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Wie soll sich die Bundes F.D.P. im Fall Hessen verhalten?

    Meurer: Beim Landesparteitag der hessischen F.D.P. im März behielten die Befürworter der Koalition mit Roland Koch (CDU) die Oberhand. Nach den jüngsten Enthüllungen kam jetzt offenbar wieder Protest an der Basis auf. Erste Stimmen erinnern an das Versprechen, bei Vorlage neuer Tatbestände neu über die Koalition in Hessen zu entscheiden. In die hessische Schwarzgeldaffäre ist wieder Bewegung geraten. Anlass bildet ein jetzt erst bekanntgewordener interner Untersuchungsbericht des früheren CDU-Finanzberaters Horst Weyrauch. Der Bericht aus der Jahr 1993 kreist um den ehemaligen Buchhalter der CDU Hessen, Franz-Josef Reischmann. Herr Reischmann soll in den Jahren von 1988 bis 1992 beim Landesverband und bei der CDU-Landtagsfraktion insgesamt gut 2,2 Millionen Mark unterschlagen haben. Der Fall selbst ist sein einiger Zeit bekannt, aber neu ist der Hinweis, dass der Leiter der hessischen Staatskanzlei, Franz-Josef Jung, diesen Untersuchungsbericht bei Weyrauch selbst mit angefordert haben soll. Außerdem fielen Unterschlagungen auch in die Zeit des damaligen Fraktionsvorsitzenden Roland Koch, heute ja eben Ministerpräsident. Die unterschlagenen Gelder – so der Verdacht – seien mit Hilfe der illegalen Auslandskonten ausgeglichen worden. Die Frage lautet nun: Wann und wieviel haben Koch und Jung davon gewusst, warum wurde damals nicht Anzeige erstattet und was könnten die neuen Erkenntnisse für den Koalitionspartner F.D.P. in Hessen bedeuten? Am Telefon begrüße ich Wolfgang Kubicki, den Fraktionschef der F.D.P. in Schleswig-Holstein. Guten Morgen Herr Kubicki.

    Kubicki: Guten Morgen Herr Meurer.

    Meurer: Die Parteifreunde in Hessen halten sich ja noch ziemlich bedeckt. Wie beunruhigend sind denn aus der Bundesperspektive die Nachrichten aus Hessen für die Liberalen?

    Kubicki: Sie sind insofern beunruhigend, als dass – obwohl es eigentlich keine neuen Erkenntnisse gibt – die Bewertung etwas anders gestaltet werden muss. Ich bin ja selbst Fraktionsvorsitzender, und es ist schlicht undenkbar, dass eine solche Unterschlagung am Fraktionsvorsitzenden vorbeigeht. Das gilt auch für das Wiederauffüllen der Kasse – und jeder normale Mensch würde sich natürlich fragen: ‚Woher kommt das Geld, mit dem diese Unterschlagung ausgeglichen wird?‘. Es sind ja zwei Punkte sehr bedenklich. Einmal, dass eine Unterschlagung in Millionenhöhe stattfindet, ohne dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird. Und zweitens, dass diese unterschlagenen Gelder wieder aufgefüllt werden, wohl – und so ist der Erkenntnisstand jetzt – aus schwarzen Kassen.

    Meurer: Gibt es irgendeinen Grund aus Ihrer Sicht, warum man damals bei der CDU nicht angezeigt hat?

    Kubicki: Also ich kann mir darauf keinen Reim machen. Meine erste Reaktion wäre gewesen – und ich denke, das wäre die Reaktion jedes Fraktionsvorsitzenden –, dass ich den entsprechenden Mitarbeiter nicht nur zur Rede gestellt hätte und entlassen hätte, sondern ihn auch der Strafmacht überantwortet hätte. Möglicherweise – das ist eine der Vermutungen – wollte die hessische CDU sich nicht blamieren und sich möglicherweise nicht öffentlich dahingehend einlassen, dass es bei ihr möglich ist, über Jahre hinweg Geld zu unterschlagen.

    Meurer: Wenn 2,2 Millionen Mark unterschlagen werden und es wäre doch zur Anzeige gekommen und die Staatsanwaltschaft hätte ermittelt: Wie genau wäre denn dann in die Finanzbücher der hessischen CDU geschaut worden?

    Kubicki: Dann wäre ziemlich intensiv in die Finanzbücher der hessischen CDU geschaut worden, denn um den Tatnachweis zu erbringen, muss man genau überlegen, wann welche Beträge von dem Buchhalter entnommen worden sind oder verschoben worden sind. Insbesondere hätte der Buchhalter ja auch die Möglichkeit gehabt, sich zu entlasten oder Erklärungen abzugeben, die der hessischen CDU möglicherweise nicht gepasst hätten. Aber das sind alles Spekulationen, die natürlich dadurch genährt werden, dass ein eigentlich normales Verfahren, was jedes Unternehmen anwenden würde, nicht eingeschlagen wurde. Man hat das einfach verheimlicht.

    Meurer: Dieser Vorgang als solcher ist ja schon im März – also zur Zeit des Landesparteitages der hessischen F.D.P., der damals ziemlich dramatisch verlaufen ist – bekannt gewesen. Jetzt gibt es eben die neuen Aspekte, dass die Unterschlagungen eben doch in die Zeit Kochs gefallen sein sollen. Was macht das in der Bewertung neu, wie Sie eingangs gesagt haben?

