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Wie Thailand vor 40 Jahren

Laos ist relativ junges Reiseziel für den westlichen Tourismus. Buddhistische Klöster und Tempel, traditionelle Dörfer, freundliche Menschen, und mittlerweile auch etliche Freizeitangebote für Naturabenteurer locken immer mehr Reisende in das bevölkerungsärmste südostasiatische Land.

Von Michael Magercord |
    In Laos sei es, hatte der Mann aus Bangkok gesagt, wie es bei uns in Thailand vor 40 Jahren gewesen ist. Diese einzigartige Atmosphäre aus einer Mischung von gestern und morgen, dieses Ruhige und doch gleichzeitig im Aufbruch Befindliche, das erinnere ihn, den 40-Jährigen, an Thailand vor 40 Jahren. Und er gab mir auf diese Weise ein eigentümliches Zeitempfinden mit auf meine Reise durch Laos.

    Die 1993 errichtete Freundschaftsbrücke, die den Mekong, träge und braun, überspannt, ist der Grenzübergang zwischen Thailand und Laos. Die kurze Fahrt in das Zentrum der Hauptstadt Vientiane führt durch beschauliche Vororte aus hölzernen Häusern, garagenhaften Geschäften, Werkstättchen, am Straßenrand hie und da ein verblichenes Plakat mit fröhlichen Arbeitern und Bauern, oder wesentlich häufiger neue Reklametafeln mit handgepinselten Schriftzügen globaler Markennamen. Das eine ist von gestern, das andere soll wohl das Heute darstellen.

    "Wir leben nun in einer kosmopolitischen Stadt. Manchmal wird unsere kommunistische Partei vom Ausland kritisiert: Laos sei nicht frei, heißt es. Aber das stimmt nicht. Die Gesellschaft hat sich geändert. Wir sind frei, nicht auf die Art, wie in anderen Ländern, aber wir können frei unseren Geschäften nachgehen, wenn wir die Steuern dafür korrekt bezahlen."

    Doch, doch, Laos ist immer noch ein kommunistisch regiertes Land. In Vientianes Zentrum merkt man davon kaum etwas. Laut und geschäftig ist es dort geworden, zumindest für jemanden, der die Stadt noch von früher kennt, wie dieser 60-jährige Mann, der 1975, als sich mit der Machtübernahme der Kommunisten alle Laoten der Zukunft zuwenden sollten, für einige Monate in einem Umerziehungslager eingesessen hatte, und der heute der Wirt meines kleinen, privat geführten Hotels ist.

    "In der französischen Zeit waren wir bloß eine Kolonie, dann ein Königreich. Seit der Befreiung hat die Partei ihre Linie immer weiter angepasst. So ist das Leben in jüngster Zeit viel besser geworden, vor allem für uns Städter. Sieh doch die vielen neuen Autos, die Menschen in Vientiane sind glücklich. Und ich bin glücklich, diese Zeit der neuen politischen Linie noch erleben zu dürfen."

    Das hat hier was von morgen, ausgerechnet zwischen Buddha-Statuen und kunstvollen Stelen, ausgerechnet dort, wo die Männer und Jungen in orangefarbene Umhänge gekleidet sind, wo deren Haare jedes Mal bei Vollmond kahlgeschoren werden, wo sie weder rauchen noch Alkohol trinken, ja nicht einmal nach dem Mittag etwas essen dürfen. Ausgerechnet hier wird Englisch gepaukt.

    "Als ich jung war, wollte ich in die Schule gehen. So haben meine Eltern entscheiden, mich als Novize ins Kloster zu schicken, um dort zu lernen. In meinem Dorf gibt es keine Schule und auch kein Kloster. So kam ich schließlich nach Vientiane. Jeden Morgen stehe ich um vier Uhr auf, um zu Buddha zu beten. Dann sammeln wir für eine halbe Stunde in zwei Stadtteilen unser Essen von den Bewohnern ein. Ab Mittag dürfen wir nichts mehr essen. In Zukunft möchte ich nicht im Kloster bleiben, sondern nach dem Abschluss der Schule Reiseleiter für Touristen werden."

    Der 19-jährige Vanh lebt im Kloster Inpeng im Zentrum Vientianes. Zusammen mit den anderen Novizen geht er in die Klosterschule. Mathe, Laotisch, Englisch stehen auf dem Lehrplan, und Computerschulung auf der Abendschule: Lernen, Lernen, Lernen. Wo immer man auf ein Kloster trifft, werden diese Schul-Novizen zu treuen Begleitern eines Laos-Reisenden. Und wo immer man auf sie trifft, sie kommen meist selber von weither.

    "Ich denke ständig an mein Dorf. Es ist sehr weit weg, im Norden. Ich habe diesen Monat einen Brief geschrieben, vielleicht ist er in einem Monat dort. Es gibt keine Straße, man kann das Dorf nur mit dem Boot erreichen. Doch ich würde nicht wieder dort leben können. Manche Leute würden schwatzen: 'Er ist nach Vientiane gegangen, um zu lernen, aber siehe, nun musste er doch wieder zurückkehren.' Ich will in Zukunft in Vientiane leben, alles ist hier perfekt, vor allem die Schulen."

    Das Verlassen der Hauptstadt - ein Ausbruch aus der Perfektion? Die Busfahrt nach Norden durch die fruchtbare zentral-laotische Ebene, eine Fahrt zurück ins gestern? Die Dörfer am Rande der Nationalstraße 13 muten einfach an, sind sie auch, und doch, sie wirken gepflegt, fast idyllisch, jedenfalls auf den Reisenden. Aber auch auf die Menschen?, fragt der sich unwillkürlich und glaubt, es erst erfahren zu können, wenn es mit der Idylle einmal vorbei sein wird. Dabei, und das weiß der Reisende spätestens, wenn er in einem der Dörfer angekommen ist, sagt diese Frage und seine mutmaßliche Antwort mehr über den Reisenden aus als über die Bereisten.

    Umsteigen ins Sammeltaxi. Man hat Zeit in Laos, das Sammeltaxi muss erst voll sein, bevor es losgeht. Draußen raucht der junge Fahrer, drinnen sitzen bislang zwei ältere Frauen. Sprechversuche. Laotisch für Reisende, denn man hat eine Frage, sie lautet: Wann? Wann geht es endlich los? Jalaman?

    Irgendwann ist auch in Laos irgendwann. Mit dem Dreiradtaxi geht es weiter zum Stausee Nun Ngum, dem größten in Asien. An der Staumauer wird Strom produziert fürs Ausland, Thailand, Malaysia, Vietnam, Laos braucht nur wenig Elektrizität. Am Ufer des Sees hat sich ein kleiner Ort gebildet aus Fischrestaurants. Die Gäste kommen aus Thailand, meist sind es Hydro-Ingenieure, die einen neuen Staudamm errichten.

    "Ich bin Bootsmann. Ich habe ein kleines Boot für Ausflüge auf dem See. Vor 37 Jahren wurde der erste Staudamm errichtet, jetzt wird am zweiten Damm gebaut. In fünf Jahren soll er Strom nach Thailand liefern. Wann der dritte kommen wird, wissen wir nicht. Insgesamt sind fünf Dämme geplant. Laos hat dann riesige Wasserflächen. Aber wir haben nichts, was wir sonst verkaufen könnten, nur Strom."

    Von der Hotelveranda aus schweift der Blick über das klare blaue Wasser, eingerahmt von Palmen und tropischen Schilfgewächsen, Kähne tuckern dahin. Bootsmann Ley streckt seinen Arm weit aus, weist irgendwo dahinten auf den fernen Horizont, um zu zeigen, wo die neuen Dämme entstehen sollen. Ein Horizont ist immer die Scheidelinie zwischen unvereinbaren Elementen. Diese Wasseroberfläche aber ist mehr: Sie ist eine Trennlinie zwischen gestern und heute. Denn wenn Bootsführer Ley über seine Kindheit spricht, zeigt er nicht mehr zum Horizont, sondern mitten aufs Wasser.

    "Dort bin ich geboren worden. Mein Vater hat erzählt, die Ingenieure wären eines Tages ins Dorf gekommen und hätten verkündet, dass es in drei Monaten überflutet werde. Wer nicht nach Vientiane oder in die Kreisstadt Thalat umgezogen ist, hat sich ein neues Haus in den Bergen gebaut. Unter Wasser stehen noch viele Häuser. Ein Dorf kann man in 15 Meter Tiefe sehen. Da wird sogar noch Holz gefällt. Zwei, drei Leute tauchen dorthin, wo noch Bäume stehen, dann kommt ein Boot mit einer Hydraulikvorrichtung, mit der die Bäume regelrecht heraufgeschraubt werden. Die Menschen waren damals sehr traurig, sie hatten dort Felder. Schau, dort waren die Dörfer, heute kennen wir nicht einmal mehr ihre die Namen."

    Weiter nach Norden. ans Ziel aller Reisenden in Laos, den jungen zumindest: Vang Vieng. Da muss man gewesen sein, denn das ist es: Thailand vor 40 Jahren plus Aktivsport von morgen, und das alles schon heute.

    "In Vang Vieng war vor fünf Jahren überall nur Natur, nun gibt es große Häuser, mehr und mehr Hotels und Restaurants. Vang Vieng ist laut geworden, es ist schon eine richtige geschäftige Stadt. Die meisten, die kommen, sind Studenten. Sie wollen die Natur erleben. Denn in Vang Vieng kann man alles machen: Tubing, Kayaking, Caving und Dörfer der ethnischen Minderheiten besuchen."

    Man kann und man tut, tagsüber all das, was Pan, die junge Gasthausbetreiberin, aufgezählt hat: also auf einem Schlauch eines Traktorreifens den Flusslauf hinabtreiben, oder dessen Stromschnellen mit einem Kajak durchfahren, oder in feuchten, dunklen Höhlen umherglitschen und dabei hohlen Stalagtiten und bauchigen Stalagmiten Töne und, naja, Melodien entklopfen.

    Man kann auch einfach radeln und wandern durch die Landschaft aus Karstbergen. Und immer dort, wo ein Bauer mit seinem Vieh einfach durch einen Fluss waten würde, haben die Dörfler einen hölzernen Steg gebaut und verlangen, um damit auch vom Tourismus zu profitieren, Brückenzoll.

    Vang Vieng, Natur und Spaß, eben für jeden etwas. Es ist das irdische Paradies schlechthin, der Ort, wo die Erfüllung des Wunsches von gestern nicht auf morgen verschoben werden muss, egal, von wie fern oder nah man zugereist ist.

    "Meiner Mutter habe ich zunächst nichts verraten, ich sagte bloß, ich würde eine kleine Reise in die Provinz unternehmen. Dann habe ich dieses Gasthaus gemietet, bin zurückgekehrt und habe alles erzählt. Nun ist sie glücklich, aber auch besorgt, denn manchmal habe auch ich Sorgen. Ich muss nun Entscheidungen treffen, das ist nicht immer leicht."

    Nationalstraße 13 weiter nach Norden, berühmt und berüchtigt, früher: Da kam es zu Überfallen, der Straßenbelag war holprig. Heute ist der Weg sicher und die Straße asphaltiert. In engen Serpentinen führt sie auf 1600 Meter hinauf, bietet weite Ausblicke auf die Gebirgskette des Amman-Hochlandes und seine bis zu 2500 Meter hohen Karstberge. Menschen des Volkes der Hmong wurden, als die Politik die Bergnomaden noch zur Zukunft zwingen wollte, entlang der Straße in armseligen Hütten angesiedelt. Sie bieten in bunte Trachten gekleidet den Reisenden nun Snacks und Getränke an. Die einzige Gefahr auf den Straßen von Laos lauert durch betrunkene Fahrer. Besoffen sind jedoch alle, die in Laos unterwegs sind, torkelnd zwischen den Zeiten.

    Nach einer langen Tagesreise erreicht man wieder den Lauf des Mekongs. Auf einer Halbinsel liegt darin die alte Königsstadt von Laos, Luang Prabang: Tempelbauten, Paläste, eine von der Zeit unberührt scheinende Altstadt, kurz eine der schönsten Städte Südostasiens. Die UNESCO hatte das vor zehn Jahren offiziell anerkannt und Luang Prabang unter Schutz gestellt. Das haben nun Tourismusveranstalter erkannt, die Menschen aus Luang Prabang, die Luangprabanger, wussten es sowieso.

    "Die Luangprabanger sind stolz auf ihr Leben. Ich bin zwei Monate hier. Das Leben gefällt mir, wegen der Ordnung und Sauberkeit. Die Leute nicht so hektisch und so laut, die Luft, das Klima ist optimal, heiß am Tag, aber am Abend ist es angenehm. Am Wochenende kann man Ausflug machen, es gibt Seen, Picknick machen. Wenn man Arbeit hat, ist es ein schönes Leben."

    Van Pen war Student in der DDR, lebte noch zehn Jahre illegal im wiedervereinigten Deutschland, und arbeitet nun als Reiseleiter für deutschsprachige Touristen in Luang Prabang, zeigt ihnen Tempel, alte Häuser und lauschige Restaurants am Ufer. Ist es das? Ist das die Verbindung zwischen gestern und heute, ist man hier in der Gegenwart angekommen, die bewahrt wird von den Gesetzen der Denkmalpflege, und von der alle profitieren, ohne dass jemand benachteiligt wird?
    "Die Leute, die vom Tourismus benachteiligt sind, sind nur sehr kleine Gruppe. Es ist ja nicht so, dass irgendwer hungern muss. Sie haben sowieso ihren kleinen Garten. Man sieht schon ein wenig die Unterschiede, aber es fällt nicht auf, weil es noch kleine Gruppe ist. Vielleicht später, momentan sehe ich keine großen Probleme."

    Von der einfachen Terrasse des einfaches Restaurants, wo Van Pen seine Mittagspause und eine Flasche besten Lao-Bieres genießt, sieht man auf die prächtige Anlage des buddhistischen Klosters Wat Sen. Und da sind sie wieder, die Mönche und vor allem die jungen Novizen. Luang Prabang ist das geistige Zentrum von Laos. In der "Stadt der 1000 Tempel" gibt es 66 Klöster, von denen sind 32 von Mönchen und ihren Schülern bewohnt, und die mit ihrer gelben Kleidung das Straßenbild prägen. Die Novizen kommen meist nicht aus Luang Prabang, sondern kommen aus Dörfern, von weither, um so zur Schule gehen zu können.

    "Es ist nicht nur, dass sie an Ausbildung denken, viel Disziplin darin. Man muss früh aufstehen, man kann nicht alle Regeln einhalten, die im Buch stehen. Das können nur einige, nicht alle. Wir wissen nicht, wer wirklich kann, von vornherein haben wir schon Respekt vor den Mönchen, der gelben Kleidung. Ob sie ihre Regeln einhalten oder nicht, sollte nicht unser Bier."

    Morgens stehen die Mönche um vier Uhr auf, und gegen sechs im Morgengrauen ziehen sie in langen Reihen und kurzen Trippelschritten fast lautlos durch die Straßen und sammeln ihr Essen ein, das ihnen die Gläubigen in ihre Schalen häufeln.

    Der lange Marsch der Mönche ist auch für Touristen ein Anlass, noch vor dem Aufstehen aufzustehen, das Spektakel zu verfolgen oder gar selbst den Mönchen kleine, am Straßenrand käufliche Snacks zuzustecken und Bestandteil eines immer wiederkehrenden Rituals zu werden - Gegenwart.

    Im Tempel preisen die Mönche Buddha und ausgerechnet hier, im Kloster Wat Sen, begegnet man wieder der Zukunft. "Das ist Zement", erklärt der Mönch Vienchai, und zeigt auf einen bauchigen Buddha. 25 Tage lang hat er an der Statue gearbeitet. Rosa will er sie noch bemalen, mit der Farbe, wie er erklärt, "des rechten Lebens".

    "Menschen haben für die Statue gespendet. Nach dem Tod werden alle Menschen befragt: Hast du Dir Verdienste erworben? Ja, können die Spender dann sagen, ich habe diesem Buddha gespendet."

    Der Tempel ist von außen mit prächtigen Bildern geschmückt, die von Buddha und seinen Lehren erzählen. Was ist darauf zu sehen? Die Zukunft. Die allerdings kann auch schlecht enden, wie die Darstellungen von Höllenqualen in Tigergruften oder Fegefeuern zeigen; oder in einer Wiedergeburt münden, etwa als Tier - oder gar als Frau. Das zu verhindern hilft nur, rechtzeitig, nämlich bereits jetzt Verdienste anzusammeln.

    "Heutzutage sind alle verwirrt. Ich habe ein Auto, ein Haus? Dann will ich noch eins. Dieses unendliche Begehren verwirrt sie. Die Jugendlichen lernen Englisch, den Umgang mit Computern, oder sie wollen Geld mit Gasthäusern verdienen. Aber man kann wahre Verdienste nicht kaufen und das Geld nicht mit in den Himmel nehmen. Stattdessen werden sie im nächsten Leben wieder bitterarm sein. Die Menschen denken nicht an die Zukunft, sie denken nur an dieses Leben. Sie sehen eine Mücke und schlagen sie tot, dann sind sie im nächsten Leben taub oder blind. Das alles ist auf diesen Bildern zu sehen."

    In den Tempel hineingehen dürfen Besucher auch, aber:

    "Ich erkläre es allen Touristen: Sie können in den Tempel hineingehen, aber sollten dann dreimal vor Buddha verbeugen. Das bedeutet, sie entschuldigen sich bei Buddha und bekunden ihm ihren Respekt. Ich sage den Touristen immer wieder: Macht es so, es ist besser für eure Zukunft."

    Und dann erzählt der Mönch Venchai seine Geschichte, eine, wie sie fast alle Mönche und Novizen sie erzählen könnten. Auch er stammt aus einem kleinen Dorf, worin es keine Schule gab. Allerdings sei er, und damit wird es nun seine Geschichte, nicht wegen der Bildung ins Kloster gegangen, sondern weil er Buddha dienen wollte. Seine Eltern wollten ihn erst nicht gehen lassen. Du musst ausreichend essen, Junge, das geht im Kloster nicht, haben sie gesagt. Erst als er 13 Jahre alt war ließen sie ihn in den Tempel ziehen, und damit endete seine Vergangenheit. Nun ist Vienchai 25, Mönch und will es bleiben. Ein einfaches Leben sei es, sagt er, man müsse bloß ein paar Regeln beachten

    "Als Mönch muss ich 227 Regeln beachten. Ich darf keine Witze reißen, lachen oder mit gespreizten Beinen sitzen. Ich bin ja nicht wie ihr, ich bin Mönch. Vor allem aber betont der Buddhismus in Laos das Meditieren, um ruhig, entspannt und friedvoll zu werden. Wenn Du ganz friedvoll geworden bist, kannst Du in deine vergangenen und Dein nächstes Leben schauen, die Vergangenheit und Zukunft sehen. Es ist wie Fernsehen gucken, heute möchtest du Boxen ansehen, morgen einen Film, du kannst wählen."

    Um weiter nach Norden über den Mekong zu reisen, kann man wählen: entweder mit altersschwachen Kähnen gemächlich zwischen den Wasserwirbeln schlingern, oder in einer abenteuerlichen Speedboat-Konstruktion aus länglichem Ruderboot mit krachenden Außenbordmotor über die Stromschnellen hinwegfegen. Offenbart sich auf dem Mekong bereits die Welt der zwei Geschwindigkeiten? Die Benutzung dieser Superschnellboote jedenfalls soll laut den Warnungen der Bundesregierung die größte Gefahr auf einer Reise in Laos darstellen.

    Also geht es zunächst mit dem Bötchen und dann in einem übervollbesetzten Sammeltaxi nach Norden durch kleine Ortschaften und grüne Hügel bis kurz vor die chinesische Grenze. Im Kreisstädtchen Odomxai sind Chinesen bereits allgegenwärtig, ebenso chinesische Schriftzeichen an Unterkünften und Restaurants. Aus dem Land der Zukunft schwappt Geschäftigkeit hinüber, Händler und Bauarbeiter. Auf Englisch allerdings sind Handzettel und eine Informationstafel am Busbahnhof, die zum Aufenthalt in umliegenden Bergen auffordern.

    "Tourismus ist in Laos noch ein sehr junges Phänomen, die Regierung hat ihn als wichtigstes Mittel zur Entwicklung und Armutsbekämpfung bestimmt. Wir versuchen nun trotz etlicher Ungewissheiten in unserem Kreisgebiet diese Planvorgabe zu erreichen. Dazu wollen wir zunächst die Sehenswürdigkeiten in unserem Gebiet bestimmen. Wir können den Touristen nun bereits sagen, was es zu sehen gibt, wo sie übernachten und wo sie essen können."

    Si-Wan ist Direktor des Tourismusbüros. Mit Hilfe des Deutschen Entwicklungsdienstes DED soll behutsamer Trekking- und Öko-Tourismus in der hügeligen Landschaft entwickelt werden, in der bislang einfache Landwirtschaft betrieben wird. Man hat was zu bieten: Natur und Völker. Und man hat Ziele, Pläne, Vorgaben, Vorschriften. Nur jene Dörfer sollen Touristen empfangen, die den Status eines Kulturdorfes erlangt haben.

    "Es ist nicht leicht, ein Kulturdorf zu werden. Im Dorf muss die Lebensweise der traditionellen Kultur entsprechen und sich nicht weiter verändern. Die Häuser müssen im alten Volksstil erbaut sein, und die Bewohner müssen noch ihre eigenen Handwerksprodukte herstellen und eigenes Liedgut pflegen. Für Hygiene muss gesorgt sein, und im Kulturdorf muss eine gute politische Leitung die Einhaltung der Bedingungen wahren. Denn wir müssen uns vor den negativen Effekten des Tourismus auf die Umwelt und Kultur schützen. Dazu versuchen wir beide Seiten auszubilden, die lokalen Gemeinschaften und die Touristen. Mit ihnen treffen zwei verschiedene Welten aufeinander. Touristen wollen das traditionelle Landleben sehen, also sollen sie kommen, aber nicht all zu lange bleiben. Ich denke, in Zukunft können wir sowohl den Bedürfnissen der Touristen gerecht werden als auch den Vorgaben der Regierungspolitik."

    Von Odomxai sind es nur noch 50 Kilometer bis zum Örtchen Boten an der chinesischen Grenze. Dahinter geht in der neuchinesischen Zollstation mit Banken, Shops und Restaurants im grellen Neo-Disney-Stil die Reise durch Laos abrupt zu Ende: War es nun wie vor 40 Jahren in Thailand? Oder wird es so werden, wie man es im Norden behutsam plant? Ob nun so oder so, der Reisende in Laos ist und wird es wohl noch lange bleiben ein Grenzgänger, unterwegs irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft