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Wie tickt die Elite?

Sciences Po, das politikwissenschaftliche Institut mit Stammsitz in Paris, gilt seit langem als Kaderschmiede der Elite für die hohe Verwaltung, in der Politik, der Wirtschaft und im Journalismus. Und nicht nur in Frankreich. Es handelt sich um eine einmalige Institution: Geführt wird sie wie ein privates Unternehmen, hat aber vom Bildungsministerium den Auftrag, sozusagen öffentliche Bildungs-Dienstleistung zu erbringen. Seit Jahren verfolgt die Institutsleitung einen progressiven Reformkurs. Die neueste Maßnahme: Am Dienstag wurden bei einer Veranstaltung im Haus die Ergebnisse einer Studie veröffentlicht zum Thema: "Die Studenten von Sciences Po - ihre Ideen, ihre Werte, ihren politischen Kulturen". Erstmals an einer französischen Elite-Einrichtung wurde den Studenten somit auf den Zahn gefühlt. Ein Team vom Zentrum für politische Forschung von Sciences Po führte die Erhebung mittels eines ausführlichen Fragebogens durch, teilgenommen haben 2.450 Studenten - jeder zweite am Institut Immatrikulierte. Die Ergebnisse füllen 240 Seiten eines Bandes, der nun für zehn Euro zu erstehen ist.

Von Suzanne Krause | 10.03.2004
    Der künftigen Elite, die ihre Ausbildung beim renommierten politikwissenschaftlichen Institut in Paris absolviert, hat die Erhebung auf den Zahn gefühlt. Vor allem der Frage, welcher politischen Gesinnung sie ist. Elite gleich rechts, neoliberal, beseelt vom Wunsch, traditionelle Verhältnisse zu wahren ? Anne Muxel korrigiert das Bild, was Sciences Po anbelangt. Die Forscherin ist spezialisiert auf das Thema Jugend und Politik und hat die Studie koordiniert:

    Die Studie widerlegt ein Vorurteil: dass nämlich an Sciences Po die Studenten eher politisch rechts stehen, Elitisten wären und geprägt von einer liberalen Wirtschaftskultur. Die Erhebung zeigt: die Linke dominiert, aber insgesamt ist das alles andere als homogen, es gibt ein wahres Mosaik an unterschiedlichen politischen Kulturen.

    Ein Mosaik, das Valeska Hesse im Institutsalltag immer wieder erstaunt. Valeska ist dank des deutsch-französischen Studiengangs vom Berliner Otto-Suhr-Institut zu Sciences Po nach Paris gekommen. Und sie empfindet sich als Mitglied einer Bildungselite, aber nicht einer Elite an sich.

    Man merkt schon, glaube ich, dass die meisten Studenten irgendwo links stehen. Dies ein bisschen "gauche caviar". Allerdings gibt es auch rechte oder rechtere Gruppierungen. Das zum Beispiel kenne ich von unserem Institut in Berlin so nicht, wo es im Prinzip nur linksextreme Gruppierungen gibt.

    Ähnlich denkt Valeskas Kommilitone Terence Peikert.

    Ich zähle nicht zur Elite und komme nicht aus den Schichten, die Valeska gerade ansprach, aus gehobeneren Kreisen. Dieses Denken ist mir relativ fremd. Ich glaube nicht, dass ich das jemals annehmen werde.

    Sehr umfassend porträtiert die Studie den typischen Sciences Po-Studenten. Wobei: der typische Sciences Po-Student ist mittlerweile eine Studentin. Die Erhebung hält fest, dass sich 86 Prozent für Politik interessieren. Fast doppelt so viel wie insgesamt in derselben Altersgruppe in Frankreich. Dass auch die Bereitschaft, für ihre politischen Überzeugungen auf die Barrikaden zu gehen, bei ihnen viel höher ist als bei anderen Gleichaltrigen. Anne Muxel referiert weitere Ergebnisse:

    Die Sciences Po-Absolventen sind sehr europhil, sie glauben an Europa und sind auch dem Rest der Welt gegenüber aufgeschlossen. Sie respektieren Andersdenkende, sind geprägt von Toleranz, stehen zu den demokratischen Werten. Sie wollen eine offene, äußerst soziale Demokratie.

    Der offene Geist kommt nicht von ungefähr: jeder dritte Student stammt mittlerweile aus dem Ausland. Dies ist ein Ergebnis der umfangreichen Reformpolitik, die Institutsleiter Descoing seit einigen Jahren betreibt. Er hat sich aufs Banner geschrieben, neue Eliten heranzuzüchten. Die das ganze Spektrum der modernen Gesellschaft spiegeln sollen. Seit zweieinhalb Jahren gibt Descoing so auch Begabten aus sozial benachteiligten Schichten eine Chance: mit der so genannten Konvention ZEP. Ein Förderprogramm für hoch motivierte Einser-Abiturienten aus Trabantensiedlungen: sie müssen nicht die herkömmliche strenge Aufnahmeprüfung für Sciences Po absolvieren. Frankreichweit sorgte diese Maßnahme für erregte Diskussionen, obwohl sie nur 60 Studenten pro Jahrgang betrifft. Mit seinem sozialen Engagement will das Pariser politikwissenschaftliche Institut zweifelsohne auch sein Renommee auf dem internationalen Bildungsmarkt ausbauen. Die selbe Absicht steckt für Valeska Hesse hinter der gerade veröffentlichten Studentenstudie, die ein sehr ideales Bild zeige:

    Das ist so ein bisschen das Bild vom idealen Studenten: politisches Engagement, ein bisschen links. Ich glaube, Sciences Po will einfach zeigen, das sind die Studenten, die wir produzieren. Manchmal habe ich schon den Eindruck, dass es hier ein bisschen wie in der Industrie läuft. Was es an Nachfrage gibt, das produzieren wir. Jetzt wird öffentlich gezeigt, das produzieren wir, und das natürlich auch total politically correct. Und passt halt gut.