    Kubicki: Zunächst einmal hat die Bundespartei ja eine ganz klare Haltung angenommen, und die hessischen Liberalen haben sich ja beim Landesparteitag entschieden. Nun – denke ich – wäre abzuwarten, bis man über Vermutungen und Verdächtigungen hinaus klare Erkenntnisse hat, um diese Entscheidung zu revidieren. Aber es macht schon nachdenklich, dass jetzt bekannt wird, dass beispielsweise ein sehr enger Mitarbeiter von Herrn Koch mindestens seit 1993 über die Vorgänge bescheid weiß. Und ich denke, der Ministerpräsident von Hessen muss sich doch einige Fragen gefallen lassen – zum Beispiel über seine Amtsführung als Fraktionsvorsitzender 1993. Nach wie vor – denke ich – hat er auch als Fraktionsvorsitzender gegenüber seiner eigenen Fraktion Treuepflichten, gegenüber dem Steuerzahler auch Treuepflichten. Und ich habe meine großen Zweifel, dass er diese Pflichten ordnungsgemäß erfüllte 1993. Ich denke, dass wird bei einer abschließenden Bewertung doch eine Rolle spielen müssen.

    Meurer: Wie lange soll denn Hessens F.D.P. jetzt noch abwarten?

    Kubicki: Also, zunächst einmal haben wir einen Untersuchungsausschuss in Hessen, dessen Aufgabe ja darin besteht, den wahren Sachverhalt zu ermitteln – auch wenn Untersuchungsausschüsse immer politische Kampfinstrumente sind. Aber es ist doch so, dass über die Untersuchungsausschüsse und über die ihm begleitenden Medien einiges, was die Wahrheit angeht, ans Licht kommt. Und ich denke, die hessische F.D.P. wäre gut beraten, alles das, was an Informationen jetzt auf sie zukommt, ordnungsgemäß zu bewerten und dann sich möglicherweise im Laufe des Jahres – das ist ja nicht mehr sehr lang – sich noch einmal neu zu fragen, ob die Koalition tragfähig ist, weil die Informationen, die man vom Koalitionspartner bekommen hat, zutreffend waren oder falsch gewesen sind. Und das ist eine Bewertung, die müssen die hessischen Parteifreunde vornehmen. Das kann weder ich aus Kiel, noch Wolfgang Gerhardt aus Berlin. Das müssen die Hessen alleine entscheiden.

    Meurer: Es sieht aber nicht danach aus, als würde Hessens F.D.P. zu diesem Schritt übergehen und gerade evtl. einen Landesparteitag über diese Frage planen.

    Kubicki: Nun ja, Sie haben eingangs zu recht gesagt, es gibt die ersten Irritationen an der Basis. Ich denke, wenn diese Informationslage, die wir gegenwärtig haben, andauert oder sich verschärft, dann wird diese Irritation an der Basis sich auch mit einem Ruf nach einem Landesparteitag Luft machen. Das ist der einzige Weg, den man in einer demokratischen Partei vornehmen kann

    Meurer: Warum sollten sich die hessischen Liberalen – wenn man mal ihre Interessen parteistrategisch unter die Lupe nimmt – sich selbst unter Druck setzen und Staub wieder aufwirbeln?

    Kubicki: Ja gut, die hessischen Liberalen sind von der Affäre – außer, dass diese Affäre den Koalitionspartner betrifft – bisher nicht betroffen. Das kann sich natürlich in dem Maße ändern, indem Grundsätze, die die F.D.P. ja ausmachen, tangiert werden: Die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, die Grundsätze des demokratischen Bewusstseins, der demokratischen Grundlagen beispielsweise, die eklatant verletzt würden, wenn sich herausstellt, dass der Ministerpräsident weder dem Koalitionspartner noch dem Untersuchungsausschuss, noch der Öffentlichkeit die Wahrheit, und zwar die volle Wahrheit gesagt hat. Das wäre eine neue Lage. Und ich denke, diese neue Lage würde dann auch die hessische F.D.P. zu einer neuen Bewertung zwingen.

    Meurer: Die F.D.P. befindet sich ja bundesweit im Aufwind, Herr Kubicki - erst im Februar die Landtagswahlen bei Ihnen in Schleswig-Holstein, dann Jürgen Möllemann mit seinen 9,8 Prozent in Nordrhein-Westfalen. Ist Hessen eine latente Bedrohung für die F.D.P.?

    Kubicki: Hessen ist keine latente Bedrohung für die F.D.P., Hessen ist ein Schwelbrand. Die hessische CDU ist nicht in der Lage, die Affäre sozusagen offen zu bereinigen. Und das ist natürlich ein Schwelbrand, der nicht nur die Union erfasst, sondern auch die hessische F.D.P. bedroht. Aber man soll das auch nicht überbewerten. Die Bedrohungslage durch die Union auf Bundesebene ist in gleicher Weise vorhanden. Die F.D.P. täte gut daran, sich an ihre eigenen Grundsätze zu besinnen und auch den Koalitionspartner in Hessen gelegentlich daran zu erinnern, dass die hessische CDU auf dem Boden des Grundgesetzes steht.

    Meurer: Sollte die Bundes-F.D.P. wieder eingreifen?

    Kubicki: Ich denke, gegenwärtig ist nicht der Zeitpunkt, das zu tun. Aber ich kann mir vorstellen, dass es auch dazu kommen könnte, obwohl ich glaube, dass die hessischen Parteifreunde mittlerweile so sensibilisiert sind, dass sie es auch in eigener Regie lösen können.

    Meurer: Der Fraktionsvorsitzende der F.D.P. im Landtag von Schleswig-Holstein zu den neuen Berichten und Vorwürfen in Hessen, Wolfgang Kubicki. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Kubicki, und auf Wiederhören.

    Kubicki: Danke und auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio