalter.

    Müller: Es reicht doch nicht, wenn in Paragraph 1 des Gesetzes jetzt nicht nur von Steuerung, sondern von Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung die Rede ist. Dann muss man doch daraus Konsequenzen ziehen. Wenn im Ergebnis dieser Gesetzentwurf dazu führt, dass die Arbeitsmigration ermöglicht wird auch dort, wo kein konkretes Arbeitsmarktbedürfnis besteht, wie dies der Paragraph 20 vorsieht, wenn die Konsequenz dieses Gesetzes im Ergebnis darin besteht, dass Zuwanderung im Nichtarbeitsbereich massiv erleichtert wird, zum Beispiel über eine völlig undifferenzierte Härtefallregelung, dann kann ich nur sagen, das ist kein Gesetz, das den Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient, und das ist auch kein Begrenzungsgesetz.

    Liminski: Was wäre denn Ihr Ziel? Es kann ja kaum sein, dass wegen ein paar Tausend Kindern - Stichwort Nachzugsalter - es nun überhaupt kein Gesetz geben soll?

    Müller: Schauen Sie, Sie reden jetzt plötzlich von ein paar Tausend Kindern. Ich habe eben über zwei völlig andere Tatbestände geredet. Was den Kindernachzug anbetrifft, da ist es ja so, dass die Bundesregierung sich zwar auf der einen Seite in unsere Richtung bewegt hat. Wir haben gesagt Nachzugsalter 10 Jahre; Otto Schily wollte ursprünglich 12; der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah 14 vor; jetzt reden wir wieder über 12 Jahre. Nur parallel dazu hat man einen Ausnahmetatbestand geschaffen, wonach alle Kinder, die über irgendwelche nicht näher definierten Sprachkenntnisse in Deutsch verfügen, unbegrenzt zuwandern sollen. Auch dies dokumentiert, dass es nicht um Begrenzung, sondern um Erweiterung geht.

    Liminski: So wie Sie argumentieren, Herr Müller, ist das ein klares Nein zu diesem Kompromiss. In der "Saarbrücker Zeitung" plädieren Sie für eine Denkpause. Was heißt das?

    Müller: Ich sage nicht Nein zu einem Kompromiss. Nur das was jetzt auf dem Tisch liegt ist kein Kompromiss. Das angebliche Kompromissangebot das mag eine Verneigung des Bundesinnenministers vor den Grünen und der PDS sein, aber in der Sache selbst substanziell ist er der Union nicht entgegengekommen. Da ich ja mit dem Bundesinnenminister in diesen Fragen oft diskutiert habe weiß ich, dass er selbst anders denkt, wie sich dies jetzt im Gesetz niederschlägt. Deshalb bin ich schon dafür, dass wir versuchen, die faktisch vorhandene Mehrheit in der Union und in wesentlichen Teilen der Sozialdemokraten doch noch in einem Gesetz zum Ausdruck kommen zu lassen. Dazu braucht man sicherlich etwas Zeit. Deshalb sage ich: Wenn die Sozialdemokraten wirklich einen Kompromiss wollen, wenn sie substanziell auf die CDU zugehen wollen, dann macht es sicherlich keinen Sinn, jetzt unter einem extremen Zeitdruck bis am Freitag das Verfahren sozusagen im Schweinsgalopp abzuschließen. Dann sollte man darüber nachdenken, ob man sich noch eine Woche oder 14 Tage Zeit lässt - darauf kann es nicht ankommen - und im Innenausschuss des Bundestages oder an anderer Stelle noch einmal über Kompromisslinien redet.

    Liminski: Aber auf jeden Fall wollen Sie das Gesetz vor der Bundestagswahl durchziehen?

    Müller: Ich persönlich könnte mir durchaus auch vorstellen, dass das Gesetz vor der Bundestagswahl mit all den Besonderheiten des heraufziehenden Wahlkampfes nicht mehr zwingend beschlossen werden muss. Besser wäre, wenn wir einen Kompromiss in der Sache fänden. Eines ist sicher: Wenn wir keinen Kompromiss finden, müssen wir über die unterschiedlichen Vorstellungen und Konzeptionen im Bundestagswahlkampf reden.

    Liminski: Herr Schönbohm hat gestern hier im Deutschlandfunk die Entscheidung, auch seine persönliche Entscheidung in Ihre, Peter Müllers Hände gelegt. Wenn Sie Nein sagen sagt er auch Nein; wenn Sie Ja sagen stimmt er auch für Ja. In wessen Hände legen Sie Ihre Entscheidung, in die des Kanzlerkandidaten?

    Müller: Meine Entscheidung orientiert sich ausschließlich am Beschluss des kleinen Parteitages der CDU Deutschlands vom Juni des vergangenen Jahres. Dort haben wir unsere Konzeption dezidiert dargelegt. Wenn ich das vorliegende Gesetz daran messe muss ich sagen, es gibt kein ausreichendes Maß an Übereinstimmung, um dem Gesetz zuzustimmen. Meine Entscheidung orientiert sich an dem, was ich im deutschen Bundesrat am 20. Dezember des vergangenen Jahres gesagt habe. Wenn ich mir das Gesetz anschaue, dann sind zwar die Zielbestimmungen für ein Zuwanderungsgesetz, die ich dort formuliert habe, jetzt in dem Gesetzestext in einer verunglückten Form aufgenommen. In allen konkreten Punkten folgt das Gesetz aber meinen Vorschlägen nicht und deshalb sehe ich nicht, wie ich einem Gesetz zustimmen soll, das ich in der Sache für falsch halte.

    Liminski: Was passiert denn, wenn Ministerpräsident Stolpe sich an dem Beispiel seines Kollegen Ringstorff aus Mecklenburg-Vorpommern orientiert und trotz des Vetos seines Koalitionspartners für den Kompromiss stimmt? Werden Sie dann Schönbohm den Austritt aus der Koalition empfehlen?

    Müller: Wir haben in Brandenburg einen eindeutigen Koalitionsvertrag. Dieser Koalitionsvertrag besagt, dass bei unterschiedlicher Auffassung der Koalitionspartner im Bundesrat Stimmenthaltung stattzufinden hat. Ich gehe davon aus, dass Manfred Stolpe ein vertragstreuer Partner ist.

    Liminski: Würden Sie denn im Falle eines Wahlsiegs im September das Zuwanderungsgesetz novellieren, vorausgesetzt natürlich es geht vorher durch den Bundesrat? Eigentlich müssten Sie diese Novelle ja dann wollen; sonst könnten Sie auch jetzt zustimmen.

    Müller: Dass es Handlungsbedarf gibt, ist völlig klar. Dass sowohl die jetzige Rechtslage als auch der Vorschlag der Regierungskoalition nicht akzeptabel sind, ist auch klar. Deshalb gibt es zwei Möglichkeiten: entweder wir finden jetzt einen Kompromiss, der tragfähig ist, dem man zustimmen kann und der über den Tag der Bundestagswahl hinausdauert, oder wir finden diesen Kompromiss nicht. Dann werden wir bei der Bundestagswahl für unser Konzept werben und wenn wir die notwendige Mehrheit bei der Bevölkerung erhalten - und da habe ich keinen Zweifel - auch ein Gesetz nach unseren Vorstellungen verabschieden.

    Liminski: Noch einmal zur Zuwanderung selbst. Die Experten, etwa Professor Birke in Bielefeld, sagen, eine effektive, von den Regierungen lenkbare Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung könne es nur geben, wenn man das Problem der Asylbewerber und Flüchtlinge, also die humanitäre Frage, auf europäischer Ebene harmonisiere und von der Frage der wirtschaftlich notwendigen Zuwanderer trenne und für beide Gruppen Kontingente festsetze. Ein solches Gesamtkonzept wäre der richtige Ansatz. Sehen Sie das auch so?

    Müller: Ich glaube, dass dies teilweise richtig ist. Natürlich ist die Zuwanderung unter ökonomischen Bedingungen, die ja im nationalen Eigeninteresse erfolgt, ein anderer Tatbestand als die Zuwanderung unter humanitären Gesichtspunkten. Ich glaube allerdings nicht, dass man das Asylrecht einer Quote unterwerfen kann. Eine andere Frage ist eine vernünftige europäische Lastenverteilung, die gleichmäßige Verteilung von Asylbewerbern und Flüchtlingen auf die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Dafür streiten wir seit langem, aber auch an der Stelle hat die Bundesregierung diese Position nicht konsequent vertreten. Bei der Richtlinie zum Massenzustrom hat sie zugestimmt dem Prinzip der doppelten Freiwilligkeit, das heißt dem Prinzip, dass der Asylbewerber, dass der Flüchtling selbst festlegt, in welchen Mitgliedsstaat er geht. Das ist ein Grund dafür, warum die Bundesrepublik Deutschland überproportional von Flüchtlingsströmen betroffen ist. Das Transferleistungsniveau, das Niveau der Sozialleistungen bei uns macht Deutschland attraktiv. Deshalb bräuchten wir eine europäische Verteilung. Die Bundesregierung hat dies leider auf europäischer Ebene nicht durchgesetzt.

    Liminski: Herr Müller, noch einmal zur Klarheit: In der jetzigen Form lehnen Sie das Koalitionspapier ab?

    Müller: So ist es!

    Liminski: Das war Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes und Vorsitzender der CDU-Zuwanderungskommission. - Besten Dank für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio